Entscheidungsstichwort (Thema)
Hilfsmittel iS der gesetzlichen KV. Schwimmprothese
Orientierungssatz
Der Umstand, daß der Anwendungsbereich einer Schwimmprothese funktionell und räumlich begrenzt ist, führt zu keiner Einschränkung der Leistungspflicht einer KK.
Eine solche Beschränkung kann wegen der Bedeutung des Schwimmens für die Gesunderhaltung im allgemeinen und des Versehrtenschwimmsports für die körperliche Ertüchtigung des behinderten Versicherten im besonderen nicht angenommen werden. Das gilt vor allem für einen Unterschenkelamputierten. Ihm sind andere körperliche Betätigungen, die zur Vermeidung einer Verschlechterung der gesundheitlichen Verhältnisse notwendig sind (zB das Wandern), weitgehend verschlossen. Das Schwimmen befriedigt daher Bedürfnisse, die dem gesundheitlich-medizinischen Bereich zuzuordnen sind.
Normenkette
RVO § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c Fassung: 1974-08-07, § 182b Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
SG Dortmund (Entscheidung vom 20.02.1979; Aktenzeichen S 8 Kr 31/78) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20. Februar 1979 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Streitig sind die Anschaffungskosten einer Schwimmprothese.
Dem bei der Beklagten gegen Krankheit versicherten Kläger wurde infolge eines Verkehrsunfalls 1959 der linke Unterschenkel 15 cm unter dem Knie amputiert. Zur Erhaltung seiner Gesundheit und seiner Arbeitsfähigkeit geht er seit Jahren schwimmen. Die Teilnahme an dem ihm kassenärztlich verordneten Behindertensport wird von der Beklagten finanziert. Eine ihm vom Haftpflichtversicherer des Unfallschädigers gestellte Schwimmprothese wurde von letzterem nach Eintritt ihrer Unbrauchbarkeit nicht ersetzt. Der Kläger beantragte deshalb die Übernahme der Anschaffungskosten einer neuen Schwimmprothese bei der Beklagten. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21. Oktober 1977 ab. Im Widerspruchsverfahren befürwortete ihr Vertrauensarzt die Anschaffung der Prothese. Dessen ungeachtet hatte der Widerspruch des Klägers keinen Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat den Facharzt für Orthopädie Dr. B in B I als Gutachter gehört. Er hat ausgeführt, das Schwimmen sei im vorliegenden Fall unbedingt medizinisch erforderlich zur Kräftigung der Rückenmuskulatur und zur Erhaltung der Beweglichkeit der unteren, stark beanspruchten Wirbelsäulenabschnitte sowie um Sekundärfolgen der Unterschenkelamputation wie Muskelverschmächtigung, Kalksalzminderung der beteiligten Knochen und Bewegungseinschränkungen der Gelenke zu mildern. Gestützt auf dieses Gutachten hat das SG mit Urteil vom 20. Februar 1979 die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, die Kosten für die Anschaffung einer Schwimmprothese zu übernehmen, und ihr als vorläufige Leistung die Zahlung von 2.000,- DM auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe Anspruch auf die Gewährung einer Schwimmprothese. Diese sei für ihn ein erforderliches Hilfsmittel, damit er das für ihn aus medizinischen Gründen notwendige Schwimmen betreiben könne. Das Schwimmen mildere die Sekundärfolgen seiner Unterschenkelamputation.
Mit der - zugelassenen - Sprungrevision rügt die Beklagte Verletzung von § 182 und § 182 b der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie meint, das SG habe aus dem eingeholten Gutachten unzutreffende Schlußfolgerungen gezogen. Die Schwimmprothese sei nicht notwendig, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen. Sie erleichtere dem Kläger lediglich das Schwimmen. Nach der Entscheidung des Senats vom 15. November 1973 - 3 RK 77/72 - erfülle die Schwimmprothese deshalb nicht "den Begriff eines Hilfsmittels".
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger mit der von ihm begehrten Prothese auszustatten, folgt aus § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst c iVm § 182 b RVO in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I 1881). Nach diesen Vorschriften hat der Versicherte Anspruch auf Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen. Umfang und Begrenzung dieses Anspruchs ergeben sich aus der zum Ausdruck gebrachten Zweckbestimmung der gesetzlichen Regelung, aus dem eingeschränkten Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung und aus der Aufgabenverteilung im gesamten Sozialleistungsbereich auf mehrere Leistungsträger. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 24. April 1979 - 3 RK 20/78 - SozR 2200 § 182 b RVO Nr 12 mwN) schuldet der Krankenversicherungsträger solche Hilfsmittel, die unmittelbar auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also vor allem die beeinträchtigte Körperfunktion (wie Greifen, Gehen, Sitzen, Hören und Sehen) ermöglichen, ersetzen, erleichtern oder ergänzen. Dagegen besteht grundsätzlich kein Anspruch aus der Krankenversicherung, soweit ein Hilfsmittel dem Zweck dient, lediglich die Folgen der Behinderung in einzelnen Lebensbereichen, insbesondere auf beruflichem, gesellschaftlichem oder privatem Gebiet auszugleichen.
Die sog Schwimm- oder Badeprothese ist eine wasserfeste Prothese, die das Gehen auf naßglattem, rutschigem Boden in Schwimmhallen, in Freischwimmbädern und an Badestränden ermöglicht oder erleichtert (vgl auch Hilfsmittelkatalog des gemeinsamen Rundschreibens der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 27. Juni 1978, Ersatzkasse 1978, 425, 483) oder beim Schwimmen selbst einen Ausgleich der körperlichen Behinderung bewirkt. Sie ist zunächst - worauf schon ihre Bezeichnung hinweist - wie jede Prothese ein Körperersatzstück. Sie ersetzt den nicht mehr vorhandenen Körperteil, hier den linken Unterschenkel, in seiner äußeren Gestalt. Schon deshalb handelt es sich um einen Gegenstand der Krankenpflege. Darüber hinaus ist die Badeprothese ein orthopädisches Hilfsmittel, das der Zweckbestimmung des § 182 b RVO gerecht wird. Sie ist unmittelbar auf den Ausgleich der Behinderung gerichtet; denn sie dient der Ausübung der durch die Amputation beeinträchtigten Funktion der Beine. Sie setzt also nicht erst bei den Folgen der Behinderung in einzelnen Lebensbereichen an. Der Umstand, daß ihr Anwendungsbereich funktionell und räumlich begrenzt ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Zu den Hilfsmitteln iS des § 182 b RVO gehören auch solche, die nur in einem begrenzten Bereich zu verwenden sind (SozR 2200 § 182 b RVO Nr 9 und Nr 12).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Rechtslage anders zu beurteilen ist, wenn das Hilfsmittel zwar eine natürliche Körperfunktion ersetzt, aber nur eine spezielle Tätigkeit ermöglicht, die sich auch in ihrer Wirkung nur auf einen bestimmten Lebensbereich beschränkt. Eine solche Beschränkung kann hier schon wegen der Bedeutung des Schwimmens für die Gesunderhaltung im allgemeinen und des Versehrtenschwimmsports für die körperliche Ertüchtigung des behinderten Versicherten im besonderen nicht angenommen werden. Das gilt vor allem für einen Unterschenkelamputierten. Ihm sind andere körperliche Betätigungen, die zur Vermeidung einer Verschlechterung der gesundheitlichen Verhältnisse notwendig sind (zB das Wandern), weitgehend verschlossen. Das Schwimmen befriedigt daher Bedürfnisse, die dem gesundheitlich-medizinischen Bereich zuzuordnen sind. Diese Zuordnung ist bei der Prüfung, ob die Krankenkasse zur Hilfsmittelgewährung verpflichtet ist, mit zu berücksichtigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Schwimmen dem Versicherten ärztlich verordnet worden ist.
Die Ausstattung mit der Badeprothese ist auch eine notwendige Maßnahme der Krankenpflege (§ 182 Abs 2 RVO). Eine gewöhnliche Prothese kann der Versicherte im Bereich einer Schwimmhalle oder eines Freischwimmbades nicht tragen. Er ist hier auf eine wasserfeste Prothese angewiesen. Er benötigt sie als Körperersatzstück; denn es besteht für ihn auch innerhalb eines Schwimmbades das Bedürfnis, die körperliche Versehrtheit in ihrer äußeren Erscheinung soweit wie möglich auszugleichen. Die Badeprothese ist aber auch notwendig, um das Schwimmen zu ermöglichen, und zwar auch dann, wenn sie nicht zum Schwimmen selbst, sondern nur außerhalb des Wassers zum Gehen gebraucht wird. Das Schwimmen im Hallenbad und Freischwimmbad ist einem Beinamputierten im Rahmen des Zumutbaren nur möglich, wenn er ohne Gefährdung seiner Gesundheit (ohne Gefahr des Ausgleitens und des Hinstürzens) zum Schwimmbecken und ins Wasser gelangen kann. Es liegen schließlich keine Anhaltspunkte dafür vor, daß denselben Zweck in ausreichender Weise ein preisgünstigeres Hilfsmittel erfüllt.
Die Beklagte kann sich zur Stützung ihrer gegenteiligen Auffassung nicht auf das Urteil des Senats vom 15. November 1973 - 3 RK 77/72 - (SozR Nr 3 zu § 187 RVO) berufen. Diese noch zu dem aufgehobenen § 187 Nr 3 RVO aF ergangene Entscheidung betrifft insofern einen anderen Sachverhalt, als dort der Senat von der bindenden Tatsachenfeststellung auszugehen hatte, daß die Schwimmprothese nicht nötig war, um den ärztlich empfohlenen Schwimmsport auszuüben und damit die Arbeitsfähigkeit des Versicherten zu erhalten. Der Senat hat jedoch schon damals hinzugefügt, die Entwicklung der gesellschaftlichen Anschauungen und der Fortschritt der Technik könnten zu einer anderen rechtlichen Beurteilung Anlaß geben, insbesondere dann, wenn es unzumutbar wäre, als einseitig Unterschenkelamputierter ohne eine Spezialprothese ein Schwimmbad aufzusuchen. Damit wurde die Bedeutung der Entscheidung für zukünftige und anders gelagerte Sachverhalte von vornherein eingeschränkt. In diesem Zusammenhang darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Gewöhnung des Publikums an Körperbehinderte seit dem 2. Weltkrieg wieder abgenommen hat und deshalb auch den psychologischen Bedürfnissen des Amputierten Rechnung getragen werden muß. Auch das Urteil des 11. Senats vom 22. August 1975 - 11 RA 69/74 - (USK 75112) vermag die Ansicht der Beklagten nicht zu stützen. In dieser Entscheidung wurde die Verpflichtung eines Rentenversicherungsträgers zur erneuten - dritten - Ausstattung eines Versicherten mit einer Badeprothese deshalb verneint, weil die für die Rentenversicherung geltende besondere Voraussetzung, die Minderung und Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten, nicht vorgelegen hatte.
Lediglich ergänzend mag hier schließlich darauf hingewiesen werden, daß es angesichts der Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung wenig sinnvoll erscheint, dem Kläger die Teilnahme an dem ihm kassenärztlich verordneten Behindertensport - zu dem für ihn aufgrund seiner gesundheitlichen Verhältnisse in erster Linie das Schwimmen gehört - zu finanzieren, wie das seitens der Beklagten geschieht, ihm jedoch die Ausstattung mit einer entsprechenden Prothese zu verweigern und ihn damit der Gefahr auszusetzen, sich weiteren gesundheitlichen Schaden zuzufügen.
Nach alledem ist das angefochtene Urteil des SG im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Revision der Beklagten ist deshalb der Erfolg versagt. Sie muß als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen