Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenhauspflege. Behandlung in Kur- oder Spezialeinrichtung. therapeutische Wohngemeinschaft

 

Orientierungssatz

1. Krankenhauspflege (§ 184 RVO) liegt vor, wenn die pflegerische Tätigkeit der ärztlichen Behandlung untergeordnet ist. Als Behandlung in einer Kur- oder Spezialeinrichtung iS von § 184a RVO stellt sich dagegen eine Behandlung dar, die - zwar ebenfalls unter ärztlicher Leitung - stationär und gleichfalls unter Beteiligung besonders ausgebildeten Personals - vorwiegend darauf gerichtet ist, den Zustand des Patienten durch seelische und geistige Einwirkung und durch Anwendung von Heilmitteln zu beeinflussen; die pflegerische Betreuung des Patienten ist hier eher nebengeordnet (so ständige Rechtsprechung des BSG).

2. Auch die stationäre Behandlung im Rahmen des § 184a RVO (§ 17a KVLG) muß mit - nur eben nicht im Vordergrund stehender - ärztlicher Behandlung und Betreuung einhergehen.

3. Zum Erstattungsanspruch für selbstbeschaffte Leistungen in einer therapeutischen Wohngemeinschaft, wenn es an der iS des § 17a KVLG erforderlichen ärztlichen (Mit-) Behandlung und Betreuung des Versicherten gefehlt hat.

 

Normenkette

KVLG § 17a Abs 1 S 1; RVO §§ 184, 184a Abs 1 S 1; KVLG § 17

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 03.11.1987; Aktenzeichen L 5 Kr 34/85)

SG Lübeck (Entscheidung vom 25.10.1985; Aktenzeichen S 7 Kr 25/84)

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt als Rechtsnachfolgerin ihres während des Verfahrens vor dem Landessozialgericht (LSG) - am 14. November 1986 - verstorbenen Ehemannes (Versicherter) von der beklagten landwirtschaftlichen Krankenkasse (LKK) Erstattung der Kosten, die durch den Aufenthalt des Versicherten in einer sog. therapeutischen Wohngemeinschaft entstanden sind.

Der 1935 geborene Versicherte war Landwirt und Mitglied der beklagten LKK. Wegen einer hirnorganischen Wesensveränderung nach 1979 erlittenem Schlaganfall wurde er entmündigt. Er bezog seit Juli 1982 vorzeitiges Altersgeld wegen Erwerbsunfähigkeit von der landwirtschaftlichen Alterskasse (LAK) und daneben eine Unfallrente von der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft. Im Anschluß an die stationäre Behandlung im Landeskrankenhaus K.           lebte der Versicherte vom 4. Oktober 1983 bis zu seinem Tode auf seine Kosten auf dem B.           in einer von der beigeladenen Gemeinnützigen Landbauforschungsgesellschaft F.          GmbH betriebenen therapeutischen Wohngemeinschaft. Diese Einrichtung ist den Feststellungen des LSG zufolge nicht in den Krankenhausbedarfsplan des Landes Schleswig-Holstein aufgenommen und auf Arbeitstherapie sowie familienhafte Eingliederung zugeschnitten; sie wird von pädagogisch-therapeutisch qualifizierten Fachkräften geführt. Medizinisch wurde der Versicherte von einem in S.           ansässigen Arzt ein- bis zweimal monatlich betreut.

Den im November 1983 gestellten Antrag auf Übernahme der durch die Unterbringung entstandenen Kosten lehnte die Beklagte ab, weil der B. kein Krankenhaus und der Versicherte im übrigen ein sogenannter Pflegefall sei (Bescheid vom 4. Januar 1984, Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 1984).

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts -SG- Lübeck vom 15. Oktober 1985 und des Schleswig- Holsteinischen LSG vom 3. November 1987). Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin könne den Anspruch nicht auf § 17 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) vom 10. August 1972 (BGBl I 1433) stützen, weil der B.           kein Krankenhaus sei. Die Voraussetzungen des § 17a KVLG lägen ebenfalls nicht vor. Zwar entfalle die Anwendung dieser Bestimmung nicht schon wegen ihrer Subsidiarität im Verhältnis zur Zuständigkeit anderer Sozialversicherungsträger (hier habe kein Anlaß für ein Rehabilitationsverfahren bestanden, da in dem die Rentenbewilligung zugrunde liegenden Gutachten die Möglichkeit der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit ausdrücklich ausgeschlossen worden sei), und es könne dahinstehen, ob das SG den Versicherten zutreffend als sogenannten Pflegefall angesehen habe; der B.     sei aber keine Kur- oder Spezialeinrichtung iS von § 17a KVLG. Es fehle an der ärztlichen Leitung und Betreuung. Auch § 21a KVLG sei keine Anspruchsgrundlage. Die Vorschrift erfasse ergänzende Leistungen, während es sich hier bei der Unterbringung und Betreuung um eine selbständige Hauptleistung gehandelt habe. Im übrigen habe der Versicherte an keiner speziellen Therapie teilgenommen, sondern sei nur in das allgemeine Leben dieser Einrichtung eingebunden gewesen.

Die Klägerin rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision die Verletzung des § 17a KVLG. Das angefochtene Urteil widerspreche mit seinen Ausführungen, die Behandlung in einer Spezialeinrichtung setze voraus, daß diese ärztlich geleitet werde, dem Urteil des 11. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. August 1982 - 11 RA 62/81 -, wonach der Wertung einer Behandlung als medizinische Leistung nicht entgegenstehe, daß sie ohne ärztliche Mitwirkung stattgefunden habe.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 3. November 1987 sowie des Sozialgerichts Lübeck vom 25. Oktober 1985 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Januar 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 1984 zu verurteilen, die Kosten für den Aufenthalt des Versicherten in den therapeutischen Wohngemeinschaften F.          ab 4. Oktober 1983 ohne Zuzahlung eines Beitragszuschlags von 10,-- DM täglich zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Sachantrag gestellt.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Wie bereits die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, steht der Klägerin kein Erstattungsanspruch zu.

Einen Anspruch auf Geldleistungen (hier: Erstattungsanspruch für selbstbeschaffte Leistungen) haben in dem vom Sachleistungsprinzip beherrschten Recht der sozialen Krankenversicherung die Versicherten gegen ihre Krankenkassen grundsätzlich nur, wenn dies das Gesetz oder - zulässigerweise - die Satzung vorsieht (vgl BSG SozR 2200 § 182 Nr 86 mwN aus Rechtsprechung und Schrifttum). Ausnahmen von diesem Grundsatz sind von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugelassen worden, wenn - abgesehen von gesetzlich normierten Fällen - die Kasse den Antrag des Versicherten auf Gewährung der Sachleistung zu Unrecht abgelehnt und ihn dadurch zur Behandlung auf eigene Kosten gezwungen hat (BSGE 35, 10, 14; 53, 273, 277) oder wenn der Versicherte zwar nicht versucht hat, eine Sachleistung zu erlangen, deren Verweigerung durch die Kasse aber von vornherein feststand (BSG SozR § 182 Nr 86; SozR 3100 § 18 Nr 9). Das hier noch nicht anwendbare, am 1. Januar 1989 in Kraft getretene neue Recht - Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB 5) idF des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz - GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) -, das im übrigen am Sachleistungsprinzip festhält (vgl § 2 Abs 2 Satz 1, § 13 Abs 1 SGB 5), hat im wesentlichen diese von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle in § 13 Abs 2 SGB 5 normiert. Diese Vorschrift gilt nach Art 8 § 8 Abs 1 GRG - Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) - auch in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung.

Ob und unter welchen besonderen Gegebenheiten der vorliegende Sachverhalt den Ansatz für einen Ausnahmetatbestand der Kostenerstattung bieten könnte, hat das LSG nicht angesprochen und bedarf auch vom Ergebnis her keiner Klärung. Denn jeder Kostenerstattungsanspruch setzt voraus, daß die vom Versicherten selbst beschaffte Sach- oder Dienstleistung, an deren Stelle er als Surrogat treten soll, ihrer Art nach überhaupt der Krankenkasse obliegt. Daran fehlt es indessen, wie bereits das Berufungsgericht erkannt hat.

§ 17 KVLG (inhaltsgleich mit § 184 der Reichsversicherungsordnung -RVO- idF vor dem GRG) entfällt als Anspruchsnorm, weil diese Bestimmung Krankenhauspflege in Krankenhäusern betrifft, der B.           aber nach den unangefochtenen, den Senat nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG kein Krankenhaus ist; diesen Feststellungen zufolge fehlt es an den Erfordernissen, daß jederzeit rufbereite Ärzte die Kranken behandeln und dafür geschultes Personal sowie eine sachgemäße apparative Ausstattung zur Verfügung steht.

Zutreffend hat das Berufungsgericht auch die Voraussetzungen des § 17a Abs 1 Satz 1 KVLG (inhaltsgleich mit § 184a Abs 1 Satz 1 RVO) verneint. Danach kann die Krankenkasse Behandlung mit Unterkunft und Verpflegung in Kur- oder Spezialeinrichtungen gewähren, wenn diese erforderlich ist, um eine Krankheit zu heilen, zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten, und wenn nach den für andere Träger der Sozialversicherung geltenden Vorschriften mit Ausnahme des § 1305 Abs 1 RVO, des § 84 Abs 1 des Angestellten- versicherungsgesetzes (AVG) und des § 97 Abs 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) oder nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) solche Leistungen nicht gewährt werden können. Es braucht nicht erörtert zu werden, welche (zusätzlichen) Auswirkungen dem geltend gemachten Erstattungsanspruch deswegen entgegenstehen könnten, weil es sich um eine als Ermessensleistung ausgestaltete Leistung der Krankenkasse handelt. Jedenfalls hat hier keine "Behandlung mit Unterkunft und Verpflegung in ... Spezialeinrichtungen" im Sinne dieser Vorschrift stattgefunden. Was darunter zu verstehen ist, hat die Rechtsprechung insbesondere im Vergleich zum Regelungsinhalt des § 184 RVO (= § 17 KVLG) herausgearbeitet. Danach liegt Krankenhauspflege (§ 184 RVO) vor, wenn die pflegerische Tätigkeit der ärztlichen Behandlung untergeordnet ist. Als Behandlung in einer Kur- oder Spezialeinrichtung iS von § 184a RVO stellt sich dagegen eine Behandlung dar, die - zwar ebenfalls unter ärztlicher Leitung - stationär und gleichfalls unter Beteiligung besonders ausgebildeten Personals - vorwiegend darauf gerichtet ist, den Zustand des Patienten durch seelische und geistige Einwirkung und durch Anwendung von Heilmitteln zu beeinflussen; die pflegerische Betreuung des Patienten ist hier eher nebengeordnet (Urteile mehrerer Senate des BSG: 3. Senat = BSGE 46, 41, 45 = SozR 2200 § 184a Nr 1; 8a Senat = BSGE 51, 44, 45, 47 = SozR aaO Nr 4; 4a Senat = SozR 1300 § 105 Nr 1). Hiernach muß also auch die stationäre Behandlung (zum Begriff "stationäre Behandlung" vgl § 559 RVO) im Rahmen des § 184a RVO (§ 17a KVLG) mit - nur eben nicht im Vordergrund stehender - ärztlicher Behandlung und Betreuung einhergehen. Dafür spricht auch, daß im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung mit "Behandlung" jeweils "ärztliche (oder zahnärztliche) Behandlung" gemeint ist (vgl § 13 Abs 1 Nr 1 KVLG, § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a RVO) und im übrigen die ärztliche Behandlung durch approbierte Ärzte geleistet wird einschließlich der Hilfeleistungen anderer Personen, wenn diese auf Anordnung des Arztes tätig werden (vgl § 122 RVO). Die hierzu getroffenen, von der Revision unwidersprochen gebliebenen und daher für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG - daß der Versicherte nicht "derart" auf dem B.           behandelt worden sei, die Einrichtung von einer Erzieherin und Heilpädagogin - nicht von einem Arzt - geleitet werde und Ärzte auch nicht zu den dort fest angestellten Personen gehörten, sondern die ärztliche Betreuung, wie auch im Falle des Versicherten, niedergelassenen Ärzten obliege - lassen nur die Schlußfolgerung zu, daß es an der iS des § 17a KVLG erforderlichen ärztlichen (Mit-) Behandlung und Betreuung des Versicherten gefehlt hat. Es kommt hiernach nicht (noch) darauf an, ob - wie das LSG meint - die "Spezialeinrichtung" (als solche) ärztlich geleitet wird.

Das Hauptargument der Revision, die angefochtene Entscheidung stehe im Widerspruch zum Urteil des BSG vom 12. August 1982 - 11 RA 62/81 (BSGE 54, 54 = SozR 2200 § 1237 Nr 18 = USK 82145), greift nicht. Zwar heißt es in jenem Urteil, es reiche zur Wertung der (Entwöhnungs-) Behandlung als medizinische Leistung aus, wenn das wesentliche Ziel die Behandlung der psychischen Fehlhaltung und die Stabilisierung der Persönlichkeit gewesen sei, und daß dieser Wertung nicht entgegenstehe, wenn die Behandlung ohne ärztliche Mitwirkung stattgefunden habe (aaO 54, 59); indessen handelte es sich dort um den Anspruch des Versicherten gegen den Rentenversicherungsträger auf Zahlung von Übergangsgeld nach selbst betriebener Rehabilitation, und es ging darum, ob die Voraussetzungen der §§ 13, 14 AVG erfüllt waren. So hat der 11. Senat auch ausgeführt, daß im Rahmen der Krankenpflege (§ 182 RVO) immer die ärztliche Mitwirkung verlangt werde und § 14 AVG zwar in seiner Grundtendenz mit der Regelung des § 182 Abs 1 RVO übereinstimme, dessen ungeachtet jedoch im einzelnen erhebliche Unterschiede bestünden, zu denen gerade die fehlende Bindung der Rentenversicherungsträger an das Kassenarztsystem (§§ 368 ff RVO) gehörten.

Schließlich läßt sich aus § 21a KVLG kein Anspruch herleiten, und zwar schon deshalb nicht, weil diese Vorschrift nur der Kasse die Möglichkeit zur Gewährung ergänzender Leistungen schafft, während die Unterbringung und Betreuung des Versicherten auf dem B.     , wie vom LSG erkannt, eine selbständige Hauptleistung darstellte.

Die Revision konnte nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666214

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