Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeld für abgelaufene Zeiträume. Zulässigkeit der Berufung
Orientierungssatz
Die Regelung des § 13 Satz 2 BErzGG, die aufgrund der Dauer des vorgeschriebenen Vorverfahrens und des sich anschließenden erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahrens im Ergebnis einen weitgehenden Berufungsausschluß in Erziehungsgeldstreitigkeiten nach sich zieht, soweit nicht die Berufung unter den Voraussetzungen des § 150 Nr 1 und 2 SGG zulässig sein sollte, begegnet nicht verfassungsrechtlichen Bedenken.
Normenkette
BErzGG § 13 S 2 Fassung: 1986-12-19; GG Art 19 Abs 4; SGG § 146 Halbs 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 13.01.1989; Aktenzeichen L 6 Eg 1/88) |
SG Trier (Entscheidung vom 27.06.1988; Aktenzeichen S 4 Eg 2/87) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Erziehungsgeld.
Die Klägerin, die deutsche Staatsangehörige ist, hatte bis Juli 1988 ihren ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik. Aus ihrer Ehe mit einem amerikanischen Staatsangehörigen, der als Angehöriger der US-Armee in der Bundesrepublik stationiert war, stammt die am 9. März 1987 geborene Tochter Ebonie Michelle.
Die Kreisverwaltung T lehnte den Antrag der Klägerin vom 31. März 1987 auf Gewährung von Erziehungsgeld für die Zeit vom 9. März 1987 bis 8. Januar 1988 für die Tochter Ebonie ab, da die Klägerin als Ehefrau eines Mitglieds der NATO-Truppen dem NATO-Truppenstatut unterliege und damit keinen Anspruch auf das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) habe (Bescheid vom 8. April 1987). Widerspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid des Beklagten - Landesamt für Jugend und Soziales - vom 22. Juni 1987; Urteil des Sozialgerichts -SG- Trier vom 27. Juni 1988). Das SG hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin falle unter die Bestimmungen des NATO-Truppenstatuts vom 3. August 1951. Art 13 Abs 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut regele, daß die im Bundesgebiet geltenden Bestimmungen über soziale Sicherheit und Fürsorge auf Mitglieder der NATO-Truppen und deren Angehörige nicht anzuwenden seien. Die Klägerin, die auch nicht in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stehe, unterliege so nicht mehr dem Anwendungsbereich des Sozialgesetzbuches (SGB) und habe daher keinen Anspruch auf das Erziehungsgeld nach dem BErzGG. Die Berufung sei zulässig. Ausschlußgründe seien nicht ersichtlich. Das angerufene Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 13. Januar 1989 zurückgewiesen, da sie keinen Anspruch auf Erziehungsgeld habe.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie macht geltend, da sowohl das SG als auch das LSG ihre Berufung als zulässig angesehen hätten, obwohl sie nur Erziehungsgeld für abgelaufene Zeiträume betroffen habe, müsse auch in der Revisionsinstanz von der Zulässigkeit der Berufung ausgegangen werden. Andernfalls würde in Fällen dieser Art der Rechtsschutz regelmäßig auf eine Gerichtsinstanz beschränkt, was sich als verfassungsrechtlich bedenklich erweise. Sie rügt weiterhin eine Verletzung des Art 6 Abs 4 des Grundgesetzes (GG). Der Gesetzgeber habe mit dem BErzGG den Fürsorgeanspruch aus Art 6 Abs 4 GG konkretisiert. Diesen Anspruch mache sie geltend. Jedenfalls sei Art 6 Abs 4 GG als besonderes Gleichheitsgebot zu verstehen, das ausschließlich auf die natürliche Rolle als Mutter abstelle und aus dem sich ihr Anspruch ergebe, im Verhältnis zu anderen Müttern im Geltungsbereich des GG gleichbehandelt zu werden. Schließlich sei auch Art 13 Abs 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut verletzt. Bei diesem handele es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, dessen Auslegung ergebe, daß die Mitglieder von NATO-Truppen und ihre Angehörigen nur von solchen sozialen Leistungen ausgeschlossen werden sollten, die im Zeitpunkt der Ratifikation des Vertrages schon geregelt gewesen seien. Der Ausschluß erfasse aber nicht weitere, erst später begründete Sozialleistungen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. Januar 1989 und das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 27. Juni 1988 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 8. April 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 1987 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 9. März 1987 bis 8. Januar 1988 Erziehungsgeld zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht ist ihre Berufung gegen das Urteil des SG erfolglos geblieben.
Bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob das Verfahren vor dem LSG an Mängeln leidet, die sich aus dem Fehlen unverzichtbarer Prozeßvoraussetzungen ergeben. Ansonsten würde das Revisionsverfahren einer entscheidenden Grundlage entbehren (st Rspr; s BSGE 35, 267, 271 = SozR Nr 5 zu § 551 RVO; BSG SozR 1500 § 150 Nr 18 mwN). Dazu gehört auch die Prüfung, ob das LSG über eine Berufung sachlich-rechtlich entschieden hat, obwohl es sie durch Prozeßurteil hätte als unzulässig verwerfen müssen.
Das LSG hat zu Unrecht ein Sachurteil erlassen, denn die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des SG war unzulässig.
Gemäß § 13 Satz 2 BErzGG, eingefügt durch Art 8 Nr 2 des Siebten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (7. RVÄndG) vom 19. Dezember 1986 (BGBl I S 2586) mit Wirkung vom 1. Januar 1986 (Art 11 Abs 2 aaO), gelten für Erziehungsgeldsachen die für Rechtsstreitigkeiten in Angelegenheiten der Rentenversicherung anzuwendenden Vorschriften mit Ausnahme des § 78 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entsprechend. Die Bezugnahme in § 13 Satz 2 BErzGG auf die für Rechtsstreitigkeiten in Angelegenheiten der Rentenversicherung anzuwendenden Vorschriften umfaßt nach dem eindeutigen Wortlaut alle für die Rentenversicherung maßgeblichen Vorschriften des SGG mit Ausnahme des ausdrücklich ausgenommenen § 78 Abs 2 SGG, mithin also auch § 146 SGG. Hinweise, wonach eine entsprechende Anwendung des § 146 SGG von der Geltung für Erziehungsgeldsachen hätte ausgenommen werden sollen, ergeben sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte des § 13 Satz 2 BErzGG. Die Materialien zu dem im Regierungsentwurf des 7. RVÄndG (BT-Drucks 10/5957) noch nicht enthaltenen, erst im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens eingefügten Satz 2 des § 13 (vgl Beschlußempfehlung und Bericht des BT-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 10/6430, S 15 zu Art 8 Nr 2) befassen sich nicht mit der Frage der Anwendbarkeit des § 146 SGG auf Erziehungsgeldsachen.
Aus der gemäß § 13 Satz 2 BErzGG vorgeschriebenen entsprechenden Anwendung des § 146 SGG folgt, daß die Berufung gegen ein sozialgerichtliches Urteil ua nicht zulässig ist, soweit sie nur Erziehungsgeld "für bereits abgelaufene Zeiträume" betrifft (ebenso Grüner/Dalichau, BErzGG, § 13 Anm III 2; Wiegand, BErzGG, § 13 Anm 13a). Das war hier der Fall. Bei Berufungseinlegung begehrte die Klägerin Erziehungsgeld nur für vorher liegende Zeiträume.
Die Regelung des § 13 Satz 2 BErzGG, die aufgrund der Dauer des vorgeschriebenen Vorverfahrens und des sich anschließenden erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahrens im Ergebnis einen weitgehenden Berufungsausschluß in Erziehungsgeldstreitigkeiten nach sich zieht, soweit nicht die Berufung unter den Voraussetzungen des § 150 Nr 1 und 2 SGG zulässig sein sollte, begegnet entgegen der Auffassung der Revision nicht verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Beschränkung auf eine Gerichtsinstanz, die hier im übrigen nur rein faktischer Natur ist, ist auch im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG nicht zu beanstanden. Art 19 Abs 4 gewährleistet einerseits den Rechtsweg und damit Rechtsschutz nur im Rahmen der jeweils geltenden Prozeßordnung (vgl BVerfGE 10, 267 f; 27, 310; 40, 274), andererseits - ebenso wie das allgemeine Rechtsstaatsprinzip - keinen Instanzenzug (st Rspr des BVerfG, vgl zB BVerfGE 11, 232, 233; 28, 21, 36; 54, 143, jew mwN), so daß schon ungeachtet des Umstands, daß der Instanzenzug in Erziehungsgeldsachen ohnehin nicht generell ausgeschlossen ist, ein Grundrechtsverstoß nicht zu erkennen ist (zur Verfassungsmäßigkeit des § 146 SGG: BVerfG in SozR 1500 § 146 Nr 13).
Die Berufung der Klägerin ist auch nicht gemäß § 150 Nr 1 SGG zulässig gewesen. Zwar lautet die Formulierung in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils: "Die Berufung ist zulässig. Ausschlußgründe sind nicht ersichtlich. "Darin liegt jedoch nur die Wiedergabe der - unzutreffenden - Rechtsansicht des SG, aufgrund derer es die Berufung als zulässig erachtet hat. Die Entscheidungsgründe enthalten aber keine Entscheidung darüber, die an sich nicht statthafte Berufung ausnahmsweise zuzulassen (vgl BSG SozR 1500 § 150 Nr 3). Ebensowenig ist in dem Beifügen einer falschen Rechtsmittelbelehrung durch das SG die Zulassung der Berufung zu sehen.
Nach allem war die Revision der Klägerin mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß ihre Berufung gegen das angefochtene Urteil des LSG als unzulässig zu verwerfen war. Die Änderung des Sachurteils in ein Prozeßurteil stellt keine reformatio in peius dar (BSG-Urteil vom 31. Oktober 1979 - 10 RV 27/79 - unveröffentlicht).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen