Entscheidungsstichwort (Thema)

Jahresurlaub eines Soldaten. Unfall bei einer nicht befehlsbestimmten Tätigkeit. kein Versorgungsschutz

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Unfall, den ein Soldat während seines Urlaubs erleidet, ist versorgungsrechtlich nicht geschützt, wenn die im Unfallzeitpunkt verrichtete Tätigkeit nicht befehlsbestimmt, sondern der freien Bestimmung des Soldaten überlassen ist.

 

Normenkette

SVG § 81 Abs. 1 Fassung: 1971-09-01; BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. Juni 1975 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerinnen zu 1) als Witwe und zu 2) und 3) als Waisen des 1939 geborenen und 1969 tödlich verunglückten Oberfeldwebels der Bundeswehr Franz K (K.) begehren Hinterbliebenenversorgung.

K. verließ während seines vierwöchigen Jahresurlaubs in Bad R am 24. Juli 1969 gegen 7.00 Uhr morgens seine Familienwohnung, um im Sportstadion eine Stunde zu trainieren. Gegen 8.00 Uhr stürzte er mit Sportkleidung und Wildlederkletterschuhen über eine 80 bis 100 m hohe Felswand ab und verstarb kurz darauf an den dabei erlittenen Verletzungen.

Nachdem der Bundesminister der Verteidigung (BMVtg) im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung - BMA - (vgl. Gem. Erl. des BMVtg und des BMA vom 8. Dezember 1968 in BVBl 1969 S. 23 Nr. 14) die Auffassung vertreten hatte, das Training des K. während des Urlaubs könne auch nach dem Sporterlaß des BMVtg vom 8. Juni 1962 (VMBl 1962 S. 295) nicht als versorgungsrechtlich geschützt angesehen werden, lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) M mit Bescheid vom 7. Oktober 1970 die Gewährung der Hinterbliebenenversorgung ab. Den Widerspruch wies das Landesversorgungsamt (LVersorgA) B durch Bescheid vom 28. Januar 1971 zurück.

Die Klage hat das Sozialgericht (SG) München durch Urteil vom 25. Oktober 1972 abgewiesen und die Berufung das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 5. Juni 1975 zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen und ausgeführt, K. habe den tödlichen Unfall nicht während der Ausübung des Wehrdienstes erlitten, weil er sich damals im Urlaub befunden habe und das Wesen des Urlaubs in der Befreiung des Beurlaubten von jeder Dienstverrichtung bestehe. Ein Befehl im Sinne des Soldatengesetzes und des Wehrstrafgesetzes könne insbesondere auch nicht den Worten des Vorgesetzten entnommen werden, K. solle auch außerhalb des Dienstes und im Urlaub trainieren. Auch aus dem Sporterlaß des BMVtg lasse sich eine andere Beurteilung nicht herleiten. Da die Voraussetzungen der Nrn. 1 bis 3 nicht vorlägen, sei nach Nr. 4 des Sporterlasses die aus eigenem Entschluß in der Freizeit erfolgte sportliche Betätigung des K. selbst dann nicht versorgungsrechtlich geschützt, wenn sie dienstlich erwünscht gewesen sei.

Die Klägerinnen haben gegen das Urteil die Revision eingelegt und begründet. Unfälle in Ausübung außerdienstlichen Sports seien als "dem Wehrdienst eigentümliche Verhältnisse" anzusehen. K. habe den Hinweis seines Disziplinarvorgesetzten auf die Pflicht zum fortlaufenden sportlichen Training während der Urlaubszeit zur Vorbereitung auf Wettkämpfe mit anderen Truppenteilen als "Befehl" verstehen müssen. Darin habe die Aufforderung des zum Befehl Berechtigten an einem zum Gehorsam Verpflichteten zu einem ganz bestimmten Verhalten gelegen. Da K. sich hieran orientiert habe, dürfe seinen Hinterbliebenen Versorgung nicht versagt werden. Andernfalls sei es keinem Angehörigen der Bundeswehr zumutbar, in der Freizeit oder während des Urlaubs Befehle der Disziplinarvorgesetzten zu sportlichem Training zu befolgen.

Die Klägerinnen beantragen,

unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. Juni 1975, des Urteils des Sozialgerichts München vom 25. Oktober 1972 sowie des Bescheides des Versorgungsamts M vom 7. Oktober 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 1971 den Beklagten zu verurteilen, ihnen ab 1. August 1969 Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Selbst wenn man das sportliche Training zum Wehrdienst rechne, dann habe K. sich doch davon gelöst, als er den Waldlauf abgebrochen und sich auf den Weg zu einer abfallenden Felswand begeben habe. Eine Klettertätigkeit könne dem Waldlauftraining nicht mehr zugerechnet werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist zulässig (§§ 160 Abs. 1, 164, 166 SGG). Sachlich erweist sie sich jedoch nicht als begründet.

Nach § 80 Satz 2 Halbsatz 2 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) erhalten die Hinterbliebenen eines Beschädigten auf Antrag Versorgung, wenn er eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat. Das ist eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs. 1 SVG). Das LSG hat zu Recht festgestellt, daß diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Eine ursächliche Verknüpfung der Gesundheitsschädigung des K. mit einer Wehrdienstverrichtung liegt nicht vor. Denn daß der Kletterversuch, durch den K. zu Tode gekommen ist, eine Dienstverrichtung war, haben selbst die Klägerinnen nicht behauptet. Der tödliche Unfall des K. ist auch nicht durch die "dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse" herbeigeführt worden. Dazu gehören nur solche Verhältnisse, die für dessen Eigenart typisch, in der Regel zwangsläufig mit ihm verbunden und von denen des Zivillebens verschieden sind (vgl. BSGE 18, 199, 201; 20, 266, 269). Kletterversuche im Alleingang sind aber weder für den Wehrdienst typisch noch in der Regel zwangsläufig mit ihm verbunden und schließlich auch nicht von denen des Zivillebens verschieden.

Auch um einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall hat es sich hier nicht gehandelt. Insoweit ist zwar nicht erforderlich, daß der Unfall ursächlich durch den Wehrdienst hervorgerufen worden ist. Es genügt aber auch nicht, daß sich der Unfall ganz allgemein während der Dienstzeit oder innerhalb des militärischen Dienstes zugetragen hat. Erforderlich ist vielmehr, daß der Unfall während einer Zeit eingetreten ist, in der der Soldat tatsächlich Dienst ausgeübt hat (vgl. BSG 7, 19, 22; 8, 264, 273; BVBl 1969 Nr. 9, S. 59, 60). Das traf bei dem Unfall des K. nicht zu.

Wie das LSG festgestellt hat, befand sich K. am Unfalltag im Urlaub. Die Beurlaubung eines Soldaten bedeutet seine vorübergehende Entbindung vom Dienst, so daß während des Urlaubs militärischer Dienst in der Regel nicht geleistet wird. Ausnahmsweise können allerdings besondere Umstände auch eine Tätigkeit während des Urlaubs zum militärischen Dienst machen (vgl. BSG SozR BVG Nr. 19 zu § 1; BSGE 7, 75, 76; 12, 78, 79; BVBl 1959 Nr. 26 S. 101 und Nr. 29 S. 119). Solche besonderen Umstände lagen hier jedoch nicht vor.

Nach Auffassung der Klägerinnen hat K. während des Urlaubs durch das ihm anbefohlene sportliche Training Wehrdienst verrichtet. Demgegenüber hat das LSG den Worten des Vorgesetzten, K. solle auch außerhalb des Dienstes und im Urlaub trainieren, entnommen, der Vorgesetzte habe sich nicht vorgestellt, daß K. zwecks sportlichen Trainings den Urlaub unterbrechen und Wehrdienst ausüben sollte. Daß K. am 24. Juli 1969 in der Meinung sportlich trainiert habe, einen wehrdienstlichen Befehl auszuführen, hat das LSG als nicht festgestellt bezeichnet. Soweit hierin tatsächliche Feststellungen liegen, binden sie den Senat nach § 163 SGG. Denn sie sind von den Klägerinnen nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden. Ihr Vorbringen ist zwar darauf gerichtet, den Worten des Vorgesetzten eine andere Deutung zu geben. Sie haben jedoch nicht dargetan, daß dies die einzig mögliche Deutung ist und daß sich die des LSG daher als notwendig falsch erweist und unter Verletzung der Grenzen des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung erfolgt ist. Im übrigen verkennen die Klägerinnen den Begriff des Befehls.

Der Befehl ist die Anweisung zu einem bestimmten Verhalten, die ein militärischer Vorgesetzter seinem Untergebenen allgemein oder für den Einzelfall mit dem Anspruch auf Gehorsam erteilt (vgl. § 2 Nr. 2 des Wehrstrafgesetzes). Ein besonderer Befehl ist K. am Morgen des 24. Juli 1969 von seinem Dienstvorgesetzten nicht erteilt worden. Die Aufforderung des Disziplinarvorgesetzten an K., auch außerhalb des Dienstes und im Urlaub für seine spätere dienstliche Verwendung - nämlich für die Teilnahme am 200-m-Lauf beim Divisionssportfest im September 1969 - zu trainieren, war inhaltlich nicht bestimmt genug, um den zur freien Verfügung des K. stehenden Urlaub durch ein weisungsbestimmtes und am Gehorsam orientiertes Verhalten zu unterbrechen und K. dadurch vorübergehend wieder für die Trainingszeiten in den militärischen Dienst einzuordnen. Der Soldat übt nämlich bei Unterbrechung oder Abbruch des Urlaubs erst dann wieder Dienst aus, wenn er sein Verhalten nicht mehr selbst bestimmen darf, sondern nach militärischen Befehlen richten muß (vgl. BSGE 12, 78, 79). Unter diesem Zwang stand K. jedenfalls im Unfallzeitpunkt nicht. Allgemein war ihm weder eine bestimmte Zeit noch ein bestimmter Ort für sein Training vorgeschrieben worden. Es bestand auch keine Anordnung des Disziplinarvorgesetzten über die Art der durchzuführenden Trainingsübungen und das hierbei täglich oder in anderen Zeitabschnitten zu erledigende Trainingspensum. Und endlich war keine Vorsorge dafür getroffen worden, daß die Durchführung des Trainings in irgendeiner Weise hätte überwacht oder kontrolliert werden können.

Dies alles zeigt, daß K. nach dem Inhalt der Aufforderung seines Disziplinarvorgesetzten nicht zu einem weisungsbestimmten Sporttraining befohlen, sondern zu einem seiner vollen Selbstbestimmung unterliegenden körperlichen Übungsverhalten angeregt wurde, dessen Motive für ihn in der Erhaltung und Förderung der eigenen Leistungsfähigkeit - einem typischen Urlaubszweck - und nicht in der Erfüllung dienstlicher Befehle liegen kennten. K. dürfte zwar aus einer bei Wiederaufnahme des Dienstes und insbesondere beim Divisionssportfest bestehenden guten Leistungsfähigkeit Vorteile im beruflichen Fortkommen erwartet haben. Das ändert jedoch nichts daran, daß während des Urlaubs keinerlei militärischer Zwang zu sportlichem Training auf ihn ausgeübt wurde. Daß K. dies verkannt und sich in der Annahme zum sportlichen Training begeben hätte, einen Befehl auszuführen, kann nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht in Betracht gezogen werden. Auch ein "Sich-selbst-in-den-Dienst-Versetzen" (vgl. Plog-Wiedow, Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, § 135 Anm. 15 a) liegt hier nicht vor. Die Feststellungen des LSG lassen nicht den Schluß zu, daß K. von seiner Beurlaubung abgerückt ist, indem er etwa seine Dienststelle aufgesucht oder eine seinem speziellen Pflichtenkreis zuzurechnende Handlung vorgenommen hätte.

Die durch keinen Befehl beeinträchtigte persönliche Freiheit des K. in seiner körperlichen Betätigung während des Urlaubs wird schließlich auch aus seiner Tätigkeit im Unfallzeitraum deutlich. Denn selbst wenn - abweichend von den bindenden Feststellungen des LSG - K. geglaubt hätte, beim Waldlauftraining einem dienstlichen Befehl zu folgen, so könnte diese Annahme in keiner Weise seinen kurz darauf gefaßten Entschluß verständlich machen, den Waldlauf zu beenden und über steiles Hanggelände das nicht auf einem Weg erreichbare obere Ende einer etwa 100 m hohen Felswand aufzusuchen, um von dort aus den Abstieg über die nahezu senkrechte Wand ohne jede Sicherung zu beginnen (vgl. hierzu die vom LSG in Bezug genommenen Unterlagen über den Unfallhergang, insbesondere die Aussage des Jagdaufsehers).

Unter diesen Umständen haben die Vorinstanzen zutreffend einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall verneint. Eine Ausweitung des Versorgungsschutzes auf Fälle der hier vorliegenden Art würde ihn praktisch von der nicht mehr nachprüfbaren und daher als Anspruchsvoraussetzung rechtlich untauglichen Behauptung abhängig machen, es sei im Unfallzeitpunkt insofern ein Befehl ausgeführt worden, als sich der Soldat zumindest auf dem Wege zu einer Dienstverrichtung sportlicher Art befunden habe. Eine klare Abgrenzung der Unfälle während des militärischen Dienstes von Unfällen bei privaten Betätigungen ist nur dann möglich, wenn entscheidend auf den befehlsbedingten militärischen Zwang einerseits und die persönliche Freiheit der Privatsphäre andererseits abgestellt wird (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 25. Januar 1974 - 10 RV 7/73 - in BVBl 1974 S. 43 Nr. 6 zur Abgrenzung von Freizeit und Bereitschaftsdienst; Erlaß des BMVtg vom 9. Dezember 1960 in BVBl 1961 S. 60 Nr. 40; BVerwGE 28, 18, 20). Dieser Abgrenzung entspricht auch der sogenannte Sporterlaß, dessen Nr. 4 die sportliche Betätigung während der Freizeit - auch wenn sie dienstlich erwünscht oder gefördert war - den im Rahmen eines Dienstplans erfolgenden, auf dienstlicher Anordnung beruhenden sowie den freiwilligen, aber vom Disziplinarvorgesetzten verantwortlich geleiteten sportlichen Betätigungen (Nrn. 1 bis 3) gegenüberstellt und nur die zuletzt genannten Fälle dem Wehrdienst zurechnet.

Die Revision der Klägerinnen muß nach alledem als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650873

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