Leitsatz (redaktionell)
Ein in der Annahmestelle einer Großwäscherei auf Provisionsbasis Tätiger ist angestellter "Filialleiter".
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-07-27; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AVAVG § 56 Abs. 1 Fassung: 1957-04-03
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. November 1960 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin betreibt in Kiel eine Großwäscherei und Färberei sowie eine chemische Reinigungsanstalt. Sie unterhält auch auswärtige Annahmestellen. Für ihre Annahmestelle in Rendsburg stellte sie im Juli 1950 die Ehefrau des Beigeladenen E als Angestellte ein. Mit deren Ehemann schloß die Klägerin einen Vertrag, nach dem dieser als freier Vertreter für Kundenwerbung und zum Wäschetransport tätig war. Er erhielt ein Fixum von zunächst 100,-DM und ab 1. Oktober 1950 von 150,-DM monatlich. Es wurde auf die außerdem noch gezahlte Provision angerechnet, die 10 % des Umsatzes betrug. Als provisionspflichtiger Umsatz galt anfänglich einmal der Umsatz an sog. Sackwäsche, soweit er monatlich 50 Sack überschritt. Sodann wurde für die sonstigen Wäsche-, Färbe- und Reinigungsaufträge Provision für die Umsätze gewährt, die die des Vorjahres überstiegen. Ende des Jahres 1955 oder Anfang 1956 wurde die Provision auf 10 % des gesamten Umsatzes der Annahmestelle erhöht, sie wurde jedoch nunmehr um das Gehalt gekürzt, das die Ehefrau des Beigeladenen bezog. Die Eheleute E erhielten also spätestens seit Beginn des Jahres 1956 zusammen 10 % der gesamten Umsätze, die sie in der Annahmestelle Rendsburg erzielten. Auf den Beigeladenen E allein entfielen in den Jahren 1954 bis 1958 jährlich etwa 4800,- bis 6400,-DM und damit monatlich etwa 400,- bis 550,-DM Provision, wovon er Einkommen- und Gewerbesteuer zahlte.
Seine Tätigkeit hatte bis zum Ende des Jahres 1952 vorwiegend in Kundenwerbung und im Transport von Wäsche bestanden. Er besaß für diese seine Vertretertätigkeit auch die erforderliche Gewerbeerlaubnis. Nur nebenher half er seiner Ehefrau in der Annahmestelle. Für die Kundenwerbung stellte ihm die Klägerin das Werbematerial zur Verfügung. Sie bestritt ferner die Kosten für Anzeigen in den Zeitungen. Für den Wäschetransport stellte sie zunächst ein Fahrrad, später ein Leichtmotorrad und schließlich einen Dreiradlieferwagen zur Verfügung. Der Beigeladene hatte von den Benzinkosten etwa 30,-DM monatlich selbst zu tragen. Dafür war er berechtigt, von den Kunden 0,25 DM je Sack der transportierten Wäsche zu erheben und selbst zu vereinnahmen. Im übrigen waren für sämtliche Aufträge die Preise von der Klägerin vorgeschrieben.
Infolge der Werbung des Beigeladenen E wuchs der Kundenstamm der Annahmestelle Rendsburg im Laufe der Jahre bis 1953 derart an, daß seine Ehefrau die im Laden anfallenden Arbeiten nicht mehr allein bewältigen konnte. Den Vorschlag der Klägerin, für den Laden eine weitere Arbeitskraft einzustellen, lehnte der Beigeladene E ab. Er verlagerte stattdessen seine Arbeit mehr und mehr in den Laden und betrieb die Kundenwerbung nur noch gelegentlich. Spätestens seit Januar 1954 war der Beigeladene E praktisch ausschließlich im Laden tätig und führte nur noch gelegentlich Wäschetransporte aus. Er war darin von der Öffnung des Ladens um 8.00 Uhr morgens meist bis zum späten Abend tätig. Nach den Feststellungen der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) war er in der letzten Zeit häufig sogar nur allein im Laden anzutreffen. Seitdem der Beigeladene E in dieser Form die Arbeit in der Annahmestelle übernommen hatte, fuhr auch er und nicht mehr seine Ehefrau zu den geschäftlichen Besprechungen und zur Abrechnung mit der Klägerin nach Kiel. Die für den Laden vorgeschriebenen Bücher und die Kasse führten die Eheleute E gemeinschaftlich. Die Klägerin ließ die Kassenführung in unregelmäßigen Abständen überprüfen. Im übrigen trug sie sämtliche mit dem Laden verbundenen Unkosten und bezahlte ferner einen Laufjungen.
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung verlangte die beklagte AOK am 22. August 1955 die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen für den Beigeladenen E vom 1. Dezember 1952 an. Dem hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch gab die Widerspruchsstelle der Beklagten teilweise statt, indem sie am 6. Juni 1956 entschied, daß der Beigeladene E. erst seit Januar 1954 gesamtsozialversicherungspflichtig sei, weil er seitdem kaum noch als Werber tätig sei, sondern in der Hauptsache wie ein Arbeitnehmer im Laden beschäftigt werde.
Gegen die Bescheide vom 22. August 1955 und 6. Juni 1956 hat einmal die Klägerin rechtzeitig beim Sozialgericht (SG) Schleswig Klage erhoben und geltend gemacht, E sei selbständiger Werbevertreter und damit Gewerbetreibender. Er sei weder persönlich noch wirtschaftlich von ihr abhängig, sie habe ihm keinerlei Weisungen erteilt, er habe seine Arbeitszeit und - weise frei gestalten können; im Laden der Annahmestelle sei er ohne ihre Zustimmung tätig geworden.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22. August 1955 und den Bescheid der Widerspruchsstelle vom 6. Juni 1956 aufzuheben und festzustellen, daß der Beigeladene E auch für die Zeit nach dem 1. Januar 1954 nicht sozialversicherungspflichtig sei.
Die Beklagte hat beantragt,
diese Klage abzuweisen,
weil der Beigeladene E wie seine Ehefrau als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer der Klägerin anzusehen sei.
Außerdem hatte die Beklagte auch ihrerseits Klage gegen den Bescheid ihrer Widerspruchsstelle vom 6. Juni 1956 erhoben, und zwar mit dem Antrage,
festzustellen, daß der Beigeladene E auch vor dem 1. Januar 1954 gesamtsozialversicherungspflichtig bei der Klägerin beschäftigt war, und daß sie die Beiträge zur Gesamtsozialversicherung unter Beachtung der Verjährungsvorschriften des § 29 RVO berechtigt ab 1. Dezember 1952 erhoben habe.
Das SG hat die Klage der (jetzigen) Klägerin und die Feststellungsklage der (jetzigen) beklagten AOK, die getrennt eingegangen waren, verbunden. Es hat weiter in der mündlichen Verhandlung am 28. Oktober 1958 den Beigeladenen E. zur Sache gehört und am 27. Januar 1959 seine Ehefrau als Zeugin vernommen. Das Gericht hat sodann durch Urteil vom 24. Februar 1959 unter Aufhebung des Bescheides der AOK vom 22. August 1955 und des Widerspruchsbescheides vom 6. Juni 1956 festgestellt, daß das Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen E bei der Firma G in der Zeit vom 1. Dezember 1952 bis zur Gegenwart der Sozialversicherungspflicht nicht unterlegen habe. Dabei hatte das SG die AOK als Klägerin bezeichnet und die Firma G als Beklagte und dazu ausgeführt, es könne zweifelhaft sein, ob die Feststellungsklage der AOK rechtzeitig erhoben sei. Aus den Akten sei nicht festzustellen, wann der Widerspruchsbescheid der AOK bekannt geworden sei. Zweifel könnten sich auch daraus ergeben, daß die Klage der AOK gegen ihre eigene Widerspruchsstelle handele, gerichtet sei, es sich also um einen sog. Insichprozeß handele. Alle diese Fragen könnten jedoch dahingestellt bleiben. Die von der Firma G erhobene Klage betreffe den gleichen Gegenstand und sei auf jeden Fall form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. Sachlich sei sie auch begründet.
Der Beigeladene E habe nicht in abhängiger Stellung gearbeitet, sondern sei selbständig gewesen.
Hiergegen hat die AOK Berufung eingelegt. Sie hat jedoch in der Berufungsverhandlung ihre Feststellungsklage zurückgenommen und nur noch beantragt,
das Urteil des SG Schleswig vom 24. Februar 1959 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Firma G hat beantragt,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Bescheide vom 22. August 1955 und 6. Juni 1956 insoweit aufgehoben werden, als durch sie die Versicherungspflicht des Beigeladenen E ab 1. Januar 1954 bejaht wird.
Durch Urteil vom 28. November 1960, in welchem im Rubrum die AOK als Berufungsklägerin und die Firma G als Berufungsbeklagte aufgeführt worden ist, hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) ausgesprochen;
"Auf die Berufung der Beklagten (AOK) wird das Urteil der 3. Kammer des Sozialgerichts Schleswig vom 24. Februar 1959 aufgehoben und die Klage abgewiesen."
Zur Begründung führt das LSG aus, nachdem der Sachverhalt nach Anhörung des Mitinhabers der Klägerin, des Kaufmanns Kurt G, im Berufungsrechtszug im wesentlichen unstreitig geworden sei, stehe fest, daß der Beigeladene E seit dem Jahre 1954 zu der Klägerin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehe und deshalb sozialversicherungspflichtig sei. Spätestens seit Januar 1954 sei er nämlich in der Hauptsache nicht mehr als selbständiger Vertreter, sondern als Arbeitnehmer im Laden der Annahmestelle tätig. Soweit er überhaupt noch Kundenwerbung betrieben habe, sei dies geringfügig und nebensächlich gewesen. Seine Tätigkeit habe sich seitdem nicht mehr wesentlich von derjenigen seiner Ehefrau unterschieden, die von der Klägerin von jeher im Angestelltenverhältnis beschäftigt worden sei. Er sei in den Betrieb der Klägerin eingegliedert, und seine Arbeitskraft stehe dieser ausschließlich zur Verfügung. Er sei täglich von der Öffnung bis zur Schließung der Annahmestelle darin tätig. Nur gelegentlich führe er noch Wäschetransporte aus. Nach den Feststellungen der Beklagten, denen die Klägerin nicht widersprochen habe, sei der Beigeladene E in jüngster Zeit sogar häufig nur allein in der Annahmestelle anzutreffen. Der gesamte Geschäftsbetrieb der Annahmestelle werde somit maßgeblich von ihm wahrgenommen.
Er sei auch, entgegen der Behauptung der Klägerin, nicht ohne deren Zustimmung in der geschilderten Form in der Annahmestelle tätig geworden. Die Klägerin habe schon vor dem Jahre 1954 gewußt, daß in ihrem Rendsburger Ladengeschäft außer der Ehefrau E eine weitere Arbeitskraft erforderlich war, und habe demgemäß eine zweite Angestellte einstellen wollen; davon habe sie nur deshalb Abstand genommen, weil der Beigeladene E erklärt habe, er könne und wolle mit seiner Ehefrau die anfallenden Arbeiten allein bewältigen. Der Klägerin sei ferner aus den monatlichen Besprechungen mit dem Beigeladenen E bekannt gewesen, daß dieser seine Werbevertretertätigkeit nicht mehr ausübte, sondern nur noch in der Annahmestelle arbeitete. Dieser habe daher mit Wissen und Willen der Klägerin seine Beschäftigung in der Annahmestelle aufgenommen, erweitert und schließlich "hauptamtlich" ausgeübt.
Der Beigeladene E sei auch wirtschaftlich und persönlich von der Klägerin abhängig. Dafür spreche einmal die Höhe seines Einkommens und zum anderen, daß es seine alleinige Existenzgrundlage darstelle. Ob der Beigeladene E anderweit hätte gewerblich tätig sein dürfen, könne dahingestellt bleiben, da er tatsächlich seit Anfang des Jahres 1954 nur für die Klägerin gearbeitet habe. Die Tatsache, daß der Beigeladene E 10% der in der Annahmestelle Rendsburg erzielten Umsätze als Entgelt erhalten habe, und daß ihm davon das Gehalt der Ehefrau abgezogen werde, beweise, daß die Klägerin in ihm den Leiter ihrer Annahmestelle gesehen habe. Durch diese Position sei er so ausgelastet, daß die früher getroffene Vereinbarung über die Zulässigkeit nebenberuflicher Arbeiten überholt worden sei. Das mit der Annahmestelle verbundene Geschäftsbetrieb bestimme ferner die Tätigkeit des Beigeladenen E so sehr, daß diesem eigene Entschließungen unmöglich gewesen wären und seien. Er habe auch, entgegen der Behauptung der Klägerin, kein Unternehmerrisiko zu tragen. Den Laden und alle dazu erforderlichen Betriebsmittel habe die Klägerin zur Verfügung gestellt. Sie trage sämtliche Geschäftsunkosten der unter ihrer Firma betriebenen Annahmestelle. Daß der Beigeladene E hinsichtlich des ihm zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeuges Benzinkosten bis zu 30,-DM monatlich aufzuwenden habe, falle dabei nicht ins Gewicht. Dafür sei er vertraglich berechtigt und verpflichtet, von den Kunden, denen die Wäsche ins Haus gefahren wurde, das vorgeschriebene Transportgeld erheben zu lassen und selbst zu vereinnahmen. Im übrigen aber müsse er sich, um den mit der Annahmestelle verbundenen Aufgaben entsprechen zu können, in den dadurch bestimmten Betrieb einfügen. Das Direktionsrecht der Klägerin folge aus dem mit der Annahmestelle gegebenen geschäftlichen Rahmen, jene habe ihr Direktionsrecht darüber hinaus auch ausgeübt, indem sie die Geschäftszeiten, die Preise für alle Aufträge und die Höhe der Transportgebühren bestimmt habe. Der Beigeladene E habe demgemäß tatsächlich keinen Ermessensspielraum für eigene geschäftliche Maßnahmen gehabt. Die Klägerin habe ferner die Annahmestelle Rendsburg und die Tätigkeit des Beigeladenen E., insbesondere die Führung der Annahme-, Kassa- und Bestandsbücher sowie die Kassenführung, regelmäßig überprüft. Dieser hätte auch monatlich einmal zu geschäftlichen Besprechungen und wegen der Abrechnung in der Kieler Zentrale der Klägerin erscheinen müssen. Damit unterliege er ebenso wie seine Ehefrau der ständigen Einflußnahme und Kontrolle durch die Klägerin.
Daß der Verdienst durch den Geschäftsumsatz begrenzt sei und als Provision bezeichnet werde, sei für die Frage der Versicherungspflichtigkeit bedeutunglos. Entscheidend sei allein, daß der Beigeladene E seine Beschäftigung gegen Entgelt ausübe. Im Sinne der Reichsversicherungsordnung (RVO) gehörten zum "Entgelt" auch Provisionen, die von einem erzielten Umsatz oder für eingebrachte Aufträge gewährt werden. Daß von der Provision von 10% des Umsatzes das Gehalt der Ehefrau abgezogen werde, sei nur eine Folge der Tatsache, daß die Klägerin die Annahmestelle Rendsburg lohnmäßig nur mit 10% des Umsatzes belastet sehen wolle. Somit aber sei unstreitig, daß die Ehefrau E ihr Gehalt von der Klägerin erhalte, und daß diese auch die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge dafür abführe.
Demgegenüber könne der Gewerbeerlaubnis des Beigeladenen E und der Tatsache, daß er immer noch Einkommen- und Gewerbesteuer zahle, keine Bedeutung beigemessen werden.
Somit lägen alle wesentlichen Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses vor. Ob dieses arbeiterrenten- oder angestelltenversicherungspflichtig sei, hänge nach der Verkehrsanschauung davon ab, ob die Arbeit überwiegend mechanisch-körperlicher oder mehr geistiger Art sei. Ein Teil der Tätigkeit des Beigeladenen E, nämlich der Wäschetransport sowie das Annehmen, Sortieren, Bündeln und Ausgeben der Wäsche, sei zwar vorwiegend mechanisch-körperlicher Art. Im wesentlichen leiste er jedoch kaufmännische Dienste. Er verhandele mit den Kunden und erteile Auftragsbestätigungen. Er führe - unterstützt von seiner Ehefrau - die Geschäftsbücher und die Kasse der Annahmestelle. Er rechne monatlich mit der Klägerin über die Einnahmen ab und führe die geschäftlichen Besprechungen. Alle diese Tätigkeiten erforderten ein erhebliches Maß an kaufmännischen Kenntnissen und an geistigen Kräften. Sie beanspruchten auch die Arbeitszeit des Beigeladenen E überwiegend. Die kaufmännischen und damit die geistigen Arbeiten bestimmten somit die Tätigkeit, die der eines Filialleiters entspreche. Damit sei der Beigeladene E Angestellter und deshalb angestelltenversicherungspflichtig.
Nach der Höhe seines jährlichen Entgelts unterliege er seit dem 1. Januar 1954 der Versicherungspflicht sowohl in der Kranken- als auch in der Arbeitslosen- und Angestelltenversicherung (§ 165 RVO aF, § 165 b RVO nF, § 69 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG - aF, § 56 AVAVG nF, § 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - aF, § 2 AVG nF). Sein Entgelt habe stets unter der jeweils maßgebenden Jahresarbeitsverdienstgrenze gelegen. Ob dies auch für das Jahr 1959 und späterhin zutreffe, werde die Beklagte bei der Beitragserhebung noch im einzelnen zu prüfen haben.
Gegen das Urteil des LSG hat die Klägerin die vom LSG zugelassene Revision eingelegt mit dem Antrage,
das angefochtene Urteil sowie die Bescheide der Allgemeinen Ortskrankenkasse Rendsburg vom 22. August 1955 und 6. Juni 1956 aufzuheben und festzustellen, daß der Beigeladene E nicht der Sozialversicherungspflicht (Kranken-, Arbeitslosen- und Angestelltenversicherung) unterliegt,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil und die Bescheide der Allgemeinen Ortskrankenkasse Rendsburg vom 22. August 1955 und 6. Juni 1956 aufzuheben und festzustellen, daß der Beigeladene E mit Wirkung ab 1. Januar 1954 nicht der Sozialversicherungspflicht (Kranken-, Arbeitslosen- und Angestelltenversicherung) unterliegt.
Die Klägerin erhebt eine Reihe von Verfahrensrügen. In sachlich-rechtlicher Hinsicht bringt sie im wesentlichen vor, das LSG hätte sich nicht über den Willen der Vertragsschließenden hinwegsetzen dürfen. Dieser sei dahingegangen, daß der Beigeladene E selbständiger Vertreter habe sein sollen. In dem Vertrag vom 7. Juni 1950, der immer noch maßgebend sei und mit Ausnahme der Garantiesumme und des Provisionssatzes unverändert fortgelte, heiße es ausdrücklich, daß er als freier Vertreter tätig sei. Dies sei er auch heute noch, er sei nach wie vor völlig frei und könne sich seine Tätigkeit nach eigenem Gutdünken einrichten. Die vom LSG getroffenen gegenteiligen Feststellungen seien nicht richtig, und der gegebene Sachverhalt sei unrichtig gewürdigt worden.
Die beklagte AOK beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die gerügten Verfahrensmängel lägen teils nicht vor, teils stellten sie jedenfalls keine solchen dar, die das Ergebnis des Rechtsstreits beeinflußt hätten. Sachlich sei das angefochtene Urteil richtig.
Die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) und die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung haben sich dem Antrage der AOK und ihren Ausführungen angeschlossen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Die Klägerin rügt zunächst, in dem Berufungsurteil sei sie selbst lediglich als Berufungsbeklagte und die AOK als Berufungsklägerin angegeben worden. Diese Bezeichnung sei nicht ausreichend. Vielmehr hätte weiter vermerkt werden müssen, welche Stellung die Parteien im ersten Rechtsstreit hatten und ob sie insbesondere Kläger oder Beklagte waren. Diese Unterlassung stelle einen wesentlichen Mangel dar, sie habe nicht nur formelle Bedeutung, sondern auch eine sehr wesentliche sachliche.
Diese Rüge ist unbegründet. In der Urteilsformel des Berufungsgerichts heißt es ausdrücklich, daß "auf die Berufung der Beklagten (AOK)" das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen werde. Auch in den Urteilsgründen spricht das LSG immer wieder von den "Beklagten (AOK)". Hieraus ergibt sich eindeutig, daß das LSG die Firma G als Klägerin und die AOK als Beklagte angesehen hat. Daß im Rubrum die Genannten nur als "Berufungsklägerin" und "Berufungsbeklagte" und nicht ihre frühere und gegenwärtige Stellung im Rechtsstreit bezeichnet worden sind, ist demgegenüber belanglos (vgl. Baumbach/Lauterbach, § 313 der Zivilprozeßordnung - ZPO - Anm. 1 B).
Die Klägerin rügt weiter Verletzung des § 143 SGG. Danach finde die Berufung gegen Urteile der Sozialgerichte statt. Zu der Zeit, als das Urteil zweiter Instanz gefällt worden sei, habe aber ein zulässiges Urteil erster Instanz wegen der (noch zu erörternden) Sperrwirkung des § 94 Abs. 2 SGG überhaupt nicht bestanden. Auch diese Rüge ist unbegründet. Für die Zulässigkeit der Berufung kam es nicht darauf an, ob ein zulässiges Urteil erster Instanz vorlag, vielmehr genügte es, daß überhaupt ein solches bestand, über dessen Rechtmäßigkeit gestritten wurde (vgl. Baumbach/Lauterbach, Bem. 2 C und 4 vor § 511 ZPO).
Die Klägerin rügt ferner Verletzung der §§ 94 Abs. 2, 100 und 113 SGG. Nach den Gerichtsakten sei die Klage der AOK am 13. Juli 1956 beim SG eingegangen und am 14. Juli die der Firma G. Durch die Einreichung der Klage der AOK sei somit die Sache rechtshängig geworden. Das SG hätte daher von Amts wegen prüfen müssen, ob die Klage der AOK nicht die Sperrwirkung des § 94 Abs. 2 SGG erzeugt habe, derzufolge die Rechtshängigkeit einer Streitsache eine weitere Klage unzulässig mache. Insoweit sei auch keine Verbindung dieser Sachen zulässig gewesen. Allenfalls hätte es sich um Klage und Widerklage handeln können, in diesem Sinne sei aber das SG nicht verfahren.
Diese Rüge, kann ebenfalls keinen Erfolg haben. Für die Verbindung nach § 113 Abs. 1 SGG genügte es, daß mehrere Prozesse mit zusammenhängenden Ansprüchen ... anhängig waren. Selbst unzulässige Klagen können zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden werden. Unerheblich ist auch, ob die Klage der Klägerin und die Klage der beklagten AOK sich als Positivum und Negativum in vollem Umfange ausschlossen. Das SG hat, wie sich aus seinen Urteilsgründen ergibt, der von der Firma G erhobenen Anfechtungs- und Feststellungsklage stattgeben wollen und diese auch für begründet gehalten. Ob dieses Vorgehen und die Entscheidung des SG richtig waren, war ausschließlich im Berufungsverfahren zu klären (vgl. BSG, SozR § 162 SGG Bl- Da 8 Nr. 40). Nunmehr ist jedoch diese Frage gegenstandslos, da etwaige prozessuale oder sachlich-rechtliche Fehler des SG auf keinen Fall das LSG zu einer Zurückverweisung der Sache an das SG nötigten (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Im übrigen aber hat das LSG auch zu Recht die Firma G als Klägerin und die AOK als Beklagte angesehen, wie die nachfolgenden Ausführungen noch ergeben werden.
Die Revision rügt weiter Verletzung des § 102 SGG. Das SG habe, wie sich aus seinem Rubrum ergebe, über die Klage der beklagten AOK entschieden, nicht dagegen über die Klage der Firma G. Die AOK habe aber ihre Klage zurückgenommen, wodurch das noch nicht rechtskräftige Urteil des SG gegenstandslos geworden sei, ohne daß es noch einer Aufhebung bedurft hätte. Hierbei ist übersehen, daß das SG ohnehin nicht nur über die "Klage" zu entscheiden hatte, sondern über alle gestellten Anträge. Außerdem hat das SG auch noch ausdrücklich ausgeführt, daß auch die Firma G den Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 1956 angefochten habe, daß ferner Zweifel an der Zulässigkeit der Klage der AOK bestünden, daß aber jedenfalls die Klage der Firma G zulässig und begründet sei. Damit trifft es schon nicht zu, daß das SG über die Klage der Firma G überhaupt nicht entschieden hätte. Zugleich erweist sich dadurch der Einwand als unrichtig, der Rechtsstreit hätte sich dadurch erledigt, daß die beklagte AOK ihre Klage (also die Feststellungsklage) in der Berufungsinstanz zurückgenommen hatte. Es war immer noch über die Berufung der beklagten AOK gegen das der Klage der Firma G stattgebende Urteil des SG zu entscheiden, was das LSG auch ausweislich der Urteilsformel und der Urteilsgründe getan hat.
Schließlich rügt die Revision noch Verletzung des § 123 SGG, hilfsweise des § 202 SGG i. V. m. § 536 der ZPO. Das LSG habe die Klage der Firma G abgewiesen, die sich auf die Feststellung der Versicherungsfreiheit vom 1. Dezember 1952 an erstreckt habe. Das sei unzulässig gewesen, da damit entgegen dem Inhalt des Widerspruchsbescheides Versicherungspflicht auch für die Zeit vor dem Jahre 1954 festgestellt worden sei. Hierbei hat jedoch die Klägerin Inhalt und Bedeutung des Berufungsurteils verkannt. Im Eingang des Tatbestandes heißt es ausdrücklich, die Parteien stritten, nachdem die beklagte AOK ihre Klage gegen ihre Widerspruchsstelle in der Berufungsverhandlung zurückgenommen habe und damit deren Bescheid vom 6. Juni 1956 (insoweit) bindend geworden sei, nunmehr nur noch darüber, ob die Tätigkeit des Beigeladenen E seit 1. Januar 1954 sozialversicherungspflichtig gewesen sei. Hieraus und aus dem übrigen Inhalt der Urteilsgründe, die zur Auslegung der Urteilsformel mit herangezogen werden müssen, geht klar hervor, daß das LSG infolge der Rücknahme der von der beklagten AOK erhobenen Klage den Widerspruchsbescheid insoweit als bindend geworden angesehen hat, als er die Versicherungspflicht für die Zeit vor dem 1. Januar 1954 verneint hat. Im übrigen hat es sodann auf Grund der veränderten Rechtsstellung des Beigeladenen E ihn vom 1. Januar 1954 an als versicherungspflichtigen Angestellten der Firma G angesehen. Deshalb hat es durchaus folgerichtig unter Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils die allein noch anhängige Klage dieser Firma auf Teilanfechtung des Widerspruchsbescheides und Feststellung der Versicherungsfreiheit für die allein noch streitige Zeit vom 1. Januar 1954 an abgewiesen. Dieses Vorgehen ist prozeßrechtlich einwandfrei.
In sachlicher Hinsicht ist die Revision ebenfalls nicht begründet. Sie führt im wesentlichen aus, das angefochtene Urteil beruhe auf dem grundlegenden Fehler, die Frage der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit des Beigeladenen E sei lediglich von den wirklich bestehenden oder vermeintlich tatsächlichen Verhältnissen abhängig; sie wendet sich dabei gegen die getroffenen Feststellungen und die vorgenommene Beweiswürdigung. Nach § 163 SGG ist das Bundessozialgericht (BSG) als Revisionsgericht jedoch an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Hierzu genügen indes allgemeine Angriffe gegen die Beweiswürdigung nicht. Vielmehr müssen Gesetzesverletzungen, und zwar in der durch § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG (letzter Halbsatz) vorgeschriebenen Form gerügt werden. Diese können sich z. B. auf das Verfahren bei der Feststellung beziehen, wie Übergehen von Beweisanträgen, Verletzung des § 103 SGG, oder darauf, daß das LSG die Grenzen des ihm durch § 128 SGG eingeräumten Rechts überschritten habe, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Insoweit bringt die Revision jedoch nichts Entsprechen des vor, vielmehr bemängelt sie lediglich die Beweiswürdigung des LSG in einzelnen Punkten darin, daß andere Schlüsse hätten gezogen werden müssen. Ob andere Schlußfolgerungen näher gelegen hätten, ist jedoch ohne Bedeutung. Das Revisionsgericht hat die Beweiswürdigung nicht selbst vorzunehmen, sondern lediglich die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts auf Ermessensfehler hin zu überprüfen. Solche sind weder dargetan noch ersichtlich.
Unter Zugrundelegung der vom LSG getroffenen Feststellungen ist dessen rechtliche Beurteilung nicht zu beanstanden. Diese entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. ua BSG 13,130 sowie die Besprechungen hierzu von Trinkaus in Sgb 1961, 251 und von Lublasser ebenda S. 426; BSG 16, 289, 293; 20,6; vgl. auch BAG 13, 303, 307). Danach ist allgemein wesentliches Merkmal eines Beschäftigungsverhältnisses die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber bei der Arbeitsleistung. Sie zeigt sich vor allem darin, daß der Arbeitnehmer in den Betrieb seines Arbeitgebers eingeordnet ist und bei der Ausführung der Arbeit dessen Weisungen zu folgen hat. Entgegen der Auffassung der Revision hat das LSG auch richtig erkannt, daß die von den Beteiligten für eine bestimmte Tätigkeit gewählte vertragliche Regelung für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht schlechthin maßgebend ist. Unerheblich ist deshalb, wie die Beteiligten die für die Frage der Sozialversicherungspflicht maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse beurteilt sehen wollen, vielmehr sind ausschlaggebend die wahren tatsächlichen Verhältnisse, wie sie in ihrer konkreten Erscheinung geartet sind und wie sie sich tatsächlich entwickelt haben. Diese aber ergeben nach dem festgestellten Sachverhalt eindeutig jedenfalls für die Zeit vom 1. Januar 1954 an das Vorliegen eines Arbeitnehmerverhältnisses zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen E. Dabei konnte das LSG insbesondere auch zu dem Ergebnis kommen, daß die Stellung des Beigeladenen E sich im Laufe der Zeit geändert hatte und er aus einem selbständigen Vertreter ein abhängiger Arbeitnehmer (Filialleiter) geworden war. Zwar wird ein selbständiger Handelsvertreter nicht schon dadurch zum Angestellten, daß er dies gern sein möchte. Das hat das LSG jedoch auch nicht angenommen, sondern in rechtlich einwandfreier Weise ausgeführt und begründet, daß der Beigeladene E mit Wissen und Willen der Klägerin seine bisherige Tätigkeit als Werbevertreter aufgegeben und dafür die Leitung der Annahmestelle übernommen hatte. Dafür sprach im übrigen auch die getroffene Provisionsvereinbarung, wonach der Beigeladene E zwar 10 % des Umsatzes erhielt, jedoch unter Anrechnung des von der Klägerin an seine Ehefrau gezahlten Gehaltes. Eine solche Regelung wäre mit der Stellung eines selbständigen "Filialleiters" schwerlich vereinbar gewesen. Wäre er wirklich selbständig gewesen, hätte er sowohl für die Bezahlung seiner Ehefrau wie des noch beschäftigten Laufjungen selbst aufkommen müssen, stattdessen sind beide unmittelbar von der Klägerin entlohnt worden.
Nach alledem hat das Berufungsgericht zu Recht die Begründung eines Angestelltenverhältnisses gesehen, daß der Beigeladene E mit Wissen der Klägerin seit Anfang 1954 die Leitung der Annahmestelle Rendsburg übernommen hat. Nicht entscheidend ist, daß der Beigeladene E nach wie vor Einkommen- und Gewerbesteuer bezahlt. Es kann vom Senat nicht beanstandet werden, daß das LSG daraus nicht den Schluß gezogen hat, der Beigeladene E habe sich selbst nach wie vor als selbständig betrachtet. Im übrigen behauptet die Klägerin selbst nicht, daß das zuständige Finanzamt diese Frage geprüft hätte. Schließlich wäre eine andere Auffassung des Finanzamtes ohnehin für die Sozialversicherungsbehörden und die Sozialgerichte nicht bindend (vgl. BSG 19,6).
Da auch die übrigen Ausführungen des LSG zur Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen E zu keinen Bedenken Anlaß geben, mußte somit die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen