Entscheidungsstichwort (Thema)
Verweisbarkeit eines Facharbeiters auf Pförtnertätigkeit bei nur geringer Lohneinbuße
Orientierungssatz
Die Tätigkeit eines einfachen Pförtners ist einem Facharbeiter nicht zumutbar. Daran ändert auch nichts der Umstand, wenn nur eine verhältnismäßig geringe Lohneinbuße eintritt.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 02.09.1980; Aktenzeichen L 16 Ar 49/79) |
SG München (Entscheidung vom 21.11.1978; Aktenzeichen S 6 Ar 1236/77) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Der 1936 geborene Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger. Er erlernte in Jugoslawien von 1953 bis 1956 den Beruf des Schreiners und übte ihn bis 1962 dort aus. Von Oktober 1962 bis November 1976 war er in der Bundesrepublik Deutschland als Zimmerer-Facharbeiter beschäftigt und wurde als Spezialbau-Facharbeiter entlohnt. Aus gesundheitlichen Gründen wurde der Kläger ab November 1976 von seinem Arbeitgeber auf die Stelle eines Pförtners in einem Wohnheim umgesetzt. Der Kläger stellte im Oktober 1976 bei der Beklagten einen Antrag auf Rente wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 31. Mai 1977 lehnte die Beklagte den geltend gemachten Anspruch ab.
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. November 1976 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren (Urteil vom 21. November 1978). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 2. September 1980 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger könne den Beruf eines Zimmerers aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Eine Verweisung auf berufsfremde Tätigkeiten scheide schon deshalb aus, weil der Kläger vor einer eventuellen Umschulung nicht über entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge, die ihn in die Lage versetzten, derartige Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuführen. Bei der Pförtnertätigkeit des Klägers handele es sich um eine nicht zumutbare Beschäftigung. Sie könne nach zwei bis drei Tagen von jedermann beherrscht werden und hebe sich nicht aufgrund besonderer Merkmale, etwa durch eine Vertrauensstellung oder besondere Verantwortung, aus dem Kreis sonstiger Arbeiten heraus. Bei dem jetzigen Aufgabenbereich des Klägers handele es sich um eine "einfache" Pförtnertätigkeit. Das ergebe sich auch aus der tarifvertraglichen Einstufung und Entlohnung des Klägers. Der Anspruch des Klägers auf die Berufsunfähigkeitsrente könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß der Versicherte zusammen mit der Berufsunfähigkeitsrente ebensoviel oder mehr verdiene als ein Versicherter gleicher Art mit der Verrichtung des bisherigen Berufes. Etwas anderes könne nur gelten, wenn das Entgelt des Versicherten aus der Nichtverweisungstätigkeit dasjenige im bisherigen Beruf krass übersteige.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1246 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das Berufungsgericht.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts
München vom 21. November 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht ist die Beklagte gemäß § 1246 RVO zur Zahlung von Berufsunfähigkeitsrente an den Kläger verurteilt worden.
Nach den nicht angegriffenen und daher für den erkennenden Senat gemäß § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG kann der Kläger den bis zur Rentenantragstellung ausgeübten Beruf eines Zimmerer-Facharbeiters nicht mehr verrichten. Ausgehend von diesem bisherigen Beruf des Klägers als Facharbeiter hat das LSG im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung die seit November 1976 ausgeübte Tätigkeit als Pförtner nicht als zumutbare Verweisungstätigkeit im Sinne des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO angesehen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich in mehreren Entscheidungen mit der Verweisbarkeit von Facharbeitern auf die Tätigkeit eines Pförtners befaßt (vgl SozR 2200 § 1246 Nrn 17, 55 und 67; BSG-Urteil vom 9. Dezember 1981 - 1 RJ 124/80 -). Es ist dabei jeweils zu dem Ergebnis gelangt, daß die Tätigkeit eines einfachen Pförtners einem Facharbeiter nicht zumutbar ist. Eine derartige Pförtnertätigkeit übt auch der Kläger aus. Denn das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht und für den erkennenden Senat gemäß § 163 SGG ebenfalls bindend festgestellt, daß die konkrete Tätigkeit des Klägers nach zwei bis drei Tagen von jedermann beherrscht werden kann. Sie hebt sich auch nicht aufgrund besonderer Merkmale, etwa durch eine Vertrauensstellung oder besondere Verantwortung, aus dem Kreis sonstiger Arbeiten heraus.
Der von der Revision hervorgehobene Gesichtspunkt, daß der Kläger nur eine verhältnismäßig geringe Lohneinbuße erlitten habe, schließt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG die Berufsunfähigkeit nicht aus (vgl SozR 2200 § 1246 Nr 69 mwN und das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tage in der Sache 5b/5 RJ 166/80). Auf das Urteil des 4. Senats des BSG vom 19. März 1980 (SozR 2200 § 1246 Nr 60) kann sich die Beklagte in diesem Zusammenhang schon deswegen nicht berufen, weil in jenem Fall der Versicherte aufgrund einer tariflichen Verdienstsicherung auch als Pförtner weiterhin den früheren Lohn erhielt, also - anders als hier der Kläger - überhaupt keinen Lohnausfall hatte.
Wie das LSG in tatsächlicher Hinsicht unangegriffen weiter festgestellt hat, kommen auch andere zumutbare Verweisungstätigkeiten für den Kläger nicht in Betracht. Er verfügt danach ohne vorherige Umschulung nicht über entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten, die ihn in die Lage versetzen würden, solche Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuführen.
Der Revision muß somit der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen