Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Einstufung eines Fertighausmonteurs in die Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 26.11.1981; Aktenzeichen L 1 J 4/80) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 03.12.1979; Aktenzeichen S 12 J 240/78) |
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Der Kläger hat den Beruf des Revolver-Drehers erlernt. Nach verschiedenen anderen Berufstätigkeiten verrichtete er von 1970 bis 1980 als Fertighausmonteur im wesentlichen Klempner- und Dachdeckerarbeiten und wurde zunächst nach Lohngruppe III, seit 1973 aber nach Lohngruppe IV - 1 des Lohnrahmentarifvertrages für die Betriebe der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie entlohnt. Seinen Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Oktober 1978 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte am 3. Dezember 1979 verurteilt, dem Kläger ab April 1979 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 26. November 1981 die Berufung der Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger sei berufsunfähig. Seinen letzten Beruf als Fertighausmonteur und Arbeiten mit besonderer Eigenverantwortung könne er nicht mehr ausüben. Deshalb könne er die ihm als Facharbeiter allein zumutbaren Tätigkeiten in anderen Lehrberufen, sonstigen Ausbildungsberufen (angelernten Tätigkeiten) und in solchen ungelernte Tätigkeiten, die sich aus dem Kreis der ungelernten Arbeiten deutlich heraushöben, nicht mehr verrichten.
Mit der Revision rügt die Beklagte, das LSG habe den Kläger unter Verletzung des § 1246 Abs 2 RVO als Facharbeiter behandelt. Als Fertighausmonteur habe er nämlich nach seiner eigenen Darstellung keine Tätigkeiten mit ins Gewicht fallender Funktionsbreite (Facharbeitertätigkeiten) verrichtet. Der tariflichen Einstufung in die Lohngruppe IV komme demgegenüber keine entscheidende Bedeutung zu, zumal danach neben Facharbeitern auch sonstige bewährte Mitarbeiter entlohnt würden. Deshalb könne der Kläger noch auf alle Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden.
Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie muß zurückgewiesen werden.
Die Vorinstanzen haben die Voraussetzungen des Anspruchs auf Rente wegen Berufsunfähigkeit zu Recht bejaht. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist im Kreis der Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können, auf weniger als die Hälfte eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken (§ 1246 Abs 2 RVO).
Nach dem vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Mehrstufenschema sind dem Kläger im Sinne des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO die Tätigkeiten unterhalb des qualitativen Niveaus der sonstigen Ausbildungsberufe (angelernte Arbeiten) dann nicht zumutbar, wenn sein bisheriger Beruf als Fertighausmonteur der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen ist. Da für die Tätigkeit eines Fertighausmonteurs nicht eine Ausbildung von mindestens zwei Jahren vorgeschrieben ist, kann sie grundsätzlich weder als Lehrberuf noch als sonstige Facharbeitertätigkeit angesehen werden. Das BSG hat allerdings Tätigkeiten ohne vorgeschriebene Berufsausbildung dann der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zugeordnet, wenn sie den Facharbeitertätigkeiten qualitativ gleichstehen (vgl BSG in SozR 22OO § 1246 Nrn 16 und 29 jeweils mwN).
Die Tätigkeit des Klägers als Fertighausmonteur rechtfertigt nach den Feststellungen des LSG diese Gleichstellung. Dafür spricht, daß der Kläger nach der Lohngruppe IV des Lohnrahmentarifvertrages für die Betriebe der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie und verwandter Industriezweige für das Saarland entlohnt worden ist. Sie erfaßt Arbeiten, die eine Lehre oder eine ihr gleichzuerachtende Berufs- und Arbeitserfahrung voraussetzen und ordnet damit den grundsätzlich durch eine Ausbildung gekennzeichneten Facharbeitertätigkeiten auch solche Tätigkeiten zu, die ihnen wegen der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten qualitativ vergleichbar sind. Dabei ist die qualitative Vergleichbarkeit der Tätigkeit das wesentliche Merkmal, nicht die Höhe des Lohnes. Allein wegen seiner Entlohnung kann der Kläger also noch nicht einem Facharbeiter gleichgestellt werden. Die Richtigkeit der tariflichen Einstufung einer Tätigkeit durch den Arbeitgeber ist zwar zu vermuten, weil die Zuordnung einer Berufstätigkeit zu einer bestimmten Tarifgruppe auf ihren qualitativen Wert schließen läßt. Dabei handelt es sich aber um eine durchaus widerlegbare Vermutung. Sie ist jedenfalls dann als widerlegt anzusehen, wenn feststeht, daß die zu einer bestimmten Tarifgruppe gehörende Tätigkeit nicht den qualitativen Wert einer Facharbeitertätigkeit hat (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 27. Januar 1981 in SozR 2200 § 1246 Nr 77). Dies kann den Feststellungen des LSG hier aber nicht entnommen werden.
Das LSG hat zwar ausgeführt, die Tätigkeit des Klägers als Fertighausmonteur sei branchenbezogen und halte qualitativ dem Vergleich mit der Tätigkeit eines gelernten Klempners oder Dachdeckers nicht stand. Die Richtigkeit der tariflichen Einstufung ist damit jedoch nicht ernsthaft in Zweifel gezogen worden. Da der Fertighausmonteur eine Tätigkeit eigener Art verrichtet, muß sie nicht sowohl das besondere qualitative Niveau eines gelernten Dachdeckers als auch das eines gelernten Klempners haben. Es genügt vielmehr, wenn ihr qualitativer Wert insgesamt mit anderen Facharbeitertätigkeiten vergleichbar ist. Gerade dies hat aber das LSG für den erkennenden Senat bindend festgestellt, weil hiergegen die Beklagte zulässige und begründete Verfahrensrügen nicht erhoben hat (§ 163 SGG).
Das LSG hat unter Hinweis auf die Arbeitgeberauskunft vom 1. April 1981 ausgeführt, der Kläger habe "die Facharbeitertätigkeit eines Klempners und Dachdeckers im Betrieb der Firma S. über acht Jahre lang vollwertig ausgeübt", so daß entgegen der Annahme der Beklagten nicht ein Erschwernis der Arbeit, sondern vielmehr der qualitative Wert der Tätigkeit für die Einstufung in die Lohngruppe IV maßgebend gewesen ist. Dies schließt die Feststellung ein, daß die Tätigkeit des Klägers als Fertighausmonteur insgesamt, nämlich in ihrer aus Tätigkeiten auf dem Gebiet des Klempnerhandwerks und auf dem Gebiet des Dachdeckerhandwerks bestehenden Kombination das qualitative Niveau eines Facharbeiters erreicht hat. Diese von der Revision nicht angegriffene Feststellung des LSG rechtfertigt den Anspruch des Klägers auf Rente wegen Berufsunfähigkeit. Denn er vermag die Tätigkeit des Fertighausmonteurs nicht mehr auszuüben und kann nach den von der Revision ebenfalls nicht beanstandeten weiteren Feststellungen des LSG nur noch ungelernte Arbeiten ohne besondere Eigenverantwortung, ohne besondere Zuverlässigkeit und ohne besondere geistige Wendigkeit, also nur noch ungelernte Arbeiten ausüben, auf die ein Versicherter mit dem bisherigen Leitberuf des Facharbeiters nach der genannten ständigen Rechtsprechung des BSG nicht iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO zumutbar verwiesen werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen