Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit der Berufung. ursächlicher Zusammenhang zwischen Gesundheitsstörung und Berufskrankheit

 

Orientierungssatz

1. Die Frage, ob eine in die Anlage 1 zur BKVO 7 einzureihende Krankheit vorliegt, gehört auch nach Änderung der Vorschriften über die Zulassung der Revision nicht zum ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einer Berufskrankheit. Eine nach § 145 Nr 2 SGG ausgeschlossene Berufung kann daher nicht gemäß § 150 Nr 3 SGG als statthaft angesehen werden.

2. Dient die Feststellung einer Berufskrankheit lediglich der Darlegung der Rechtsgrundlage für eine Verurteilung zur Zahlung einer Verletztenrente für abgelaufene Zeiträume, entspricht es Sinn und Zweck des § 145 Nr 2 SGG, die Berufung insgesamt als ausgeschlossen anzusehen.

 

Normenkette

SGG § 145 Nr 2 Fassung: 1958-06-25, § 150 Nr 3 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Bremen (Entscheidung vom 20.07.1978; Aktenzeichen L 2 U 34/77)

SG Bremen (Entscheidung vom 17.10.1977; Aktenzeichen S U 104/76)

 

Tatbestand

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 12. April 1976 Entschädigungsleistungen an die Klägerin wegen eines Leberschadens ab, da die Erkrankung nicht im ursächlichen Zusammenhang mit der Beschäftigung in der chemischen Reinigung stehe.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 17. Oktober 1977 die Beklagte verurteilt, bei der Klägerin eine Berufskrankheit im Sinne der Nr 9 der Anlage 1 zur 7. Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) als Folge einer vorübergehenden Perchloräthylenexposition anzuerkennen und ihr vom 1. Oktober 1969 bis 31. März 1977 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH bzw - zuletzt - 50 vH zu zahlen. Das SG hat im Urteilstenor und in den Entscheidungsgründen die Berufung nicht zugelassen. Die Rechtsmittelbelehrung geht von der Zulässigkeit der Berufung aus.

Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 20. Juli 1978 als unzulässig verworfen. Es hat das Rechtsmittel gemäß § 145 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als ausgeschlossen angesehen, da die Berufung nur die Rente für abgelaufene Zeiträume betreffe. Die Berufung sei auch nicht, so hat das LSG weiter ausgeführt, gemäß § 150 Nr 1 SGG statthaft, weil die Rechtsmittelbelehrung nicht die Zulassung der Berufung enthalte. Das LSG hat die Berufung auch nicht gemäß § 150 Nr 2 SGG als statthaft angesehen, da ein wesentlicher Verfahrensmangel nicht gerügt sei. Ebenso sei die Berufung nicht gemäß § 150 Nr 3 SGG zulässig, da zwischen den Beteiligten kein Streit über den Zusammenhang zwischen einer Berufskrankheit und einer anderen (nachfolgenden) Gesundheitsstörung bestehe. Unzulässig sei die Berufung aber auch, soweit die Beklagte sich gegen ihre Verurteilung wende, bei der Klägerin eine Berufskrankheit im Sinne der Nr 9 der Anlage 1 zur 7. BKVO als Folge einer vorübergehenden Perchloräthylenexposition anzuerkennen. Neben ihrer Verurteilung zur Gewährung einer Verletztenrente in der Zeit bis zum 31. März 1977 fehle der Beklagten jegliche weitergehende Beschwer; denn die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung einer Berufskrankheit beziehe sich nur auf bestimmte Zeiträume. Nach Ansicht des SG habe die Beklagte in ihrem Bescheid vom 12. April 1976 zu Unrecht für bestimmte Zeiträume das Vorliegen einer Berufskrankheit verneint. Die Verurteilung zur Anerkennung der Lebererkrankung als Berufskrankheit beziehe sich nur auf den Zeitraum bis zum 31. März 1977, für den das SG eine berufsbedingte Verschlimmerung des Leberleidens angenommen habe. Für diesen Zeitpunkt sei die Beklagte aber schon verurteilt, der Klägerin eine Verletztenrente zu gewähren. Welche selbständige Beschwer der Beklagten durch die Verurteilung zur Anerkennung einer Berufskrankheit für diesen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum erwachsen sein solle, sei nicht ersichtlich. Darauf habe der Senatsvorsitzende schon in seinem Vorbescheid hingewiesen; die Beklagte habe insoweit keine Einwendungen erhoben.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt.

Sie trägt vor: Der Große Senat des Bundessozialgerichts (BSG) habe zwar die Anwendung des § 162 Abs 1 Nr 3 SGG aF für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität ausgeschlossen. Es sei jedoch fraglich, ob man dieser Rechtsprechung weiter folgen solle, da mit der Neuregelung der Revisionszulassung die für die Entscheidung des Gerichts in kaum unerheblicher Weise mitsprechenden Erwägungen der Arbeitsüberlastung des BSG ihre Bedeutung verloren hätten. Dem LSG könne auch nicht zugestimmt werden, daß hinsichtlich der Feststellung der Berufskrankheit es an einer Beschwer fehle. Die Verurteilung zur Feststellung der Berufskrankheit sei ohne zeitliche Begrenzung ausgesprochen worden. Diese Feststellung halte sie - die Beklagte - nicht nur für die Zeit der Verurteilung zur Zahlung der Verletztenrente für unzutreffend. Spätfolgen der Lebererkrankung könnten zudem nicht ausgeschlossen werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die

Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 SGG).

Die zulässige Revision ist im Ergebnis nicht begründet. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG ist nicht statthaft.

Nach § 145 Nr 2 SGG ist in Angelegenheiten der Unfallversicherung die Berufung nicht zulässig, soweit sie ua nur Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Dies ist hier der Fall. Die Berufung ist nach dieser Vorschrift auch dann ausgeschlossen, wenn die Rente sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach streitig ist (vgl BSG SozR Nr 25 zu § 146 SGG; BSG SozR 1500 § 146 Nr 1, 6; Meyer-Ladewig, SGG, § 145 Anm 3; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 145 Anm 3 Buchst d). Die Berufung ist auch, wie das LSG zutreffend entschieden hat, nicht deshalb zulässig, weil die Rechtsmittelbelehrung davon ausgeht, daß gegen das Urteil des SG die Berufung gemäß § 150 Nr 1 SGG statthaft ist (s ua BSGE 5, 92, 95; BSG SozR 1500 § 150 Nr 4). Auch eine Statthaftigkeit der Berufung nach § 150 Nr 2 SGG scheidet aus, da die Beklagte insoweit keine wesentlichen Verfahrensmängel gerügt hat (s BSG SozR aaO Nr 11). Schließlich ist die Berufung auch nicht gemäß § 150 Nr 3 SGG zulässig. Zum ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einem Arbeitsunfall gehört nicht die Frage, ob der Unfall mit einer Tätigkeit im Sinne des § 539 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ursächlich zusammenhängt (s BSGE 6, 120). Die Revision verkennt auch nicht, daß somit zum ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einer Berufskrankheit nicht die Frage gehört, ob eine in die Anlage zur BKVO einzureihende Krankheit vorliegt (BSGE 4, 215; BSG Urteil vom 17. Februar 1972 - 7/2 RU 168/69; ebenso Bley, Grundzüge der Sozialgerichtsbarkeit, 1976, S 156; Meyer-Ladewig aaO § 150 Anm 20; Peters/Sautter/Wolff aaO § 150 Anm 4; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 150 Anm ö9). Entgegen der Auffassung der Revision sind die für die vom Schrifttum geteilte Rechtsprechung maßgebenden Gründe weder durch die Neuregelung der Revisionszulassung entfallen noch wesentlich von der Erwägung getragen worden, das BSG bzw das LSG vor einer Arbeitsüberlastung zu schützen. Die von der Revision angeführten Gründe für eine weite Auslegung des § 150 Nr 3 SGG sind auch bei den bisherigen Entscheidungen des BSG bekannt gewesen und beachtet worden. Sie vermögen eine Änderung der Rechtsprechung weiterhin nicht zu begründen (vgl BSGE 40, 292, 295). Das BSG hat auch nach Änderung der Vorschriften über die Zulassung der Revision in ständiger Rechtsprechung die hinsichtlich des Sterbegeldes und der Überbrückungshilfe nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG ausgeschlossene Berufung nicht gemäß § 150 Nr 3 SGG als statthaft angesehen, wenn sie die Frage der haftungsbegründenden Kausalität betraf, ob der Verletzte bei einer versicherten Tätigkeit verunglückt war (s ua BSGE SozR 1500 § 144 Nr 2 und 4; BSG Urteil vom 12. Juli 1979 - 2 RU 30/79).

Die Berufung ist auch nicht statthaft, weil und soweit das SG im Urteilstenor die Beklagte verurteilt hat, "...bei der Klägerin eine Berufskrankheit im Sinne der Nr 9 der Anlage 1 zur 7. Berufskrankheiten-Verordnung als Folge einer vorübergehenden Perchloräthylenexposition anzuerkennen...". Zwar ist das SG in seinen Entscheidungsgründen zunächst davon ausgegangen, insoweit liege - neben der Anfechtungs- und der vom SG nicht erwähnten Leistungsklage - eine Feststellungsklage und damit auch ein Feststellungsurteil vor. In den weiteren Ausführungen hat das SG aber dargelegt, daß die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht "für bestimmte Zeiträume das Vorliegen einer Berufskrankheit" verneint hat. Das SG hat sich dem Gutachten von Dr E vom 29. März 1977 angeschlossen, der ua den entschädigungspflichtigen Anteil der Berufskrankheit an der schon früher bei der Klägerin vorhanden gewesenen Leberschädigung als wieder abgeklungen angesehen hat. Auch das LSG hat festgestellt, daß nach diesem Gutachten und dem Urteil des SG eine berufsbedingte und bis März 1977 zeitlich beschränkte Verschlimmerung des Leberleidens die Berufskrankheit bildete. Danach hat das SG auch die "Feststellung einer Berufskrankheit" nur auf abgeschlossen zurückliegende Zeiträume beschränkt. Diese "Feststellung" ist zudem, da für diese Zeiträume nur die Zahlung einer Verletztenrente im Streit stand, auch rechtlich im engen Zusammenhang mit der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Verletztenrente bis zum 31. März 1977 zu sehen. Letztlich diente die Feststellung, wie vor allem den Urteilsgründen zu entnehmen ist, lediglich der Darlegung der Rechtsgrundlage für die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Verletztenrente. Deshalb entspricht es jedenfalls Sinn und Zweck des § 145 Nr 2 SGG, in einem solchen Fall die Berufung insgesamt als ausgeschlossen anzusehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646793

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