Entscheidungsstichwort (Thema)
Eintragung von Ersatz- bzw Ausfallzeiten in Versicherungskarte
Leitsatz (amtlich)
Wer nur Ersatzzeiten, aber keine Beitragszeiten zurückgelegt hat, hat keinen Anspruch auf Vormerkung dieser Zeiten.
Orientierungssatz
Die Eintragung von Ersatz- und Ausfallzeiten durch den Versicherungsträger ist ein Verwaltungsakt, mit dem der Versicherungsträger in bindender Weise die Ersatz- und Ausfallzeiten von Versicherten feststellt (vgl BSG vom 1970-07-08 11 RA 164/67 = BSGE 31, 226).
Normenkette
RVO § 1412 Abs 3 Fassung: 1965-06-09, § 1411 Fassung: 1957-02-23, § 1251 Abs 1 Nr 4 Fassung: 1970-12-22, § 1251 Abs 2 Fassung: 1965-06-09
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 14.07.1981; Aktenzeichen L 18 J 87/74) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.03.1974; Aktenzeichen S 14 J 110/72) |
Tatbestand
Der Rechtsstreit der Beteiligten geht nur noch darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Verfolgtenersatzzeit vorzumerken, obwohl Beitragszeiten nicht bestehen.
Die Klägerin ist rassisch Verfolgte des Nationalsozialismus. Von 1934 bis 1936 erlernte sie in S. das Damenschneiderhandwerk. Danach verließ sie Deutschland aus Verfolgungsgründen. Die Beklagte lehnt die Anerkennung von Beitrags- und Ersatzzeiten ab (Bescheide vom 16. September 1971 und 26. November 1971; Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 1972). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. März 1974). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 14. Juli 1981 das Urteil des SG teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, die Verfolgungszeit vom 10. Juli 1936 bis 31. Dezember 1949 als Ersatzzeit vorzumerken. Im übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin könne Beitragszeiten weder nachweisen noch glaubhaft machen. Doch seien die Ersatzzeiten vorzumerken. Die Vormerkung von Ersatzzeiten hinge nicht von der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für ihre Anrechenbarkeit ab. Die Vormerkung durch den Träger der Rentenversicherung sei lediglich ein feststellender Verwaltungsakt. Ob und in welchem Umfang eine Ersatzzeit anrechenbar sei, beurteile sich ausschließlich nach der Rechtslage im Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles.
Die Beklagte bringt mit der vom Senat zugelassenen Revision vor, Personen, die nicht versichert seien, könnten von den Versicherungsträgern nicht verlangen, daß Zeiten, die als Ersatzzeit oder Ausfallzeittatbestände gelten könnten, vorgemerkt würden. Die Versicherungsträger seien nicht dazu berufen, vorsorglich für alle Personen unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zur Rentenversicherung Tatbestände in einem Versicherungskonto oder in sonstigen Unterlagen festzuhalten, die rechtserheblich werden könnten, wenn diese Personen Versicherte werden sollten.
Die Beklagte beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist und insoweit die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15. März 1974 zurückzuweisen.
Die Klägerin stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, soweit es das sozialgerichtliche Urteil abgeändert und die Beklagte zur Anerkennung von Ersatzzeiten verurteilt hat.
Wohl hat die Klägerin ein rechtliches Interesse daran, daß über ihr Begehren entschieden wird, ihr Ersatzzeiten vorzumerken. Über diesen Antrag ist nicht anderweit entschieden worden und für die Klägerin kann es auch von rechtlicher Bedeutung sein, ob ihr solche Zeiten zugute zu halten sind. Bis zu einem späteren Rentenbeginn kann sich die rechtliche Situation bezüglich der Anrechenbarkeit dieser Zeiten ändern. Bis dahin könnte sich die Beweislage aber zuungunsten der Klägerin verschlechtert haben. Die Feststellung von Ersatzzeiten ist jedenfalls nicht von ihrer Anrechenbarkeit in einem etwaigen späteren Versicherungsfall (vgl § 1251 Abs 2 Reichsversicherungsordnung -RVO-) abhängig (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG-: vgl BSGE 31, 226, 229; SozR 2200 § 1251 Nr 22; BSGE 49, 44 = SozR 2200 § 1259 Nr 44).
Die Klägerin hat aber keinen Anspruch auf Feststellung von Ersatzzeiten, weil sie nicht zu der Beklagten in einem versicherungsrechtlichen Verhältnis steht. Klagen mit dem Antrag, den Versicherungsträger schon vor Eintritt eines Versicherungsfalles zu verurteilen, Ersatz- bzw Ausfallzeiten "anzuerkennen", "vorzumerken", "anzurechnen", "festzustellen", sind vom BSG als Klagen auf Verurteilung des Versicherungsträgers zur Eintragung der Ersatz- bzw Ausfallzeiten in Versicherungskarten behandelt worden (BSGE 23, 89, 92; BSGE 31, 226 = SozR Nr 1 zu § 1412 RVO; BSGE 42, 159, 160 = SozR 2200 § 1251 Nr 24; BSGE 44, 239, 240; 48, 219, 220; 49, 44 = SozR 2200 § 1259 Nr 44; BSGE 49, 258). Eine Feststellungsklage (§ 55 SGG) müßte nämlich daran scheitern, daß der Streit kein Rechtsverhältnis betrifft, sondern nur die Teilvoraussetzung (einen Berechnungsfaktor) einer späteren möglicherweise zu zahlenden Rente und daß sie auch nicht als Beitragsstreit iS des § 55 Abs 2 SGG anzusehen ist. Die Eintragung von Ersatz- und Ausfallzeiten durch den Versicherungsträger ist dagegen ein Verwaltungsakt, mit dem der Versicherungsträger in bindender Weise die Ersatz- und Ausfallzeiten von Versicherten feststellt (BSGE 31, 226, 229). Die Klageart, mit der dieser Verwaltungsakt begehrt wird, ist die mit einer Anfechtungsklage verbundene Verpflichtungsklage. Mit der Anfechtungsklage wird die Aufhebung des ablehnenden Verwaltungsaktes angefochten, die Verpflichtungsklage zielt auf die Verurteilung zu dem begehrten Verwaltungsakt; sie ist ein Sonderfall der Leistungsklage.
Diese Verpflichtungsklage setzt aber voraus, daß die Klägerin einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die begehrte Eintragung (Vormerkung) einer Ersatzzeit hat. Daran fehlt es. Die Klägerin ist nicht im Besitz einer Versicherungskarte, in der Ersatzzeiten gemäß § 1412 Abs 3 RVO einzutragen wären. Allein zum Nachweis von Ersatzzeiten hat sie auch keinen Anspruch auf Ausstellung einer Versicherungskarte, weil diese gemäß § 1411 Abs 2 RVO auf Antrag des Versicherten oder des Arbeitgebers nur zum Nachweis entrichteter Beiträge (§ 1411 Abs 1 RVO) ausgestellt wird. Nach den von der Klägerin und Revisionsbeklagten nicht mit Gegenrügen angegriffenen und deshalb für den erkennenden Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG sind indes für die Klägerin Beitragszeiten weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Damit im Einklang hat auch das Reichsversicherungsamt (RVA) entschieden, daß "Versicherter" nur eine Person ist, für die mindestens ein Beitrag entrichtet ist (RVA in EuM 20, 407, 408 = AN 1927, 254, 255).
Auch § 11 der Versicherungsunterlagen-Verordnung vom 3. März 1960 (BGBl I S 137), der die Wiederherstellung von Versicherungsunterlagen außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens zuläßt, scheidet hier als Anspruchsgrundlage aus, weil aufgrund der für den Senat bindenden Feststellungen des LSG davon auszugehen ist, daß die Klägerin - wiederherstellbare - Versicherungsunterlagen nie gehabt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen