Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Berichtigungsbescheid erfordert als unumgängliche Voraussetzung für den Erlaß einer neuen Regelung die unzweideutige Rücknahme des als unrichtig erkannten Verwaltungsakts, dh der Adressat muß erkennen können, daß und warum der frühere Bescheid zurückgenommen wird.

Wird in einem nach BVG § 86 Abs 3 erlassenen Bescheid eine früher anerkannte Leidensbezeichnung lediglich weggelassen, so kann daraus nicht ohne weiteres entnommen werden, daß das Leiden wegen Unrichtigkeit aberkannt wird.

2. War ein Leiden ohne Einschränkung iS der Entstehung anerkannt (hier: Ödembereitschaft), obwohl ein schädigungsunabhängiges Leiden (hier: Herz- und Kreislaufleiden) nicht nur eindeutig erkannt war, sondern auch ganz im Vordergrund des Krankheitsgeschehens stand, so kann von einer ohne hier zu Lasten des Beklagten gehenden Mehrdeutigkeit dieser Anerkennung (vergleiche dazu BSG 1959-11-11 11 RV 660/58 = BSGE 11, 57), insbesondere von einer gewollten und erkennbar zum Ausdruck gekommenen Einschränkung (hier: ?auf dystrophiebedingte Ödembereitschaft?) nicht die Rede sein.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 3 Fassung: 1950-12-20, § 86 Abs. 3 Fassung: 1956-06-06; KOVVfG § 41 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Mai 1960 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger wurde im Mai 1945 von tschechischen Partisanen mißhandelt, erheblich verletzt und sodann bis Juni 1947 inhaftiert. Im Juli 1947 beantragte er Versorgung. Im Gutachten vom 18. Dezember 1947 stellte Dr. N neben anlage- und altersbedingter Arterienverkalkung mit besonderer Beteiligung der Schlagader (Aorta) u.a. an beiden Unterschenkeln Ödeme als Folge des durchgemachten Hungers fest. Die damalige Versorgungsbehörde erkannte mit Bescheid vom 21. Mai 1948 1) Ödembereitschaft, 2) Rückenmuskelrheumatismus, 3) chronische Wirbelsäulenentzündung (Spondylosis deformans), mäßig starke Verbiegung der Wirbelsäule, erhebliche Behinderung der Rumpfbeugung, ausgedehnte nicht störende Narben am Rücken, zu 1) und 2) als durch Kriegseinwirkung entstanden, zu 3) im Sinne der Verschlimmerung an, bewertete die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 80 vom Hundert (v.H.) und bewilligte die dementsprechende Versorgungsrente. In dem Bescheid ist hervorgehoben, daß die Arterienverkalkung mit besonderer Beteiligung der Schlagader keine Dienstbeschädigung bzw. kein Personenschaden sei. Bei der Nachuntersuchung vom 13. Juli 1950 fand Dr. S beim Kläger u.a. noch erhebliche teigige Schwellungen an beiden Unterschenkeln; gleichzeitig stellte er einen mittelschweren Herzmuskelschaden mit Neigung des Kreislaufs zu Unausgeglichenheit fest. Die Versorgungsbehörde teilte dem Kläger am 1. September 1950 mit: "Die am 13. Juli 1950 erfolgte fachärztliche Untersuchung hat zu einer anderweitigen Festsetzung Ihrer KB-Rente nicht geführt. Ihr Körperschaden lautet wie bisher 1) Ödembereitschaft, 2) Rückenmuskelrheumatismus, 3) Chronische Wirbelsäulenentzündung (Spondylosis-deformans), mäßig starke Verbiegung der Wirbelsäule, erhebliche Behinderung der Rumpfbeugung, ausgedehnte nicht störende Narben am Rücken (im Sinne der Verschlimmerung)." In dem ohne Nachuntersuchung ergangenen Umanerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1951 übernahm das Versorgungsamt (VersorgA) Leidensbezeichnung und MdE. Dr. O vertrat im Gutachten vom 9. April 1954 die Ansicht, die nach wie vor vorhandenen Unterschenkelödeme seien nicht mehr Folgen der durchgemachten Dystrophie (Ernährungsstörung), sondern nephrogen und cardial bedingt. Ein Rheumatismus sei nicht mehr festzustellen und die z.Zt. noch anerkannten Veränderungen an der Wirbelsäule bedingten einen Verschlimmerungsanteil von weniger als 25 v.H. Durch Bescheid vom 24. Juni 1954 entzog das VersorgA dem Kläger nach § 86 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) die Rente ab 1. August 1954, da die MdE weniger als 25 v.H. betrage, führte die Ödembereitschaft nicht mehr auf und bezeichnete als Schädigungsfolgen "1) Narben am Rücken, 2) Verbiegung der Wirbelsäule, chron. Wirbelsäulenentzündung, Behinderung der Rumpfbewegung zu 1) hervorgerufen, zu 2) verschlimmert". Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Das Sozialgericht (SG) holte ein Gutachten der Dres. P und F vom 27. April 1956 ein, in dem die Ödeme des Klägers nicht mehr als Folge der Internierung angesehen wurden, weil bei ihm eine anlagebedingte Arterienverkalkung zu einem schweren Herzmuskelschaden mit extremem Bluthochdruck, ausgeprägten Unterschenkelödemen und Stauung der Nieren geführt habe. Die MdE wurde mit 20 v.H. bewertet. Am 5. November 1956 verurteilte das SG den Beklagten, in Abänderung des Bescheides vom 24. Juni 1954 "Ödembereitschaft" weiterhin als Schädigungsfolge anzuerkennen und ab 1. August 1954 Rente nach einer MdE um 25 v.H. zu gewähren. Die 1948 und 1951 anerkannte und noch bestehende Ödemerkrankung könne entgegen § 85 BVG nicht gemäß § 86 Abs. 3 BVG von der Anerkennung ausgenommen werden.

Mit der Berufung machte der Beklagte geltend, die im Bescheid vom 21. Mai 1948 anerkannte "Ödembereitschaft" beziehe sich nur auf im Zusammenhang mit der Dystrophie aufgetretene Ödeme. Am 1. September 1950 habe die Versorgungsverwaltung die Schwellungen der Unterschenkel noch auch die Dystrophie zurückführen dürfen; nach dem von Dr. O 1954 erhobenen Befund sei das jedoch nicht mehr möglich gewesen. § 85 BVG sei wegen Änderung der Wesensgrundlage des Leidens nicht anwendbar, so daß das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen sei. Dr. Z führte im Gutachten vom 9. Dezember 1958 aus, das Herz- und Gefäßleiden des Klägers habe nach dem Gutachten vom 13. Juli 1950 bereits 1950 ganz im Vordergrund des Krankheitsbildes gestanden. Es sei wenig wahrscheinlich, daß die Ödeme an den Unterschenkeln 1950 noch als Restzustand nach Dystrophie bestanden hätten. Die ursächlichen Faktoren hätten sich verschoben; die Ödeme ließen sich zwanglos als Ausdruck einer Herzinsuffizienz und cardialer Dekompensationserscheinungen erklären. Der Sachverständige schätzte die durch Ödeme bedingte MdE auf 30, bei Berücksichtigung der Rückenverletzungen auf 40 bis 50 v.H. Der Kläger beantragte mit der Anschlußberufung, den Beklagten zur Rentengewährung nach einer MdE um 50 v.H. zu verurteilen. Das LSG wies mit Urteil vom 27. Mai 1960 die Berufung des Beklagten zurück, verurteilte ihn auf die Anschlußberufung, über den 31. Juli 1954 hinaus Rente nach einer MdE um 40 v.H. zu gewähren, wies im übrigen die Anschlußberufung zurück und ließ die Revision zu. Nach Erlaß des Bescheides vom 21. Mai 1948 habe sich zwar eine Änderung dahin ergeben, daß die Ödeme des Klägers nicht mehr durch die Dystrophie, sondern cardial und nephrogen bedingt gewesen seien. Durch die als Bescheid zu qualifizierende Mitteilung vom 1. September 1950 seien aber die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Ödeme weiterhin als Schädigungsfolgen anerkannt worden. Da die Grundlage der Ödeme des Klägers sich in der Zeit nach dieser Mitteilung nicht mehr geändert habe, sei der Beklagte nach § 85 BVG an die in der Mitteilung enthaltene Anerkennung gebunden. Der angefochtene Bescheid könne auch nicht in einen Berichtigungsbescheid umgedeutet werden, da im Zeitpunkt seines Erlasses Nr. 26 der Sozialversicherungsanordnung Nr. 11 nicht mehr und § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) noch nicht gegolten habe. Die MdE habe nur mit 40 v.H. bewertet werden können.

Die Revision des Beklagten rügt Verletzung der §§ 133 BGB, 86 Abs. 3 BVG, 22 VerwVG, 103, 106, 128 SGG und der Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts (§ 77 SGG). Unter Verletzung des § 133 BGB habe das LSG die Mitteilung vom 1. September 1950 als eine Entscheidung über den Kausalzusammenhang angesehen. Die Mitteilung besage nur, daß die vorangegangene fachärztliche Untersuchung nicht zu einer anderweitigen Festsetzung der Rente geführt habe. Im übrigen wiederhole sie nur die bereits im Bescheid vom 21. Mai 1948 enthaltene Leidensbezeichnung mit den Worten "wie bisher", ohne den im Gutachten vom 13. Juli 1950 festgestellten Herzmuskelschaden anzuerkennen, und der Satz, "diese Benachrichtigung ist eine Ergänzung des KB-Bescheides vom 21.5.1948 ..." sei durchgestrichen. Die Mitteilung könne daher nicht als ein den Kläger gegenüber der früheren Regelung begünstigender Bescheid angesehen werden und stehe der Anwendung von § 86 Abs. 3 BVG nicht entgegen. Dies ergebe sich auch aus dem Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 5. September 1957 (BVBl. 1957, 152), zumal man drei Jahre nach der Internierung noch nicht von einer Beseitigung der Ödemneigung ausgehen könne, wohl aber sieben Jahre danach. Das LSG habe die Beweisregeln verletzt, indem es seine Feststellung, bei der Untersuchung vom 13. Juli 1950 seien die Ödeme allein Folge der Kreislaufstörungen und des Herzmuskelschadens und nicht mehr einer Dystrophie gewesen, auf die "übereinstimmende" Ansicht der Sachverständigen Dr. P und Dr. Z gestützt habe. Dr. P habe zu dieser Frage überhaupt nicht Stellung genommen und Dr. Z habe nur die Vermutung eines 1950 noch bestehenden Restzustandes nach Dystrophie als wenig wahrscheinlich angesehen. Schließlich habe das LSG übersehen, daß der angefochtene Bescheid jedenfalls als Berichtigungsbescheid nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zu halten sei; es habe die zur Beurteilung dieser Frage notwendigen Ermittlungen nicht angestellt. Der Beklagte beantragt, in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen die Klage ab- und die Anschlußberufung zurückzuweisen; hilfsweise, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend; auch bei Anwendung der Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts sei der angefochtene Bescheid nicht zu halten, weil die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 1. September 1950 in den Verantwortungsbereich des Beklagten falle und der Kläger seine Lebenshaltung auf den Rentenbezug eingerichtet habe.

Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und daher zulässig, sachlich jedoch nicht begründet.

Gegen die Zulässigkeit der Berufung des Beklagten gegen das SG-Urteil bestehen keine Bedenken. Zwar trägt der Berufungsschriftsatz vom 11. Februar 1957 den Briefkopf "Versorgungsamt Soest"; er ist aber unterzeichnet von dem Leiter des Versorgungsamtes, der mit Vollmacht des Direktors des Landesversorgungsamtes berechtigt war, namens des Landesversorgungsamtes Berufung einzulegen. Dies ist auch schon im Berufungsschriftsatz zum Ausdruck gekommen. Es liegt somit eine nach § 73 Abs. 1 und 4, Satz 2 SGG zulässige Bevollmächtigung einer natürlichen Person zur Vornahme einer Prozeßhandlung vor.

Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen gehen fehl. Die Revision beanstandet die Feststellung des LSG, nach übereinstimmender Ansicht der Sachverständigen Dr. P und Dr. Z sei der bereits bei der Untersuchung vom 13. Juli 1950 gefundene sehr erhebliche Herzmuskelschaden mit Kreislaufstörungen schon damals die Ursache der Schwellungen (Ödeme) gewesen. Hervorzuheben ist hier zunächst, daß Dr. P sich in seinem Gutachten durch Verweisung auf die Blätter 20, 39 und 40 der Versorgungsakten auf die Befunde der Gutachten vom 18. Dezember 1947 und 13. Juli 1950, also auch auf die Feststellung im Gutachten vom 13. Juli 1950 bezogen hat, beim Kläger bestehe ein mittelschwerer Herzmuskelschaden mit Neigung des Kreislaufs zu Unausgeglichenheit. In dem Gutachten ist sodann ausgeführt, das Krankheitsbild werde durch die bereits 1947 festgestellte und zwischenzeitlich schicksalsmäßig erheblich fortgeschrittene allgemeine Arterienverkalkung beherrscht, die zu einem schweren Herzmuskelschaden mit Herzminderleistung geführt habe. Als Folge der Herzminderleistung bestünden ausgeprägte Unterschenkelödeme. Der Beginn der bereits 1947 röntgenologisch festgestellten anlagebedingten Aderverhärtung und -verkalkung liege Jahre vor der Haftzeit und sei nicht durch diese verursacht worden. Wenn das LSG aus diesen Ausführungen folgerte, die Ödeme seien auch nach Meinung des Dr. P bereits 1950 auf den Herzmuskelschaden mit Kreislaufstörungen zurückzuführen gewesen, so hat es dem Gutachten eine Feststellung entnommen, die mindestens sinngemäß in ihm enthalten war; es hat damit nicht die Grenzen freier richterlicher Beweiswürdigung überschritten. Auch das Gutachten des Dr. Z hat das LSG ohne Verstoß gegen § 128 SGG zutreffend gewürdigt. Wenn der Sachverständige bei kritischer Auswertung aller Befundunterlagen die Frage "mit Wahrscheinlichkeit" verneinte, ob 1950 noch Folgeerscheinungen der Gefangenschaft angenommen werden konnten, so brachte er zwar seine Ansicht mit der bei rückschauender Betrachtung der Befunde anderer Ärzte gebotenen Vorsicht, gleichwohl aber unmißverständlich im Sinne der vom LSG getroffenen Feststellung zum Ausdruck. Die Rüge, das LSG habe die zur Prüfung des angefochtenen Bescheides nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts notwendigen Ermittlungen unterlassen, kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil sie nicht von der Rechtsauffassung des LSG ausgeht. Zu den von der Revision vermißten - im einzelnen nicht näher bezeichneten - Ermittlungen hätte sich das LSG nach § 103 SGG nur gedrängt sehen müssen, wenn nach seiner Auffassung die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid in Frage gekommen wären (vgl. BSG 2, 84). Das war jedoch nicht der Fall, denn das LSG ist - ob zu Unrecht, kann hier dahinstehen - jedenfalls nicht dieser Auffassung gewesen. Zur Ermittlung von Tatsachen, auf die es nach der sachlich-rechtlichen Auffassung des Gerichts im Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht ankommt, ist dieses jedoch nach § 103 SGG nicht verpflichtet (vgl. BSG SozR SGG § 103 Da 2 Nr. 7). Soweit der Beklagte rügt, das LSG habe unter Verletzung des § 133 BGB die Mitteilung vom 1. September 1950 unzutreffend ausgelegt, beanstandet er nicht das Verfahren, sondern den materiellen Inhalt der Entscheidung des LSG, denn er bemängelt nur die rechtliche Qualifikation dieser Mitteilung, nicht das Verfahren, das zu dieser rechtlichen Würdigung geführt hat.

Auch materiell-rechtlich ist das angefochtene Urteil im Ergebnis nicht zu beanstanden. Da es allein vom Beklagten angegriffen wird, ist unter den Beteiligten nur noch streitig, ob der Bescheid vom 24. Juni 1954 von den Vorinstanzen zu Recht dahin abgeändert wurde, daß weiterhin "Ödembereitschaft" als Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger über den 31. Juli 1954 hinaus Rente nach einer MdE um 40 v.H. zu gewähren sei. Dies hängt davon ab, ob der Beklagte berechtigt war, in dem auf § 86 Abs. 3 BVG gestützten Bescheid vom 24. Juni 1954 die zuvor im Bescheid vom 21. Mai 1948, in der Mitteilung vom 1. September 1950 und im Umanerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1951 anerkannten Schädigungsfolgen dahin einzuschränken, daß "Ödembereitschaft" nicht mehr anerkannt wurde. Zu dieser Einschränkung war der Beklagte nicht befugt. Die Vorinstanzen sind allerdings rechtsirrig davon ausgegangen, der Beklagte sei nach § 85 BVG verpflichtet gewesen, die zuletzt im Umanerkennungsbescheid anerkannte "Ödembereitschaft" im angefochtenen Bescheid zu übernehmen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden habt, kommt § 85 BVG bei Erlaß eines Neufeststellungsbescheides nicht mehr zur Anwendung, wenn über den Anspruch des Versorgungsberechtigten bereits erstmalig nach den Vorschriften des BVG entschieden worden ist (vgl. BSG in SozR BVG § 85 Ca 11 Nr. 18); denn § 85 BVG betrifft nur das hier außer Streit stehende Verhältnis des Umanerkennungsbescheides zum Bescheid nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften, während § 86 Abs. 3 BVG das Verhältnis des Neufeststellungsbescheides zum Umanerkennungsbescheid behandelt (vgl. BSG in SozR BVG § 86 Ca 3 Nr. 5). Hier geht es nur darum, inwieweit der Neufeststellungsbescheid Änderungen gegenüber früheren bindend gewordenen Bescheiden zuließ, also um die Bindung des Beklagten an die Anerkennung der "Ödembereitschaft" im Umanerkennungsbescheid nach § 77 SGG. Danach blieb der Beklagte auch bei Erlaß des Bescheides vom 24. Juni 1954 an diese Anerkennung gebunden, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt war. Der Beklagte konnte zwar neben der Rentenentziehung die frühere Feststellung wegfallen lassen, daß die "Ödembereitschaft" Schädigungsfolge sei, wenn im Zeitpunkt der Neufeststellung der Rente gemäß § 86 Abs. 3 BVG dieser Leidenszustand nicht mehr bestand (BSG in SozR BVG § 86 Ca 3 Nr. 5 und Urteil des erkennenden Senats vom 9. Juli 1963 - 9 RV 1358/60); gerade diese Voraussetzung ist aber hier nicht erfüllt, denn die Ödembereitschaft und die durch sie ausgelösten Ödeme bestanden beim Kläger am 24. Juni 1954 noch weiter. Der Beklagte meint zwar, er habe mit der Ödembereitschaft nur die Ödeme anerkannt, die sich "als Folge der Dystrophie" ergeben hatten, während die auf der anlage- und altersbedingten Gefäßsklerose und dem daraus entstandenen Herz- und Kreislaufschaden beruhenden Ödeme nicht von der Anerkennung umfaßt würden. Dem sind die Vorinstanzen jedoch mit Recht nicht gefolgt. Wenn der Beklagte nur eine Anerkennung in diesem begrenzten Umfang aussprechen wollte, wozu wegen der von Dr. N bereits Ende 1947 - vor der Erstanerkennung - festgestellten anlage- und altersbedingten Arterienverkalkung mit besonderer Beteiligung der Schlagader auch Anlaß bestanden hätte, so mußte er dies bei der Erstanerkennung durch eine einschränkende Bezeichnung des Leidens zum Ausdruck bringen. Dies ist indes nicht geschehen; der Beklagte hat vielmehr mit der umfassenden Leidensbezeichnung "Ödembereitschaft" nicht nur die bestehenden Ödeme, sondern darüber hinaus die dem Organismus des Klägers eigentümliche, allgemeine krankhafte Bereitschaft anerkannt, Flüssigkeitsansammlungen in den Geweben zuzulassen, also die Unfähigkeit, derartige Ansammlungen zu verhindern. Es mag sein, daß dies dem Beklagten zunächst unbedenklich erschien, weil er mit einer anderen Ursache der Ödembereitschaft nicht rechnete. Er hielt aber diese Leidensbezeichnung auch in der Mitteilung vom 1. September 1950 aufrecht, obwohl ihm jetzt bekannt war, daß beim Kläger ein mittelschwerer Herzmuskelschaden mit Neigung des Kreislaufs zu Unausgeglichenheit bestand. Damit brachte der Beklagte zum Ausdruck, daß er die bei der Untersuchung vom 13. Juli 1950 festgestellten Befunde nicht zum Anlaß einer Änderung der Rente oder der Leidensbezeichnung nehme. Insoweit ist die Mitteilung vom 1. September 1950 eine selbständige, den Kläger begünstigende Regelung, ein Verwaltungsakt, mit dem die Rechtsposition des Klägers gefestigt wurde. Die Mitteilung enthält die uneingeschränkte Feststellung, daß der derzeitige Leidenszustand als Ödembereitschaff anerkannt bleibe. In der Mitteilung ist zwar der Satz "Diese Benachrichtigung ist eine Ergänzung des KB-Bescheides vom 21.5.1948 ..." gestrichen; das ändert jedoch nichts daran, daß es sich um einen Verwaltungsakt handelt. Seine Wirkung wurde gegenüber dem Bescheid vom 21. Mai 1948 noch verstärkt, weil das Krankheitsgeschehen inzwischen eine andere Grundlage erhalten hatte. Der Beklagte mag davon ausgegangen sein, daß, nachdem der KB-Bescheid die ärztlichen Befunde nicht aufgezählt hatte, ein Eingehen auf die erneute ärztliche Untersuchung und eine Ergänzung oder Berichtigung des KB-Bescheides nicht erforderlich war. Der rechtlich erhebliche Inhalt der Mitteilung liegt aber gerade in der hoheitlichen Regelung, die Festsetzung der KB-Rente und die anerkannten Körperschäden würden durch das Ergebnis der fachärztlichen Untersuchung vom 13. Juli 1950 nicht berührt. Es handelt sich hier - ebenso wie bei der erneuten Entscheidung über einen bereits bindend abgelehnten Rentenantrag nach neuer sachlicher Prüfung (vgl. BSG 10, 248; SozR SGG § 77 Da 8 Nr. 21) - um einen nach neuer medizinischer und rechtlicher Prüfung erlassenen Zweitbescheid (vgl. zur Beurteilung einer ähnlichen "Benachrichtigung" Urteil des erkennenden Senats vom 9. Juli 1963 - 9 RV 1358/60). Daß die Mitteilung nicht in der bei Bescheiden üblichen Form und insbesondere ohne Rechtsmittelbelehrung erging, hindert ihre Bewertung als Verwaltungsakt nicht; denn auch vor dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes, das in § 77 den allgemeinen Begriff des Verwaltungsakts übernommen hat, wurde die Rechtswirksamkeit und die Bindungswirkung einer hoheitlichen Regelung nicht durch das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung beeinträchtigt (vgl. RVA AN. 1920 S. 186 Nr. 2570). Erkannte der Beklagte aber auch in der Mitteilung vom 1. September 1950 "Ödembereitschaft" ohne Einschränkung im Sinne der Entstehung an, obwohl nunmehr das schädigungsunabhängige Herz- und Kreislaufleiden nicht nur eindeutig erkannt war, sondern auch ganz im Vordergrund des Krankheitsgeschehens stand, so kann von einer ohnehin zu Lasten des Beklagten gehenden Mehrdeutigkeit dieser Anerkennung (vgl. dazu BSG 11, 57), insbesondere von einer gewollten und erkennbar zum Ausdruck gekommenen Einschränkung auf "dystrophiebedingte Ödembereitschaft" nicht die Rede sein. Als Schädigungsfolge anerkannt war die Ödembereitschaft schlechthin im Sinne der Entstehung. Sie blieb es auch im Umanerkennungsbescheid und konnte durch den angefochtenen Neufeststellungsbescheid nach § 86 Abs. 3 BVG nicht aufgehoben werden, weil sie bei Erlaß dieses Bescheides noch fortbestand.

Eine Berichtigung wegen ursprünglicher Unrichtigkeit kann im bloßen Weglassen der zuvor anerkannten Ödembereitschaft nicht erblickt werden, denn eine Regelung dahin, daß dieser Leidenszustand zu Unrecht anerkannt worden sei und deshalb rückwirkend aberkannt werde, ist im Neufeststellungsbescheid nicht getroffen. Ein Berichtigungsbescheid erfordert als unumgängliche Voraussetzung für den Erlaß einer neuen Regelung die unzweideutige Rücknahme des als unrichtig erkannten Verwaltungsaktes. In einem auf § 86 Abs. 3 BVG gestützten Bescheid ist zwar als rechtliche Folge des abgeklungenen, früher anerkannten Leidenszustandes die Leidensbezeichnung wegzulassen. Schon darum kann der etwa vorhandene Wille der Verwaltung, einen früheren Bescheid zu berichtigen, nicht durch bloßes Weglassen der Leidensbezeichnung zum Ausdruck gebracht werden. Dieser Wille muß, um rechtliche Bedeutung zu erlangen, durch einen Verwaltungsakt zweifelsfrei verwirklicht werden; es muß in einer für den Adressaten erkennbaren Weise bestimmt werden, daß und warum der frühere Bescheid zurückgenommen wird. Wird in einem nach § 86 Abs. 3 BVG erlassenen Bescheid eine früher anerkannte Leidensbezeichnung lediglich weggelassen, so kann daraus zunächst nur entnommen werden, daß nach Auffassung der Verwaltung das Leiden nicht mehr besteht, nicht aber, daß es wegen Unrichtigkeit aberkannt wird. In dem Bescheid vom 24. Juni 1954 ist die frühere Leidensbezeichnung "Ödembereitschaft" ohne nähere Begründung nicht mehr aufgeführt. Der Widerspruchsbescheid vom 15. September 1954 ist nur darauf gestützt, daß der früher anerkannte Leidenszustand nicht mehr bestehe, weil die Ödeme nicht mehr als Folgen der Dystrophie angesehen werden könnten. Auch ihm ist nicht zu entnehmen, daß die frühere Anerkennung unrichtig gewesen sei und darum berichtigt werde. Der Widerspruchsbescheid geht vielmehr offensichtlich - zu Unrecht - davon aus, daß die Anerkennung der Ödembereitschaft auf die durch die Dystrophie ausgelösten Krankheitserscheinungen beschränkt worden sei und eine Berichtigung darum gar nicht in Betracht komme. Weder der Bescheid vom 24. Juni 1954 noch der Widerspruchsbescheid vom 15. September 1954 lassen somit eine Berichtigungsabsicht oder einen dahin gerichteten Willen der Versorgungsverwaltung erkennen. Hat aber der Beklagte eine Berichtigung selbst nicht vorgenommen und auch nicht vornehmen wollen, so kann sie auch nicht durch Umdeutung unterstellt oder ... vom Gericht nachgeholt werden. Es würde dem Verfassungsgrundsatz der Gewaltenteilung widersprechen (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes), wenn der Senat die fehlende Entschließung der Verwaltung nachholen oder ihr vorgreifen und in dem nach § 86 Abs. 3 BVG rechtswidrigen Neufeststellungsbescheid etwa einen auf die Zeit nach seinem Erlaß beschränkten Berichtigungsbescheid erblicken wollte. Darüber hinaus ist der erkennende Senat mit dem 10. Senat (Urt. vom 31. Januar 1962 - 10 RV 955/58 - Breith. 1962, 723) der Auffassung, daß ein auf § 86 Abs. 3 BVG gestützter Bescheid grundsätzlich deshalb nicht nachträglich in einen Berichtigungsbescheid umgedeutet werden kann, weil er hierdurch in seinem Wesen verändert würde.

Erweist sich somit der angefochtene Bescheid als rechtswidrig, soweit er die Anerkennung der Ödembereitschaft - entgegen der nach § 77 SGG fortbestehenden Bindung - in Wegfall kommen ließ, so muß auch die aus diesem Leidenszustand resultierende MdE des Klägers als Grundlage seines Rentenanspruchs weiterhin jedenfalls in der vom LSG festgestellten, von der Revision nicht mit Erfolg angegriffenen und deshalb gemäß § 163 SGG für das Revisionsgericht bindenden Höhe (40 v.H.) anerkannt bleiben. Dem Kläger ist, wie das LSG im Ergebnis zutreffend erkannt hat, über den 31. Juli 1954 hinaus die entsprechende Rente zu gewähren.

Die Revision des Beklagten mußte daher gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 SGG als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380424

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