Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz bei Tätigkeit in zwischenbetrieblicher Bauorganisation - volkseigener Produktionsbetrieb
Leitsatz (amtlich)
Nach den zu Bundesrecht gewordenen Regelungen des Versorgungssystems der technischen Intelligenz (§ 1 Abs 1 AAÜG iVm Anlage 1 Nr 1 zum AAÜG) konnte ein Nichteinbezogener eine Versorgungsanwartschaft nicht durch eine Beschäftigung in einer zwischenbetrieblichen Bauorganisation erwerben.
Normenkette
AAÜG § 1 Abs. 1 Sätze 1-2, § 5 Abs. 1; EinigVtr. Anl. II Kap. VIII H III Nr. 9; EinigVtr. Anl. II Kap. VIII H; IngV; ZAVtIV; ZAVtIVDBest 2 § 2; LPGG; ZGB DDR § 11 Abs. 2; ZGB DDR § 18 Abs. 2
Beteiligte
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte – Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme – |
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 11. April 2001 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem nach Nr 1 der Anlage 1 zum AAÜG verpflichtet ist, Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (vgl Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950, GBl S 844) sowie die in diesem Zeitraum erzielten Entgelte festzustellen.
Der im Jahre 1936 geborene Kläger schloss im Juli 1959 erfolgreich sein Studium als Bauingenieur ab. Mit Bescheid vom 7. Juli 1999 stellte die Beklagte als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben die Zeit vom 1. September 1959 bis 31. Juli 1960, in der der Kläger als Architekt in einem Entwurfsbüro für Stadt- und Dorfplanung des Rates des Bezirks R. tätig war, fest, die Zeit vom 1. Januar 1969 bis 28. Februar 1969, in der der Kläger als Entwurfsgruppenleiter ua beim VEB Bau (K) R. beschäftigt war sowie die Zeit seiner Tätigkeit als Außenstellenleiter beim Wohnungsbaukombinat R. vom 21. Juli 1980 bis 15. November 1980. Die Feststellung weiterer Zeiten lehnte die Beklagte in dem og Bescheid vom 7. Juli 1999 ab, und zwar die Zeit vom 1. März 1969 bis 20. Juli 1980 (Tätigkeit als Entwurfsgruppenleiter bei der zwischenbetrieblichen Bauorganisation ≪ZBO≫ „R.” S.) und vom 16. November 1980 bis 30. Juni 1990 (Abteilungsleiter Projektierung bei der ZBO „E.” N.). Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 1999 zurück, weil die Tätigkeit in einer ZBO nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb ausgeübt worden sei.
Das SG Stralsund hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. September 2000). Das LSG Mecklenburg-Vorpommern hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 11. April 2001).
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung der begehrten Zugehörigkeitszeiten nach § 5 AAÜG. Eine Versorgungszusage, die nach den Regelungen des Einigungsvertrages (EV) auch nach dem Beitritt hätte wirksam geblieben sein können, habe der Kläger nicht erhalten. Somit komme es allein darauf an, ob er konkret eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt habe, derentwegen ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung vorgesehen gewesen sei. Dies sei nicht der Fall. Zwar erfülle er auf Grund dessen, dass er seinerzeit als Bauingenieur tätig gewesen sei, die berufliche Qualifikation zur Aufnahme in dem Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz. Er sei jedoch nicht in einem volkseigenen oder einem diesem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen. Die ZBO sei kein VEB. Es handele sich vielmehr um Einrichtungen, die von den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und ihren Kooperationspartnern gebildet worden seien. Eine Gleichstellung mit den volkseigenen Betrieben komme im Hinblick auf die abschließende Aufzählung dieser Betriebe in § 1 Abs 2 der 2. Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (GBl S 487) nicht in Betracht. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 1 Abs 3 der 3. Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (GBl S 488). Die Bestimmung enthalte zwar eine Öffnungsklausel zum Abschluss eines Einzelvertrages für Angehörige der technischen Intelligenz, die auf wissenschaftlichem Gebiet arbeiteten, soweit sie in solchen Einrichtungen, die zur Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes beigetragen hätten, ständig hervorragend tätig gewesen seien. Diese 3. Durchführungsbestimmung (aaO) bilde jedoch die Grundlage für eine willkürliche Verwaltungspraxis der DDR und könne nicht als bundesrechtlicher Prüfungsmaßstab herangezogen werden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 5 AAÜG und trägt vor: Entgegen der Auffassung des LSG werde die ZBO von dem Anwendungsbereich des Zusatzversorgungssystems der technischen Intelligenz erfasst. § 1 Abs 2 der 2. Durchführungsbestimmung (aaO) enthalte keine enumerative Aufzählung. Die Betriebe seien lediglich gattungsmäßig beschrieben. Das Tätigkeitsfeld der ZBO zeige wesentliche Überschneidungspunkte mit den dort aufgeführten Betriebsarten auf. Bauwirtschaft, Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft seien wie ein volkseigener Betrieb geleitet worden. Selbst wenn man unterstelle, dass § 1 Abs 1 der 2. Durchführungsbestimmung (aaO) eine enumerative Aufzählung enthalte, könne die Auslegung durch die ehemalige DDR, wie sie in der 2. Durchführungsbestimmung (aaO) zum Ausdruck gekommen sei, nicht abschließend sein. Entscheidend sei vielmehr, wer nach Bundesrecht gemäß der Präambel der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in das Versorgungssystem einzubeziehen gewesen sei. Zudem habe er gemäß § 1 der 3. Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben einen Anspruch auf eine einzelvertragliche Regelung gehabt. Er habe sowohl zur Erfüllung des Volkswirtschaftsplans beigetragen als auch auf wissenschaftlichem Gebiet gearbeitet.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 11. April 2001 sowie das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 27. September 2000 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Ablehnung der begehrten Feststellungen im Bescheid vom 7. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 1999 zu verpflichten, die Beschäftigungszeiten vom 1. März 1969 bis 20. Juli 1980 sowie vom 16. November 1980 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zu dem Versorgungssystem der Anlage 1 Nr 1 des AAÜG sowie die in diesen Zeiträumen hieraus erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie stützt sich im Wesentlichen auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils sowie auf das Urteil des Senats vom 12. Juni 2001 – B 4 RA 107/00 R – und weist ergänzend darauf hin, es sei nicht Aufgabe des AAÜG, etwaige „Brüche” im DDR-Recht zu beseitigen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Die Vorinstanzen und die Beklagte haben im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) durchsetzbaren Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit (allein) zum Versorgungssystem der technischen Intelligenz vom 1. März 1969 bis 20. Juli 1980 und vom 16. November 1980 bis 30. Juni 1990 hat, in der er als Bauingenieur bei einer ZBO tätig war sowie auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Entgelte (§§ 5 bis 8 AAÜG). Nur insoweit hat der Kläger sich gegen den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sowie gegen die Entscheidungen der Vorinstanzen gewandt (§ 123 SGG).
Unabhängig davon, dass die Beklagte zur Bestimmung der Rangstellenwerte (der Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung) gemäß § 5 AAÜG Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem bereits (bestandskräftig) festgestellt hat, ist im Hinblick auf das og weitere Begehren des Klägers betreffend die §§ 5 ff AAÜG zu prüfen, ob die Vorschriften des AAÜG überhaupt auf ihn Anwendung finden. Einschlägig ist das AAÜG nur, wenn aus bundesrechtlicher Sicht zum 1. August 1991 (Versorgungsansprüche oder) Versorgungsanwartschaften bestanden haben (bzw die Voraussetzungen hierfür am 30. Juni 1990 vorgelegen haben) oder wenn einmal vor dem 30. Juni 1990 nach den Gegebenheiten in der DDR in deren Systemen eine Versorgungsanwartschaft erlangt worden war, die nach den Regelungen der Versorgungssysteme bei einem Ausscheiden entfiel (§ 1 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 AAÜG). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.
1. Nach § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz „für Ansprüche und Anwartschaften”, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. „Erworben worden sind” in diesem Sinne aus der Perspektive des am 1. August 1991 in Kraft getretenen AAÜG (Art 3 RÜG) vom 25. Juli 1991 solche Versorgungsanwartschaften, wenn die Nichteinbezogenen rückschauend nach den Regeln der Versorgungssysteme, soweit diese aufgrund des EV Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9 am 3. Oktober 1990 zu Bundesrecht geworden sind, praktisch und rechtsgrundsätzlich im Regelfall am 30. Juni 1990 (vgl EV Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr 8, § 22 Rentenangleichungsgesetz vom 28. Juni 1990, GBl I S 495) hätten einbezogen werden müssen; hierzu gehören Rechtspositionen ohne erfolgte Einzelfallregelung (Versorgungszusage, Einzelentscheidung, Einzelvertrag), wenn aus bundesrechtlicher Sicht ein Rechtsanspruch auf eine Versorgungszusage nach den Regelungen der Versorgungssysteme unter Beachtung des Gleichheitsgebots bestanden hätte (1.1). Nach § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG gilt das AAÜG auch in Fällen, in denen nach dieser Vorschrift eine Versorgungsanwartschaft fingiert wird. Das ist der Fall, wenn in der DDR zu irgendeinem Zeitpunkt einmal eine durch Einzelfallregelung konkretisierte Aussicht bestand, im Versorgungsfall Leistungen zu erhalten, diese Aussicht (Anwartschaft) aber auf Grund der Regelungen der Versorgungssysteme vor dem 1. Juli 1990 wieder entfallen war (1.2).
1.1.1 Eine Versorgungsanwartschaft nach § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG hatten grundsätzlich all diejenigen, die am 30. Juni 1990 eine Versorgungszusage hatten, die – wäre der Versorgungsfall zu diesem Zeitpunkt eingetreten – Leistungen aus dem Versorgungssystem hätten beziehen können. Denn gemäß Art 19 Satz 1 EV blieben vor dem Beitritt (3. Oktober 1990) ergangene Verwaltungsakte der ehemaligen DDR, zu denen auch die Versorgungszusage zählt (vgl BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 1 S 5) wirksam, es sei denn, sie seien mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar.
1.1.2 Eine Versorgungsanwartschaft hatten darüber hinaus auch diejenigen, denen vor dem 30. Juni 1990 eine solche durch Einzelfallregelung zuerkannt worden war, die mangels tatsächlicher oder rechtlicher Änderungen auch noch bis zum 30. Juni 1990 hätte fortbestehen müssen, die jedoch vor dem 30. Juni 1990 rechtsstaatswidrig zurückgenommen worden war. Im Hinblick auf Art 19 Satz 2 EV war eine derartige „Rücknahme” nicht beachtlich (und aufzuheben).
1.1.3 Darüber hinaus hatten nach den og Kriterien auch alle diejenigen eine Versorgungsanwartschaft „erworben”, denen aus bundesrechtlicher Sicht nach den Gegebenheiten der DDR, dh nach den insoweit vom EV noch partiell übernommenen Regelungen der Versorgungssysteme, wären diese unter Beachtung des Gleichheitsgebots umgesetzt worden, eine Anwartschaft auf eine Versorgung durch Einzelfallregelung am 30. Juni 1990 hätte zuerkannt werden müssen. Hierzu zählen alle diejenigen, die, wäre der Versorgungsfall zu diesem Zeitpunkt eingetreten, zum 1. Juli 1990 im (jetzt) rechtsstaatlichen Umfeld („kraft Gesetzes”) Leistungen aus dem Versorgungssystem hätten beanspruchen können. Unter den Anwendungsbereich des AAÜG nach § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG fallen somit auch diejenigen, die nach den Regelungen der Versorgungssysteme obligatorisch iS einer „gebundenen Verwaltung” und ohne Entscheidung des Versorgungsträgers in den Kreis der Versorgungsberechtigten hätten einbezogen werden müssen, weil sie die abstrakt-generellen Voraussetzungen hierfür insoweit erfüllt hatten. Dies war der Fall bei denjenigen, die am 30. Juni 1990 (und deswegen auch am 1. August 1991) nach der Art der ausgeübten Beschäftigung, der hierfür vorgesehenen beruflichen Qualifikation sowie der „Beschäftigungsstelle” aus bundesrechtlicher Sicht in das Versorgungssystem einzubeziehen waren und denen eine Zusage auf Versorgung hätte erteilt werden müssen. Aus bundesrechtlicher Sicht waren hingegen zu diesem Zeitpunkt nicht einbezogen diejenigen, die nach den Versorgungsordnungen oder Durchführungsbestimmungen oder sonstigen Regelungen der ehemaligen DDR lediglich durch Einzelvertrag oder Einzelentscheid oder Ermessensentscheidung hätten einbezogen werden können. Denn eine derartige (Ermessens-)Entscheidung, die auch der Erzeugung politischen und gesellschaftlichen Wohlverhaltens diente, könnte allein aus der Sicht der DDR und nach deren Maßstäben getroffen werden. Sie darf infolgedessen mangels sachlicher, objektivierbarer, bundesrechtlich nicht nachvollziehbarer Grundlage nicht rückschauend ersetzt werden.
1.2 In den Grenzen des § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG können die Vorschriften des AAÜG auch auf solche Personen Anwendung finden, die in der Vergangenheit in der DDR zwar nicht zum 30. Juni 1990 aber zu irgendeinem Zeitpunkt davor eine – konkrete – Versorgungszusage (oder auch eine Einzelentscheidung oder eine einzelvertragliche Regelung zur Einbeziehung in das Versorgungssystem) und damit eine rechtliche Position hatten, die aus bundesrechtlicher Sicht einer Versorgungsanwartschaft entsprach. Sofern sie diese nach den Regelungen des Versorgungssystems – etwa infolge Wechsel des Beschäftigungsverhältnisses – wieder verloren hatten, fingiert § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG insoweit das Fortbestehen der Versorgungsanwartschaft, „soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei Ausscheiden vor dem Leistungsfall” vorsahen. Der Verlust gilt als nicht eingetreten. § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG knüpft somit – anders als § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG – ausdrücklich an eine formale Rechtsposition in der ehemaligen DDR an, bestimmt jedoch bundesrechtlich, dass ein nach den Regelungen der Versorgungssysteme eingetretener Verlust der Anwartschaft unbeachtlich und daher davon auszugehen ist, dass am 30. Juni 1990 (und deshalb zum 1. August 1991) eine Versorgungsanwartschaft bestand.
2. Liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 AAÜG vor, gelangen die Vorschriften des AAÜG zur Anwendung. Auch Versorgungsanwartschaften wurden nach § 2 Abs 2 AAÜG zum 31. Dezember 1991 kraft Gesetzes in die gesetzliche Rentenversicherung des Beitrittsgebiets überführt. Die überführten Anwartschaften auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wurden ab 1. Januar 1992 durch Rechte und Anwartschaften aus dem SGB VI ersetzt (§ 4 Abs 5 AAÜG). Zur Bestimmung des Rangstellenwerts der Anwartschaften greifen die §§ 5 bis 8 AAÜG ein. Nach § 5 Abs 1 AAÜG werden für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem entsprechende Pflichtbeitragszeiten iS des SGB VI fingiert; zur Ermittlung des Rangstellenwerts wird das im jeweiligen Kalenderjahr tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen als versichertes Arbeitsentgelt und zwar abweichend von den Bestimmungen des SGB VI beitragsunabhängig berücksichtigt (§ 6 Abs 1 AAÜG). Im Rahmen einer dreistufigen Typik regelt das AAÜG, bis zu welcher Höhe der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung das Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen hat, nämlich entweder bis zur allgemeinen bundesrechtlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 6 Abs 1 AAÜG) oder bis zu niedrigeren Beitragsbemessungsgrenzen (§ 6 Abs 2 bis 4, § 7 AAÜG). Hauptziel der Vorschriften des AAÜG ist es, alle wertbestimmenden Faktoren auszusondern, die nicht auf volkswirtschaftlich sinnvoller Arbeit, sondern auf sachfremder politischer Begünstigung beruhen (vgl BSGE 72, 50, 61; vgl hierzu Urteil des Senats vom 30. Juni 1998 – B 4 RA 11/98 R – mwN).
2.1 Bei der Frage, ob gleichgestellte Pflichtbeitragszeiten iS des § 5 Abs 1 AAÜG, also „Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem” vorliegen, kommt es im Gegensatz zu der (Eingangs-)Prüfung nach § 1 AAÜG nicht notwendig darauf an, ob in den Zeiträumen der Beschäftigung oder Tätigkeit bereits Versorgungsanwartschaften iS des § 1 AAÜG bestanden haben oder ob insoweit zu irgendeinem anderen Zeitpunkt eine (konkrete) Versorgungszusage erteilt worden war, die kraft Fiktion nach Bundesrecht als fortbestehend anzusehen ist. Zugehörigkeitszeiten iS des § 5 AAÜG liegen vielmehr immer dann vor, wenn (der zum 1. August 1991 Versorgungsberechtigte) zu irgendeinem Zeitpunkt (nicht notwendig am 30. Juni 1990) eine Beschäftigung ausgeübt hat, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem System vorgesehen war, das in den Anlagen 1 und 2 zum AAÜG aufgelistet worden ist. Hierzu zählen auch solche Zeiten, die vor Einführung eines Versorgungssystems, hätte das Versorgungssystem bereits bestanden, als in dem Versorgungssystem zurückgelegt gelten würden, ferner Zeiten, für die das „Versorgungssystem” Beiträge erstattet hat, Anwartschaftszeiten sowie die Zeiten, die gemäß § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG zu berücksichtigen sind.
2.2 Der Rechtsgehalt des § 5 AAÜG ist ausschließlich nach objektiven Auslegungskriterien des Bundesrechts unter Beachtung des Gleichheitssatzes zu ermitteln. Es kommt weder auf die Auslegung der Versorgungsordnungen durch die Staatsorgane der DDR noch auf deren Verwaltungspraxis an. Nur in faktischer Anknüpfung an die (von der DDR erlassenen) Versorgungsordnungen ist zu klären, ob am 30. Juni 1990, zum Zeitpunkt der Schließung der Versorgungssysteme (am 1. Juli 1990), eine nach den jeweiligen Kriterien der Versorgungsordnungen iVm den Durchführungsbestimmungen sowie sonstigen, diese ergänzenden bzw ausfüllenden abstrakt-generellen Regelungen eine in der Versorgungsordnung genannte Beschäftigung oder Tätigkeit individuell und konkret ausgeübt worden ist und ob die in der Versorgungsordnung als zwingende Voraussetzung für eine Einbeziehung (dh für die Pflicht auf Erteilung einer Versorgungszusage) genannte notwendige berufliche Qualifikation zur Ausübung dieser (konkreten) Beschäftigung bei der entsprechenden „Arbeitsstelle” vorgelegen hat (vgl hierzu Urteil des Senats vom 4. August 1998 – B 4 RA 63/97 R – mwN; Urteil vom 30. Juni 1998 – B 4 RA 11/98 R – sowie BSG SozR 3-8570 § 5 Nr 6 mwN).
3. Geht man von diesen Grundsätzen aus, so zeigt sich, dass der Kläger bereits nicht die Voraussetzungen des § 1 AAÜG erfüllt und somit nicht unter den Anwendungsbereich des AAÜG fällt. Denn er hatte am 30. Juni 1990 keine Versorgungsanwartschaft iS von § 1 Abs 1 Satz 1 oder Abs 1 Satz 2 AAÜG „erworben”. Weder war ihm eine Versorgungszusage erteilt noch war zu seinen Gunsten eine Ermessensentscheidung ergangen noch eine einzelvertragliche Abrede getroffen worden. Er hatte nach der hier als Anknüpfung allein in Betracht kommenden Versorgungsordnung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr 1 zum AAÜG) aus bundesrechtlicher Sicht auch keine Versorgungsanwartschaft (§ 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG). Eine konkrete Rechtsposition (sei es durch eine Versorgungszusage oder eine einzelvertragliche Regelung) vor dem 30. Juni 1990 hatte er ebenfalls nicht erlangt, die über § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG den Anwendungsbereich des AAÜG auch bei einem vorhergehenden Ausscheiden aus dem System hätte eröffnen können.
Durch seine berufliche Ausbildung zum Bauingenieur hatte der Kläger zwar den Titel eines Ingenieurs nach der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung „Ingenieur” vom 12. April 1962 (GBl II S 278) und hätte ausgehend von der beruflichen Qualifikation grundsätzlich in das Versorgungssystem der technischen Intelligenz aufgenommen werden können (vgl § 1 Abs 1 der 2. Durchführungsbestimmung). Im Hinblick auf die von ihm ausgeübte Tätigkeit in der ZBO gehörte er jedoch nicht zum Kreis der obligatorisch („kraft Gesetzes”) in die Versorgungsordnung Einzubeziehenden. Denn er war während seiner Tätigkeit in der ZBO („R.” und „E.”) vom 1. März 1969 bis 20. Juli 1980 und vom 16. November 1980 bis 30. Juni 1990 weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb noch in einem diesem gleichgestellten Betrieb beschäftigt (§ 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz iVm § 1 der 2. Durchführungsbestimmung), was Voraussetzung für eine Einbeziehung in dieses Versorgungssystem gewesen wäre (vgl Urteil des Senats vom gleichen Tage – B 4 RA 10/02 R).
3.1 Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei der ZBO – worüber zwischen den Beteiligten auch kein Streit besteht – ersichtlich nicht um einen volkseigenen Betrieb. Vielmehr war die ZBO eine so genannte kooperative Einrichtung iS des § 13 des Gesetzes über die LPG vom 2. Juli 1982 (GBl I S 443), die von den LPG und ihren Partnern gebildet wurden, um bestimmte Produktionsaufgaben in Form der „genossenschaftlichen Zusammenarbeit” gemeinsam zu lösen (vgl Musterstatut für die ZBO der LPG vom 2. August 1962, GBl II S 531; Beschluss über das Musterstatut für kooperative Einrichtungen der LPG, GPG, VEG und anderer sozialistischer Betriebe der Land-, Forst- und Nahrungswirtschaft vom 8. Juni 1988, GBl, Sonderdruck Nr 1310). Im Übrigen unterschied die DDR zwischen volkseigenen Betrieben und Genossenschaften (Oberbegriff: Betrieb in § 11 Abs 2 sowie § 18 Abs 2 des Zivilgesetzbuchs/DDR). Zu den Genossenschaften, die auf der Grundlage von Statuten gemeinschaftlich zu bewirtschaftendes Eigentum bildeten (§ 18 Abs 2 aaO), zählten auch zwischengenossenschaftlichen Einrichtungen.
3.2 Die ZBO war auch nicht einem volkseigenen Produktionsbetrieb gleichgestellt. Aus § 1 Abs 2 der 2. Durchführungsbestimmung ergeben sich hierfür keine Anhaltspunkte. In dem Katalog der dort aufgeführten „Einrichtungen” wird sie nicht genannt. Aus bundesrechtlicher Sicht kommt es bei der Auslegung dieser Durchführungsbestimmung weder auf die praktische Handhabung der Versorgungsordnungen durch die DDR noch auf deren Verwaltungspraxis an. Damit wird ausgeschlossen, dass beliebige Umstände außerhalb des von den Texten der Versorgungsordnungen vorgegebenen Rahmens, die sich mangels gesicherter faktischer Beurteilungsgrundlage gerade nicht willkürfrei erschließen lassen, bei der Auslegung herangezogen werden. Das bedeutet zugleich, dass es dem Gericht verwehrt ist, über den Rahmen des § 1 AAÜG hinaus Fallgruppen zu entwickeln, die nicht von dem Sichtungs- und Reinigungsprogramm des AAÜG erfasst sein konnten.
3.3 Schließlich führt auch die 3. Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen handelt es sich bei der ZBO weder um einen dort (darüber hinaus) genannten volkseigenen noch um einen diesem gleichgestellten Betrieb. Zum anderen kann danach eine mögliche Einzelfallentscheidung im Hinblick auf eingeräumte Entscheidungsspielräume – wie ausgeführt – nicht Grundlage einer sachorientierten Entscheidung sein, da insoweit zwangsläufig auf eine in der DDR übliche (ggf willkürliche) Verwaltungspraxis zurückgegriffen werden müsste. Schließlich und entscheidend ist hier aber, dass die 3. Durchführungsbestimmung keine Regelung der Versorgungssysteme ist, die zu Bundesrecht geworden sein könnte, weil sie keine Durchführungsbestimmung nach § 5 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz war.
3.4 Soweit – sinngemäß – die Auffassung vertreten wird, es sei mit dem GG unvereinbar, dass Personen mit gleichwertiger beruflicher Qualifikation und gleichwertiger beruflicher Tätigkeit keine „Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem” erlangen könnten, so ist dem entgegenzuhalten, dass – auch bei einer derartigen möglichen Ungleichbehandlung – der Einigungsvertragsgesetzgeber nicht gehalten war, solche bereits in den einzelnen Versorgungsordnungen möglicherweise angelegten Ungleichbehandlungen zu korrigieren. Denn er durfte im Rahmen der Rentenüberleitung an die insoweit vorgefundenen Versorgungsordnungen, wie sie am 2. Oktober 1990 vorgelegen haben, anknüpfen (vgl hierzu entsprechend BVerfGE 100, 138, 193 f). Soweit bestimmte Betriebe in den einzelnen Versorgungsordnungen nicht aufgeführt waren, ist anzumerken, dass es auch in den alten Bundesländern Betriebe gibt, in denen Arbeitnehmern kein Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung (zweite Säule der Alterssicherung) eingeräumt wird. Im Übrigen ist es nicht Aufgabe der gesetzesgebundenen Staatsorgane, Regelungen zu beschließen, um nachträglich eine eine Ungleichbehandlung beseitigende Einzelfallentscheidung zu ermöglichen; schließlich und darüber hinaus könnten auch dann wiederum entsprechende (willkürliche) Abgrenzungsprobleme gegenüber anderen Personengruppen auftreten.
Da der Kläger somit am 1. August 1991 keine Versorgungsanwartschaft iS des § 1 AAÜG „erworben” hatte, steht ihm auch kein Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem gemäß § 5 AAÜG zu.
Die Revision ist mithin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 747384 |
VIZ 2002, 656 |
NZS 2003, 99 |
SozR 3-8570 § 1, Nr. 3 |