Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 05.02.1976) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Februar 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist das Ruhen von Krankengeld (§ 189 der Reichsversicherungsordnung – RVO –).
Der 1931 geborene Kläger war seit 1961 als Beleuchter beim W. R. (W.) versicherungspflichtig beschäftigt. Am 25. Dezember 1972 wurde er infolge eines Unfalls arbeitsunfähig krank und erhielt von der Beklagten ab 25. März 1973 Krankengeld. Der W. zahlte ihm bis zum 31. August 1973 den Differenzbetrag zwischen dem Krankengeld und der bisherigen Nettovergütung und gewährte ihm ab 1. September 1973 aufgrund einer bereits bei Abschluß des Arbeitsvertrages erteilten, den beim W. geltenden Bestimmungen entsprechenden „Versorgungsgrundsätze” ein sog. „Invalidengeld”. Die Beklagte kürzte nunmehr das Krankengeld um den Betrag, um den es zusammen mit dem „Invalidengeld” das bisherige Nettoarbeitsentgelt des Klägers überstieg. Die Gewährung des ungekürzten Krankengeldes lehnte sie mit Bescheid vom 3. Mai 1974 ab. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat dem Kläger das ungekürzte Krankengeld zugesprochen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das „Invalidengeld” sei Arbeitsentgelt iS des § 189 Satz 1 RVO. Deshalb habe derjenige Teil des Krankengeldes geruht, der zusammen mit dem „Invalidengeld” das bisherige Nettoentgelt des Klägers überstieg.
Mit der – zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 189 RVO. Er meint, da er seinerzeit eine Beschäftigung tatsächlich nicht ausgeübt habe, sei die ihm in Gestalt des „Invalidengeldes” gewährte Versorgung nicht als Arbeitsentgelt anzusehen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, hilfsweise den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte hat das Krankengeld zu Recht gekürzt; denn dem Kläger stand volles Krankengeld nicht zu.
Nach § 189 Satz 1 RVO ruht der Anspruch auf Krankengeld, wenn und soweit der Versicherte während der Krankheit Arbeitsentgelt erhält. Dabei gelten allerdings nach Satz 2 dieser Vorschrift Zuschüsse des Arbeitgebers zum Krankengeld ohne Rücksicht auf ihre Höhe nicht als Arbeitsentgelt. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt deshalb davon ab, ob es sich bei dem dem Kläger während seiner mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit von seinem Arbeitgeber gewährten sog. „Invalidengeld” um Arbeitsentgelt oder um einen Zuschuß zum Krankengeld handelt; denn nur wenn letzteres zutrifft, hatte der Kläger Anspruch auf das ungekürzte Krankengeld.
Der Inhalt der dem Kläger bei Abschluß seines Arbeitsvertrages vom WDR entsprechend der bei diesem insoweit generell geltenden Bestimmungen gegebenen „Versorgungszusage” spricht dagegen, daß das „Invalidengeld” ein Zuschuß zum Krankengeld ist. Nach Art. 2 Nr. 1 Abs. 1 dieser Versorgungszusage erhält ein noch nicht 65 Jahre alter Arbeitnehmer, der – gleich dem Kläger – länger als 26 Wochen ununterbrochen berufsunfähig wird, von dem auf den Ablauf dieser Frist folgenden Monat an ein monatlich im voraus zu zahlendes „Invalidengeld”. Die hier genannte 26-Wochenfrist war für die Krankengeldzahlung nach früherem Recht insofern von Bedeutung, als damals Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nur bis zu 26 Wochen gewährt wurde (ohne zeitliche Begrenzung wird das Krankengeld erst seit dem 1. August 1961 gewährt, vgl. § 183 Abs. 1 Satz 1 iVm § 182 Abs. 1 Nr. 2 RVO in der bis zum 31.7.1961 gültig gewesenen Fassung; Abschn I Nr. 2 des Erlasses des RAM vom 2.11.1943; AN S 485; Art. 2 Nr. 4, Art. 9 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12.7.1961, BGBl I 913). Schön die Tatsache, daß nach der Versorgungszusage des WDR die Zahlung des „Invalidengeldes” erst nach Ablauf dieser 26-Wochenfrist beginnt, deutet deshalb darauf hin, daß das „Invalidengeld” dem Arbeitnehmer nicht neben, sondern anstelle des Krankengeldes gewährt werden und mithin kein Zuschuß zu diesem sein sollte; denn von einem Zuschuß zum Krankengeld kann nur gesprochen werden, wenn Krankengeld tatsächlich gezahlt wird.
Abgesehen hiervon handelt es sich bei dem „Invalidengeld” nicht um eine Zuwendung iS eines Ruhelohnes, wie er Arbeitnehmern – unter welcher Bezeichnung auch immer – nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber mitunter gezahlt wird; denn die Gewährung einer derartigen Zuwendung ist in Art. 1 der Versorgungszusage des W. gesondert geregelt. Danach erhält ein Arbeitnehmer, der das 65. Lebensjahr vollendet hat, vom W. ein monatlich im voraus zu zahlendes „Ruhegeld”; mit dem Beginn der Ruhegeldzahlung endet automatisch sein „Dienstverhältnis mit dem W.”. Das Arbeitsverhältnis des Klägers dagegen bestand auch während der Zahlung des „Invalidengeldes” weiter; denn nach der Versorgungszusage (Art. 2 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2) „ruht das Dienstverhältnis mit dem W.” für die Dauer der Zahlung des „Invalidengeldes”. Ein Arbeitsverhältnis, das lediglich „ruht”, ist aber nicht beendet, sondern besteht fort. Davon geht auch die Versorgungszusage selbst aus; denn sie schreibt in Art. 2 Nr. 4 vor, daß der Invalidengeld-Berechtigte verpflichtet ist, auf Verlangen des W. bei diesem eine andere Tätigkeit auszuüben, soweit sie ihm unter Berücksichtigung seiner Berufsunfähigkeit und seiner Vorbildung zugemutet werden kann. Auch ergibt sich aus Art. 9 Nr. 1 der Versorgungszusage, daß diese bei Invalidengeld-Empfängern grundsätzlich erlischt, wenn der Berechtigte „aus dem Dienst des W. ausscheidet”.
Daß der Kläger während seiner damaligen Krankheit eine Beschäftigung tatsächlich nicht ausgeübt, also keinerlei Arbeit geleistet hat, steht dem Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses nicht entgegen. Ein bestehendes Arbeitsverhältnis wird nicht schon dadurch beendet, daß ein Arbeitnehmer – wie hier der Kläger – wegen des Auftretens einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit keine Arbeit mehr verrichtet. Das Arbeitsverhältnis besteht vielmehr auch in diesem Fall fort, solange der Arbeitsvertrag rechtlich weiterbesteht, der Arbeitnehmer auch zur Fortsetzung der Arbeit bereit ist und der Arbeitgeber seine Direktions- und Weisungsbefugnis ihm gegenüber nicht verloren hat (vgl. BSGE 10, 156, 159; 16, 210, 212; 26, 124, 126; 29, 30, 31; 33, 254, 258; 37, 10, 13). Anhaltspunkte dafür, daß diese für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses charakteristischen Voraussetzungen hier während der Krankheit des Klägers weggefallen sein könnten, sind nicht gegeben.
Bestand hiernach das Arbeitsverhältnis des Klägers während seiner mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit und der durch sie ausgelösten Invalidengeld-Zahlung weiter, dann war dieses „Invalidengeld” Arbeitsentgelt; denn ein anderer Rechtsgrund für seine Gewährung durch den Arbeitgeber als das fortbestehende Arbeitsverhältnis ist nicht ersichtlich.
Die Ruhensvorschrift des § 189 RVO bezweckt jedoch lediglich, solche Doppelleistungen auszuschließen, durch die dem Arbeitsunfähigen höhere Bezüge zuflössen, als er bei vollem Arbeitsentgelt erhalten würde. Nur der gleichzeitige Bezug von Krankengeld neben vollem Arbeitsentgelt aber kann für den Versicherten während einer Krankheit eine derartige Doppelversorgung ergeben. Sie entspräche nicht dem Wesen des Krankengeldes; denn das Krankengeld dient der Sicherung des Unterhalts. Es hat Lohnersatzfunktion; denn es soll den während einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit entfallenden Arbeitsverdienst ersetzen und den Versicherten so vor wirtschaftlichen Nachteilen möglichst schützen. Diese Zielsetzung würde überschritten, wenn dem Versicherten während der Arbeitsunfähigkeit an Krankengeld und Arbeitsentgelt zusammen mehr Mittel zum Lebensunterhalt zur Verfügung stünden, als vor dem Eintritt der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.
Andererseits müssen bei Berücksichtigung der Lohnersatzfunktion des Krankengeldes unter einem „Zuschuß” zum Krankengeld (§ 189 Satz 2 RVO) alle Leistungen des Arbeitgebers verstanden werden, die dieser dem Arbeitnehmer gewährt, um dessen Gesamtbezüge auch während seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht unter den Betrag des von ihm bisher bezogenen Nettoarbeitsentgelts sinken zu lassen (BSGE 18, 236, 238/239). Deshalb ist das dem Kläger während seiner Krankheit als „Invalidengeld” weitergezahlte Arbeitsentgelt insoweit wie ein Zuschuß zum Krankengeld zu behandeln, als es zusammen mit diesem sein Nettoarbeitsentgelt nicht überstieg.
Nach alledem hat die Beklagte das Krankengeld des Klägers zu Recht um den Betrag gekürzt, um den es zusammen mit dem „Invalidengeld” sein bisheriges Nettoarbeitsentgelt überstieg; denn der zusammen mit dem Krankengeld das Nettoarbeitsentgelt übersteigende Betrag des als „Invalidengeld” weitergezahlten Arbeitsentgelts ist nicht als Zuschuß zum Krankengeld anzusehen. Er muß deshalb auf das Krankengeld voll angerechnet werden, weil insoweit der Anspruch des Klägers auf Krankengeld nach § 189 Satz 1 RVO ruhte.
Das LSG hat mithin die Klage zu Recht abgewiesen. Der Revision des Klägers ist deshalb der Erfolg versagt. Sie muß als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen