Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Beurteilung, welcher Ehegatte überwiegend zum Familienunterhalt beigetragen hat, sind nur die tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen; unbeachtlich ist die nicht realisierte Möglichkeit, durch eine andere steuerrechtliche Handhabung das Nettoeinkommen der Versicherten und damit deren Beitrag zum Familienunterhalt zu erhöhen.
2. Die Zustimmung der Versicherten, daß ein an sich beiden Ehegatten je zur Hälfte zustehender Freibetrag voll auf der Steuerkarte des Ehemannes eingetragen wird, ist kein Beitrag der Versicherten zum Familienunterhalt.
Normenkette
AVG § 43 Abs 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1266 Abs 1 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 10.07.1979; Aktenzeichen L 2 An 1502/78) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 12.09.1978; Aktenzeichen S 13 An 370/77) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt Witwerrente nach der im April 1975 verstorbenen Versicherten, mit der er kinderlos verheiratet war. Die Versicherte und der Kläger waren beide berufstätig (Steuerkarte IV). In der Zeit zwischen der letzten Höhergruppierung des Klägers im April 1974 und dem Tod der Versicherten im April 1975 überstieg das Bruttoeinkommen des Klägers auch unter Berücksichtigung des vom Kläger an dessen frühere Ehefrau zu zahlenden Unterhalts von monatlich 100,-- DM des Bruttoeinkommen der Versicherten. Der Steuerfreibetrag für das Einfamilienhaus war auf Antrag der Ehegatten in vollem Umfang auf der Steuerkarte des Klägers eingetragen. Ohne entsprechenden Antrag wäre er je zur Hälfte bei jedem Ehegatten berücksichtigt worden; in diesem Falle hätten nach Angabe des Klägers die der Versicherten ausgezahlten Bezüge die an den Kläger ausgezahlten Bezüge abzüglich der Unterhaltszahlung an die frühere Ehefrau überschritten.
Die vom Kläger im August 1975 beantragte Witwerrente lehnte die Beklagte ab, da die Versicherte den Unterhalt der Familie nicht überwiegend bestritten habe (Bescheid vom 2. April 1976; Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1977).
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte zur Zahlung der Witwerrente verurteilt, da als Nettoeinkommen derjenige Betrag zu berücksichtigen sei, der ohne eine von der gesetzlichen Vorschrift abweichende Verfügung der Ehegatten über den Steuerfreibetrag für das Einfamilienhaus ausgezahlt worden wäre (Urteil des SG vom 12. September 1978). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil des LSG vom 10. Juli 1979). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Die Versicherte habe den Unterhalt ihrer Familie während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vom 1. April 1974 bis zum 25. April 1975 nicht überwiegend bestritten. Auszugehen sei von dem um Lohn- und Kirchensteuer verminderten Bruttoentgelt, das für den Kläger 32.318,08 DM und für die Versicherte 28.460,20 DM betragen habe. Von den Bezügen des Klägers sei (in den 13 Monaten) als familienfremde Leistung lediglich die Unterhaltszahlung an die frühere Ehefrau von 1.300,-- DM nicht dem Familienunterhalt zugeflossen. Unerheblich sei demgegenüber, ob eine andere steuerrechtliche Gestaltung (Aufteilung des Steuerfreibetrages) mit der Folge möglich gewesen wäre, daß das nach Abzug der Steuern verbleibende Entgelt des Klägers das der Versicherten um weniger als 1.300,-- DM überstiegen hätte. Denn maßgebend seien allein die tatsächlichen Verhältnisse (Hinweis auf Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 13. März 1979 - 1 RA 33/78 -).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des § 43 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG). Die Versicherte habe durch den Antrag der Ehegatten, den Steuerfreibetrag in vollem Umfang auf der Steuerkarte des Klägers einzutragen, ständig über einen Teil des ihr zustehenden Einkommens zugunsten des Klägers verfügt. Diese Unterhaltsquelle sei dem Kläger - und dies allein sei entscheidend für die Anwendung des § 43 AVG - durch den Tod der Versicherten verlorengegangen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts
vom 10. Juli 1979 aufzuheben und die Berufung
der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Revision war zurückzuweisen.
Als Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte Witwerrente kommt allein § 43 AVG idF des Gesetzes vom 23. Februar 1957 (= § 1226 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) in Betracht, der noch geltendes Recht ist (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1975 - BVerfGE 39, 169 = SozR 2200 § 1266 Nr 2).
Nach dieser Vorschrift ist für den Anspruch auf Witwerrente von wesentlicher Bedeutung, aus welchen Mitteln die Eheleute im Zeitpunkt des Todes der Versicherten den Familienunterhalt tatsächlich bestritten haben, wie das LSG im Anschluß an das Urteil des 1. Senats vom 13. März 1979 (SozR 2200 § 1266 Nr 9; ebenso Urteil des 4. Senats vom 25. Oktober 1979 - SozR 2200 § 1266 Nr 12) ausführt. Es kommt dabei nur auf die tatsächlich zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehenden Mittel an. Ausstehende Ansprüche, die während des maßgeblichen Zeitraumes nicht realisiert werden konnten, müssen ebenso unberücksichtigt bleiben wie Einkommensteile, die zur Deckung familienfremder Lasten verwandt wurden oder (als Werbungskosten) zur Erzielung bestimmter Einkünfte notwendig waren und deshalb tatsächlich nicht für den Familienunterhalt zur Verfügung standen.
Da das Bruttoeinkommen der Ehegatten in Höhe der einbehaltenen Lohn- und Kirchensteuer zur Bestreitung des Lebensunterhalts tatsächlich nicht zur Verfügung stand, kann es insoweit auch nicht berücksichtigt werden. Das entspricht ständiger Rechtsprechung. Hinsichtlich der Lohnsteuer hat dies der Senat bereits mehrfach ausgesprochen (SozR Nr 22 zu § 1266 RVO und SozR 2200 § 1266 Nr 5). Entsprechend ist das BSG auch zur Witwerrente aus der Unfallversicherung nach § 593 RVO von dem Nettoeinkommen ausgegangen (Urteil vom 25. Januar 1979 - 8a RU 26/78 - SozR 2200 § 593 Nr 1).
Da allein der tatsächlich ausgezahlte Arbeitsverdienst maßgebend ist, hat das LSG zu Recht nur die tatsächlich vorgenommenen Steuerabzüge, nicht aber die Möglichkeit einer anderen steuerrechtlichen Handhabung berücksichtigt, und damit die Möglichkeit einer anderen Zuordnung des Steuerfreibetrages nach § 7b des Einkommensteuergesetzes (EStG) für unbeachtlich angesehen.
Die Versicherte mag die Möglichkeit gehabt haben, ihre Zustimmung zu einer Eintragung des vollen Freibetrages auf der Steuerkarte des Klägers zu verweigern und dadurch eine Aufteilung des Freibetrages herbeizuführen. Eine solche im maßgebenden Zeitraum nicht realisierte Möglichkeit muß wie ein nicht realisierter Anspruch auf ein höheres Einkommen unberücksichtigt bleiben (vgl zu einer für den maßgebenden Zeitraum zustehenden, aber erst später ausgezahlten Rente SozR 2200 § 1266 Nr 8, 9 und 12). Es kann hier nichts anderes gelten, als wenn die Ehegatten überhaupt von der Eintragung eines Freibetrages abgesehen hätten. Auch in diesem Falle wären lediglich die tatsächlich ausgezahlten Bezüge maßgebend, da nur sie zur Bestreitung des Unterhalts zur Verfügung standen.
Auch soweit das Sozialrecht in anderem Zusammenhang auf das (tatsächliche) Nettoarbeitsentgelt abstellt, hat die Rechtsprechung nur die tatsächlich vorgenommenen Abzüge berücksichtigt und alle nicht im maßgebenden Zeitraum realisierten Gestaltungsmöglichkeiten ausgeklammert (zB den Lohnsteuerjahresausgleich - SozR 2200 § 1241 Nr 3; nicht in Anspruch genommene Möglichkeit, Bausparkassenbeiträge als Sonderausgaben geltend zu machen - SozR Nr 2 zu § 2 KGKG). Wenn das BSG sich im Falle der selbständigen Tätigkeit eines Ehegatten "weitgehend von der steuerrechtlichen Beurteilung gelöst hat" (vgl SozR 2200 § 1266 Nr 3 und Nr 11), so bedeutet dies keine Durchbrechung der an der tatsächlichen Unterhaltsleistung orientierten Betrachtungsweise, sondern soll dieser gerade zum Durchbruch verhelfen.
Hinsichtlich der tatsächlichen Unterhaltsleistung ist es unerheblich, daß die Ehegatten im Hinblick auf die Höhe ihrer Bruttobezüge zur Einkommenssteuer zu veranlagen waren und infolge der ausstehenden (gemeinsamen) Veranlagung die Eintragung des Freibetrages nur vorläufige Bedeutung hatte. Denn die zu erwartende endgültige Regelung ändert nichts an den im maßgebenden Zeitraum tatsächlich zur Verfügung stehenden Mitteln. In welcher Weise in derartigen Fällen im maßgebenden Zeitraum erstattete Steuerbeträge oder Steuernachzahlungen auf die Ehegatten aufzuteilen sind, braucht hier nicht erörtert zu werden. Die vom LSG festgestellte Steuernachzahlung von 56,-- DM führt auch dann zu keinem anderen Ergebnis, wenn sie in voller Höhe vom Einkommen des Klägers abgezogen wird.
Die Zustimmung der Versicherten zur Eintragung des vollen Freibetrages auf der Steuerkarte des Klägers stellt schließlich entgegen der Ansicht des Klägers keine Unterhaltsleistung der Versicherten an den Kläger und damit auch keinen Beitrag zum Familienunterhalt dar. Die Eintragung des vollen Freibetrages auf der Steuerkarte des Klägers führte insgesamt zu einer höheren Steuerentlastung beider Ehegatten, da das Bruttoeinkommen des Klägers das der Versicherten überstieg. Eine solche im gemeinsamen Interesse liegende Nutzung der sich aus dem Steuerrecht ergebenden Möglichkeiten kann nicht als Unterhaltsleistung an den anderen Ehegatten gewertet werden. Sie erhöht den für den Familienunterhalt zur Verfügung stehenden Betrag nicht zu Lasten eines Ehegatten, sondern - zulässigerweise - zu Lasten des Steuergläubigers. Das erstrebte Ergebnis war notwendigerweise damit verbunden, daß nicht nur das Brutto-, sondern auch das Nettoarbeitseinkommen des Klägers das der Versicherten überstieg.
Die Revision des Klägers war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen