Leitsatz (redaktionell)

Begriff der beruflichen Fortbildung iS des AFG und Abgrenzung von beruflicher Umschulung.

 

Normenkette

AFG § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 43 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 47 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Juli 1974 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der 1942 geborene Kläger ist gelernter Feinmechaniker und war bei der Firma S als Schaltmechaniker tätig. Vom 1. Februar 1971 bis zum 22. Juli 1972 besuchte er die Technikerschule der Städtischen Berufsschule K und legte die Prüfung zum staatlich anerkannten Techniker, Fachrichtung Elektrotechnik, ab. Diese Bildungsmaßnahme wurde von der Beklagten gefördert.

Bereits im Februar 1972 hatte der Kläger beantragt, seine Ausbildung zum staatlich geprüften Techniker der Fachrichtung Elektronik an der Technikerschule für Elektronik in T als berufliche Fortbildung zu fördern. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 31. Mai 1972, Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 1972). Die Schule in Tettnang besuchte der Kläger vom 13. September 1972 bis zum 17. Juli 1973. Das Sozialgericht (SG) Augsburg hat die Klage durch Urteil vom 3. April 1973 abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger vorgebracht, er habe die Absicht gehabt, ohne den Umweg über die Fortbildung zum staatlich anerkannten Techniker der Fachrichtung Elektrotechnik unmittelbar die Fortbildung an der Elektronikschule in T aufzunehmen. Seine Bewerbung sei aber abgelehnt worden mit der Begründung, sein erlernter Beruf liege nicht auf dem elektronischen Gebiet, er könne auf diesem Gebiet auch keine praktische Tätigkeit nachweisen. Ihm sei aber eine Aufnahme in Aussicht gestellt worden, wenn er zunächst durch die dreisemestrige Ausbildung zum staatlich anerkannten Techniker der Fachrichtung Elektrotechnik in T die Voraussetzung für eine elektronische Ausbildung geschaffen habe. Deshalb sei er zur Technikerschule in K gegangen. Aufgrund dieser Ausbildung habe man ihm später in T ein Semester erlassen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 11. Juli 1974 die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Als Ausbildungsmaßnahme i. S. des § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) könne das Studium des Klägers in T nicht gefördert werden, weil Maßnahmeträger eine Schule gewesen sei. Ein Förderungsanspruch nach § 47 AFG habe nicht bestanden, denn die Bildungsmaßnahme habe nicht zu einem Übergang in eine andere, neue berufliche Tätigkeit geführt. Schließlich hätten auch die Voraussetzungen für die Förderung einer Maßnahme als berufliche Fortbildung gemäß § 41 AFG nicht vorgelegen. Die Lehrgänge in Kempten und Tettnang seien nicht unselbständige Teile einer auf ein einheitliches Ausbildungsziel ausgerichteten Gesamtbildungsmaßnahme gewesen. Vielmehr gliedere sich die Ausbildung von Technikern der Fachrichtung Elektrotechnik in drei Spezialgebiete mit eigenen Studiengängen, die zwar auf einer gemeinsamen Grundlage beruhten, aber zu unterschiedlichen Berufszielen führten, nämlich den Berufen des Elektrotechnikers der Fachrichtungen Energietechnik, Nachrichtentechnik und Elektronik. Der Kläger sei in Kempten zum Energietechniker ausgebildet worden. In diesem Beruf bestehe ein Bedarf an Arbeitskräften. Deshalb habe die Beklagte mit Recht die arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit einer Förderung der weiteren Ausbildung des Klägers zum Elektroniktechniker verneint.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 41 AFG und macht geltend: Sein Berufsziel sei von Anfang an der Beruf des Elektroniktechnikers gewesen. Wegen der fehlenden Vorbildung habe er dieses Ziel nur auf atypischem Weg, nämlich über die Feinmechanikerlehre und die Technikerschule in Kempten erreichen können. Es sei aber gerade Sinn und Zweck der Vorschriften des AFG, diesen "zweiten Bildungsweg" zu fördern. Elektroniktechniker würden in immer größerer Zahl benötigt.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Juli 1974 und des Sozialgerichts Augsburg vom 3. April 1973 sowie den Bescheid vom 31. Mai 1972 und den Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 1972 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm für zwei Semester vom Herbst 1972 bis Juli 1973,

hilfsweise,

für die Dauer eines Semesters vom Herbst 1972 bis zum Frühjahr 1973, für den Besuch des Elektroniktechnikerlehrgangs an der Technikerschule in T die Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ferner aus, für den Kläger sei der Besuch des Lehrgangs in T keine Maßnahme der beruflichen Fortbildung gewesen. Die Schule habe das Ziel, Facharbeiter und Gesellen zu staatlich geprüften Technikern der Fachrichtung Elektronik weiterzubilden. Dementsprechend fordere die einschlägige vorläufige Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Technikerausbildung (Bekanntmachung des Kultusministeriums Baden-Württemberg vom 11. September 1972 - UB 2334/120 -) als Aufnahmevoraussetzungen u. a. den erfolgreichen Abschluß einer einschlägigen Berufsausbildung sowie eine Berufserfahrung von mindestens zwei Jahren in einem der gewählten Fachrichtung entsprechenden Beruf. Für den Kläger sei angesichts seines Bildungsganges und der dabei erworbenen vertieften Kenntnisse und Fertigkeiten - auch auf dem Gebiet der Elektronik - das Studium an der Elektronikschule keine Fortbildung i. S. des § 41 AFG gewesen. Er hätte als Elektrotechniker jederzeit die Möglichkeit gehabt, sich durch Teilnahme an speziellen, auf seinem Wissensstand aufbauenden Elektronikkursen etwaigen Bedürfnissen oder Veränderungen des Arbeitsmarktes anzupassen.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist gemäß § 160 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und i. S. der Zurückverweisung begründet.

Das Studium des Klägers an der Technikerschule für Elektronik war keine Ausbildung i. S. des § 40 AFG. Ausbildung in diesem Sinn ist - abgesehen von den in § 40 AFG genannten Lehrgängen und anderen berufsvorbereitenden Maßnahmen - stets nur die erste zu einem Abschluß führende Berufsbildungsmaßnahme. Alle späteren Schritte zur weiteren beruflichen Bildung sind entweder als Fortbildung oder als Umschulung zu werten (BSG SozR 4100 § 41 AFG Nr. 11). Da der Kläger vor der hier streitigen Maßnahme bereits die Lehre als Feinmechaniker und eine Ausbildung zum staatlich geprüften Techniker der Fachrichtung Elektrotechnik abgeschlossen hatte, kann es sich bei seinem Studium in T nur um die Teilnahme an einer Maßnahme der Fortbildung oder Umschulung gehandelt haben.

Nach § 41 Abs. 1 AFG ist berufliche Fortbildung die Teilnahme an einer Maßnahme, die das Ziel hat, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten festzustellen, zu erhalten, zu erweitern oder der technischen Entwicklung anzupassen oder einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen, und die eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzt.

Da nach den Feststellungen des LSG die Ausbildungen zum staatlich geprüften Techniker der Fachrichtungen Energietechnik und Elektronik gleichwertig sind, käme als Ziel einer Fortbildungsmaßnahme i. S. des § 41 AFG nur die Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten in Betracht.

Aus der Beschreibung der einzelnen Ziele einer Fortbildungsmaßnahme und dem Umstand, daß eine abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung objektiv die Voraussetzung dafür ist, daß die Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme gefördert werden kann, wird deutlich, daß die Bildungsmaßnahme stets an ein bestimmtes Berufswissen des einzelnen Teilnehmers anknüpft. Für den einzelnen, der über eine Berufsausbildung oder entsprechende Berufserfahrung verfügt, sind deshalb alle weiteren Bildungsbemühungen in derselben Berufsrichtung als Fortbildung in diesem Sinne anzusehen.

Daraus ergibt sich die Abgrenzung zwischen der Fortbildung und der Umschulung. Während die berufliche Fortbildung den Zweck hat, den Bildungswilligen in seinem bisherigen Beruf weiter zu qualifizieren und ihm dadurch die Möglichkeit zu geben, auf seinem Berufsgebiet beweglicher zu werden, zielt die Umschulung nach § 47 Abs. 1 AFG darauf hin, "eine andere geeignete berufliche Tätigkeit" nach Abschluß der Umschulungsmaßnahmen ergreifen zu können. Sowohl bei der Fortbildung als auch bei der Umschulung ist zwar der bisherige Beruf mit den erlernten Fertigkeiten der maßgebende Anknüpfungspunkt für die Unterscheidung beider Bildungsmaßnahmen; jedoch ist entscheidend, ob die in dem bisherigen Beruf erlernten Fertigkeiten in den angestrebten Beruf inhaltlich mit übernommen werden oder ob diese Fertigkeiten entweder nicht oder nur unwesentlich für die "andere geeignete berufliche Tätigkeit" i. S. des § 47 Abs. 1 AFG Bedeutung haben, insoweit also ein Beruf "mit neuem Inhalt" erlernt wird (BSG aaO).

Im vorliegenden Fall hat das LSG ausgeführt, die Berufe der Elektrotechniker in den Fachrichtungen Energietechnik, Nachrichtentechnik und Elektronik seien voneinander deutlich zu unterscheiden und setzten voneinander völlig unabhängige Bildungsgänge voraus. Zwar müßten die Bewerber für die Berufe des Energie- und Nachrichtentechnikers bei ihrer Ausbildung auch die für die Ausübung ihrer späteren Berufe notwendige Ausbildung in dem Fach Elektronik erhalten, dafür benötigten sie aber keine besondere zusätzliche Ausbildung auf einer Technikerschule für Elektronik. Mit diesen Ausführungen hat das LSG begründen wollen, daß es sich bei dem Besuch der Schulen in K und T für den Kläger nicht um eine einheitliche Maßnahme gehandelt habe, die insgesamt als Maßnahme der beruflichen Fortbildung gewertet werden könnte. Dem ist schon deshalb zuzustimmen, weil der Kläger in Kempten als staatlich anerkannter Techniker der Fachrichtung Elektrotechnik einen beruflich verwertbaren Abschluß erworben hatte. Den Ausführungen des LSG kann aber nicht entnommen werden, daß die Berufe der Techniker in den Fachrichtungen Energie-, Nachrichten- und Elektroniktechnik Berufe mit anderem Inhalt i. S. des § 47 AFG seien. Es spricht nicht gegen eine Fortbildung, wenn die Bildungsmaßnahme die Teilnehmer befähigt, eine vom bisherigen deutlich zu unterscheidenden Beruf auszuüben. Entscheidend ist vielmehr, ob die im bisherigen Beruf erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten in den angestrebten Beruf inhaltlich übernommen werden oder dafür keine oder nur eine unwesentliche Bedeutung haben.

Dazu hat das LSG keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Aus seinem Urteil ergibt sich zwar, daß die Ausbildung an der Technikerschule für Elektronik regelmäßig drei Semester dauert, der Kläger die Schule aber nur zwei Semester besucht hat. Zu der Behauptung des Klägers, ihm sei ein Semester wegen der an der Schule in K erworbenen Kenntnisse erlassen worden, hat das LSG indessen keine Feststellungen getroffen. Es wird dies nachzuholen haben. Wenn seine weiteren Ermittlungen ergeben, daß dem Kläger ein Drittel der Studiendauer wegen seiner Vorbildung erlassen worden ist, spricht dies dafür, daß seine Kenntnisse als Elektrotechniker (Energie) für den Beruf des Elektroniktechnikers wesentliche Bedeutung haben.

Eine Bildungsmaßnahme, die inhaltlich als berufliche Fortbildung anzusehen ist, kann gemäß § 41 AFG nur gefördert werden, wenn sie eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzt. Dafür genügt es nicht, wenn der Antragsteller eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung mitbringt. Vielmehr muß der Maßnahmeträger sie allgemein und objektiv als Zugangsvoraussetzung verlangen (BSGE 36, 48; Urteil vom 17. Dezember 1975 - 7 RAr 4/74 -). Das LSG wird dazu noch Feststellungen zu treffen haben.

Dem angefochtenen Urteil kann entnommen werden, daß der Kläger die Prüfung zum staatlich anerkannten Techniker der Fachrichtung Elektronik bestanden hat, womit seine Eignung i. S. des § 36 AFG und die Erfolgserwartung i. S. des § 42 AFG nachgewiesen sind (BSG SozR 4100 § 42 AFG Nr. 2). Auch hat der Kläger eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt. Feststellungen des LSG fehlen dagegen zu den Voraussetzungen des § 34 Satz 2 AFG.

Zur Begründung seines die Klageabweisung bestätigenden Urteils hat das LSG ausgeführt, es habe an der Zweckmäßigkeit i. S. des § 36 AFG gefehlt, weil an Energietechnikern Bedarf bestehe. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, in Fällen, in denen Bildungswege zu verschiedenen, jedoch einander gleichwertigen Berufszielen führen, mehrere solcher Studiengänge nacheinander zu fördern. Wie schon dargelegt, steht die Gleichwertigkeit des bisherigen und des angestrebten Berufs der Förderung einer Maßnahme als berufliche Fortbildung nicht entgegen. Sie kann schon deshalb die Förderung der Maßnahme nicht von vornherein als unzweckmäßig erscheinen lassen. Auch der Bedarf im Ausgangsberuf schließt die Förderung der Maßnahme als berufliche Fortbildung nicht aus. Es kann vielmehr regelmäßig angenommen werden, daß die Erweiterung beruflicher Kenntnisse im Rahmen einer Fortbildung zweckmäßig ist.

Das Urteil des LSG war demnach aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650514

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