Leitsatz (amtlich)
Eine Tätigkeit, die der Versicherte von ihrem Beginn an nur auf Kosten seiner Gesundheit verrichten konnte, ist nicht als seine bisherige Tätigkeit im Sinne der RKG §§ 35 aF, RKG 45 (sein Hauptberuf) anzusehen.
Normenkette
RKG § 35 Fassung: 1934-05-17, § 45 Fassung: 1957-05-21, § 46 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. April 1960 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der am 17. Juni 1899 geborene Kläger war vom 4. Januar 1916 bis zum 29. Dezember 1930 mit geringen Unterbrechungen im niederschlesischen Steinkohlenbergbau knappschaftlich versicherungspflichtig beschäftigt, und zwar ab 1922 als Hauer. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit nahm er am 20. Januar 1936 eine Tätigkeit bei der Firma W auf, die Luftschutzstollen baute. Er wurde zunächst als Hauer beschäftigt und vom 1. Oktober 1940 bis zum 5. Mai 1945 als technischer Angestellter mit der Beaufsichtigung von Hauern betraut. Vom 10. Dezember 1945 bis zum 27. Dezember 1955 war der Kläger in W (Schlesien) bei einer polnischen Firma für bergbauliche Arbeiten im Steinkohlenbergbau beschäftigt. Er hatte die Aufgabe, Hauer zu beaufsichtigen. Zunächst wurde er als Hauer und ab 1. April 1952 als Oberhauer geführt und bezahlt. Am 18. August 1946 erlitt er einen Unfall im Bereich des rechten Ellenbogengelenkes, wofür er eine Unfallrente von 40 v. H. der Vollrente von der Bergbauberufsgenossenschaft erhält.
Nachdem der Kläger seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik genommen hatte, beantragte er am 25. Januar 1956 die Knappschaftsvollrente.
Mit Bescheid vom 27. Juni 1956 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger noch in der Lage sei, als Platzmeister, Wiegemeister und Waschmeister zu arbeiten. Er habe daher weder Anspruch auf die Knappschaftsvollrente noch auf die Knappschaftsrente.
Der gegen diesen Bescheid gerichtete Widerspruch wurde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klage, mit welcher der Kläger nunmehr nur noch Knappschaftsrente begehrt.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte durch Urteil vom 12. März 1959 unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 1956 verurteilt, dem Kläger die Knappschaftsrente ab Antragstellung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Das SG ging von der Tätigkeit eines technischen Aufsehers unter Tage aus. Dieser Tätigkeit gegenüber seien die Tätigkeiten eines Aufsehers über Tage, die der Kläger noch verrichten könne, nicht im wesentlichen gleichartig.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger die Knappschaftsrente alten Rechts ab 1. Februar 1956 zu zahlen. Es hat die Revision zugelassen.
Dem Kläger stehe nach § 3 der Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau vom 4. Oktober 1942 (RGBl I 569) Knappschaftsrente zu, da er mindestens seit dem Tage der Antragstellung berufsunfähig im Sinne des § 35 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) aF und damit auch gleichzeitig im Sinne des § 36 Abs. 2 RKG aF sei, gleichgültig ob von der Tätigkeit eines Fahrhauers oder von der eines Hauers auszugehen sei; denn der Kläger sei in beiden Fällen berufsunfähig.
Nach der übereinstimmenden und überzeugenden Ansicht der gehörten Ärzte sei der Kläger wegen der Unfallfolgen nicht mehr in der Lage, unter Tage zu arbeiten. Dagegen spreche nicht der Umstand, daß er nach dem Unfall noch bis 1955 im schlesischen Bergbau unter Tage gearbeitet habe; er habe glaubhaft dargetan, daß die Polen ihn zu dieser Arbeit ohne Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand gezwungen hätten, weil es nach dem Kriege im schlesischen Bergbau an erfahrenen Bergleuten gemangelt habe. Nach den vorliegenden ärztlichen Äußerungen müsse angenommen werden, daß der Kläger die Tätigkeit unter Tage nach dem Unfall nur unter unzumutbaren Schwierigkeiten und auch nicht so verrichtet habe, wie es bei geordneten Verhältnissen verlangt werden müsse.
Unter den Tätigkeiten über Tage, zu deren Verrichtung der Kläger nach übereinstimmender ärztlicher Ansicht noch in der Lage sei, gäbe es keine, die der Tätigkeit eines Fahrhauers oder Hauers im wesentlichen gleichartig und wirtschaftlich gleichwertig sei.
Mit ihrer Revision gegen dieses Urteil beantragt die Beklagte,
das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Sie rügt die unrichtige Anwendung der §§ 35, 36 Abs. 2 RKG sowie des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei der Kläger nicht berufsunfähig. Sein knappschaftlicher Beruf sei der eines Fahrhauers. Er sei nur noch in der Lage, die Tätigkeiten eines Brückenaufsehers, Wasch-, Platz-, Holz- oder Wiegemeisters zu verrichten.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht dem Kläger die Knappschaftsrente alten Rechts zugesprochen.
Der Anspruch richtet sich, da der Kläger während seiner Tätigkeit in Schlesien von 1945 bis 1955 bei einem polnischen Versicherungsträger versichert war, nach dem Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG) vom 7. August 1953 (BGBl I 848) und für die Zeit ab 1. Januar 1959 nach dem Fremdrentengesetz (FRG) vom 25. Februar 1960 (Art. I des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes - FANG - vom 25. Februar 1960, BGBl I 93), deren allgemeine Voraussetzungen erfüllt sind. Nach diesen Gesetzen beurteilt sich der Anspruch grundsätzlich nach dem im Bundesgebiet geltenden Recht, d. h. hier nach § 3 der Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau vom 4. Oktober 1942 (RGBl I 569) i. V. mit §§ 35, 36 und 43, 44 RKG aF.
Da die versicherungstechnischen Voraussetzungen ohne Zweifel erfüllt sind, hängt der Anspruch allein noch davon ab, ob der Kläger, der während seines Berufslebens zunächst Arbeiter und später technischer Angestellter war, seit Februar 1956 berufsunfähig im Sinne des § 35 RKG aF ist.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist als Hauptberuf des Klägers im Sinne des § 35 RKG aF nicht der eines Fahrhauers (Oberhauers), sondern der eines Aufsichtshauers anzusehen. Der Kläger war von 1922 bis 1936 Hauer. Seit 1936 war er außerhalb des Bergbaus im Luftschutzstollenbau tätig, und zwar zunächst unter der Bezeichnung "Hauer" und zuletzt als technische Aufsichtsperson. Es kann dahingestellt bleiben, ob während der Zeit ab 1936 überhaupt knappschaftliche Beiträge zu entrichten waren und entrichtet worden sind; denn jedenfalls hat sich der Kläger von dieser Tätigkeit aus nichtgesundheitlichen Gründen gelöst, als er sie im Jahre 1945 endgültig aufgegeben hat und wieder in den Bergbau zurückgekehrt ist.
Der Kläger war dann anschließend vom 10. Dezember 1945 bis zum 31. Mai 1952 Hauer auf einer polnisch verwalteten Grube in Niederschlesien. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte er zwar während dieser Zeit die Aufgabe, Hauer zu beaufsichtigen, wurde aber lediglich als Hauer geführt und entlohnt. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann diese Tätigkeit nicht als Fahrhauertätigkeit angesehen werden, da der Kläger nicht im Angestelltenverhältnis gestanden hat. Vielmehr entspricht diese Tätigkeit etwa der eines Aufsichtshauers nach der Lohnordnung für den Steinkohlenbergbau der Ruhr vom 1. April 1955 und den folgenden Lohnordnungen, zumal auch nur Versicherungsbeiträge in der dem Lohn des Hauers entsprechenden Höhe entrichtet worden sind und zu entrichten waren, also auch nur die Fähigkeit zur Verrichtung dieser Tätigkeit Gegenstand der Versicherung sein kann.
Seit dem Jahre 1952 ist der Kläger allerdings als Oberhauer (Fahrhauer) geführt und entlohnt worden. Diese Tätigkeit kann jedoch aus einem anderen Grunde nicht als Hauptberuf im Sinne des § 35 RKG angesehen werden. Denn der Kläger hat diese Tätigkeit lediglich auf Kosten seiner Gesundheit verrichtet, da er seit seinem im Jahre 1946 erlittenen Unfall gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, unter Tage zu arbeiten, wie unangefochten von dem Berufungsgericht festgestellt worden ist. Ebensowenig wie man einen Versicherten auf eine Tätigkeit, die er nur auf Kosten seiner Gesundheit verrichtet, verweisen kann, ist es auch nicht möglich, eine Tätigkeit, die der Versicherte von Anfang an nur auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hat, als seinen bisherigen Beruf im Sinne des § 35 RKG aF anzusehen. Es würde versicherungsrechtlichen Grundsätzen widersprechen, wenn die Fähigkeit der Verrichtung eines bestimmten Berufes Gegenstand der Versicherung sein könnte, obwohl der Versicherte diesen Beruf nach seinem Gesundheitszustand von Beginn an eigentlich nicht hätte ausüben können, ihn vielmehr nur auf Kosten seiner Gesundheit verrichtet hat.
Da somit die Tätigkeit des Aufsichtshauers als Hauptberuf des Klägers anzusehen ist, ist er berufsunfähig. Denn er ist nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht mehr in der Lage, irgendwelche Untertagetätigkeiten zu verrichten und Übertagetätigkeiten sind - soweit sie überhaupt als "im wesentlichen gleichwertig" in Betracht kommen könnten - nach der hier maßgebenden Lohnordnung für den Steinkohlenbergbau der Ruhr vom 15. Februar 1956 und den folgenden Lohnordnungen dieser Tätigkeit nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig, wie der Senat bereits hinsichtlich des insoweit gleichzubeurteilenden Hauers entschieden hat (BSG 17, 196).
Das angefochtene Urteil erwies sich somit im Ergebnis als zutreffend. Zu bedenken wird allerdings sein, daß die Knappschaftsrente aR noch umzustellen ist und daß sie mit dem Ablauf des Tages endet, der dem Beginn des inzwischen gewährten vorzeitigen Altersruhegeldes vorausgeht.
Die Revision der Beklagten war somit zurückzuweisen.
Die Entscheidung konnte nach § 124 Abs. 2, § 153 Abs. 1 und § 165 SGG ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen