Leitsatz (amtlich)
Ein landwirtschaftlicher Unternehmer iS des GAL unterliegt der Versicherungspflicht nach dem KVLG, auch wenn er außerdem als Berufssoldat - mit oder ohne zusätzlichen privaten Versicherungsschutz - tätig ist (Weiterentwicklung von BSG 1976-08-19 11 RK 3/75 = SozR 5420 § 2 Nr 4).
Normenkette
KVLG § 2 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1972-08-10, § 3 S 1 Fassung: 1972-08-10
Verfahrensgang
Tatbestand
Es ist streitig, ob der Kläger nach dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) vom 10. August 1972 versicherungspflichtig ist.
Der Kläger ist Berufssoldat und bewirtschaftet nebenher ein landwirtschaftliches Unternehmen (Grünlandbetrieb) von ca 10 ha Größe. Zunächst war er freiwillig krankenversichert bei der Bundespostbetriebskrankenkasse (BKK); ab Oktober 1972 (Inkrafttreten des KVLG) nahm ihn die beklagte landwirtschaftliche Krankenkasse als Pflichtversicherten in Anspruch und zog ihn unter Berücksichtigung der Verjährung ab Dezember 1973 zur Zahlung von Beiträgen heran; bis Ende Juli 1976 betrug die Beitragsforderung 4.053,-- DM (Bescheide vom 20. und 27. Juli 1976). Die BKK zahlte dem Kläger - ebenfalls unter Beachtung der hierfür infragekommenden Verjährungsvorschriften - nach Auflösung des Versicherungsverhältnisses die geleisteten Versicherungsbeiträge von Januar 1974 bis Juli 1976 in Höhe von 1.955,66 DM zurück, nachdem die Beklagte ihr die dem Kläger gewährten Leistungen ersetzt hatte.
Der Widerspruch des Klägers gegen die Inanspruchnahme durch die Beklagte sowie seine Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat im Urteil vom 10. Oktober 1979 ausgeführt, der Kläger sei gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG Pflichtmitglied bei der Beklagten und habe die der Höhe nach unstreitigen Beiträge zu entrichten. Eine Freistellung, insbesondere nach § 3 Satz 1 KVLG, könne nicht erfolgen. Weder sei der Kläger bei der BKK für den Fall der Krankheit pflichtversichert gewesen noch stelle die ihm als Berufssoldaten zustehende Heilfürsorge eine anderweitige Versicherungspflicht dar; sie sei einer Versicherungspflicht auch nicht gleichzustellen. Die Heilfürsorge sei Ausdruck der Fürsorgepflicht des Dienstherrn; sie werde dem Soldaten unentgeltlich neben seinen Dienstbezügen gewährt, ohne daß er durch eigene Versicherungsbeiträge eine Anwartschaft auf Leistungen erkaufen müsse. Auch decke die Heilfürsorge nicht das volle Krankheitsrisiko ab, sie erstrecke sich beispielsweise nicht auf die Familienangehörigen. Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) werde durch die Einbeziehung des Klägers in die landwirtschaftliche Krankenversicherung nicht verletzt; die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Beschluß vom 9. Februar 1977 für Beamte angestellten Erwägungen hätten auch für Berufssoldaten zu gelten.
Mit der - zugelassenen - Revision beantragt der Kläger (sinngemäß),
die Urteile der Vorinstanzen und die Bescheide
der Beklagten aufzuheben.
Zur Begründung rügt er eine Verletzung des § 3 Satz 1 KVLG sowie von Art 3 GG. Die unentgeltliche Heilfürsorge der Soldaten sei der "anderweitigen Versicherungspflicht" gleichzustellen, denn ihre Leistungen entsprächen der Krankenversicherung der Landwirte und gingen in Einzelbereichen (zB bei der Zahnbehandlung) darüber noch hinaus. Die ihm aufgezwungene Versicherung verstoße gegen den Sinn und Zweck des KVLG; es sei zumindest fragwürdig, einem Soldaten, bei dem die freie Heilfürsorge einen Teil der Bezüge darstelle, diese Bezüge durch den Beitragszwang wieder zu kürzen, während andere Soldaten nicht betroffen würden. Darüber hinaus sei im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG ein Berufssoldat nicht mit einem Beamten zu vergleichen. Der Beamte habe nur Beihilfeansprüche, und der Soldat könne bei Versetzung ins Ausland, Übungen oder Krieg auf fremdem Boden die Krankenversicherung der Landwirte nicht in Anspruch nehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet; zu Recht hat das LSG die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Landwirte ab 1. Oktober 1972 bejaht.
Das Gesetz führt in § 2 Abs 1 die Personen auf, die in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind; nach der Nr 1 dieser Vorschrift sind es die Unternehmer der Land- und Forstwirtschaft, deren Unternehmen eine Existenzgrundlage bildet. Was das KVLG unter "Unternehmer" versteht, definiert dessen § 2 Abs 2 Satz 1; es ist derjenige, für dessen Rechnung das Unternehmen geht und damit auch der sogenannte "Nebenerwerbslandwirt", der - wie der Kläger - das Unternehmen nebenberuflich bewirtschaftet. Das eine Fläche von ca 10 ha umfassende Unternehmen des Klägers stellt auch eine auf Bodenbewirtschaftung beruhende Existenzgrundlage im Sinne von § 1 Abs 4 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) dar. Von der hiernach gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 iVm §§ 47 Nr 1, 64 Abs 1 Satz 1 KVLG gegebenen Versicherungspflicht kann der Kläger weder durch Vorschriften des KVLG noch der Reichsversicherungsordnung (RVO) freigestellt werden.
Was die RVO angeht, so sind deren §§ 169, 173 ff in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung nicht anwendbar; dies hat der Senat schon mehrfach entschieden (BSGE 41, 157, 158; SozR 5420 § 2 Nr 4; § 4 Nr 1). Die Freistellungsvorschriften des KVLG (§§ 3, 4, 94, ab 1. Januar 1977 noch § 4a) sind sämtlich im Tatbestand nicht erfüllt.
§ 94 KVLG kam für den Kläger nicht in Betracht, weil er beim Inkrafttreten des Gesetzes nicht bei einem Krankenversicherungsunternehmen versichert war; daß er der BKK freiwillig angehörte, ist insoweit ohne Belang (vgl hierzu BVerfG in SozR 5420 § 94 Nr 2). Zu § 4 Abs 1 KVLG hat das LSG hinsichtlich der Einheitswerthöhe zwar keine tatsächlichen Feststellungen getroffen; es besteht jedoch kein Anhalt dafür, daß die gesetzliche Wertgrenze im maßgebenden Zeitpunkt (= Eintritt der Versicherungspflicht, SozR 5420 § 4 Nr 2) überschritten gewesen ist; davon abgesehen kann auch § 4 deshalb nicht angewendet werden, weil der Kläger nicht bei einem Krankenversicherungsunternehmen privat versichert war. Da er ferner keine Angestelltentätigkeit verrichtet hat, so daß § 4a KVLG von vornherein entfällt, könnte von den Freistellungsvorschriften schließlich nur § 3 KVLG zum Zuge kommen; doch auch hierfür sind die Voraussetzungen nicht gegeben.
Nach § 3 Satz 1 KVLG ist nach diesem Gesetz nicht versichert, wer nach anderen gesetzlichen Vorschriften für den Fall der Krankheit versicherungspflichtig ist. Dieser Tatbestand trifft auf den Kläger nicht zu. Zum einen gehörte er der BKK ohne eine gesetzliche Verpflichtung als freiwilliges Mitglied an, zum anderen steht er zur Bundeswehr nicht in einem Verhältnis der Versicherungspflicht; insoweit ist Satz 1 auch nicht entsprechend anwendbar.
Im Urteil vom 19. August 1976 - 11 RK 3/75 (SozR 5420 § 2 Nr 4) hat der Senat entschieden, daß § 3 Satz 1 KVLG nicht auf Beamte angewandt werden kann, gleichgültig, ob sie zusätzlich privat versichert sind oder nicht. Diese Ansicht hat er damit begründet, § 3 KVLG sei nicht Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes dahingehend, daß die Krankenversicherung nach dem KVLG bei anderweit ausreichendem Krankenversicherungsschutz entfalle, vielmehr regele er lediglich das Zusammentreffen von Versicherungspflichten; dabei trete im Falle des Satzes 1 die landwirtschaftliche Krankenversicherung, in den Fällen des Satzes 2 die andere Pflichtversicherung zurück; die Sicherung eines Beamten durch Beihilfen könne hierbei nicht einer Pflichtversicherung gleichgestellt werden. Die gleichen Gedankengänge gelten im Grundsatz auch für die Sicherung des Soldaten (Berufssoldaten) im Krankheitsfall durch die Gewährung von Heilfürsorge auf der Grundlage des § 30 Abs 1 des Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz -SG-) vom 19. März 1956 idF vom 19. August 1975 - BGBl I 2273 - (s ferner den Beschluß des Senats vom 28. Februar 1978 - 11 BK 10/77 in einem Fall eines Polizeibeamten mit Anspruch auf Heilfürsorge).
Bei der Heilfürsorge, deren nähere Einzelheiten in § 69 Abs 2 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) idF des Gesetzes vom 23. Mai 1975 (BGBl I 1173) - vordem § 36 Abs 2 BBesG vom 27. Juni 1957 - und ferner in den dazu erlassenen Verwaltungsvorschriften und Durchführungsbestimmungen geregelt sind, fehlt es an den Kriterien für eine Pflichtversicherung für den Fall der Krankheit iS von § 3 Satz 1 KVLG schon deshalb, weil zwischen dem Soldaten und dem Dienstherrn, dem Bund, zum Zwecke der Gewährung (und der Entgegennahme) von truppenärztlicher Versorgung ein Versicherungsverhältnis nicht begründet wird, wie es die Vorschriften des Zweiten Buches der RVO im "klassischen" Sinne regeln (s hierzu Brackmann, Handbuch der SozVers, Bd I/2 S 301 ff). Insofern mangelt es, worauf das LSG zutreffend hingewiesen hat, jedenfalls bereits an einer Beitragsleistung auf seiten des Soldaten. Truppenärztliche Versorgung wird dem Soldaten nach § 69 Abs 2 BBesG nämlich unentgeltlich gewährt. Als Ausdruck der Verpflichtung des Bundes, für das Wohl des Soldaten (Berufssoldaten) im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses zu sorgen (s § 31 Satz 1 SG), ist sie ein von der Vorschrift des § 10 BBesG nicht erfaßter weiterer Sachbezug besonderer Art, der nicht zur Besoldung gehört (vgl § 1 Abs 2 BBesG) und dementsprechend auf die Besoldung nicht anzurechnen ist (Clemens/Millack ua, Komm zum Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, 2. Aufl, 1975, Anm 5 zu § 10 BBesG). Die unentgeltliche ärztliche Versorgung in Anspruch zu nehmen ist der Soldat nicht verpflichtet (Allgemeine Verwaltungsvorschriften -VwV- zu § 69 Abs 2 BBesG, VMBl 1975 S 1 Nr 1 Absätze 3 und 4), er hat Anspruch auf freie Heilbehandlungswahl; allerdings werden die dadurch entstehenden Kosten ihm nicht erstattet (VwV aaO).
Als "versicherungspflichtig" iS von § 3 Satz 1 KVLG kann der Kläger auch nicht aus dem Grunde gelten, weil er als Berufssoldat aufgrund von § 69 Abs 2 BBesG (§ 36 Abs 2 aF) in einem Umfang ärztlich versorgt werden kann, der im wesentlichen der von der Beklagten zu gewährenden Versorgung entspricht oder möglicherweise partiell über diese sogar hinausgeht. Liegt ein wesentlicher Unterschied schon darin, daß er bei Ablehnung der unentgeltlichen Heilfürsorge für die Kosten einer durch einen Arzt seines Vertrauens erfolgten Behandlung in vollem Umfang selbst aufkommen muß, so ist darüber hinaus entscheidend, daß die Heilfürsorge auf die Dauer seiner aktiven Dienstzeit (s hierzu § 45 Abs 2 Nr 1 SG) beschränkt ist und sich während dieser Zeit nur auf seine Person und nicht auch auf die Angehörigen bezieht, für die ihm nach der Regelung der gesetzlichen Krankenversicherungen Familienhilfe zusteht (vgl §§ 32 ff KVLG). Läßt die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung der Soldaten hiernach Risiken offen, die aus dem Blickwinkel des Versicherungsschutzes der selbständigen Landwirte mit dafür bestimmend waren, daß der Gesetzgeber für diesen Berufsstand und seine Angehörigen einen eigenständigen Krankenversicherungsschutz überhaupt geschaffen hat, dann kann die Sicherung der Soldaten (Berufssoldaten) im Krankheitsfalle durch die Heilfürsorge einer Pflichtversicherung nicht gleichgestellt werden; eine Freistellung in Anwendung von § 3 Satz 1 KVLG kommt somit nicht in Betracht.
Gegen das Grundgesetz -GG- (Art 3 Abs 1) verstößt die Einbeziehung des Klägers in die landwirtschaftliche Krankenversicherung nicht. Auch insoweit hat der Senat in SozR 5420 § 2 Nr 4 dargelegt, es erscheine nicht willkürlich, daß der Gesetzgeber dieser Versicherungspflicht landwirtschaftliche Unternehmer unterwerfe, die zugleich Beamte (mit oder ohne zusätzlichen privaten Krankenversicherungsschutz) seien. Das gilt in entsprechender Weise auch hier, insbesondere unter Beachtung der Erwägungen, die das BVerfG im Beschluß vom 9. Februar 1977 in SozR 5420 § 94 Nr 2 sowie unter Bezugnahme auf diese Entscheidung im Beschluß vom 12. Oktober 1979 - 1 BvR 980/79 - zum Ausdruck gebracht hat. Wie den Beamten, so erspart auch den Soldaten die Einbeziehung in die Krankenversicherung der Landwirte nämlich eine zusätzliche private Versicherung, die sie gemeinhin - und so auch der Kläger - zur Abdeckung des durch die Heilfürsorge nicht abgesicherten Aufwandes für Krankheiten (für sich und für die Angehörigen) unterhalten; darüber hinaus bringt die Gestellung einer Betriebs- und Haushaltshilfe im Krankheitsfalle noch zusätzliche Versicherungsleistungen.
Demgegenüber überzeugen die von der Revision gebrachten Argumente nicht. Eine Ungleichbehandlung der Gruppe von Soldaten mit landwirtschaftlichem Nebenerwerbsbetrieb gegenüber den Soldaten ohne Landwirtschaft infolge (indirekter) Kürzung der Bezüge findet nicht statt, wenn die erstgenannte Gruppe der Krankenversicherung der Landwirte unterworfen wird, denn die Soldatenheilfürsorge ist, wie oben ausgeführt, kein entgeltlicher Sachbezug. Der Umstand, daß Soldaten im Ausland zu dienen verpflichtet sein können, macht sie nicht unvergleichbar mit der Gruppe der (zivilen) Beamten; auch sie werden zu Dienstverrichtungen in außerdeutsche Staaten entsandt.
Nach alledem war, wie geschehen, zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen