Entscheidungsstichwort (Thema)
Wesen der Schwerstbeschädigtenzulage
Leitsatz (amtlich)
Das Ruhen der Schwerstbeschädigtenzulage eines Ruhestandsbeamten richtet sich nach BVG § 65 Abs 1 Nr 2. BVG § 65 Abs 2 gilt nur für aktive Beamte. BVG § 65 Abs 3 ist auf die Schwerstbeschädigtenzulage nicht entsprechend anwendbar.
Leitsatz (redaktionell)
Die Schwerstbeschädigtenzulage ist nach ihrem Charakter und ihrer Zweckbestimmung eine besondere Form derjenigen Rente, die dem Beschädigten - vornehmlich in Gestalt der Grundrente - für die Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit und zum Ausgleich für Mehraufwendungen infolge der Schädigung gewährt wird.
Normenkette
BVG § 31 Abs. 5 S. 1 Fassung: 1966-12-28, § 65 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1964-02-21, Abs. 3 Fassung: 1966-12-28, Abs. 2 Fassung: 1964-02-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. April 1975 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Dem Kläger sind nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. anerkannt. Als ehemaliger Wehrmachtsbeamter bezieht er auch Versorgung nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes - GG - (G 131). Nachdem zunächst die Grundrente in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem Unfallruhegehalt und dem Ruhegehalt nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen geruht hatte, später das Ruhen wegen Umstellung der Versorgung des Klägers auf Kriegsunfallversorgung (§ 181 a des Bundesbeamtengesetzes - BBG -) entfallen war und die das Ruhegehalt zahlende Stelle schließlich ab 1. Februar 1963 wieder zur Zahlung von Dienstunfallversorgung übergegangen war, beließ das Versorgungsamt (VersorgA) Landau dem Kläger unter Anrechnung des zu dieser Zeit allein in Betracht kommenden und mit der Grundrente betragsmäßig übereinstimmenden Unfallausgleichs von 200,- DM monatlich nur noch die ihm inzwischen bewilligte Schwerstbeschädigtenzulage. Dabei verblieb es auch nach Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 31. August 1965 (BGBl I 1007) bis das VersorgA feststellte, daß dem Kläger neben dem Unfallausgleich auch noch ein das allgemeine beamtenrechtliche Ruhegehalt übersteigendes Unfallruhegehalt gewährt wurde. Nunmehr stellte es durch Bescheid vom 1. März 1973 ab 1. Mai 1973 auch die Zahlung der Schwerstbeschädigtenzulage mit der Begründung ein, der Anspruch auf Versorgung nach dem BVG ruhe gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 2 BVG aufgrund der höheren beamtenrechtlichen Unfallfürsorge in voller Höhe.
Widerspruch, Klage und Berufung, mit denen der Kläger jeweils geltend machte, ein Ruhen der Schwerstbeschädigtenzulage komme nicht in Betracht, da es eine entsprechende Leistung im Beamtenrecht und mithin auch eine Doppelversorgung in diesem Punkt nicht gebe, blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 1973, Urteil des Sozialgerichts - SG - Speyer vom 20. Juni 1974, Urteil des Landessozialgerichts -LSG-Rheinland-Pfalz vom 29. April 1975). Das LSG hat die Revision nicht zugelassen und zur Begründung seines Urteils ausgeführt, bei Feststellung des Ruhens der Versorgungsbezüge nach dem BVG seien diese Bezüge zwar ohne Anrechnung beamtenrechtlicher Unfallfürsorgeleistungen zu ermitteln, aber nur insoweit zu zahlen, als sie über dem Unterschiedsbetrag zwischen der allgemeinen Beamtenpension und den Unfallfürsorgeleistungen lägen. Deshalb entfalle hier eine Zahlungsverpflichtung der Versorgungsverwaltung. Die vom Kläger bestrittene Doppelversorgung liege im Zusammentreffen der auf demselben Schädigungstatbestand beruhenden Versorgungsansprüche einerseits und der beamtenrechtlichen Unfallfürsorgeleistungen andererseits. Entgegen der Auffassung des Klägers verbiete es der Gleichheitsgrundsatz, einem beschädigten Beamten die Schwerstbeschädigtenzulage ohne Rücksicht darauf zu zahlen, daß ihm wegen der gleichen Schädigung bereits die höheren Leistungen der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge zufließen.
Die durch Beschluß des Senats vom 26. November 1975 zugelassene Revision hat der Kläger am 23. Dezember 1975 eingelegt und innerhalb der bis zum 9. März 1976 verlängerten Revisionsbegründungsfrist begründet. Er rügt eine Verletzung des § 65 Abs. 1 Nr. 2 BVG. Die Vorschrift, die beim Zusammentreffen mehrerer auf gleicher Ursache beruhender Ansprüche Doppelleistungen aus öffentlichen Mitteln verhindere, könne nur insoweit eingreifen, als bereits nach beamtenrechtlichen Vorschriften besondere Leistungen erbracht würden, die ausschließlich zum Ausgleich der bestehenden Schädigungsfolgen bestimmt seien (vgl. BSG 15, 23). Das treffe zwar für die Grundrente zu, weil nach § 139 Abs. 1 BBG ein Unfallausgleich in Höhe der Grundrente nach § 31 Abs. 1 - 3 BVG gezahlt werde. Für die bei gleicher Funktion gleichermaßen unantastbare Schwerstbeschädigtenzulage fehle es jedoch an einer entsprechenden Ausgleichsregelung im Beamtenrecht. Die Schwerstbeschädigtenzulage müsse mithin nicht zur Vermeidung einer Doppelversorgung aus öffentlichen Mitteln ruhen. Dementsprechend sehe auch die Verwaltungsvorschrift (VV) Nr. 5 zu § 65 BVG - bezogen auf die Leistungen zur Abgeltung eines besonderen Aufwandes - ein Ruhen nur bei gleichartigen Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. aus dem Beamtenrecht vor, an denen es hier fehle.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 29. April 1975 und des SG Speyer vom 20. Juni 1974 sowie des Bescheides des Versorgungsamtes Landau vom 1. März 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 1973 den Beklagten zu verurteilen, ihm über den 30. April 1973 hinaus Schwerstbeschädigtenzulage zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist zulässig (§§ 160, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), kann aber sachlich keinen Erfolg haben.
Streitig ist unter den Beteiligten, ob der Beklagte berechtigt war, durch Bescheid vom 1. März 1973 mit Wirkung ab 1. Mai 1973 die Zahlung der Schwerstbeschädigtenzulage des Klägers wegen Ruhens dieser Leistung einzustellen. Das trifft zu.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Beklagte seine früheren Bescheide für die Zukunft geändert, soweit darin die Auszahlung der Schwerstbeschädigtenzulage an den Kläger angeordnet worden ist. Hierzu war der Beklagte befugt. Denn ab 1. Januar 1966 erhielt der Kläger wegen seiner Schädigungsfolgen aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge nicht mehr nur den Unfallausgleich in Höhe der versorgungsrechtlichen Grundrente als zusätzliche beamtenrechtliche Leistung, sondern darüber hinaus auch das Unfallruhegehalt. Der bis zum Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften geltende Abs. 5 des § 139 BBG, der die Anrechnung des Unfallausgleichs auf die Differenz zwischen dem Unfallruhegehalt und dem Ruhegehalt nach allgemeinen Vorschriften vorsah, wurde nämlich durch den am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen Art. I Nr. 12 des genannten Gesetzes aufgehoben. Ab Januar 1966 erhielt der Kläger somit aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge (§ 134 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 BBG) sowohl den Unfallausgleich (§ 139 BBG) als auch das Unfallruhegehalt (§ 140 BBG). Da ihm beide Ansprüche nur wegen der anerkannten Schädigungsfolgen zustanden, trat ein weiterer Ruhenstatbestand in Höhe des Unterschiedes zwischen dem Unfallruhegehalt und dem Ruhegehalt nach allgemeinen Vorschriften (§ 118 BBG) ein; der Anspruch des Klägers auf Auszahlung der ihm zu dieser Zeit allein noch zufließenden Schwerstbeschädigtenzulage entfiel für die Dauer dieses Ruhenstatbestandes kraft Gesetzes (vgl. BSG 20, 161, 163); dies hatte der Beklagte nur noch bescheidmäßig festzustellen. Das Der Kläger meint jedoch, daß die Schwerstbeschädigtenzulage deshalb zu Unrecht zum Ruhen gebracht worden sei, weil es eine entsprechende Leistung in der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge nicht gebe. Dem kann nicht zugestimmt werden.
Bei Einführung der Schwerstbeschädigtenzulage durch das Erste Neuordnungsgesetz (1. NOG) hat sich der Gesetzgeber von dem Gedanken leiten lassen, daß durch die Bemessung der Rentenhöhe nach der MdE solchen Beschädigten nicht hinreichend Rechnung getragen werden kann, die gesundheitlich über das für die Annahme der Erwerbsunfähigkeit erforderliche Maß hinaus außergewöhnlich betroffen sind. Die Schwerstbeschädigtenzulage soll insbesondere jenen Beschädigten zugute kommen, die an mehreren Gesundheitsstörungen i. S. des § 1 BVG leiden, von denen jede für sich allein betrachtet bereits die Annahme eines hohen MdE-Grades rechtfertigt (vgl. Begründung des Ausschusses für Kriegsopfer- und Hinterbliebenenfragen - 22. Ausschuß - in BT-Drucksache 3. Wahlperiode Nr. 1825 zu § 31). Das Wesen der Schwerstbeschädigtenzulage besteht somit darin, materiell nicht zu vertretende Ungleichheiten in der Versorgung zu vermeiden, die dadurch entstehen, daß bei mehreren schweren Schädigungsfolgen und einer sich daraus im Additionswege ergebenden weit über 100 v. H. hinausgehenden MdE doch nur die der MdE um 100 v. H. entsprechende Grundrente zu zahlen ist. Demgemäß wird die Schwerstbeschädigtenzulage nicht in einer Erhöhung der MdE über 100 v. H. hinaus, sondern in einer an der MdE für die einzelnen Leiden orientierten Punktbewertung erfaßt und leistungsmäßig umgesetzt (vgl. § 2 der DVO zu § 31 Abs. 5 BVG). Damit ist die Schwerstbeschädigtenzulage nach ihrem Charakter und ihrer Zweckbestimmung eine besondere Form derjenigen Rente, die dem Beschädigten - vornehmlich in Gestalt der Grundrente - für die Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit und zum Ausgleich für Mehraufwendungen infolge der Schädigung gewährt wird (vgl. Wilke/Wunderlich, Bundesversorgungsgesetz, 4. Aufl., Anm. II und VI). Der Anspruch auf die Schwerstbeschädigtenzulage ist ein Teil des Anspruchs auf Versorgungsbezüge i. S. von § 65 Abs. 1 BVG (vgl. § 9 Nr. 3 BVG); er ist nicht mit dem Anspruch auf die Grundrente identisch.
Nach dem Grundsatz des § 65 Abs. 1 Nr. 2 BVG ruht bei Ruhestandbeamten der Anspruch auf Versorgungsbezüge schlechthin - also auch der Anspruch auf die Schwerstbeschädigtenzulage - in Höhe des Unterschieds zwischen einer Versorgung nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen und aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge, wenn beide Ansprüche auf derselben Ursache beruhen. Daß die erhöhte beamtenrechtliche Unfallfürsorge einerseits und die Versorgungsbezüge des Klägers einschließlich der Schwerstbeschädigtenzulage andererseits auf den ihm anerkannten Schädigungsfolgen beruhen, ist unter den Beteiligten unstreitig. Ebenso unstreitig ist auch, daß die aus dem Unfallausgleich und dem Mehrbetrag des Unfallruhegehalts gegenüber dem Ruhegehalt nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen bestehende Unfallfürsorge von 605,53 DM die Summe der Grundrente und der Schwerstbeschädigtenzulage des Klägers von 490,00 DM im Zeitpunkt der Ruhensfeststellung überstieg. Der Beklagte hätte daher die Ruhensfeststellung nur dann nicht vornehmen dürfen, wenn er durch § 65 Abs. 2 oder Abs. 3 BVG daran gehindert gewesen wäre. Das trifft jedoch nicht zu.
§ 65 Abs. 2 BVG bezieht sich, wie den Worten "neben Dienstbezügen" zu entnehmen ist, nur auf die noch im Dienst befindlichen Beamten. Daraus erklärt sich auch die hier vorgesehene Beschränkung des Ruhens auf die Grundrente. Denn der aktive Beamte erhält wegen der Schädigungsfolgen, die die Grundrente auslösen, gemäß § 139 Abs. 1 Satz 1 BBG neben den Dienstbezügen einen Unfallausgleich, der nach § 139 Abs. 1 Satz 2 BBG in Höhe der Grundrente (§ 31 Abs. 1 bis 3 BVG) gewährt wird. Dies ist die einzige für den kriegsbeschädigten aktiven Beamten in Betracht kommende Doppelversorgung aus "derselben Ursache".
§ 65 Abs. 2 BVG kann daher nicht zur Begrenzung des beim Ruhestandsbeamten durch § 65 Abs. 1 BVG geregelten Ausmaßes des Ruhens der Versorgungsbezüge ins Feld geführt werden.
Auch die analoge Anwendung des § 65 Abs. 3 BVG über den Kreis der hier und in der VV Nr. 5 zu § 65 BVG erwähnten Leistungen hinaus auf die Schwerstbeschädigtenzulage kommt nicht in Betracht. § 65 Abs. 3 BVG ist zwar insofern eine Ausnahme vom Grundsatz des § 65 Abs. 1 BVG, als die hier genannten Versorgungsleistungen nicht in die umfassend angelegte Ruhensregelung des Abs. 1 einbezogen, sondern einer jeweils nur auf die entsprechende Leistung aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge (und der Unfallversicherung) begrenzten Gegenüberstellung und Anrechnung ausgesetzt werden. Mit dieser Einschränkung folgt aber auch Abs. 3 dem Grundsatz der Verhinderung von Doppelleistungen aus öffentlichen Mitteln wegen derselben Ursache. Der Sinn des Abs. 3 besteht darin, die Sachleistung der Heilbehandlung und den Sachleistungsersatz des Pauschbetrages für Kleider- und Wäscheverschleiß nicht durch Geldleistungen schlechthin oder anderen Zwecken dienende Geldleistungen zu beeinträchtigen. Nach dem oben dargestellten Charakter ist jedoch die Schwerstbeschädigtenzulage weder eine Sachleistung noch ein Sachleistungsersatz, sondern dient in erster Linie dazu, dem Beschädigten eine Entschädigung für die bei ihm gesteigerte Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit zu bieten. Deshalb besteht kein Anlaß zur entsprechenden Anwendung des § 65 Abs. 3 BVG auf diese Leistung. Zum gleichen Resultat führt auch die Erwägung, daß durch das 1. NOG nicht nur die Schwerstbeschädigtenzulage in das BVG aufgenommen worden, sondern auch die Bestimmung des § 65 Abs. 3 BVG neu gefaßt, aber nicht auf die Schwerstbeschädigtenzulage ausgedehnt worden ist, obwohl hierzu nach der Systematik des § 65 BVG dann begründeter Anlaß bestanden hätte, wenn insoweit eine unterschiedliche Behandlung der Grundrente einerseits und der Schwerstbeschädigtenzulage andererseits gewollt gewesen wäre. Daraus kann nur gefolgert werden, daß nach dem Willen des Gesetzgebers Grundrente und Schwerstbeschädigtenzulage gleichmäßig nach dem Grundsatz des § 65 Abs. 1 BVG zu behandeln sind.
Nach alledem muß die Revision zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen