Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch eines im Jahre 1957 aus Polen in die Bundesrepublik zurückgekehrten Deutschen auf Entschädigung wegen eines Unfalls, der sich vor dem Kriege im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ereignet hatte, richtete sich für die Zeit des Aufenthalts im polnischen Staatsgebiet nach RVO § 615 Abs 1 Nr 2 aF iVm FAG SV § 8; der Wohnsitzgrundsatz (vergleiche BSG 1956-09-20 5 RKn 30/55 = BSGE 3, 286-292) ist in einem solchen Fall nicht anwendbar.

 

Normenkette

RVO § 615 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Fassung: 1925-07-14, S. 3 Nr. 2 Fassung: 1925-07-14; SVFAG § 8 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-08-07, Abs. 2 S. 3 Fassung: 1953-08-07, § 17 Abs. 1 Fassung: 1953-08-07, Abs. 2 Fassung: 1953-08-07

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Dezember 1964 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin erstrebt die Nachzahlung der Unfall-Witwenrente für die Zeit vor ihrer Übersiedlung aus Polen in das Gebiet der Bundesrepublik (BRD).

Die Klägerin, deren Ehemann im Jahre 1924 auf einer Zeche in O tödlich verunglückte, hatte seither von der Beklagten laufend die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) bezogen. Im Juni 1943 wurde sie in O ausgebombt und nach R (Wartheland) evakuiert. Sie teilte der Beklagten durch Schreiben vom 12. August 1943 ihre neue Anschrift mit und bat um Überweisung der Rente an den neuen Wohnort; die Beklagte kam diesem Wunsch bis gegen Ende des zweiten Weltkrieges nach.

Im März 1957 kehrte die Klägerin, die schon früher die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hatte, nach O zurück und teilte dies der Beklagten unter dem Hinweis mit, daß sie die letzte Rentenzahlung im Dezember 1944 in R erhalten habe. Während die Ruhrknappschaft der Klägerin die Witwenrente rückwirkend vom 1. April 1953 an gewährte, billigte die Beklagte ihr die Witwenrente aus der UV durch formlose Mitteilung vom 26. März 1957 erst vom 1. April 1957 an zu. Am 24. April 1957 beantragte die Klägerin, sie auch für die zurückliegende Zeit angemessen zu entschädigen. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 8. Juli 1957 mit der Begründung ab, die Zuständigkeit für die Entschädigungspflicht zwischen den Trägern der UV in der BRD und den Sozialversicherungsträgern der Volksrepublik Polen richte sich nach dem Wohnsitzprinzip. Für die Aufnahme der Rentenzahlung sei daher ausschließlich der Zeitpunkt der Wohnsitznahme in der BRD maßgeblich.

Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 8. Juli 1957 verurteilt, die Hinterbliebenenrente ab 1. April 1953 zu gewähren; nachdem die Beklagte vorsorglich die Einrede der Verjährung erhoben hatte, hatte die Klägerin ihren Nachzahlungsanspruch insoweit zeitlich eingeschränkt. Das SG hat die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Beweisaufnahme die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat dazu folgendes ausgeführt: Die Voraussetzungen für ein Ruhen der Witwenrente nach § 615 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsversicherungsordnung alter Fassung (RVO aF) hätten während des Zeitraums, um den es hier geht, nicht vorgelegen. Zwar habe sich die Klägerin als deutsche Staatsangehörige und demgemäß Inländerin während dieser Zeit im Ausland aufgehalten. Der Ort, an dem sie bis zur Aussiedelung wohnte, habe an dem maßgeblichen Stichtag, dem 31. Dezember 1937, bereits zu Polen gehört; die vorübergehende Eingliederung des Warthelandes in das Reichsgebiet während des zweiten Weltkrieges habe mit der Kapitulation 1945 ihre Wirkung verloren. Die Tochter der Klägerin habe als Zeugin glaubhaft bekundet, sie und die Klägerin, die ständig ihre Wohnung beibehalten habe, hätten sich wiederholt schriftlich an die Beklagte wegen der Weiterzahlung der Rente gewandt. Wenn auch diese Mitteilungen die Beklagte nicht erreicht hätten, so stehe doch zur Überzeugung des Gerichts fest, daß es die Klägerin nicht unterlassen habe, der Beklagten ihren Aufenthaltsort bekanntzugeben. Selbst wenn man das nicht für die nach § 615 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF vorgeschriebene Mitteilung genügen lassen wolle, so könne die Erfolglosigkeit ihres Bemühens der Klägerin doch keinen Nachteil bringen, weil sie nicht auf deren Verschulden zurückzuführen sei (§ 615 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 RVO aF).

Auch die Voraussetzungen nach § 8 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) vom 7. August 1953 für einen Leistungsanspruch aus der UV an Berechtigte im Ausland lägen vor. Der zum Tode führende Arbeitsunfall des Ehemanns der Klägerin sei im Bundesgebiet eingetreten. Nach § 8 Abs. 2 letzter Satz FAG hänge der Anspruch auf Leistung im Ausland noch vor der Stellung eines entsprechenden Antrags ab. Sei aber eine Unfallrente Jahre hindurch gezahlt worden und die Weiterzahlung nur aus kriegsbedingten Gründen unterblieben, so bedürfe es zur Wiedergewährung der Rente jedenfalls dann keines neuen Antrags im Sinne der genannten Vorschrift, wenn der frühere Rentenempfänger seinen außerhalb des Bundesgebietes liegenden Wohnsitz - wie hier die Klägerin - unverändert beibehalten habe. Das gelte um so mehr, wenn infolge der politischen Verhältnisse eine Information des Berechtigten über das Inkrafttreten und den Inhalt neuer deutscher Gesetze nicht möglich gewesen sei. Da die Klägerin schließlich auch während des in Betracht kommenden Zeitraums keine Leistungen polnischer Versicherungsträger erhalten habe, sei ihr Anspruch auf Nachzahlung begründet.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sei für die Anwendung des Wohnsitzgrundsatzes hier kein Raum, weil der Anspruch der Klägerin sich unmittelbar aus den in der Bundesrepublik geltenden Vorschriften ergebe. Die Anwendung des Wohnsitzgrundsatzes auf die in der SBZ und in Ost-Berlin wohnenden Rentenberechtigten beruhe auf der Berücksichtigung der unterschiedlichen Rechtsentwicklung in den verschiedenen Besatzungsgebieten nach 1945. Diese Entwicklung habe dazu geführt, daß die Versicherungsträger in der BRD - ebenso wie diejenigen im anderen Teile Deutschlands - jeweils nur an Berechtigte ihres Gebietsbereiches leisten, und zwar auch an solche, deren Berechtigung auf einer früheren Versicherung im anderen Gebiet beruht. Die Klägerin habe jedoch während des streitigen Zeitraums in dem zum Ausland gehörenden Hoheitsgebiet Polens gewohnt. Gerade für einen solchen Fall habe der Gesetzgeber aber in § 615 RVO aF und in der diese Vorschrift einschränkenden Bestimmung des § 8 FAG die Zahlung einer Rente nicht davon abhängig gemacht, ob der Berechtigte von dem Versicherungssystem des anderen Landes erfaßt wird, sondern eine einschränkende Regelung allein dahin getroffen, daß der deutsche Versicherungsträger nur insoweit mit der Leistungspflicht ins Ausland belastet werden solle, als während der Dauer der zur Entschädigungspflicht führenden Beschäftigung ein Zusammenhang mit dem Bundesgebiet bestanden habe.

Die Frage, ob devisenrechtliche Gründe einer Überweisung der Rente entgegengestanden hätten, bedürfe keiner Prüfung, da die Klägerin jetzt ihren Wohnsitz im Bundesgebiet habe.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Mit der Revision rügt die Beklagte die Nichtanwendung des Wohnsitzgrundsatzes auf den vorliegenden Fall. Das LSG lasse den Grundsatz, wonach die Versicherungsträger in der Bundesrepublik nur an die Berechtigten innerhalb ihres Gebietsbereichs zu leisten haben, lediglich für die in der SBZ und in Ost-Berlin wohnenden und von den dortigen Sozialversicherungssystemen erfaßten Versicherten und Hinterbliebenen gelten. Es sei aber nicht einzusehen, warum es im vorliegenden Fall anders sein solle, in dem die Klägerin die Nachzahlung für eine Zeit beanspruche, in der sie in einem anderen Ostblockland, nämlich in Polen, gewohnt habe. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinem Urteil vom 20. September 1956 (BSG 3, 286) den Wohnsitzgrundsatz als den tragenden Grundsatz für die Entwirrung der sozialrechtlichen Beziehungen desselben Versicherten in deutschen Staatsgebieten mit verschieden gestaltetem Sozialversicherungsrecht bezeichnet, der auch dort anzuwenden sei, wo eine ausdrückliche gesetzliche Regelung noch aussteht. Dieser Grundsatz sei - so meint die Beklagte - dementsprechend auch zur Entwirrung der sozialrechtlichen Beziehungen desselben Versicherten in deutschen und nichtdeutschen - hier östlichen - Staatsgebieten dann und insoweit anzuwenden, als die Sozialversicherungsrechte der Bundesrepublik und ostwärtiger Staatsgebiete ebenso unterschiedlich gestaltet seien wie im Verhältnis der BRD zum anderen Teil Deutschlands. Demgemäß müsse ein Versicherter oder der Hinterbliebene eines Versicherten nach dem Wohnsitzgrundsatz sowohl dann behandelt werden, wenn er in der SBZ oder in Ost-Berlin, wie wenn er in einem anderen östlichen Staat in das dort bestehende Sozialversicherungssystem eingeordnet sei. Dabei sei es unerheblich, ob er dort im Einzelfall die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung erfülle oder nicht; ebensowenig komme es auf die tatsächliche Gewährung einer Leistung an. Der Wohnsitzgrundsatz sei auch herrschender Rechtsgrundsatz im sozialversicherungsrechtlichen System der Ostblockstaaten.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie des Urteils des Sozialgerichts Duisburg vom 3. Dezember 1962 die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Seit dem Inkrafttreten des FAG im Jahre 1952 - so führt sie aus - hätte die Beklagte die unterbrochene Rentenzahlung wiederaufnehmen müssen. Eines besonderen Antrages hätte es dazu nicht bedurft, weil sie ihren früheren Wohnsitz bis 1957 unverändert beibehalten habe. Parallelen zu der Regelung hinsichtlich der Rentenberechtigten im anderen Teil Deutschlands könnten nicht gezogen werden, weil sie in Polen, also im Ausland gelebt habe. Schließlich müsse auch zwischen bereits bewilligten und jahrelang gezahlten Renten und erst neu beantragten Renten unterschieden werden.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Das LSG hat den Anspruch der Klägerin auf Rentennachzahlung zutreffend nach den für Leistungen an Inländer im Ausland geltenden Vorschriften der RVO und des FAG beurteilt. Die Klägerin - deutsche Staatsangehörige und damit Inländerin - hat sich während des Zeitraums, um den es hier geht, im Ausland aufgehalten. Ihr damaliger ständiger Wohnort R. gehört nicht zum Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 (vgl. § 1 Abs. 7 FAG), sondern zum polnischen Staatsgebiet. Es besteht kein hinreichender rechtlicher Grund, auf den Aufenthalt in diesem Gebiet nicht die für den Aufenthalt im Ausland geltenden Vorschriften der deutschen Sozialversicherungsgesetze anzuwenden. Der Senat vermag der Auffassung der Revision nicht zu folgen, für den Aufenthalt in "östlichen Staatsgebieten" bzw. in "Ostblockländern" müsse statt dessen allgemein der Wohnsitzgrundsatz mit der Folge gelten, daß die Versicherungsträger der BRD nur an Berechtigte in ihrem Gebietsbereich und demgemäß auch nur für die Zeit ihres Aufenthalts in diesem Bereich zu leisten hätten. Die Anwendung dieses Wohnsitzgrundsatzes ist durch die Rechtsprechung (vgl. BSG Bd. 3, S. 286, 292, Bd. 5 S. 60, 62, Bd. 11 S. 271, 272, Bd. 17 S. 144, 145) zur Regelung der Verhältnisse zwischen Versicherungsträgern und Berechtigten im zweigeteilten Deutschland entwickelt worden. Sie beruht auf der Auffassung, daß zwar die staats- und völkerrechtliche Einheit Deutschland fortbesteht, die beiden Teile infolge der faktischen Auseinanderentwicklung seit der Teilung aber kein einheitliches Rechtsgebiet mehr bilden; für diese besondere Situation mußte eine gerechte und praktikable Lösung gefunden werden. Auf das gesetzlich geregelte Auslandsrentenrecht hat die Entwicklung dieser speziell für die Entwirrung der innerdeutschen sozialrechtlichen Verhältnisse bestimmten Regeln keinen Einfluß. Der Gesetzgeber hat das bis dahin geltende Auslandsrecht durch die Vorschriften des Abschnitts II des FAG vom 7. August 1953 ergänzt und damit auch den Veränderungen, die sich durch Kriegs- und Nachkriegsentwicklungen im Verhältnis zum Ausland ergeben haben, Rechnung getragen. Neben - und praktisch entgegen - dieser gesetzlichen Regelung ein völlig selbständiges Auslandsrecht für die Einwohner der nicht zum Deutschen Reich nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 gehörenden Gebiete der "Ostblockstaaten" zu entwickeln, erscheint dem Senat daher weder geboten noch überhaupt statthaft. Auch der Umstand, daß diese Staaten - wie die Beklagte behauptet - in ihrem Verhältnis untereinander auf dem Gebiet der Sozialversicherung den Wohnsitzgrundsatz anwenden, vermag hieran nichts zu ändern.

Da die Klägerin Nachzahlung der ihr seit 1925 zuerkannten Unfallwitwenrente für die Zeit vom 1. April 1953 bis zum 1. März 1957 fordert, kommt es darauf an, ob ihr auch während dieser Zeit, in der sie sich im Ausland aufgehalten hat, ein Anspruch auf die Leistung zustand. Das LSG hat zutreffend festgestellt, daß § 615 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF dem nicht entgegensteht. Nach dieser Vorschrift ruht die Rente, solange sich der berechtigte Inländer im Ausland aufhält und es unterläßt, der Genossenschaft seinen Aufenthaltsort mitzuteilen. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin der Beklagten ihren Aufenthalt mitgeteilt, was schon daraus hervorgeht, daß ihr die Rente dorthin bis Dezember 1944 überwiesen wurde. Da sie Wohnort und Wohnung seit der Mitteilung beibehalten hat, bedurfte es zur Vermeidung des Ruhens nach § 615 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF auch keiner neuen Mitteilung; hierfür kann es nicht darauf ankommen, ob der Wohnort R. während der vorübergehenden "Eingliederung" des Warthelandes in das Reich nach dem Erlaß über die Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8. Oktober 1939 (RGBl I, 2042) rückschauend zum Inland oder zum Ausland zu rechnen ist. Der Umstand, daß die "Eingliederung" spätestens mit der Kapitulation 1945 ihre Wirkung verlor, begründet keine neue Mitteilungspflicht der Klägerin. Im übrigen hat das LSG zutreffend ausgeführt, daß die Erfolglosigkeit der wiederholten Versuche der Klägerin, nach dem Kriege mit der Beklagten in Verbindung zu treten, nicht auf ihrem Verschulden beruhte und ihr daher nach § 615 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 RVO aF nicht zum Nachteil gereichen kann.

Da sich die Klägerin in der Zeit, für die sie die Rentenzahlung beansprucht, im Gebiet eines auswärtigen Staates aufgehalten hat, richtet sich ihr Anspruch weiter nach Abschnitt II des am 1. April 1952 in Kraft getretenen FAG. Durch die Vorschriften dieses Abschnitts werden - im Unterschied zu Abschnitt I (Fremdrenten) - keine neuen Ansprüche begründet, sondern nur die Voraussetzungen festgelegt, unter denen die Versicherungsträger in der BRD bei Auslandsaufenthalt der Berechtigten leistungspflichtig sind (BSG 7, 262; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 6. Aufl. S. 296 b X). Hiernach haben ua die sich im Gebiet eines auswärtigen Staates aufhaltenden Hinterbliebenen von Personen, die in der gesetzlichen UV nach Reichs- oder Bundesrecht versichert waren, Anspruch auf Leistungen gegen den zuständigen Versicherungsträger im Bundesgebiet aus Arbeitsunfällen, die im Bundesgebiet eingetreten sind (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 FAG). Da es sich insoweit eindeutig um eine gebietsmäßige Abgrenzung handelt, sind unter Unfällen im Bundesgebiet auch solche zu verstehen, die sich dort vor Errichtung der BRD und auch vor dem Zusammenbruch des Reiches ereignet haben. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt; der Ehemann der Klägerin ist in dem heute zum Lande Nordrhein-Westfalen gehörenden Ort O tödlich verunglückt.

Auch hinsichtlich der Zuständigkeit des Versicherungsträgers, die in § 8 Abs. 2 FAG geregelt ist, können im vorliegenden Fall keine Zweifel bestehen. Jedoch bestimmt der dritte und letzte Satz dieses Absatzes, daß die Leistungen "auf Antrag" gewährt werden. Wenn hiermit auch zweifellos eine besondere zusätzliche Voraussetzung für die Leistung ins Ausland aufgestellt wird (s. Brackmann aaO S. 296 b X), so ist doch deren Bedeutung nach Umfang und Wirkung keineswegs eindeutig. Es kann zunächst zweifelhaft sein, ob sich das Antragserfordernis nach § 8 Abs. 2 Satz 3 FAG nicht überhaupt nur auf Unfälle erstreckt, die sich seit Inkrafttreten des FAG (1. April 1952) ereignet haben, da wegen vorher eingetretener Unfälle ein Antrag nicht erforderlich war (so offenbar Hoernigk/Jahn/Wickenhagen, Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz, 2. Aufl. Anm. 23 zu § 8 Abs. 2). Dagegen spricht allerdings, daß § 8 FAG nicht den Leistungsanspruch als solchen, der ja vorausgesetzt wird, sondern die Gewährung der Leistung ins Ausland regelt, und daß der Antrag gerade hierfür gefordert wird. Aber auch unter diesem Gesichtspunkt wäre der Antrag dann nicht mehr als erforderlich anzusehen, wenn die materiellen Anspruchsvoraussetzungen überhaupt und die zusätzlichen Voraussetzungen für die Leistung ins Ausland bereits vor dem Inkrafttreten des FAG vorgelegen haben. Das trifft insbesondere auf die Fälle zu, in denen bis zum Kriege oder - wie im vorliegenden Fall bis zum Zusammenbruch Leistungen in das Ausland gewährt worden sind und sich die Voraussetzungen nicht geändert haben. Hier kann die Verpflichtung zur Weitergewährung nicht durch das später eingeführte Antragserfordernis eingeschränkt werden (so Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen BGen vom 16. September 1955 - VB 106/55 - zur Frage der Nachzahlung von Auslandsrenten an Ausländer, die nach dem Übereinkommen Nr. 19 der Internationalen Arbeitsorganisation Inländern gleichgestellt sind; für Inländer selbst könnte nichts anderes gelten). Indessen kann die Frage, ob sich das Antragserfordernis nach § 8 Abs. 2 Satz 3 FAG auf neue Auslandsleistungsfälle beschränkt, hier letztlich offen bleiben. Geht man nämlich von der Auffassung aus, daß der Leistungsanspruch in Fällen wie dem vorliegenden erst durch das Auslandsrentenrecht nach dem FAG wieder wirksam geworden und demgemäß auch ein besonderer, auf die Wiedergewährung gerichteter Antrag erforderlich sei, so sind hier zu Gunsten der Klägerin die Übergangsvorschriften des § 17 Abs. 1 und 2 FAG anzuwenden. Hiernach beginnt bei früheren Versicherungsfällen die Leistung mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des FAG, also mit dem 1. April 1952, auch dann, wenn der Antrag nachher, spätestens aber bis zum Ablauf eines Jahres nach der Verkündung des Gesetzes, also bis zum 10. August 1954, gestellt wird. Diese Antragsfrist läuft aber für Antragsteller, die sich - wie die Klägerin - am 1. April 1952 in einem auswärtigen Staat aufgehalten haben, darüber hinaus weiter bis zum Ende des auf die Errichtung einer amtlichen Vertretung der BRD im Aufenthaltsland folgenden Kalenderjahres (§ 17 Abs. 2 FAG). Das bedeutet, daß die in Polen lebende Klägerin den Antrag auf Zahlung der Rente rückwirkend zum 1. April 1952 dort noch bis zuletzt stellen konnte. Dieses Recht ist ihr jedenfalls nicht unmittelbar durch die Übersiedlung in das Gebiet der BRD verloren gegangen. Ihr alsbald nach der Übersiedlung hier gestellter Antrag kann keine geringere Wirkung haben als ein noch unmittelbar vor der Abreise aus Polen abgeschickter Antrag. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift über die Verlängerung der Antragsfrist hat der Zuzug in die BRD etwa die gleiche Bedeutung wie die Errichtung einer amtlichen Vertretung im Aufenthaltsland; er verschafft dem Berechtigten die praktische Möglichkeit, sich über die Rechtslage zu informieren und mit dem Versicherungsträger in Verbindung zu setzen.

Nun enthält allerdings § 17 Abs. 1 FAG noch die einschränkende Bestimmung, daß die Leistung "frühestens mit dem Zeitpunkt der Begründung des Wohnsitzes des Berechtigten im Bundesgebiet oder im Land Berlin" beginnt. Jedoch kann diese Einschränkung naturgemäß auf Auslandsrenten keine Anwendung finden (so Brackmann aaO S. 296 c), weil sie dort widersinnig wäre; die Zahlung einer Leistung in das Ausland kann schon begrifflich nicht den Aufenthalt im Inland zur Voraussetzung haben. Vielmehr betrifft diese Einschränkung ganz eindeutig diejenigen Leistungen, auf die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 FAG nur bei ständigem Aufenthalt im Bundesgebiet oder im Land Berlin ein Anspruch besteht. Für die Nachzahlung einer Auslandsrente kann sie auch dann keine Bedeutung haben, wenn diese nachträglich im Inland begehrt wird. Auch Satz 3 des § 17 Abs. 1 FAG, wonach Nachzahlungen für "zurückliegende Zeiten" nicht stattfinden, betrifft den Anspruch der Klägerin nicht. Er bezieht sich nach dem Zusammenhang eindeutig auf Zeiten vor dem Inkrafttreten des FAG, also vor dem 1. April 1952; für diese Zeiten macht die Klägerin aber keine Ansprüche mehr geltend. Da mit dem Inkrafttreten des FAG ua auch die Sozialversicherungsanordnung Nr. 1 vom 29. Januar 1947 über die Rentenzahlungen an Flüchtlinge außer Kraft getreten ist (§ 20 Abs. 2 b FAG) sind deren Vorschriften für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung.

Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin während des hier streitigen Zeitraums keine Leistungen polnischer Versicherungsträger erhalten; es bedarf daher keiner Prüfung, ob und inwieweit etwa die Gewährung solcher Leistungen sich auf den hier geltend gemachten Anspruch ausgewirkt haben könnte. Es braucht auch nicht geprüft zu werden, ob etwa devisenrechtliche Bestimmungen einer Überweisung der Rente nach Polen entgegengestanden hätten, denn die Klägerin wohnt nunmehr im Gebiet der BRD.

Da hiernach der Anspruch der Klägerin auf jeden Fall begründet ist, war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -.

Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 i.V.m. §§ 153, 165 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2374841

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