Entscheidungsstichwort (Thema)
Befreiung von der Krankenversicherung der Landwirte nach § 4 KVLG
Orientierungssatz
Befreiung von der Versicherungspflicht nach dem KVLG - Ausschlußfrist - sozialrechtlicher Schadensersatzanspruch - Rechtsmißbrauch
Normenkette
KVLG § 2 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1972-08-10, § 4 Abs 2 S 1 Fassung: 1972-08-10, § 45 Abs 2 Fassung: 1972-08-10; BGB § 242 Fassung: 1896-08-18
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 22.08.1979; Aktenzeichen L 8 Kr 1234/77) |
SG Marburg (Entscheidung vom 25.10.1977; Aktenzeichen S 3 Kr 29/76) |
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger rechtzeitig seine Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Landwirte beantragt hat.
Der Kläger bewirtschaftet seit dem 15. November 1973 ein landwirtschaftliches Unternehmen mit einem Einheitswert von 65.407,-- DM (ohne Wohngebäude). Hiervon erfuhr die H-N L B am 2. Januar 1974 durch eine über die zuständige Gemeindeverwaltung geleitete Betriebsänderungsanzeige vom 24. Dezember 1973. Mit Schreiben vom 23. November 1975 teilte der Kläger die Übernahme des Unternehmens der Beklagten mit und erkundigte sich nach den Kosten einer Pflichtversicherung. Darauf wies die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 18. November 1975 auf seine Versicherungspflicht hin; sie erklärte, die Mitgliedschaft beginne mit dem 1. November 1975, und stellte dem Kläger anheim, einen etwaigen Krankenversicherungsvertrag nach § 94 Abs 3 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) zu kündigen. Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 14. Januar 1976. Die Beklagte sah dieses am 15. Januar 1976 bei ihr eingegangene Schreiben als Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht an und stellte fest, daß der Kläger versicherungspflichtig sei, weil er seit dem 15. September 1973 einen landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschafte, der eine Existenzgrundlage iS des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) darstelle und weil der Befreiungsantrag verspätet sei.
Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Zur Begründung des Berufungsurteils hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt, der Kläger sei nach § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG iVm § 1 Abs 3 GAL seit dem 15. September 1973 versicherungspflichtig. Für eine Befreiung von der Versicherungspflicht sei kein Raum, weil die Antragsfrist des § 4 Abs 2 KVLG versäumt sei. Bei dieser Frist handele es sich um eine Ausschlußfrist, gegen deren Versäumung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattfinde. Die Berufung der Beklagten auf diese Ausschlußfrist stelle auch keine unzulässige Rechtsausübung dar. Auch die Anzeige der Betriebsaufnahme gegenüber der H-N L-lichen Berufsgenossenschaft sei bei dieser erst nach Ablauf der Dreimonatsfrist eingegangen. Der Kläger sei zudem seiner Meldepflicht nach § 61 Abs 1 KVLG nicht nachgekommen. Die Beklagte sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben gehindert gewesen, sich auf die Ausschlußfrist zu berufen. Darauf, ob der Kläger die Vorschriften des KVLG gekannt habe, komme es nicht an. Gegen ihre Aufklärungspflicht habe die Beklagte nicht verstoßen; durch Unterlassen der Meldung habe der Kläger eine zeitgerechte Unterrichtung durch die Beklagte vereitelt. Ob der Kläger von Bediensteten des Kreisbauernverbandes, der Stadtverwaltung und des Landwirtschaftsamtes unrichtig oder unvollständig unterrichtet worden sei, sei unerheblich, da es sich hierbei nicht um Bedienstete der Beklagten gehandelt habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt der Kläger sinngemäß,
die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben und
die Beklagte zur Befreiung des Klägers von der
Versicherungspflicht zu verurteilen.
Er rügt eine Verletzung der §§ 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), 45 KVLG, 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Daß er eine zeitgerechte Unterrichtung durch die Beklagte vereitelt und daß der Beklagten die Betriebsänderungsanzeige gegenüber der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft vorgelegen habe, sei nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; er habe keine Gelegenheit gehabt, sich dazu zu äußern. Das LSG habe weiter zu Unrecht nicht berücksichtigt, daß die Beklagte ihn für die Zeit bis zum 31. Oktober 1975 nicht als Mitglied behandele. Der Kreisbauernverband M sei eine Verwaltungsstelle der Beklagten iS von § 45 Abs 2 KVLG; dort aber habe er noch im September 1973 wegen der erforderlichen Meldungen vorgesprochen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger vom 15. September 1973 an der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Landwirte unterliegt. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsurteils erfüllt er seit diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG; mit diesem Zeitpunkt hat seine Mitgliedschaft begonnen (§ 47 Nr 1 KVLG). Darauf, wann ihn die Beklagte auf das Bestehen der Versicherungspflicht hingewiesen hat, kommt es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht an. Unerheblich ist auch, daß die Beklagte auf der Mitgliedsbescheinigung das Datum des 1. November 1975 vermerkt hat; daraus mag sich ergeben, daß ihn die Beklagte nicht zur Beitragsleistung für zurückliegende Zeiten heranziehen kann, am Beginn der Antragsfrist des § 4 Abs 2 Satz 1 KVLG, die mit dem Eintritt der Versicherungspflicht einsetzt, wird dadurch nichts geändert.
Den Ausführungen des LSG ist die Feststellung zu entnehmen, daß der Kläger innerhalb der Dreimonatsfrist des § 4 Abs 2 Satz 1 KVLG einen Befreiungsantrag nicht gestellt hat. Diese Feststellung wird durch die Verfahrensrügen des Klägers nicht erschüttert. Wann der Kläger die Aufnahme seiner Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gemeldet und ob er sich bereits im September 1973 an den Kreisbauernverband, die Stadtverwaltung und das Landwirtschaftsamt gewandt hat, ist in diesem Zusammenhang schon deswegen unerheblich, weil er schon nach seinem eigenen Vorbringen bei keiner dieser Gelegenheiten ein Begehren, von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Landwirte befreit zu werden, zum Ausdruck gebracht hat.
Die Frist des § 4 Abs 2 Satz 1 KVLG stellt, wie das LSG zu Recht ausgeführt hat, eine Ausschlußfrist dar, wegen deren Versäumung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zulässig ist (vgl SozR 5486 Art 4 § 2 Nr 2). Die Berufung der Beklagten auf die Ausschlußwirkung steht auch nicht im Widerspruch zu dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Ein solcher Widerspruch ergibt sich nicht schon daraus, daß, vom rechtzeitigen Antrag abgesehen, alle Voraussetzungen einer Befreiung zweifelsfrei erfüllt sind. Im Gegensatz zu der Sachlage, die Gegenstand des Beschlusses des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. Juni 1961 (BSGE 14, 246) war, hat die Fristvorschrift des § 4 Abs 2 Satz 1 KVLG nicht den Sinn, die Krankenkasse vor den Schwierigkeiten zu schützen, die einer nachträglichen Aufklärung des Sachverhalts entgegenstehen; durch sie soll vielmehr erreicht werden, daß die Beteiligten baldmöglichst Klarheit darüber gewinnen, wer Kassenmitglied ist (vgl SozR 5486 Art 4 § 2 Nr 2). Dafür, daß die Beklagte die Fristwahrung vorsätzlich vereitelt hat (vgl BSGE 22, 257, 260; SozR 5486 Art 4 § 2 Nr 2), fehlt es an jedem Anhalt. Fraglich kann allenfalls noch sein, ob die Berufung auf die Versäumung der Ausschlußfrist dann möglicherweise rechtsmißbräuchlich ist, wenn die Ausschlußfrist für die Verwaltung von geringer Bedeutung ist und ganz erhebliche, langfristige Interessen des Bürgers auf dem Spiele stehen. Der 12. Senat des BSG hat diese Frage offengelassen (SozR 4100 § 72 Nr 2; 5486 Art 4 § 2; vgl aber auch Urteil vom 8. März 1979 - 12 RK 27/77 -); auch der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, sich dazu abschließend zu äußern. Denn selbst wenn diese Frage grundsätzlich zu bejahen sein sollte, könnten jedenfalls im Rahmen einer Anwendung von § 4 Abs 1, 2 KVLG dabei nur Umstände Berücksichtigung finden, die nicht bereits Gegenstand der Interessenabwägung des Gesetzgebers waren. Das Interesse des Versicherungsträgers, auf nach Ablauf der Dreimonatsfrist gestellte Befreiungsanträge nicht mehr eingehen zu müssen, und das Interesse des Versicherten, doch noch befreit zu werden, haben dem Gesetzgeber vor Augen gestanden; daß der Versicherte, der die Antragsfrist versäumt hat, auf Dauer einer nicht unerheblichen Beitragsbelastung ausgesetzt ist, hat der Gesetzgeber gesehen. Es stünde daher im Widerspruch zu Sinn und Zweck des Gesetzes, wollte man allein wegen dieser Belastung, der der Kläger entgehen möchte, eine Durchbrechung der Ausschlußwirkung zulassen; daß weitere Interessen des Klägers berührt sein könnten, ist nicht ersichtlich.
Das Begehren des Klägers ist aber auch nicht unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Schadensersatzanspruchs begründet. In der Rechtsprechung des BSG ist anerkannt, daß eine Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten durch den Versicherungsträger einen Anspruch des Geschädigten auszulösen vermag, der auf Herstellung des ohne die schädigende Handlung oder Überlassung bestehenden Zustandes durch Vornahme einer Amtshandlung gerichtet ist (BSGE 26, 129, 134; SozR 2200 § 1241 Nr 8). Ein derartiger Anspruch kann sich insbesondere aus einer Verletzung von Pflichten zur Beratung und Belehrung des Versicherten ergeben. Eine solche Pflichtverletzung der Beklagten ist jedoch nicht erkennbar. Zwar hat, wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 27. April 1978 (SozR 2200 § 1241 Nr 8) ausgeführt hat, der Versicherungsträger, wenn ein konkreter Anlaß dazu besteht, den Versicherten auf Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die klar zutage liegen und deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig ist, daß jeder verständige Versicherte sie mutmaßlich nutzen wird. Hier hatte die Beklagte aber schon deswegen keinen konkreten Anlaß, den Kläger vor Ablauf der Antragsfrist auf die Befreiungsmöglichkeit hinzuweisen, weil ihr der die Versicherungspflicht begründende Sachverhalt nicht bekannt war. Doch selbst wenn - worauf der Kläger mit seinen Verfahrensrügen anscheinend abzielt - eine Kenntnis der Beklagten zu unterstellen sein sollte, würde es doch an einer klar zutage liegenden und für jeden Betroffenen offensichtlich zweckmäßigen Gestaltungsmöglichkeit fehlen. Diese Voraussetzungen könnten allenfalls dann als erfüllt anzusehen sein, wenn die Beklagte auch gewußt hätte, daß der Kläger bereits privatversichert war und daß ihm die Fortführung der Privatversicherung offensichtlich größere Vorteile bot als die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung der Landwirte. Für das Vorliegen eines solchen Sachverhalts ist nichts ersichtlich.
Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Fundstellen