Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfe. Bedürftigkeitsprüfung. Einkommensanrechnung. tarifvertragliche Überbrückungsbeihilfe. Mindestentgeltgarantie. Leistung nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften. Zuwendung aus sozialen Gründen. öffentliche Mittel. Arbeitslosenhilfe-Kompatibilität
Leitsatz (amtlich)
Die nach dem Vorruhe-Tarifvertrag der Deutschen Bahn AG gezahlte Überbrückungshilfe stellt kein privilegiertes Einkommen bei der Bedürftigkeitsprüfung im Rahmen der Alhi-Gewährung dar.
Normenkette
SGB III § 193 Abs. 1 Fassung: 1997-12-16, § 194 Abs. 3 Nr. 5 Fassung: 1997-12-16, § 427 Abs. 7 Fassung: 1997-12-16; AFG § 138 Abs. 3 Nr. 4 Fassung: 1997-03-24, § 242x Abs. 7 Fassung: 1997-03-24; AlhiV § 11 S. 1 Nr. 6 Fassung: 1995-07-27; AlhiV 2002 § 2 S. 1 Nr. 4 Fassung: 2001-12-13, Nr. 8 Fassung: 2001-12-13; ENeuOG Art. 1 §§ 1, 16, Art. 2 § 21 Abs. 5 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. April 2002 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab dem 24. April 2000. Die Beklagte geht davon aus, dass der Kläger nicht bedürftig ist, weil ihm von seiner Arbeitgeberin eine Überbrückungsbeihilfe gewährt wird.
Der im Jahre 1942 geborene Kläger war seit 1971 zunächst bei der Deutschen Bundesbahn und zuletzt bei der Deutschen Bahn AG (DB AG) als Elektriker beschäftigt. Am 14. November 1997 schloss er mit seiner Arbeitgeberin einen Aufhebungsvertrag zum 31. Januar 1998. In diesem Vertrag wurde die Zahlung einer Überbrückungsbeihilfe durch die Arbeitgeberin in Höhe der Differenz zwischen dem Arbeitslosengeld (Alg) bzw der Alhi und 85 % des Nettomonatsentgelts, längstens bis zum Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbezugs, vereinbart. Grundlage dieser Vereinbarung war der Tarifvertrag zur Förderung von Altersteilzeitarbeit und Vorruhestand für die Arbeitnehmer der DB AG (Vorruhe TV vom 1. September 1996).
Der Kläger erhielt nach dem Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit vom 1. Februar bis 25. April 1998 ab dem 26. April 1998 Alg. Er bezog Alg bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 23. April 2000. Daneben bezog er fortlaufend Überbrückungsbeihilfe von seiner früheren Arbeitgeberin. Ab Mai 2000 betrug die Überbrückungsbeihilfe 2.583,81 DM und ab November 2000 2.609,19 DM monatlich. Die Beklagte lehnte die Bewilligung von Anschluss-Alhi ab (Bescheid vom 30. März 2000). Dem Kläger stünden bei einem Bemessungsentgelt von 1.000,00 DM (Leistungsgruppe C, keine Kinder) wöchentlich 386,68 DM an Alhi zu. Mit der Überbrückungsbeihilfe seiner früheren Arbeitgeberin erziele der Kläger ein berücksichtigungsfähiges Einkommen, das den Leistungssatz der Alhi von 386,68 DM wöchentlich übersteige. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2000), ebenso die Klage (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 5. Juni 2001) und die Berufung (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 24. April 2002).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Bedürftigkeit des Klägers sei nicht gegeben, weil die Überbrückungsbeihilfe als zu berücksichtigendes Einkommen die Alhi übersteige. Ein Ausnahmetatbestand von der Einkommensanrechnung gemäß § 194 Abs 3 Nr 5 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) liege nicht vor, weil der “Arbeitgeber” des Klägers eine dem Privatrecht zuzuordnende AG sei. Seit 1. April 1997 seien Leistungen eines privaten Arbeitgebers auf die Alhi anzurechnen. Ebenso wenig handele es sich um privilegiertes Einkommen iS des § 11 Satz 1 Nr 6 Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiV), weil die Überbrückungsbeihilfe nicht aus öffentlichen Mitteln gewährt werde. Hieran ändere auch nichts die Tatsache, dass die DB AG zu 100 % im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland stehe und die DB AG die Möglichkeit habe, ihre Verpflichtungen aus der vorzeitigen Freisetzung des Klägers vom Bundeseisenbahnvermögen zurückzuholen. Durch diese Möglichkeit der “Refinanzierung” aus öffentlichen Mitteln werde die von der DB AG gezahlte Überbrückungsbeihilfe nicht zu einer Zahlung nach “bundesrechtlichen” Vorschriften iS des § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III bzw zu einer Leistung aus öffentlichen Mitteln iS des § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV. Hier leiste unstreitig eine private AG. Würde man berücksichtigen, dass “der private Arbeitgeber” die dem Arbeitslosen gewährte Leistung nach bundesgesetzlichen Vorschriften refinanzieren könne, würde man die Gesetzesänderung zum 1. April 1997 unterlaufen, deren erklärtes Ziel es gewesen sei, die Leistungen privater Arbeitgeber in Zukunft nicht mehr zu privilegieren. Mit der Änderung des § 138 Abs 3 Nr 4 Arbeitsförderungsgesetz – AFG – (aF) habe verhindert werden sollen, dass private Arbeitgeber zu Lasten der öffentlichen Hand Nettolohngarantievereinbarungen abschlössen. Würde man im Falle der DB AG eine Ausnahme zulassen, so müssten gleiche Rechte etwa auch ehemaligen Bediensteten von früheren DDR-Betrieben eingeräumt werden, deren Rechtsnachfolger die Kosten von Freisetzungen refinanzieren könnten.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 194 Abs 3 Nr 5 SGB III, 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV. Der Überbrückungsbeihilfe komme nach den Regelungen im Vorruhe TV die Funktion einer Mindestentgeltgarantie zu. Die DB AG schulde ihm 85 % des Nettomonatsentgelts unter Reduzierung von real gezahltem Alg, Alhi oder ähnlichem und ohne jede Reduzierung, wenn Alg oder Alhi aus welchem Grunde auch immer nicht geleistet würden. Diese Leistung werde auch nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften iS des § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III bzw aus öffentlichen Mitteln iS des § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV erbracht. Zwar sei im Wege der Bahnreform der unternehmerische Teil, der zum Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen notwendig gewesen sei, als DB AG aus dem Bundeseisenbahnvermögen ausgegliedert worden. Hierdurch seien aber, insbesondere durch die Überleitung des Personals, “Altlasten” entstanden, die nach wie vor durch das Bundeseisenbahnvermögen zu tragen seien. Das Bundeseisenbahnvermögen – ein nicht rechtsfähiges Sondervermögen, das weiterhin vom Bund verwaltet werde – habe der DB AG jeweils die Kosten zu erstatten, die dieser dadurch entstünden, dass sie Personaleinsparungen vornehme oder für das nicht mehr benötigte Personal, insbesondere die unkündbaren Arbeitnehmer, durch Altersteilzeit oder Vorruhestandsregelungen einen gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in die Altersrente ermögliche. Da das Bundeseisenbahnvermögen – und damit der Bund – unmittelbar für diese Verbindlichkeiten hafte und die von der DB AG entsprechend ausgegebenen Mittel im Bundeshaushalt nach einem förmlichen Gesetz eingestellt werden müssten, handele es sich bei der gezahlten Überbrückungsbeihilfe um eine aus sittlichen oder sozialen Gründen gewährte Zuwendung aus öffentlichen Mitteln. Vor dem Hintergrund der von der Bundesrepublik Deutschland durchgeführten Bahnreform mit dem Ergebnis eines nicht unerheblichen Personalüberhangs sei die Verpflichtung des Bundes zu sehen, für das überzählige Personal, insbesondere für die langgedienten und unkündbaren Arbeitnehmer, einzustehen. Deren besonderer sozialer Situation hätte Rechnung getragen werden sollen. Dass die DB AG mittlerweile als privatrechtliches Unternehmen organisiert sei, mache sie nicht zu “einem privaten Arbeitgeber”, weil der Bund über das Bundeseisenbahnvermögen nach wie vor unmittelbar für die entsprechenden Aufwendungen aufzukommen habe, die durch die Folgen der Bahnreform entstanden seien. Schließlich seien auch die Voraussetzungen der “Alhi-Kompatibilität” gegeben, die der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 7. September 2000 (Hinweis auf BSG SozR 3-4220 § 11 Nr 3) aufgestellt habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24. April 2002 und des SG Gelsenkirchen vom 5. Juni 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheids vom 30. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2000 ab dem 24. April 2000 Alhi zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Das LSG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger ab 24. April 2000 kein Anspruch auf Alhi zustand, weil er bereits auf Grund der laufenden Zahlungen seiner früheren Arbeitgeberin nicht bedürftig iS der §§ 193, 194 SGB III war. Die dem Kläger von seiner Arbeitgeberin gezahlte Überbrückungsbeihilfe stellte kein privilegiertes Einkommen iS des § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III dar (sogleich unter 1). Ebenso wenig handelte es sich bei der Überbrückungsbeihilfe um nach § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV privilegiertes Einkommen (hierzu unter 2).
1. Nach § 193 Abs 1 SGB III (§ 193 idF des Ersten SGB III-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997 ≪1. SGB III-ÄndG≫ BGBl I, 2970) ist bedürftig ein Arbeitsloser, soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Alhi nicht erreicht. Dem Kläger hätte – wovon das LSG zutreffend ausgegangen ist – auf Grund der zuletzt dem Alg-Bezug zu Grunde liegenden Bemessungsgrundlagen ab 24. April 2000 ein Anspruch auf Alhi in Höhe von 386,68 DM wöchentlich zugestanden. Die Überbrückungsbeihilfe seiner Arbeitgeberin wurde in Höhe von 85 % des letzten Nettoentgelts auch tatsächlich gezahlt und betrug ab Mai 2000 nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) 2.583,81 DM monatlich.
Dieser von der Arbeitgeberin geleistete Betrag war auch als Einkommen iS des § 194 SGB III (ebenfalls idF des 1. SGB III-ÄndG) zu berücksichtigen. Gemäß § 194 Abs 2 Satz 1 SGB III sind Einnahmen iS der Vorschriften über die Alhi alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert einschließlich der Leistungen, die von Dritten beansprucht werden können. § 194 Abs 3 SGB III nennt einzelne Einkünfte, die im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung bei der Alhi-Gewährung privilegiert sind, mithin nicht als Einkommen gelten. § 194 Abs 3 SGB III wird ergänzt durch die Regelung weiterer privilegierter Einnahmen in § 11 AlhiV idF vom 7. August 1974 (BGBl I, 1929), der bis zum 31. Dezember 2001 galt (jetzt § 2 AlhiV 2002 vom 13. Dezember 2001, BGBl I, 3734). Nicht als Einkommen gelten dabei gemäß § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III “Leistungen, die nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften unter Anrechnung der Alhi erbracht werden”. Die von den Vertragspartnern am 14. November 1997 vereinbarte Überbrückungsbeihilfe stellt kein privilegiertes Einkommen iS des § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III dar. Es handelt sich dabei zwar um eine Leistung, die unter Anrechnung der Alhi erbracht wurde (sogleich a). Jedoch wurde der Aufstockungsbetrag nicht nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften unter Anrechnung der Alhi erbracht (s hierzu b).
a) Der Senat hat bereits entschieden, dass es sich bei einer Zahlung, die unter Anrechnung der Alhi iS des § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III gewährt wird, um eine Leistung handeln muss, die dem Empfänger dem Grunde und der Höhe nach ohne Rücksicht auf einen Bezug von Alhi zusteht (vgl Senatsurteil vom 27. Mai 2003 – B 7 AL 36/02 R –, SozR 4-4300 § 194 Nr 2 RdNr 7, und Senatsurteil vom 7. September 2000 – B 7 AL 72/99 R –, SozR 3-4220 § 11 Nr 3, S 6). Durch den Schuldner – die Arbeitgeberin – muss also ein Mindestbetrag garantiert werden, der sich jeweils um den Alhi-Zahlbetrag reduzieren würde. Dies war nach dem Aufhebungsvertrag bzw den Regelungen des Vorruhestandstarifvertrags der DB AG der Fall. Nach § 7 Abs 3 und 4 des Vorruhe TV, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Berufungsgerichts hinaus erstreckt und der mithin als Tarifvertrag gemäß § 162 SGG (ggf als Formularvertrag, vgl hierzu BSG Urteil vom 8. Februar 1996, 11 RAr 61/95, – unveröffentlicht –, mwN) in vollem Umfang der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt, wird die Überbrückungsbeihilfe in Höhe von 85 vH des Nettomonatsentgelts geleistet, auch wenn eine Sperrzeit eintritt oder der Alg- bzw Alhi-Bezug beendet worden ist. Insofern zutreffend hat der Kläger mit der Revision vorgetragen, dass § 7 Vorruhe TV eine Mindestentgeltgarantie in Höhe von 85 % des Nettomonatsentgelts enthält.
b) Diese Leistung der Arbeitgeberin wurde dem Kläger aber nicht, wie § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III voraussetzt, “nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften” unter Anrechnung der Alhi erbracht. § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III entspricht insoweit § 138 Abs 3 Nr 4 AFG (idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes ≪AFRG≫ vom 24. März 1997, BGBl I, 594), in den mit Wirkung ab 1. April 1997 erstmals die Einschränkung “nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften” eingefügt wurde. Zuvor galten nicht als Einnahmen iS des § 138 Abs 3 Nr 4 AFG (aF) “Leistungen, die unter Anrechnung der Alhi” erbracht werden. Mit der Hinzufügung des einschränkenden Zusatzes “nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften” bezweckte der Gesetzgeber, Alhi nicht mehr gewähren zu müssen, soweit der Arbeitslose auf andere Weise, zB durch eine Nettolohngarantie seines früheren Arbeitgebers, gesichert ist (BT-Drucks 13/4941, S 240 zu Nr 25). Die dem Kläger möglicherweise günstige Vorschrift des § 138 Abs 3 Nr 4 AFG aF ist auf seinen Fall nicht mehr anwendbar, da die Voraussetzungen der Übergangsvorschriften des § 427 Abs 7 SGB III (idF des 1. SGB III-ÄndG) iVm § 242x Abs 3 und Abs 7 AFG (idF des AFRG vom 24. März 1997) nicht vorliegen.
Neben der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der auf die Alhi anzurechnenden Leistungen kommt der Tatsache, dass diese Leistung von einer dem Privatrecht zuzuordnenden Gesellschaft und nicht von einem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber erbracht wird, in Bezug auf § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
Im vorliegenden Fall wurde die Überbrückungsbeihilfe zwar von einer privaten Arbeitgeberin auf vertraglicher Grundlage gewährt (vgl hierzu auch BSG, Urteil vom 21. November 2002 – B 11 AL 1/02 R –, SozR 3-4300 § 427 Nr 2, S 10). Ob im Falle der DB AG aber ausschließlich auf diese privatrechtliche Organisationsform der Arbeitgeberin als AG abgestellt werden kann – wovon das LSG offensichtlich ausgeht – ist fraglich, weil an der Gewährleistung/Garantie der Überbrückungsbeihilfe die öffentliche Hand in einem weiteren Sinne über den Vorruhe TV (und ggf die Regelungen des Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens – Eisenbahnneuordnungsgesetz – (ENeuOG) vom 27. Dezember 1993, BGBl I, 2378; hierzu auch noch unter 2c) beteiligt war. Entscheidend ist allein, dass die Regelung über die Anrechnung der Alhi auf die Überbrückungsbeihilfe nicht in einer landes- oder bundesgesetzlichen Vorschrift enthalten war. Das ENeuOG selbst – als Gesetz iS des § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III – enthält keine Regelung der Überbrückungsbeihilfe. Zahlungspflichten der DB gegenüber ihren vorzeitig ausscheidenden Arbeitnehmern ergeben sich ebenso wie die Anrechnungsregelung ausschließlich aus § 7 Vorruhe TV. Ein Tarifvertrag stellt aber, wie der Senat bereits entschieden hat (vgl Urteil vom 27. Mai 2003, SozR 4-4300 § 194 Nr 2 RdNr 10), keine landes- oder bundesgesetzliche Vorschrift iS des § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III dar. Bei der Überbrückungsbeihilfe handelt es sich damit nicht um eine Leistung, die nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften unter Anrechnung der Alhi erbracht wird (§ 194 Abs 3 Nr 5 SGB III).
2. Die Überbrückungsbeihilfe stellt auch kein privilegiertes Einkommen iS des § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung der AlhiV dar. Hiernach gelten nicht als Einkommen, “die aus sittlichen oder sozialen Gründen gewährten Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln, insbesondere solche, die wegen Bedürftigkeit an besonders verdiente Personen oder Künstler oder deren Hinterbliebene gewährt werden”. Der Senat hat hierzu bereits entschieden, dass die Formulierung des § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV aF deutlich macht, dass es sich um eine lediglich exemplarische und keinesfalls abschließende Aufzählung von aus sittlichen oder sozialen Gründen gewährten Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln handelt (BSG SozR 3-4220 § 11 Nr 3, S 9). Andererseits darf § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV nicht als generelle Auffangnorm für die Privilegierung aller denkbaren Leistungen aus sozialen Gründen verstanden werden (BSG aaO, S 12).
Eine Privilegierung der dem Kläger gewährten Überbrückungsbeihilfe scheidet hier schon deshalb aus, weil diese nicht aus den – in § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV aF besonders betonten – sozialen Gründen gezahlt wird (hierzu unter a). Weiterhin folgt aus dem Gesamtzusammenhang und der Systematik der gesetzlichen Vorschriften über die Anrechnung von Einkommen auf die Alhi – insbesondere auch aus der späteren Novellierung der AlhiV – dass der Privilegierungstatbestand des § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV nicht auf die Überbrückungsbeihilfe nach dem Vorruhe TV angewandt werden kann (im Einzelnen b). Von daher kann letztlich dahinstehen, ob die Überbrückungsbeihilfe aus öffentlichen Mitteln iS des § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV gewährt wird (c).
a) Die Überbrückungsbeihilfe wurde hier nicht aus “sozialen Gründen” iS des § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV aF gezahlt. Der Senat hat allerdings die Überbrückungsbeihilfe, die deutschen Zivilangestellten bei den alliierten Streitkräften nach dem Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich) gezahlt wurde, als aus sozialen Gründen iS des § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV gezahlt, qualifiziert (BSG SozR 3-4220 § 11 Nr 3, S 9 ff). Wie aus dieser Entscheidung aber deutlich wird, sind an die Zahlung einer Geldleistung aus sozialen Gründen iS des § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV aF besondere Anforderungen zu stellen, die über die “normale” soziale Motivation für die Gewährung einer Geldleistung hinausgehen. Dies folgt bereits aus dem Zusammenhang und Wortlaut des § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV aF, der eine Zuwendung an “besonders verdiente” Personen oder Künstler verlangt. Der Senat hat deshalb eingehend begründet, inwiefern die Beschäftigten bei den im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräften auf Grund der besonderen Rechtsbeziehungen (NATO Truppenstatut, Rechtsperson des Arbeitgebers etc) und der stets prekären Arbeitsmarktlage (stetige Ungewissheit des Arbeitsplatzes auf Grund der Gefahr einer Umorganisation und Standortschließung aus militärischen Gründen) eines besonderen Schutzes bedurften. Der TV SozSich und die nach diesem gewährte Überbrückungsbeihilfe sollten als Ausgleich dafür dienen, dass Arbeitsverhältnissen bei der ausländischen militärischen Truppe ein Moment der Ungewissheit eigen ist, das bei anderen Arbeitsverhältnissen in diesem Ausmaß nicht besteht (BSG aaO, S 11).
Demgegenüber erreicht die Schutzbedürftigkeit des Klägers im vorliegenden Fall nicht die für § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV aF erforderliche Intensität. Zwar wird die Überbrückungsbeihilfe in einem natürlichen Wortsinne “aus sozialen Gründen” gewährt. Die Revision verweist insofern auf den in § 2 Vorruhe TV normierten Zweck des Vorruhestandes, dem älteren Arbeitnehmer einen nahtlosen Übergang vom Erwerbsleben in die Altersrente zu ermöglichen. Diese Regelung beinhaltet aber lediglich eine allgemeine soziale Schutzbedürftigkeit und soziale Zielrichtung der Vorruhestandsleistungen nach dem Vorruhe TV, die im Prinzip auf jede Betriebsstilllegung oder jeden Personalabbau zutreffen. Insofern fehlt es für den Kläger an einer besonderen Betroffenheit, wie sie gerade für die Beschäftigten bei den ausländischen Stationierungsstreitkräften gegeben war und die diese Sondergruppe von Beschäftigten mit “besonders verdienten” Personen oder Künstlern iS des § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV vergleichbar machten.
b) Die Überbrückungsbeihilfe nach dem Vorruhe TV ist aber auch nicht “Alhi-kompatibel” im Sinne der Entscheidung des Senats vom 7. September 2000 (BSG SozR 3-4220 § 11 Nr 3, S 12). Die dem Kläger gewährte Überbrückungsbeihilfe stellte hier eine Mindestlohngarantie dar, dh 85 % seines Nettoentgelts waren dem Kläger garantiert, sodass eine Zahlung von Alhi (steuerrechtliche Erwägungen einmal außer Acht gelassen) grundsätzlich zu keiner Erhöhung des ihm monatlich zustehenden Betrags führen kann. Genau diese Fallgestaltung einer Nettolohngarantie wollte – wie bereits oben angedeutet – schon § 138 Abs 3 Nr 4 AFG (die Vorgängervorschrift des § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III) regeln und ab 1. April 1997 durch die Änderung des Wortlauts des § 138 Abs 3 Nr 4 AFG klarstellen, dass eine Kostenbelastung des Bundes zu Gunsten eines Dritten verhindert werden solle, der seinerseits einen “Gesamtbetrag” für den Arbeitslosen garantiert hat (vgl hierzu BT-Drucks 13/4941, S 240 zu § 138). Unabhängig davon, dass der Dritte, der sich hier auf Grund der Alhi-Gewährung entlasten würde, letztlich das Bundeseisenbahnvermögen iS des Art 1 § 1 ENeuOG wäre (hierzu noch unter c), würde eine Anerkennung der Überbrückungsbeihilfe als privilegiertes Einkommen gemäß § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV im vorliegenden Fall dazu führen, dass der Gesetzeszweck des § 138 Abs 3 Nr 4 AFG ab 1. April 1997, der ohne weitere Änderungen in § 194 Abs 3 Nr 5 SGB III übernommen worden ist, unterlaufen würde.
Im Falle der Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich (BSG SozR 3-4220 § 11 Nr 3) lagen die Verhältnisse hingegen grundsätzlich anders. Die Überbrückungsbeihilfe stellte dort von vornherein gerade keine Leistung “unter Anrechnung der Alhi” dar, und die Privilegierung dieser Leistung dürfte schon vor der Änderung des § 138 Abs 3 Nr 4 AFG zum 1. April 1997 nicht von der Norm gedeckt gewesen sein. Gerade deshalb fand bereits im Jahre 1971 die Redaktionsbesprechung (hierzu BSG SozR 3-4220 § 11 Nr 3, S 7) zwischen den Vertretern der Gewerkschaften und des Bundes statt, in der – gleichsam konstitutiv und rechtlich zumindestens problematisch – beschlossen wurde, dass die Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich für die Zivilbeschäftigten bei alliierten Streitkräften keine Anrechnung auf das Alg oder die Alhi finden solle. Von daher konnte eine Qualifizierung dieser Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich als privilegiertes Einkommen gemäß § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV aF gerade nicht dem Schutzzweck des § 138 Abs 3 Nr 4 AFG zuwiderlaufen (vgl BSG aaO).
Dieses Ergebnis findet im Übrigen seine Bestätigung in der weiteren Rechtsentwicklung. Der Verordnungsgeber hat die AlhiV mit Wirkung zum 1. Januar 2002 neu gefasst und § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV aF in zwei Tatbestände aufgespalten. § 2 Satz 1 Nr 4 AlhiV 2002 bestimmt nunmehr, dass nicht als Einkommen gelten: “nicht steuerpflichtige Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln, die aus sittlichen oder sonstigen Gründen an besonders verdiente Personen oder Künstler oder deren Hinterbliebene wegen Bedürftigkeit gewährt werden”. Die vom erkennenden Senat unter § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV aF subsumierte Überbrückungsbeihilfe für ehemalige Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften ist nunmehr ausdrücklich als eigenständiger Privilegierungstatbestand in § 2 Satz 1 Nr 8 AlhiV 2002 normiert. Dies bestätigt, dass auch der Verordnungsgeber von einer besonderen Schutzbedürftigkeit gerade der Bezieher von Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich ausgegangen ist, die sich im Einzelnen auch historisch begründen lässt (BSG SozR 3-4220 § 11 Nr 3). Eine solche Schutzbedürftigkeit für andere Überbrückungsbeihilfen, die wie die hier streitige Überbrückungsbeihilfe nach dem Vorruhe TV im Bereich der Deutschen Bundesbahn dem Verordnungsgeber ebenfalls bekannt gewesen sein dürften, wurde hingegen ausdrücklich verneint. In dieselbe Richtung weist auch die explizite Privilegierung der Überbrückungsbeihilfen nach den Richtlinien über die Gewährung von Beihilfen für Arbeitnehmer der Eisen- und Stahlindustrie, die von Maßnahmen iS des Art 56 § 2b des Montanunionvertrags betroffen werden (MUV-Richtlinien, gemäß § 2 Satz 1 Nr 7a und 7b AlhiV 2002 bzw § 11 Satz 1 Nr 8 AlhiV idF der Fünften Verordnung zur Änderung der AlhiV vom 25. September 1998, BGBl I, 3112; hierzu s auch Urteil des Senats BSG SozR 4-4300 § 194 Nr 2). Hieraus folgt, dass eine Privilegierung gerade der Überbrückungsbeihilfe nach dem Vorruhe TV nicht mit dem vom Gesetzgeber intendierten System der Berücksichtigung von Einkommen bei der Alhi-Bedürftigkeitsprüfung gemäß §§ 194 SGB III, 11 AlhiV aF “kompatibel” ist.
c) Dahinstehen kann daher letztlich, ob die Überbrückungsbeihilfe “aus öffentlichen Mitteln” iS des § 11 Satz 1 Nr 6 AlhiV aF gewährt wurde. Diese Rechtsfrage, die im Vordergrund der Argumentation des LSG stand, dürfte allerdings zu Gunsten des Klägers zu beantworten sein. Das LSG hat nicht im Einzelnen die Rechtsgrundlagen geprüft, die der Finanzierung der Überbrückungsbeihilfe nach dem Vorruhe TV zu Grunde lagen, sondern ist eher abstrakt von einem Konzept “der Refinanzierung” einer zunächst privat erbrachten Leistung ausgegangen. Diese Wertung erscheint zweifelhaft. Das Bundeseisenbahnvermögen stellt ein nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes dar (vgl Art 1 § 1 ENeuOG). Es ist als solches ein öffentliches Sondervermögen, und Zahlungen direkt aus diesem Vermögen sind Zahlungen aus öffentlichen Mitteln. Zutreffend hat die Revision hier darauf hingewiesen, dass Art 2 § 21 Abs 5 Nr 2 ENeuOG festschreibt, dass das Bundeseisenbahnvermögen die Kosten für die Überbrückungsbeihilfe erstattet. Insofern steht von vornherein gesetzlich fest, dass die Kosten für die Überbrückungsbeihilfe aus dem Vorruhe TV jeweils aus dem öffentlichen Bundeseisenbahnvermögen getragen werden, das, wie zusätzlich Art 1 § 16 ENeuOG ausweist, ein öffentliches Vermögen darstellt. Es handelt sich damit nicht um eine “Refinanzierung” von Beträgen, die ein Privater “vorgeschossen” hat. Vielmehr ist von vornherein eine Tragung dieser Mittel aus öffentlichen Haushalten beabsichtigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1093749 |
SozR 4-4220 § 11, Nr. 1 |