Leitsatz (amtlich)
Setzt ein Weiterversicherungsberechtigter nach Aufgabe der versicherungspflichtigen Beschäftigung und Verlegung seines Wohnorts aus dem bisherigen Kassenbereich die Mitgliedschaft bei einer KK am neuen Wohnort fort (RVO § 313b), deren Satzung Krankengeld und Hausgeld für Weiterversicherte ausschließt, und wird dieser wegen einer bereits während der Mitgliedschaft bei der krankenhauspflegebedürftig, so hat diese Kasse das Krankengeld bzw Hausgeld zu gewähren. RVO § 212 findet insoweit keine Anwendung.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Begriff "Übertritt" iS des RVO § 212 ist weit auszulegen. Er umfaßt jeden Wechsel der Kassenzugehörigkeit. Ein Übertritt liegt deshalb auch dann vor, wenn ein Versicherter seine Mitgliedschaft durch Aufgabe seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung verliert, seine Weiterversicherungsberechtigung (RVO § 313b S 1) ausübt und Mitglied der für seinen neuen Wohnort zuständigen KK wird.
2. Tritt mit einer Weiterversicherung ohne Krankengeldberechtigung ein Kassenwechsel ein, so ist für die Gewährung des Krankengeldes aufgrund eines vorher eingetretenen Versicherungsfalles die KK zuständig, bei der die Versicherung nach RVO § 165 Abs 1 Nr 1 oder 2 bestanden hat; die übrigen Leistungen sind von der für die Weiterversicherung zuständigen KK zu gewähren.
Normenkette
RVO § 212 Abs. 1 Fassung: 1911-07-19, § 313 S. 1 Fassung: 1941-01-15, § 165 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1945-03-17, Nr. 2 Fassung: 1965-04-24
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. März 1969 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin gehörte bis zum 31. Oktober 1964 aufgrund versicherungspflichtiger Beschäftigung als Hausgehilfin der Beklagten als Mitglied an. Sie erhielt von ihr seit dem 30. Juli 1964 ununterbrochen Krankenpflege. Seit dem 1. November 1964 ist sie Mitglied der Beigeladenen, bei der sie nach Aufgabe der Beschäftigung und Wechsel ihres Wohnortes die Versicherung gemäß § 313 b Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) freiwillig fortgesetzt hat und satzungsgemäß von Barleistungsansprüchen im Krankheitsfall ausgeschlossen ist. Am 6. November 1964 begab sie sich an ihrem neuen Wohnort zwecks Fortsetzung der ärztlichen Behandlung zu Dr. F, der Krankenhauspflege verordnete. Die stationären Behandlungen erfolgten vom 7. November 1964 bis zum 12. Februar 1965 und erneut vom 14. März bis 30. April 1965. Die Kosten dafür übernahm die Beigeladene, von der der Klägerin zwischenzeitlich und nachfolgend auch Krankenpflege gewährt wurde.
Im Dezember 1965 stellte die Klägerin bei der Beklagten den Antrag, ihr ab 7. November 1964 wegen bestehender Arbeitsunfähigkeit Krankengeld bzw. Hausgeld zu gewähren. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 27. Dezember 1965, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 28. April 1967, mit der Begründung ab, der Versicherungsfall sei erst am 6. November 1964 und somit nach Beendigung der Mitgliedschaft bei ihr eingetreten; auch eine Krankengeldgewährung nach § 214 RVO entfalle jedenfalls deshalb, weil innerhalb des nach dieser Vorschrift als Bezugszeit in Betracht kommenden Zeitraums ein etwaiger Anspruch gemäß § 216 Abs. 3 RVO wegen verspäteter Meldung geruht habe.
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben. Im Laufe des Sozialgerichtsverfahrens hat die Beklagte anerkannt, daß die Klägerin seit dem 6. November 1964 arbeitsunfähig ist und die dieser Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegende Krankheit schon seit dem 30. Juli 1964 bei ununterbrochener Behandlungsbedürftigkeit bestanden hat. Auch die rechtzeitige Meldung des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit ist von der Beklagten zugestanden worden. An der Ablehnung der Krankengeldgewährung hat die Beklagte jedoch festgehalten, und zwar nunmehr mit der Begründung, daß der unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als solcher anzuerkennende Anspruch auf das Krankengeld bzw. Hausgeld nicht von ihr, sondern nach den Regeln des § 212 RVO von der nunmehr zuständigen Beigeladenen zu erfüllen sei, zu der die Klägerin am 1. November 1964 während des Bezugs von Krankenpflege übergetreten sei.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß während der Zeiten der stationären Behandlung der Klägerin Hausgeld anstelle von Krankengeld zu gewähren sei. Zur Begründung hat es ausgeführt: Versicherungsfall sei der Eintritt der Erkrankung, nicht der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Demzufolge stehe der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erst nach beendeter Mitgliedschaft oder erst während einer sich anschließenden Mitgliedschaft ohne Krankengeldberechtigung dem Anspruch auf Krankengeld bzw. Hausgeld nicht entgegen, sofern nur die Krankheit - wie hier - während eines die Krankengeldberechtigung umfassenden Versicherungsverhältnisses eingetreten sei und über die Beendigung dieses Versicherungsverhältnisses hinaus bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit bestanden habe. Entscheidend für die Anerkennung des Anspruchs auf das Krankengeld sei nach dem Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles, daß die Erkrankung, aus der sich die Arbeitsunfähigkeit entwickelt habe, noch während des Bestehens einer den Krankengeldanspruch umfassenden Mitgliedschaft eingetreten sei und nicht, ob und gegebenenfalls bei welcher Kasse sich an diese Mitgliedschaft eine andere ohne Krankengeldberechtigung angeschlossen habe. Hiernach müsse die Beklagte die Ansprüche der Klägerin erfüllen, weil sie im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles zuständig gewesen sei. Dem stehe auch § 212 RVO nicht entgegen. Denn diese Vorschrift setze für ihre Anwendung das Bestehen einer der Leistungsverpflichtung der bisherigen Kasse artgleichen Leistungsverpflichtung der neuen Kasse voraus. Die Beklagte habe daher die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche zu erfüllen. Ein Ruhen des Anspruchs nach § 216 Abs. 3 RVO sei nicht eingetreten. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor: Das LSG gehe von dem Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles aus. Dieser Grundsatz lasse es aber nicht zu, daß Ansprüche aus verschiedenen versicherungsrechtlichen Beziehungen jeweils dort erhoben würden, wo dies für die einzelne infrage kommende Leistung am günstigsten erscheine. Ein Anspruch auf Krankenpflege gegen die Beklagte habe nicht bestanden, weil die Klägerin durch die freiwillige Fortsetzung ihrer Mitgliedschaft zur beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse übergetreten sei. Im Verhältnis zwischen Klägerin und Beklagte hätte aber nur dann ein nachgehender Krankengeldanspruch ausgelöst werden können, wenn die Arbeitsunfähigkeit während eines nachgehenden Anspruchs nach § 183 Abs. 1 Satz 2 RVO oder während einer freiwillig bei ihr festgesetzten Mitgliedschaft ohne Krankengeldberechtigung eingetreten wäre. Da dies nicht der Fall sei, müsse der Anspruch der Klägerin auf Barleistungen ebenfalls von der Beigeladenen erfüllt werden.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 6. März 1969 und des SG Düsseldorf vom 28. März 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beigeladene beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Wie der Senat in seinem Urteil vom 25. Mai 1966 (BSG 25, 37) ausgeführt hat, steht dem Anspruch des Versicherten auf Krankengeld nicht entgegen, daß die Arbeitsunfähigkeit erst nach Beendigung der Mitgliedschaft während eines Versicherungsverhältnisses ohne Krankengeldberechtigung eingetreten ist, wenn nur der Versicherungsfall (Krankheit) während einer die Krankengeldberechtigung umfassenden Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse eingetreten ist. Wenn der Versicherte nach einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit arbeitsfähig geworden, aber behandlungsbedürftig geblieben ist, so ist der Versicherungsfall erst dann abgeschlossen, wenn der Versicherte nicht mehr behandlungsbedürftig ist. Die Klägerin hat daher grundsätzlich Anspruch auf Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit infolge ihrer im Juli 1964 eingetretenen Erkrankung, weil diese noch während der Mitgliedschaft bei der beklagten Krankenkasse eingetreten ist (anders als in dem in BSG 14, 278 entschiedenen Fall, in dem der Versicherungsfall erst nach dem Ausscheiden aus dem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis während der Mitgliedschaft in der Rentnerkrankenversicherung eingetreten ist).
Dieser Krankengeldanspruch gegen die Beklagte ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Klägerin inzwischen bei einer anderen Krankenkasse (der Beigeladenen) ohne Krankengeldberechtigung versichert ist.
Für den Übertritt von einer Krankenkasse zur anderen bestimmt § 212 Abs. 1 RVO, daß bei schwebenden Versicherungsfällen die neue Kasse die weitere Leistung nach ihrer Satzung übernimmt; dabei wird die Zeit der bereits genossenen Leistung angerechnet. Ein Übertritt im Sinne des § 212 RVO liegt auch dann vor, wenn ein Versicherter seine Mitgliedschaft bei der Krankenkasse seines bisherigen Wohnorts durch Aufgabe seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung verliert, seine Weiterversicherungsberechtigung (§ 313 b Satz 1 RVO) ausübt und Mitglied der für seinen neuen Wohnort zuständigen Krankenkasse wird. Denn der Begriff "Übertritt" ist in diesem Zusammenhang weit auszulegen und umfaßt jeden Wechsel der Kassenzugehörigkeit (BSG 1, 158, 161 im Anschluß an die GE Nr. 2822 des RVA vom 13.11.1924, AN 1924, 217). Demzufolge hat die neue Kasse grundsätzlich für Leistungen auch aus Versicherungsfällen einzutreten, die sich noch während der Mitgliedschaft bei der alten Kasse ereignet haben.
Die neue Kasse hat jedoch nur "nach ihrer Satzung" zu leisten (§ 212 Abs. 1 Satz 1 RVO). Der Versicherte hat bei Fortsetzung seiner Mitgliedschaft nach § 313 b RVO (wie der Versicherungspflichtige mit dem Tage des Eintritts in die versicherungspflichtige Beschäftigung - vgl. § 206, § 306 Abs. 1 RVO) sofort Anspruch auf die Regelleistungen. Die neue Kasse ist aber nur nach Maßgabe ihrer Satzung verpflichtet. Wenn diese für Weiterversicherte Einschränkungen, nämlich hier Ausschluß des Krankengeldes, vorsieht (vgl. § 215 RVO i. V. m. dem Erlaß des RAM vom 15.12.1939, AN 1939, 554; BSG 12, 157), so beschränkt sich insoweit die Leistungspflicht der neuen Kasse. § 212 RVO setzt voraus, daß die zweite Krankenkasse nach ihrer Satzung den Versicherten gleichartige Leistungen zu erbringen hat. Es ist nicht Sinn dieser Vorschrift, der zweiten Krankenkasse durch den Übertritt eines Versicherten zu ihr solche Leistungen aufzuerlegen, die sie ihm nach der Art seiner Mitgliedschaft nicht zu erbringen hat. Das ist hier bezüglich des Krankengeldes der Fall; denn die Klägerin ist bei der Beigeladenen nur ohne Krankengeld versichert.
Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem in BSG 1, 158 entschiedenen; hier hat es sich um den "Übertritt" eines Rentners von einer Kasse zur anderen während einer Krankenhauspflege gehandelt. Dies war eine Leistung, zu der die neue Krankenkasse auch ihren Rentner-Mitgliedern gegenüber ohne Einschränkung verpflichtet ist; der Senat hat deshalb die Verpflichtung der neuen Kasse zur Übernahme der weiteren Leistung bejaht.
Die Vorschrift des § 313 b Abs. 2 RVO aF, die "zur Anpassung der Krankenversicherung an den totalen Kriegseinsatz" außer Kraft gesetzt worden ist (Erl. d. RAM vom 13.9.1944, AN 1944, 253), sah vor, daß die bisherige Kasse der Kasse, bei der die Mitgliedschaft fortgesetzt wurde, die Kosten zu erstatten habe, die ihr durch die Leistung von Krankengeld in den ersten drei Monaten entstanden waren. Aus der Vorschrift kann aber nicht geschlossen werden, die neue Kasse habe bei einem Kassenwechsel in jedem Fall die Krankengeldleistung zu übernehmen. Durch die genannte Regelung sollte die bisherige Kasse nur an den Kosten beteiligt werden, die die neue Kasse schon in der ersten Zeit der fortgesetzten Mitgliedschaft an Krankengeld hatte aufwenden müssen, ohne die in ähnlichen Fällen vorgesehenen Kontrollmöglichkeiten (Vorlage eines ärztlichen Gesundheitszeugnisses, ärztliche Untersuchung - vgl. § 310 Abs. 2 und 3 RVO) gehabt zu haben. Voraussetzung für den Ausgleich nach § 313 b Abs. 2 RVO aF war jedoch immer, daß die neue Krankenkasse überhaupt zur Krankengeldzahlung verpflichtet war. Für den vorliegenden Fall kann daher nichts zu Gunsten der Beklagten entnommen werden. Ein Anspruch der Klägerin auf Krankengeld gegen die Beigeladene ist daher nicht gegeben.
Die Beklagte hat deshalb das Kranken- und das Hausgeld zu zahlen; diese Ansprüche bleiben als nachgehende dem Versicherten erhalten, wenn ein Wechsel in der Leistungsverpflichtung nach § 212 RVO nicht eintritt.
Diese Rechtsfolge hat allerdings zur Folge, daß zwei Krankenkassen die Abwicklung desselben Versicherungsfalles vorzunehmen haben, nämlich die Beigeladene die Sachleistung der Krankenhauspflege und die Beklagte die Barleistung des Hausgeldes. Auch wenn eine solche Teilung der Leistungsverpflichtung unerwünscht sein mag, so dürfen die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten nicht überbewertet werden. Es läge im Sinne einer sachgemäßen Verwaltungshilfe, wenn in solchen Fällen die neue Kasse die Zahlung des Hausgeldes für Rechnung der alten Kasse übernähme.
Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen