Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtanwendung des § 45 SGB 10 auf nachträgliche Honorarberichtigung. Vergütungsausschluß für Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten oder Vertreters
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anwendung des § 45 SGB 10 auf nachträgliche Honorarberichtigungen ist auch im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung durch Sondervorschriften ausgeschlossen.
2. Für Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten oder Vertreters steht dem Vertrags(zahn)arzt kein Vergütungsanspruch zu.
Normenkette
SGB X § 45 Abs. 4 S. 2 Fassung: 1988-07-20; BMV-Z § 19; ZO-Zahnärzte § 32 Abs. 2 Fassung: 1957-05-28
Beteiligte
…, Kläger und Revisionskläger |
Kassenzahnärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe, Münster, Auf der Horst 25, Beklagte und Revisionsbeklagte |
1.Innungskrankenkasse Lemgo, Lemgo, Bismarckstraße 28, 2.Innungskrankenkasse Detmold, Detmold, Blomberger Straße 13, 3.Innungskrankenkasse Herford, Heford, Fürstenaustraße 4, 4.Innungskrankenkasse Paderborn, Paderborn,.. |
Verfahrensgang
SG Münster (Entscheidung vom 03.09.1992; Aktenzeichen S 2 (12) Ka 24/89) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 23.03.1994; Aktenzeichen L 11 Ka 140/92) |
Tatbestand
Der Kläger war von 1969 bis 1991 als Kassenzahnarzt zugelassen. Von 1979 bis Ende 1987 beschäftigte er in seiner Praxis den britischen Zahnarzt D. L. (L) als Assistenten, obwohl dieser weder über eine Berufsausübungserlaubnis noch über eine deutsche Approbation verfügte. Die Beschäftigung wurde der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) nicht angezeigt. In der Zeit vom 25. September 1986 bis 9. März 1987, in der sich der Kläger in stationärer Krankenhausbehandlung befand, führte L die Praxis weiter; die von ihm erbrachten Leistungen wurden vom Kläger gegenüber der KZÄV abgerechnet.
Anträge der Krankenkassen auf Erstattung der im Zusammenhang mit der ungenehmigten Assistenten- und Vertretertätigkeit gezahlten Vergütungen führten im Sommer 1988 zur Einleitung eines Schlichtungsverfahrens, das mangels Mitwirkung des Klägers scheiterte. Nachdem die Beklagte und die Krankenkassen sich in Anlehnung an den Schlichtungsvorschlag auf die Erstattung zu Unrecht geleisteter Gesamtvergütungen für die Abrechnungszeiträume IV/1986 und I/1987 in Höhe von 150.000,-- DM geeinigt hatten, berichtigte die Beklagte mit Bescheid vom 1. März 1989 und Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 1989 die Honorarabrechnungen für die genannten Quartale und forderte den Betrag von 150.000,-- DM vom Kläger zurück.
Das dagegen angerufene Sozialgericht (SG) hat den Berichtigungsbescheid aufgehoben, weil die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Rücknahme der fehlerhaften Honorarbescheide nicht eingehalten worden sei. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen. Unabhängig davon, ob § 45 SGB X auf Honorarberichtigungen überhaupt Anwendung finde, seien die Voraussetzungen der Vorschrift jedenfalls erfüllt. Dem Kläger habe für die Leistungen des nicht genehmigten Vertreters kein Honorar zugestanden. Auf Vertrauensschutz könne er sich wegen grober Fahrlässigkeit nicht berufen. Die Handlungsfrist gemäß § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X, die im Oktober 1987 zu laufen begonnen habe, sei während der Dauer des Schlichtungsverfahrens von August 1988 bis Februar 1989 gehemmt und demzufolge bei Erlaß des angefochtenen Bescheides noch nicht abgelaufen gewesen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 45 SGB X. Die Vorschrift sei ungeachtet der vom Berufungsgericht geäußerten Zweifel auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Die in § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X für das Tätigwerden der Behörde normierte Frist diene der Herstellung des Rechtsfriedens. Ihr Ablauf könne deshalb nicht durch die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens gehemmt werden, zumal wenn sich der betroffene Arzt einem solchen Verfahren ausdrücklich widersetze. Abgesehen davon sei ihm zu Unrecht grobe Fahrlässigkeit unterstellt worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. März 1994 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 3. September 1992 zurückzuweisen.
Die Beklagte sowie die Beigeladenen zu 5., 8. und 9. beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die übrigen Beteiligten haben im Revisionsverfahren keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Bei der umstrittenen Honorarberichtigung handelt es sich der Sache nach um die nachträgliche Richtigstellung der für die Quartale IV/1986 und I/1987 eingereichten Honorarabrechnungen, verbunden mit der Aufhebung der für diese Quartale erteilten Honorarbescheide und der Rückforderung der an den Kläger gezahlten Vergütungen. Wie der Senat für den Bereich der kassenärztlichen Versorgung mehrfach entschieden hat, unterliegt die Rücknahme der bestandskräftigen Honorarbescheide in derartigen Fällen nicht den Einschränkungen des § 45 Abs 4 SGB X, sondern richtet sich nach den speziellen gesamtvertraglichen Vorschriften über das Verfahren der rechnerischen und sachlichen Prüfung und Richtigstellung der kassenärztlichen Honorarabrechnungen. Da diese Bestimmungen für die von ihnen erfaßten Sachverhalte eine eigene, abschließende Regelung der Rücknahmevoraussetzungen treffen, gehen sie gemäß § 37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften über die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte vor und schließen deren Anwendung aus (Urteile vom 26. Januar 1994 ≪BSGE 74, 44 = SozR 3-1300 § 45 Nr 21≫, vom 24. August 1994 ≪SozR 3-1300 § 45 Nr 22≫ und vom 1. Februar 1995 - 6 RKa 9/94 - ≪zur Veröffentlichung vorgesehen≫).
Für den kassenzahnärztlichen/vertragszahnärztlichen Bereich gilt insoweit nichts anderes. § 19 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z), der den KZÄVen die Aufgabe zuweist, die vom Zahnarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf zu berichtigen, sieht zwar im Unterschied zu § 40 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) nicht ausdrücklich die Möglichkeit vor, sachlich-rechnerische Richtigstellungen auch noch nachträglich, dh nach erfolgter Auszahlung der Honorare durch die KZÄV, vorzunehmen. Jedoch gehen auch die Vertragspartner des BMV-Z von der Zulässigkeit nachgehender Honorarberichtigungen, insbesondere auf Antrag einer Krankenkasse, aus. Das zeigt § 1 Abs 2 der als Anlage 4 zum BMV-Z vereinbarten Verfahrensordnung, der ein Beanstandungsrecht der Krankenkassen ausdrücklich regelt. Nicht anders als der BMV-Ä trägt auch der BMV-Z damit dem Umstand Rechnung, daß die quartalsweise Honorarfeststellung und -auszahlung durch die KZÄV im Interesse einer zeitnahen Vergütung der kassenzahnärztlichen Leistungen zunächst ohne abschließende Klärung der Anspruchsberechtigung allein aufgrund der Angaben des abrechnenden Zahnarztes erfolgt und eine spätere genauere Überprüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung vorbehalten bleibt. Die an die Kassenzahnärzte geleisteten Zahlungen haben zunächst nur vorläufigen Charakter; unrichtige Honorarbescheide können innerhalb der für die Einleitung und Durchführung von Prüfverfahren vorgesehenen Fristen korrigiert werden. Der Kassenzahnarzt muß bis zum Ablauf dieser Fristen mit der Möglichkeit einer nachträglichen Prüfung und Richtigstellung rechnen und kann auf den Bestand des vorab erteilten Honorarbescheides nicht vertrauen.
Im Hinblick auf diese rechtlichen Gegebenheiten kommt es auf die von der Revision im Zusammenhang mit der Auslegung des § 45 Abs 4 SGB X aufgeworfenen Fragen nicht an. Daß im konkreten Fall etwaige gesamtvertraglich vereinbarte Fristen für die Einleitung und Durchführung des Berichtigungsverfahrens nicht eingehalten worden wären, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen und von keinem der Beteiligten vorgebracht worden. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hängt deshalb allein davon ab, ob dem Kläger für die Quartale IV/1986 und I/1987 ein Honoraranspruch zugestanden hat oder nicht. Diese Frage hat das LSG zutreffend verneint.
Wie dem angefochtenen Urteil zu entnehmen ist, bestimmt der Honorarverteilungsmaßstab (HVM) der Beklagten in seinem § 1 Abs 1, daß abrechnungsfähig nur solche Leistungen sind, die entweder vom Kassenzahnarzt persönlich bzw unter seiner Aufsicht und Verantwortlichkeit oder von einem mit Genehmigung der KZÄV beschäftigten Vertreter oder Assistenten ausgeführt worden sind. Eine Vergütung der von L während des Krankenhausaufenthalts des Klägers erbrachten zahnärztlichen Leistungen war danach ausgeschlossen, weil für dessen Tätigkeit als Praxisvertreter keine Genehmigung erteilt worden war.
Die Regelung in § 1 Abs 1 HVM, die der Senat als nicht revisibles Recht gemäß § 562 Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit dem vom Berufungsgericht festgestellten Inhalt der Revisionsentscheidung zugrunde zu legen hat, ist mit Bundesrecht vereinbar. Sie knüpft an die Vorschrift des § 32 Abs 2 der hier noch maßgebenden Zulassungsordnung für Kassenzahnärzte (ZO-Zahnärzte) idF der Verordnung vom 14. Dezember 1983 (BGBl I S 1433) an, die ein Genehmigungserfordernis für die Beschäftigung eines Vertreters oder Assistenten in der kassenzahnärztlichen Praxis ausdrücklich vorsieht. Zweck der Genehmigungspflicht ist die Sicherung und Aufrechterhaltung einer geordneten kassenzahnärztlichen Versorgung. Einerseits soll der Praxisinhaber den Umfang seiner Tätigkeit nicht durch die Anstellung zahnärztlicher Mitarbeiter so weit ausdehnen können, daß eine persönliche Überwachung und Anleitung nicht mehr gewährleistet ist (§ 32 Abs 3 ZO-Zahnärzte). Andererseits muß, insbesondere für den hier einschlägigen Fall der Beschäftigung eines weitgehend selbständig arbeitenden, bei Bedarf als Praxisvertreter fungierenden Entlastungsassistenten (§ 32 Abs 2 Satz 2 ZO-Zahnärzte), sichergestellt werden, daß der Betreffende über die notwendige berufliche Qualifikation verfügt und die Gewähr für eine ordnungsgemäße Erfüllung der kassenzahnärztlichen Pflichten bietet (vgl dazu und zur Vereinbarkeit der für die Assistenten- und Vertreterbeschäftigung geltenden Einschränkungen mit höherrangigem Gesetzes- und Verfassungsrecht: BSGE 20, 52 = SozR Nr 3 zu § 368c RVO). Bei der Bestimmung des § 32 Abs 2 ZO-Zahnärzte handelt es sich nach alledem nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift. Sie kann vielmehr im Hinblick auf den dargestellten Regelungszweck nur so verstanden werden, daß der Kassenzahnarzt ohne die vorgeschriebene Genehmigung der KZÄV Leistungen durch einen Vertreter oder Assistenten zu Lasten der Krankenkassen nicht erbringen kann. Dem trägt der HVM der Beklagten mit dem vorgesehenen Vergütungsausschluß Rechnung.
Ein Erstattungsanspruch der Beklagten entfällt schließlich nicht deshalb, weil den Krankenkassen durch die Tätigkeit des nicht genehmigten Vertreters Kosten für eine anderweitige Behandlung erspart worden sind. Der Senat hat in anderem Zusammenhang für den Fall eines vertraglich vereinbarten Vergütungsausschlusses bereits entschieden, daß ein Kassen(zahn)arzt die Bezahlung vorschriftswidrig erbrachter und deshalb nicht vergütungsfähiger Leistungen nicht auf dem Umweg über einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verlangen kann (Urteil vom 4. Mai 1994 ≪BSGE 74, 154, 158 = SozR 3-2500 § 85 Nr 6 S 35 f≫). Für den hier zu beurteilenden Sachverhalt gilt nichts anderes. Dabei kann offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen sich bereicherungsrechtliche Grundsätze des bürgerlichen Rechts gegebenenfalls als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens auf öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse übertragen lassen. Denn eine entsprechende Anwendung dieser Grundsätze kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn dadurch die Zweckbestimmung öffentlich-rechtlicher Vorschriften unterlaufen würde. Das aber würde geschehen, wenn der Kläger Leistungen seines Praxisvertreters, für die ihm nach den einschlägigen Rechtsvorschriften kein Honorar zustand, über einen Wertersatzanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung im Ergebnis dennoch vergütet bekäme.
Die Revision war danach mit der Kostenfolge aus § 193 Abs 1 und 4 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 517744 |
Breith. 1996, 280 |
ZauR 1998, 18 |