Leitsatz (amtlich)
Hat ein Sozialhilfeträger die Kosten einer von der KK des versicherten Hilfsbedürftigen zu Unrecht abgelehnten Krankenhauspflege übernommen, hierfür im Rahmen der Pauschalierungsersatzregelung (RVO § 1531 S 1, § 1533 Nr 2, § 1524 Abs 1 S 2-4) teilweise Ersatz seiner Aufwendungen erhalten und mit einem Teilbetrag seiner ungedeckt gebliebenen Kosten Rückgriff an dem Unterstützten Versicherten genommen, so steht dem Versicherten ein Anspruch gegen die KK auf Ersatz des an den Fürsorgeträger gezahlten Betrags zu (Ergänzung zu BSG 1959-01-29 3 RK 71/55 = BSGE 9, 112, 122 und BSG 1961-06-06 3 RK 36/58 = BSGE 14, 229, 232).
Orientierungssatz
Der Versicherte hat gegen die KK einen Ersatzanspruch, wenn er die Kosten für Leistungen selbst getragen hat, deren Gewährung die KK zu Unrecht abgelehnt hat.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 2 Fassung: 1961-07-12, § 1531 S. 1 Fassung: 1931-06-05, § 1533 Nr. 2 Fassung: 1931-06-05, § 1524 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1925-07-14, S. 3 Fassung: 1925-07-14, S. 4 Fassung: 1925-07-14
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. Juni 1969 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse verpflichtet ist, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes, des bei der beklagten Krankenkasse Versicherten, den Betrag zu erstatten, den dieser dem beigeladenen Land als Kostenbeteiligung für eine stationäre Tuberkulose-Behandlung zahlen mußte, weil die beklagte Krankenkasse dem Versicherten gegenüber weitere Leistungen abgelehnt hatte und deshalb das beigeladene Land für die Kosten aufgekommen war.
Die Klägerin ist die Witwe und Alleinerbin des am 13. Januar 1965 verstorbenen Stadtinspektors a.D. B R. Dieser war bei der beklagten Krankenkasse versichert. Er wurde vom 12. Januar 1961 bis zum 17. Juli 1962 wegen Lungentuberkulose stationär behandelt. Die Beklagte trug die Kosten bis zum 13. Juli 1961 und lehnte weitere Leistungen ab, weil der Ehemann der Klägerin ausgesteuert sei. Daraufhin gewährte der durch Beschluß des Sozialgerichts (SG) Osnabrück vom 3. Mai 1967 dem gerichtlichen Verfahren beigeladene Träger der Tuberkulosehilfe die weitere Heilbehandlung nach den Vorschriften des Gesetzes über Tuberkulosehilfe (THG) vom 23. Juli 1959 (BGBl I 513) bis zum 31. März 1962 und machte bei der Beklagten u.a. für die Zeit vom 1. August 1961 bis zum 31. März 1962 einen Ersatzanspruch in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen von 4.641,50 DM geltend. Die Beklagte zahlte nach den §§ 1531 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) für jeden Tag sieben Achtel des 12,- DM betragenden Grundlohnes, insgesamt 2.551,50 DM. Das beigeladene Land nahm außerdem den Versicherten mit einem Kostenbeitrag von 1.440,- DM in Anspruch, und zwar für die Zeit der stationären Behandlung vom 1. August 1961 bis zum 31. März 1962.
Am 18. November 1963 beantragte der Ehemann der Klägerin bei der Beklagten, ihm diesen Betrag zu erstatten. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 14. September und Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 1964 ab, weil sie die gesamte dem Versicherten zustehende Leistung durch die Begleichung des Ersatzanspruches des Beigeladenen erbracht habe.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Ehemann der Klägerin Klage erhoben.
Das SG hat der Klage stattgegeben, das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Nach richtiger Rechtsauffassung hätte die Beklagte dem Ehemann der Klägerin vom 1. August 1961 bis zum 31. März 1962 wegen Tuberkulose Krankenhauspflege gewähren müssen. Da die Krankenhauspflege nicht mehr von der Beklagten erbracht werden könne, weil sie von dem Beigeladenen als dem Träger der Tuberkulosehilfe gewährt worden sei, richte sich das Begehren auf die Zahlung eines Teils des Geldbetrages, der der nichtgewährten Krankenhauspflege entspreche, und zwar desjenigen Teils, den der Ehemann der Klägerin nach § 10 THG als Kostenbeitrag zu der Leistung des Trägers der Tuberkulosehilfe hätte aufbringen müssen.
Dem Begehren stehe nicht entgegen, daß die Beklagte den Ersatzanspruch des Trägers der Tuberkulosehilfe nach §§ 1531 ff RVO in gesetzlichem Umfange erfüllt habe. Denn diese Regelung betreffe nur das Verhältnis zwischen dem Träger der Tuberkulosehilfe und dem Träger der Krankenversicherung und berühre den Anspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse nur insoweit, als dieser dem Träger der Tuberkulosehilfe Ersatz geleistet habe. Hätte die Krankenkasse die begehrte Krankenhauspflege nicht zu Unrecht verweigert, so hätte der Versicherte nicht in Anspruch genommen werden können. Die durch das Verhalten der Beklagten eingetretene Vermögensverschiebung ohne rechtlichen Grund müsse ihren Ausgleich darin finden, daß die Krankenkasse dem Versicherten bzw. seinem Rechtsnachfolger den an den Träger der Tuberkulosehilfe gezahlten Kostenbeitrag ersetze, der zusammen mit der bereits nach §§ 1531 ff RVO erbrachten Ersatzleistung die Gesamtaufwendung der Krankenhauspflege nicht erreiche. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor: Der Anspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse entfalle, soweit sie dem Sozialhilfeträger Ersatz geleistet habe. Der Beigeladene hätte an der Inanspruchnahme des Ehemannes der Klägerin zu einem Kostenbeitrag nicht mehr festhalten dürfen bzw. ihn zurückzahlen müssen, sobald die Beklagte Ersatz nach §§ 1531 ff RVO geleistet habe. Deshalb habe der Versicherte einen Bereicherungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger. Auch wenn dieser durch die Ersatzleistung der Kasse und durch den Kostenbeitrag des Unterstützten nicht einmal seine vollen Aufwendungen zurückerhalten habe, müsse der Sozialhilfeträger gleichwohl durch die Ersatzleistung nach §§ 1531 ff RVO als befriedigt angesehen werden, weil hier diese Ersatzleistung in pauschaler Form des § 1524 Abs. 1 Satz 2 bis 4 RVO erfolge. Wenn auch die Kostenteilung zwischen Krankenkasse und Sozialhilfeträger die Ansprüche des Versicherten gegen seine Krankenkasse nur insoweit berühre, als die Krankenkasse dem Fürsorgeverband Ersatz geleistet habe, so bedeutet dies auf den vorliegenden Fall angewendet, daß die Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte entfallen seien, weil die Beklagte dem Beigeladenen voll Ersatz geleistet habe.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Niedersachsen vom 10. Juni 1969 und des SG Osnabrück vom 13. Dezember 1967 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Der Versicherte bzw. dessen Rechtsnachfolgerin hat gegen die beklagte Krankenkasse einen Ersatzanspruch, weil diese zu Unrecht die Krankenhauspflege abgelehnt hat (vgl. BSG 25, 146, 148). Die Beklagte war aufgrund des neuen Leistungsrechts (§ 183 Abs. 2 RVO idF des Leistungsverbesserungsgesetzes) verpflichtet, für die streitige Zeit Krankenhauspflege zu gewähren; ihre Berufung auf die nach altem Recht eingetretene Aussteuerung war nicht gerechtfertigt (vgl. BSG 16, 177). Es besteht daher ein Ersatzanspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse, wenn er diese Kosten selbst getragen hat. Im vorliegenden Falle ist zunächst der Beigeladene als Träger der Tuberkulose-Fürsorge eingesprungen; er hat von der Beklagten im Rahmen des § 1531 RVO Ersatz erhalten, aber nicht in vollem Umfang. Infolge der Pauschalierung des Ersatzanspruchs des Sozialhilfeträgers (§ 1531 Satz 1, § 1533 Nr. 2, § 1524 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 RVO) hat dieser nur einen Teil seiner Aufwendungen von der Krankenkasse ersetzt bekommen und sich deshalb mit einem Teilbetrag der nicht erstatteten Kosten der Krankenhauspflege an den Versicherten gehalten. Hier wäre der Versicherte benachteiligt, wenn er diese Rückgriffsbelastung endgültig tragen müßte, weil sie ihm bei einem gesetzmäßigen Verhalten der beklagten Krankenkasse nicht entstanden wäre. Der Senat hat in BSG 9, 112, 122 zum Ausdruck gebracht, daß in derartigen Fällen die ohne rechtlichen Grund erfolgte Vermögensverschiebung zugunsten der Krankenkasse ihren Ausgleich darin finden müsse, daß die Krankenkasse den Versicherten von seiner Schuld gegenüber dem Fürsorgeverband freistelle oder ihm den an den Fürsorgeverband gezahlten Betrag ersetze. Dem stünde auch die Erstattungsregelung des Halbierungserlasses nicht entgegen, weil diese nur das Verhältnis zwischen Fürsorgeträger und Krankenversicherung betreffe und die Ansprüche des Versicherten gegen seine Krankenkasse nur insoweit berühre, als die Krankenkasse dem Fürsorgeverband Ersatz geleistet habe. Dieser Auffassung steht das Urteil des Senats vom 6. Juni 1961 (BSG 14, 229, 232) nicht entgegen. Hier hat der Senat ausgesprochen, wenn ein Fürsorgeträger gegen die Krankenkasse einen Ersatzanspruch nach § 1531 RVO geltend gemacht habe, so entfalle ein Anspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse dann, wenn dem Fürsorgeträger kein Rückgriffsrecht gegen den Versicherten zustehe. Für den umgekehrten Fall hat er jedoch ein schutzwürdiges Interesse des Versicherten an der Freistellung von der Erstattungspflicht gegenüber dem Fürsorgeträger bejaht. Im vorliegenden Fall besteht aber solch ein Anspruch gegen die Krankenkasse, weil ein Rückgriff des Sozialhilfeträgers gegen den Versicherten erfolgt ist.
Der Träger der Tuberkulosehilfe war nach § 10 THG berechtigt, von dem Unterstützten teilweise Ersatz seiner Aufwendungen zu fordern, und zwar auch dann, wenn er von der Krankenkasse teilweise Ersatz erhalten hat. Er darf nur nicht mehr von beiden verlangen, als er selbst aufgebracht hat. Dies ist aber nach den Feststellungen des LSG nicht der Fall.
Die beklagte Krankenkasse ist daher verpflichtet, der Klägerin 1.440,- DM zu zahlen.
Die Revision muß zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen