Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 1996 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin wendet sich als Inhaberin eines Betriebes, der hauptsächlich Verlegearbeiten von Fußbodenplatten, Treppenstufen und Fensterbänken aus Natur- und Kunststein ausführt, gegen die Heranziehung zur Umlage für die Produktive Winterbauförderung nach § 186a Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für den Zeitraum ab 1. Januar 1990.
Eine entsprechende Feststellung traf die Beklagte mit Bescheid vom 6. September 1991, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 1992.
Das Sozialgericht Dortmund (SG) hat mit Urteil vom 15. Juli 1994 die Bescheide aufgehoben und die Rechtsmeinung der Klägerin bestätigt: Die Klägerin sei nicht nach § 186a Abs 1 AFG umlagepflichtig, denn in ihrem Betrieb könne nicht die ganzjährige Beschäftigung durch Leistungen nach den §§ 77 bis 80 AFG gefördert werden. Er zähle nicht zu den förderfähigen Betrieben nach § 76 Abs 2 AFG und der hierzu erlassenen Baubetriebeverordnung (BaubetrV). Zwar sei § 1 Abs 2 Nrn 14 und 34 BaubetrV einschlägig (Fliesen-, Platten- und Mosaik-Ansetz- und Verlegearbeiten; Terrazzoarbeiten), doch werde er von der Förderfähigkeit durch § 2 Nr 8 BaubetrV wieder ausgenommen (Betriebe des Natur- und Kunststein be- und verarbeitenden Gewerbes und des Steinmetzhandwerks). Wenn 60% der Arbeitszeit für Zuschneidearbeiten aufgewendet werde, sei dies die klassische Be- und Verarbeitung von Natur- und Kunststein. Zum Be- und Verarbeiten zähle aber auch das Verlegen, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 14. Oktober 1987 (Az: 4 AZR 228/87, AP Nr 86 zu § 1 Tarifvertragsgesetz ≪TVG≫ Tarifverträge: Bau) in einem Rechtsstreit zum Geltungsbereich des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV-Bau) entschieden habe. Die BaubetrV sei nicht in sich widersprüchlich, denn die Ausnahmeregelung des § 2 Nr 8 BaubetrV gehe § 1 Abs 2 Nrn 14 und 34 BaubetrV vor.
Mit Urteil vom 23. Mai 1996 hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) diese Entscheidung aufgehoben und die Klage gegen die angefochtenen Bescheide abgewiesen: Entgegen der Auffassung des BAG und des SG zähle der Betrieb nicht zu denen des Natur- und Kunststein verarbeitenden Gewerbes (iS des § 2 Nr 8 BaubetrV). Es sei widersinnig, Betriebe wie den der Klägerin in die Produktive Winterbauförderung einzubeziehen und gleichzeitig wieder herauszunehmen. Auch hätten die Tarifvertragsparteien (nach einer vom LSG eingeholten Auskunft des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes vom 20. Mai 1996) unter dem Be- und Verarbeiten von Natursteinen nicht das Verlegen verstanden. Der Ausnahmekatalog des Abschn VII des § 1 Abs 2 BRTV-Bau, auf dem § 2 Nr 8 BaubetrV fuße, sei entgegen der Auffassung des BAG nach der übereinstimmenden Meinung der Tarifvertragsparteien so auszulegen. Dies sei für die Zeit ab 1. Januar 1990 durch eine Änderung des BRTV-Bau klargestellt worden. Mit der in § 1 Abs 2 Abschn VII Nr 5 BRTV-Bau gewählten Formulierung „nicht erfaßt werden Betriebe der Naturstein- und Naturwerksteinindustrie, soweit nicht Arbeiten der in den Abschn I bis V aufgeführten Art ausgeführt werden” hätten die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebracht, daß namentlich Betriebe, die Platten verlegen, vom BRTV-Bau erfaßt sind. Auch wenn der Verordnungsgeber die BaubetrV noch nicht entsprechend korrigiert habe, sei sie doch anknüpfend an den fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages entsprechend zu interpretieren. Der Umstand, daß im Betrieb der Klägerin der zeitliche Anteil der Schnitt-, Aussparungs- und Ausklinkungsarbeiten im Verhältnis zu den reinen Verlege- und Fugarbeiten 60 vH betrage, sei unerheblich, denn die Umlagepflicht stelle nicht auf die individuelle Gestaltung des Betriebes, sondern auf dessen Zugehörigkeit zu den in der BaubetrV aufgeführten Gruppen ab.
Die Klägerin begründet die Revision damit, das LSG habe die Reichweite der Ausnahmevorschrift des § 2 Nr 8 BaubetrV verkannt. Das BAG habe in einer weiteren Entscheidung vom 23. November 1988 (Az: 4 AZR 452/88, AP Nr 101 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau) nochmals bekräftigt, daß nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Verlegung von Naturstein die typische Art der Verarbeitung sei. Auch die ebenfalls ausgenommenen Steinmetzbetriebe würden Natursteine verlegen.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 1996 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15. Juli 1994 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts
Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 1996 zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Bescheid der Beklagten vom 6. September 1991 idF des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 1992, der für den Betrieb der Klägerin die Umlagepflicht zur Produktiven Winterbauförderung dem Grunde nach und zeitlich unbegrenzt feststellt, rechtmäßig ist.
Nach § 186a Abs 1 Satz 1 AFG (in der ab 1. Januar 1982 geltenden Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung vom 15. Dezember 1981 ≪BGBl I 1390≫) werden die Mittel für die Produktive Winterbauförderung von Arbeitgebern des Baugewerbes, in deren Betrieben die ganzjährige Beschäftigung durch Leistungen nach den §§ 77 bis 80 AFG zu fördern ist (§ 76 Abs 2 AFG), durch eine Umlage aufgebracht, die von der Beklagten erhoben wird. Erfaßt sind Arbeitgeber des Baugewerbes, die in Betrieben des Baugewerbes gewerbliche Bauleistungen anbieten (§ 75 Abs 1 Nr 1 AFG). Betriebe des Baugewerbes sind solche Betriebe oder Betriebsabteilungen, die überwiegend Bauleistungen erbringen (§ 75 Abs 1 Nr 2 AFG); zu den Bauleistungen gehören alle Bauarbeiten, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen (§ 75 Abs 1 Nr 3 AFG).
Das LSG hat – insoweit unangegriffen – festgestellt, daß der Betrieb der Klägerin ein Betrieb des Baugewerbes ist. Das Verlegen von Fußbodenplatten, Treppenstufen und Fensterbänken aus Natur- und Kunststein, einschließlich der dabei anfallenden Anpassungsarbeiten, dient der Herstellung von Bauwerken. Es handelt sich um Arbeiten, die zu einem witterungsabhängigen Zweig des Baugewerbes zählen und (grundsätzlich) nach dem Leistungskatalog der Produktiven Winterbauförderung gefördert werden können.
Die Förderfähigkeit des Betriebs der Klägerin richtete sich zur Zeit der Bescheiderteilung nach der BaubetrV vom 28. Oktober 1980 idF der letzten Änderung durch die VO vom 24. Oktober 1984 (BGBl I 1318) auf der Ermächtigungsgrundlage des § 76 Abs 2 AFG. Hier ist (in Satz 4) ausdrücklich bestimmt, daß der Verordnungsgeber nach Möglichkeit den fachlichen Geltungsbereich tariflicher Regelungen berücksichtigen und vorher die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes anhören soll.
Da bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung die Tatsacheninstanzen alle bis zu ihrer Entscheidung eingetretenen Rechtsänderungen zu beachten haben, ist grundsätzlich auch die Änderung der §§ 74 ff, 186a AFG sowie des § 1 Abs 1 BaubetrV durch das am 1. Januar 1996 in Kraft getretene 2. AFG-ÄndG – Baugewerbe – vom 15. Dezember 1995 (BGBl I 1809) zu berücksichtigen. Diese Änderungen sind jedoch für die hier zu treffende Entscheidung nicht von Bedeutung. Denn für die neuen Leistungen zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft (Wintergeld ≪§ 77 AFG≫, Zuschuß-Wintergeld ≪§ 78 AFG≫ und Winterausfallgeld ≪§§ 81 ff AFG≫) wird ebenfalls auf die hinsichtlich des Katalogs der förderfähigen und von der Förderung ausgenommenen Betriebe bis zum 20. Dezember 1996 unveränderte BaubetrV verwiesen (§ 76 Abs 2 AFG idF durch das Gesetz vom 15. Dezember 1995, aaO). Grundsätzlich können bei einem witterungsabhängigen Betrieb wie dem der Klägerin auch die neuen Leistungen (Wintergeld und Winterausfallgeld) in Anspruch genommen werden.
Förderfähig sind nach § 1 Abs 2 Nr 14 und 34 BaubetrV Betriebe, die Fliesen-, Platten- und Mosaik-Ansetz- und Verlegearbeiten sowie Terrazzoarbeiten verrichten (wortgleich mit § 1 Abs 2 Abschn VII Nrn 14 und 34 des BRTV-Bau in der bis 31. Dezember 1989 geltenden Fassung). Von der Förderung sind dagegen nach § 2 Nr 8 BaubetrV Betriebe des Natur- und Kunststein be- und verarbeitenden Gewerbes und des Steinmetzhandwerks ausgenommen (wortgleich mit § 1 Abs 2 Abschn VII Nr 5 BRTV-Bau idF bis 31. Dezember 1989).
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Betrieb der Klägerin nicht unter die Ausnahmeregelung des § 2 Nr 8 BaubetrV fällt und es damit bei der Förderfähigkeit nach § 1 Abs 2 Nrn 14 und 34 der BaubetrV verbleibt.
Ausgenommen ist nach § 2 Nr 8 BaubetrV nur das Be- und Verarbeiten von Natur- und Kunststein, nicht jedoch das Verlegen, das von § 1 Abs 2 Nrn 14 und 34 BaubetrV erfaßt ist.
Da die BaubetrV nach der Ermächtigungsnorm des § 76 Abs 2 Satz 4 AFG in Anlehnung an den fachlichen Geltungsbereich tariflicher Regelungen erstellt werden soll, ist sie in Zweifelsfällen unter Heranziehung der Tarifverträge für das Baugewerbe und des jeweiligen Erklärungswillens der Tarifvertragsparteien auszulegen (vgl Senatsurteil vom 22. August 1990, SozR 3-4100 § 186a Nr 3 S 8 f; Urteil vom 11. März 1987, SozR 4100 § 186a Nr 21). Dabei ist auch die Rechtsprechung des BAG zu berücksichtigen, soweit sich dieses Gericht mit den einschlägigen Regelungen jener Tarifverträge befaßt hat (s das Senatsurteil vom heutigen Tag, 9. Dezember 1997, 10 RAr 3/97, zur Veröffentlichung bestimmt).
Das BAG hat zwar in den Urteilen vom 14. Oktober 1987 und 23. November 1988 (AP Nrn 86 und 101 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau) in Auslegung der wortgleichen Regelungen des BRTV-Bau ausgeführt, das Verlegen von Natur- und Kunststein sei die typische Form der Be- und Verarbeitung. Bei dieser ausdehnenden Interpretation der Ausnahmeregelung würde, worauf das LSG hinweist, für die Grundregelung des § 1 Abs 2 Nr 14 BaubetrV – soweit die Arbeiten vorwiegend witterungsabhängig auf der Baustelle erbracht werden – kein Regelungsgehalt mehr verbleiben. Denn unter dem Aspekt der Förderfähigkeit (und damit der Umlagepflicht) kann kaum darauf abgestellt werden, ob Keramikplatten oder Natur- und Kunststeinplatten verlegt werden. Indes ist diese Rechtsprechung des BAG mittlerweile überholt. Das BAG konnte bei seinen Entscheidungen noch nicht berücksichtigen, daß mit Wirkung ab 1. Januar 1990 (also dem für die hiesige Entscheidung maßgeblichen Zeitraum) der Ausnahmekatalog des Abschn VII § 1 Abs 2 BRTV-Bau neu gefaßt wurde und Nr 5 folgende Formulierung erhielt: „Nicht erfaßt werden Betriebe der Naturstein- und Naturwerksteinindustrie, soweit nicht Arbeiten der in den Abschn I bis V aufgeführten Art (also ua Verlegearbeiten nach Abschn V Nr 14) ausgeführt wurden”. Damit ist von den Tarifvertragsparteien klargestellt, daß ein Betrieb wie der der Klägerin nicht mehr unter die Ausnahmeregelung des BRTV-Bau fällt. In seiner oa Entscheidung vom heutigen Tag, 10 RAr 3/97, hat der Senat dargelegt, daß gemäß § 76 Abs 2 Satz 4 AFG die tariflichen Regelungen im fachlichen Geltungsbereich der BaubetrV ein maßgebliches Auslegungskriterium bilden. Dabei ist nach dem Sinn und Zweck der Ermächtigungsnorm auf die jeweils zum entscheidenden Zeitpunkt geltenden tariflichen Regelungen einschließlich der dazu ergangenen Rechtsprechung des BAG abzustellen. Das gilt – für die Auslegung des § 2 Nr 8 der BaubetrV – auch dann, wenn das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die Änderung des BRTV-Bau noch nicht zum Anlaß genommen hat, den § 2 Nr 8 BaubetrV im Anschluß an die Änderung des BRTV-Bau ebenfalls zu novellieren. Entsprechende Überlegungen liegen bereits der Entscheidung des Senats vom 11. März 1987 zugrunde (SozR 4100 § 186a Nr 21 S 57). Hier hatte eine Klarstellung im Tarifvertrag, wonach Betriebe des Steinmetzhandwerks nicht vom fachlichen Geltungsbereich des BRTV-Bau erfaßt sind, den Senat veranlaßt, auch die BaubetrV dahingehend auszulegen, daß die Betriebe des Steinmetzhandwerks von der Produktiven Winterbauförderung ausgenommen sind.
Daß der Verordnungsgeber dementsprechend mit der Tarifwirklichkeit Schritt halten wollte, zeigt die Neufassung des § 2 Nr 8 der BaubetrV durch die VO vom 13. Dezember 1996 (BGBl I 1954), die ab 21. Dezember 1996 in Kraft getreten ist. Nicht gefördert werden nunmehr Betriebe „der Naturstein- und Naturwerksteinindustrie und des Steinmetzhandwerks”. Indem Industriebetriebe (dh vorwiegend solche, die der Gewinnung und Verarbeitung von Naturstein in Fabrikationsbetrieben gewidmet sind) von der Förderung ausgenommen werden, und zudem auf das Kriterium des Be- und Verarbeitens verzichtet wird, kommt das Gleiche zum Ausdruck wie im geänderten BRTV-Bau: Werden Verlegearbeiten im Rahmen eines Gewerkes am Bau ausgeführt, verbleibt es bei der Förderfähigkeit nach § 1 Abs 2 Nrn 14 und 34 BaubetrV.
Es handelt sich dabei nicht um eine grundsätzliche Neuregelung, sondern nur um eine Anpassung der BaubetrV an die Neufassung des BRTV-Bau ab 1. Januar 1990.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1064857 |
AP, 0 |
NZS 1998, 442 |
SGb 1998, 268 |
SozSi 1998, 399 |