Leitsatz (redaktionell)

An einer wirtschaftlich gleichwertigen Arbeit iS des RKG § 45 Abs 1 Nr 2 nF fehlt es, wenn die tarifliche Lohndifferenz zwischen der früheren Hauptberufstätigkeit und der nunmehr verrichteter Tätigkeit mehr als 10 % beträgt.

 

Normenkette

RKG § 45 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1967-12-21

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. Juni 1970 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) zusteht.

Der am 23. Juni 1918 geborene Kläger hat - unter Einbeziehung des Reichsarbeitsdienstes und des Wehrdienstes - bis einschließlich Oktober 1968 eine knappschaftliche Versicherungszeit von 300 Kalendermonaten zurückgelegt. Während dieser Zeit hat er mehr als 180 Monate lang Hauerarbeiten oder der Hauerarbeit gleichgestellte Arbeiten verrichtet. Die im Erzbergbau mehr als 14 Jahre lang ausgeübte Tätigkeit als Hauer hat er am 31. März 1965 wegen Betriebsstillegung aufgegeben. Nach einer Tätigkeit außerhalb des Bergbaus war er vom 29. April 1968 bis zum 27. November 1968 in der Tongrube H in B tätig, und zwar abwechselnd als Förderer (Gedingeschlepper) und als Hauer. Seit dem 29. November 1968 bedient er bei der Firma K & Co. GmbH in E eine Lötmaschine. Er wird nach der Lohngruppe 5 des Lohnabkommens für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie in Hessen entlohnt und erhält neben dem tariflichen Stundenlohn eine Zulage.

Die Beklagte lehnte den am 20. Juli 1968 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG mit Bescheid vom 10. Februar 1969 ab, weil der Kläger eine der Tätigkeit als Hauer im Erzbergbau wirtschaftlich gleichwertige Arbeit verrichte. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte am 11. Februar 1970 unter Aufhebung ihres Bescheides vom 10. Februar 1969 und ihres Widerspruchsbescheides vom 22. April 1969 verurteilt, dem Kläger vom 1. August 1968 an die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG zu gewähren. Im Berufungsverfahren hat der Kläger die Klage zurückgenommen, soweit ein Anspruch auf Bergmannsrente für die Zeit vor dem 1. Dezember 1968 geltend gemacht worden war. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Zeugen Willi R vernommen und mit Urteil vom 23. Juni 1970 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe seit dem 1. Dezember 1968 einen Anspruch auf die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG. Er habe das 50. Lebensjahr vollendet und - unter Einbeziehung des Reichsarbeitsdienstes und des Wehrdienstes - eine Versicherungszeit von 300 Kalendermonaten mit ständigen Arbeiten unter Tage zurückgelegt. Er verrichte im Vergleich zu seiner bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit auch keine wirtschaftlich gleichwertige Arbeit mehr. Auszugehen sei von der Tätigkeit eines Hauers im Erzbergbau, von der sich der Kläger nicht freiwillig gelöst habe. Aus dem Umstand, daß der Kläger in der Zeit von August bis November 1968 neben der Tätigkeit als Förderer auch 154 Stunden als Hauer gearbeitet habe, ergebe sich, daß er jede sich bietende Gelegenheit genutzt habe, um wieder als Hauer zu arbeiten. Er habe sich daher nicht endgültig zugunsten der Tätigkeit eines Förderers von dem Beruf eines Hauers gelöst. Bei dem Lohnvergleich sei dem Gedingerichtsatz zwar nicht nur der dem Kläger in seiner jetzigen Tätigkeit zustehende Stundenlohn gegenüberzustellen, sondern auch die Leistungszulage in der Höhe, in der auch auf sie nach dem Manteltarifvertrag ein Anspruch bestehe. Da die Leistungszulage des Klägers etwas unter dem Durchschnitt aller Zeitlohnarbeiter des Betriebes von etwa 8 v.H. liege, könne sie höchstens bis zu dieser Höhe berücksichtigt werden. Aber selbst wenn man den Stundenlohn des Klägers einschließlich der Zulage bis zu dieser Höhe dem Gedingerichtsatz gegenüberstelle, ergebe sich - abgesehen von den Monaten September und Oktober 1969 - eine Lohnminderung von 10 v.H. oder mehr. Der Kläger verrichte also eine Tätigkeit, die der früher verrichteten Hauertätigkeit nicht wirtschaftlich gleichwertig sei. Die kurze Zeit der Gleichwertigkeit im September und Oktober 1969 müsse angesichts der ständigen Lohnschwankungen unberücksichtigt bleiben.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Sie trägt vor, der Kläger habe sich durch die Aufnahme einer Tätigkeit im Tonbergbau von der früher verrichteten Tätigkeit eines Hauers im Erzbergbau gelöst. Da der Kläger im Tonbergbau überwiegend als Förderer tätig gewesen sei, könne nur diese Tätigkeit für den Lohnvergleich herangezogen werden. Dem Tariflohn eines Förderers sei der vom Kläger in seiner jetzigen Tätigkeit erzielte Lohn einschließlich Zulage gegenüberzustellen. Die vom Kläger verrichtete Tätigkeit sei mit dem Stundenlohn nicht hinreichend bewertet. Da im Manteltarifvertrag ein Anspruch auf eine durchschnittliche Zulage verankert sei, die erst den wahren Wert der Arbeit zum Ausdruck bringe, sei beim Lohnvergleich der Stundenlohn einschließlich Zulage heranzuziehen. Dabei ergebe sich eine Lohnminderung von weniger als 10 v.H.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 11. Februar 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Beklagten sei unbegründet.

II

Die zulässige Revision der Beklagten hat keinen Erfolg, denn das LSG hat mit Recht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und damit die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG für die Zeit vom 1. Dezember 1968 an bestätigt. Über die Zeit vorher hatte das LSG nicht zu entscheiden, weil der Rechtsstreit insoweit durch die Klagerücknahme in der Berufungsinstanz gemäß § 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 102 SGG in der Hauptsache erledigt und das Urteil des SG insoweit gegenstandslos geworden war.

Der Kläger hat für die Zeit vom 1. Dezember 1968 an einen Anspruch auf die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG. Er hat das 50. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG erfüllt. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Ersatzzeiten, während der der Kläger nicht unter Tage gearbeitet hat, den erforderlichen 300 Kalendermonaten mit ständigen Arbeiten unter Tage zugerechnet werden können; denn die Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG ist gemäß Art. 2 § 5 Abs. 1 des Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (KnVNG) schon deshalb erfüllt, weil der Kläger vor dem 1. Januar 1969 180 Kalendermonate Hauerarbeiten oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet hat.

Der Kläger verrichtet seit dem 1. Dezember 1968 auch keine seiner bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit gleichwertige Tätigkeit. Dabei ist es gleichgültig, ob man als bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit des Klägers i.S. des § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG die Tätigkeit eines Hauers im Erzbergbau, eines Hauers im Tonbergbau oder eines Förderers (Gedingeschleppers) im Tonbergbau ansieht. Auch der geringst entlohnten dieser drei knappschaftlichen Tätigkeiten - nämlich der eines Förderers (Gedingeschleppers) im Tonbergbau - ist die vom Kläger seit dem 29. November 1968 außerhalb des Bergbaus verrichtete Tätigkeit nicht gleichwertig.

Der Senat hat bereits entschieden, daß der bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit (Hauptberuf) des Versicherten eine von ihm ausgeübte Arbeit dann gleichwertig i.S. des § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG ist, wenn die Lohndifferenz nicht mehr als 10 v.H. beträgt (SozR Nr. 38 zu § 45 RKG). Gegenstand des Wertvergleichs ist nach der zitierten Entscheidung nicht die effektive Höhe des jeweiligen Erwerbseinkommens, sondern der objektive wirtschaftliche Wert der zu vergleichenden Tätigkeiten, wie er in ihrer tariflichen Einstufung zum Ausdruck kommt. Bei dieser rein objektiven Betrachtungsweise müssen für die Bewertung beider Tätigkeiten Zulagen und Prämien grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, die in der überdurchschnittlichen Arbeitsleistung des Versicherten begründet sind.

Stellt man dem tariflichen Stundenlohn eines Förderers (Gedingeschleppers) nach der Lohngruppe 4 des Lohntarifvertrages für die Feuerfeste Industrie in Hessen den tariflichen Stundenlohn des Klägers in seiner jetzigen Tätigkeit nach der Lohngruppe 5 des Lohnabkommens für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie in Hessen gegenüber, so ergibt sich für den gesamten zu beurteilenden Zeitraum eine Lohndifferenz von mehr als 10 v.H. Die jetzige Tätigkeit des Klägers wäre der Tätigkeit eines Förderers (Gedingeschleppers) nur dann i.S. des § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG wirtschaftlich gleichwertig, wenn man neben dem tariflichen Stundenlohn auch die dem Kläger gezahlte Zulage berücksichtigen könnte. Das ist nach der bereits zitierten Entscheidung des Senats aber nicht möglich, da es sich um eine von der Leistung abhängige Zulage handelt. Der Senat hat in dem zitierten Urteil lediglich die Frage offengelassen, ob solche Zulagen oder Prämien berücksichtigt werden können, die ohne Rücksicht auf die tatsächliche Leistung allgemein gewährt werden. Um eine solche Zulage handelt es sich im vorliegenden Fall jedoch nicht. Nach § 18 Nr. 3 des Manteltarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen sowohl idF des Tarifabkommens vom 6. August 1968 als auch idF vom 26. November 1969 besteht zwar für Zeitlohnarbeiter ein Rechtsanspruch auf Gewährung einer Leistungszulage auf den Grundlohn ihrer Lohngruppe. Diese Zulage wird aber nicht unabhängig von der tatsächlichen Leistung allgemein gewährt, sondern ist von der Beurteilung der Leistung abhängig, wobei als Bewertungsmerkmale das Arbeitsergebnis, die Arbeitsausführung, der Arbeitseinsatz und die Arbeitssorgfalt gelten. Zwar muß die Leistungszulage je Stunde im Durchschnitt aller Zeitlohnarbeiter des Betriebes mindestens 7,5 % des tariflichen Zeitgrundlohnes betragen. Damit ist aber weder eine Mindestzulage noch eine durchschnittliche Zulage bestimmt, die jedem Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf seine tatsächliche Leistung oder bei normaler Arbeitsleistung zustände. Vielmehr handelt es sich um die Errechnung der für den gesamten Betrieb als Zulage auszuwerfenden Summe, die auf die einzelnen Arbeitnehmer je nach Leistungen zu verteilen ist. Der Betriebsdurchschnitt von 7,5 % kann von dem einzelnen Arbeitnehmer je nach Leistung unter- oder überschritten werden. Es handelt sich also um ein leistungsbezogenes Lohnelement, das dem Akkord oder dem Gedinge vergleichbar ist und daher unberücksichtigt bleiben muß.

Danach ist für den gesamten Beurteilungszeitraum der Stundenlohn eines Förderers (Gedingeschleppers) nach der Lohngruppe 4 des Lohntarifvertrages für die Feuerfeste Industrie in Hessen dem Stundenlohn nach der Lohngruppe 5 des Lohnabkommens für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie in Hessen gegenüberzustellen. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, daß nach dem Lohntarifvertrag für die Feuerfeste Industrie in Hessen vom 2. August 1968 und 19. August 1969 der Stundenlohn für diejenigen Arbeitnehmer, die unter das Schichtlohnabkommen vom 2. August 1968 fallen, höher ist als für die übrigen Arbeitnehmer; andererseits ist im Falle des Klägers bei dem Stundenlohn für die Lohngruppe 5 des Lohnabkommens für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie in Hessen von der Ortsklasse II auszugehen. Bei diesem Lohnvergleich ergibt sich für den Kläger über den gesamten Beurteilungszeitraum eine Lohnminderung von mehr als 10 v.H.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670279

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