Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbeschädigter. Ausscheiden aus dem Arbeitsleben. Glaubhaftmachen. Altersruhegeld, vorzeitiges. Arbeitslosigkeit
Leitsatz (amtlich)
Wer auch ohne seine schädigungsbedingte Schwerbehinderung sozial gesichert – zB durch einen Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit – vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden könnte, kann nicht glaubhaft machen, daß er ohne die Schädigungsfolgen noch erwerbstätig wäre.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3; BSchAV § 8 Abs. 1 S. 3; SGB VI § 38
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 27.09.1993; Aktenzeichen L 4 V 63/92) |
SG Speyer (Urteil vom 25.08.1992; Aktenzeichen S 3 V 133/91) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. September 1993 abgeändert.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 25. August 1992 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger schied mit 59 Jahren nach Abschluß einer Aufhebungsvereinbarung mit seinem Arbeitgeber aus dem Arbeitsleben aus. Er meldete sich aber nicht arbeitslos, sondern lebte zunächst von der Abfindung, die ihm sein Arbeitgeber zahlte. Nach einem Jahr wurde ihm das vorgezogene Altersruhegeld wegen anerkannter Schwerbehinderung bewilligt. Da die Schwerbehinderung mit 30 vH auf einer Kriegsbeschädigung beruht, beantragte der Kläger wegen des Minderverdienstes Berufsschadensausgleich. Die Verwaltung lehnte den Antrag ab, weil der Kläger nicht schädigungsbedingt, sondern wegen der ihm von seinem Arbeitgeber und vom Rentenversicherungsrecht gebotenen günstigen Möglichkeit vorzeitig die Arbeit aufgegeben habe (Bescheide vom 14. August 1990 und vom 13. September 1991). Das Sozialgericht (SG) hat diese Ansicht bestätigt und ausgeführt, daß der Grundsatz der freien Beweiswürdigung die Abwägung aller Umstände gebiete und die Anwendung von Beweisregeln ausschließe. Hier spreche nach der Überzeugung des Gerichts mehr gegen als für einen maßgeblichen Einfluß der Schädigungsfolgen auf den Entschluß des Klägers, den Beruf vorzeitig aufzugeben (Urteil vom 25. August 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Verwaltung zur Zahlung von Berufsschadensausgleich verurteilt und in Anlehnung an die Rechtsprechung des Senats ausgeführt, daß die von der Verwaltung und dem SG befürwortete Ursachen- und Motivforschung praktisch nie zu einem überzeugenden Ergebnis führen könne. Aus der Verbindung von Kriegsopferrecht und Rentenversicherung folge, daß bei Rentenbezug wegen schädigungsbedingter Schwerbehinderung regelmäßig angenommen werden müsse, daß die Schädigung die wesentliche Ursache für den Rentenbezug und für das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben sei (Urteil vom 27. September 1993).
Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Er beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist begründet. Das LSG hätte das Urteil des SG im Ergebnis bestätigen müssen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Berufsschadensausgleich.
Entgegen der Meinung des SG und des Beklagten ist dieses Ergebnis nicht davon abhängig, daß die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Berufsschadensausgleich bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben geändert wird. Bei folgerichtiger Beachtung der rechtlichen Erwägungen, die der bisherigen Rechtsprechung zugrunde liegen, handelt es sich hier um einen der Fälle, in denen die Beweiserleichterung für den Ursachenzusammenhang zwischen Schädigungsfolge und Berufsaufgabe nicht zum Erfolg führen kann. Der Senat leitet die Beweiserleichterung aus dem Zusammenwirken der Vorschriften des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) und des Bundesbeamtengesetzes (BBG) über die vorzeitige Berentung oder Ruhestandsversetzung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) her. Nach diesen Vorschriften wird ein Schwerbehinderter, wenn er es nur will, so behandelt, als sei er erwerbs- oder dienstunfähig. Die Schwerbehinderung muß weder zum vorzeitigen Ausscheiden gezwungen haben, noch muß sie das Motiv für das vorzeitige Ausscheiden gewesen sein. Die Altersversorgung wird bei Erfüllung der Wartezeit allein aufgrund des Antrags und der Vorlage des Schwerbehindertenausweises gewährt. Angesichts des Kausalitätserfordernisses des § 30 Abs 3 BVG wäre wohl die Auffassung vertretbar, daß sich diese Möglichkeit, als Erwerbsunfähiger behandelt zu werden, im BVG nicht auswirkt. Der Beklagte verlangt aber selbst nicht, daß die schädigungsbedingte Schwerbehinderung den Beschädigten gezwungen hat, die Arbeit aufzugeben. Er verlangt nur, daß die Schwerbehinderung der Grund, also das Motiv, für das Ausscheiden war. Der Senat folgt dieser Auffassung grundsätzlich, meint aber, daß das Gesetz es der Versorgungsverwaltung nicht überträgt, mit den üblichen Beweismitteln zu überprüfen, ob die Behauptung der anspruchstellenden Beschädigten zutrifft, die schädigungsbedingte Schwerbehinderung sei der entscheidende Grund für das vorzeitige Ausscheiden gewesen. Richtig ist, daß die anspruchstellenden Beschädigten behaupten müssen, sie hätten ohne die Schädigung bis zur regulären Altersgrenze weitergearbeitet. In Anlehnung an § 8 Abs 1 Satz 3 der Berufsschadensausgleichsverordnung hat der Senat entschieden, daß diese Behauptung im allgemeinen glaubhaft ist, wenn der Beschädigte sich zumindest wesentlich auch auf seine schädigungsbedingte Schwerbehinderung berufen mußte, um sozial gesichert vorzeitig aus dem Arbeitsleben auszuscheiden. Sinkt das Einkommen eines schädigungsbedingt Schwerbehinderten, weil er das vorgezogene Altersruhegeld in Anspruch nimmt, sind nach dieser Beweiswürdigungsregel die Schädigungsfolgen regelmäßig die wesentliche Mitursache für den Einkommensverlust (BSG SozR 3100 § 30 Nr 78; SozR 3642 § 8 Nr 7; SozR 3-3100 § 30 Nr 2; SozR 3-3642 § 8 Nrn 1, 3, 4, 5). Zutreffend hat der BMA, der sich dieser Rechtsprechung angeschlossen hat (RdSchr vom 31. Oktober 1991, BABl 1992, Nr 2, 109) darauf hingewiesen, daß danach die Glaubhaftmachung nicht immer gelingt. Das heißt aber nicht, daß die Verwaltung und die Gerichte von Amts wegen nach Umständen forschen müßten, die dagegen sprechen, daß die Behauptung des Beschädigten glaubhaft ist.
Liegt allerdings ein dokumentierter Umstand vor, der ausweist, daß der Beschädigte auch ohne die Schädigung sozial gesichert aus dem Arbeitsleben ausscheiden konnte, gelingt umgekehrt die Glaubhaftmachung in aller Regel nicht. Das hat der Senat bereits in einem Fall entschieden, in dem bei dem Beschädigten ein schädigungsunabhängiger GdB von 50 oder mehr anerkannt war (BSG SozR 3-3642 § 8 Nr 5). In dem hier zu entscheidenden Fall gelingt die Glaubhaftmachung ebensowenig. Der Kläger hat sich zwar bei seinem Antrag auf vorgezogenes Altersruhegeld auf seine schädigungsbedingte Schwerbehinderung und somit auf § 25 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) (= § 1248 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫; jetzt: § 37 SGB VI) berufen. Bei ihm waren aber zum selben Zeitpunkt die Voraussetzungen für den Altersgeldbezug wegen einjähriger Arbeitslosigkeit, also § 25 Abs 2 AVG (= § 1248 Abs 2 RVO; jetzt: § 38 SGB VI) erfüllt. Die Vorschrift fordert lediglich Arbeitslosigkeit, nicht die – hier fehlende – Arbeitslosmeldung. Bei dieser eindeutigen und unbestrittenen Sachlage ist es ausgeschlossen, daß der Kläger glaubhaft machen kann, ohne seine schädigungsbedingte Schwerbehinderung hätte er sich nicht auf die Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber eingelassen, die ihm das vorzeitige Ausscheiden mit dem vorzeitigen Altersruhegeld nach § 1248 Abs 2 RVO ermöglichte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen