Leitsatz (redaktionell)

1. Die Rechtsvermutung des BVG § 38 Abs 1 S 2 greift auch dann Platz, wenn ein anerkanntes Versorgungsleiden den Tod nur mittelbar verursacht hat.

2. Der Tod des rentenberechtigten Beschädigten "gilt" auch dann als - unmittelbare oder mittelbare - Folge der Schädigung, wenn bei der Entscheidung über den Antrag auf Hinterbliebenenrente feststeht, daß das zum Tode führende Leiden zweifelsfrei zu Unrecht als Schädigungsfolge festgestellt worden ist.

 

Normenkette

BVG § 38 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 16. Juni 1961 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin ist die Witwe des am 16. Dezember 1950 verstorbenen Oberzollsekretärs M Sch. Dieser bezog nach den Vorschriften des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) bis zum Zusammenbruch im Jahre 1945 wegen "Lungenerkrankung, leichten chronischen Luftröhrenkatarrhs, leichter Blutarmut, Nervenschwäche mit Herzneurose und Verminderung des Salzsäuregehalts des Magensaftes" eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v.H. Wegen der gleichen Gesundheitsstörungen zahlte die Landesversicherungsanstalt (LVA) Oberbayern - KB-Abteilung - in München nach dem Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) vom 1. Februar 1947 an Rente ebenfalls nach einer MdE um 70 v.H. Der Ehemann der Klägerin verstarb noch vor der Umanerkennung nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) an einer galligen Peritonitis nach Perforation der entzündlichen Gallenblase. Nach Auffassung des behandelnden Arztes Dr. H habe es sich bei allen seit jeher von dem Verstorbenen geklagten Beschwerden seitens des Magens in Wirklichkeit um Gallenkoliken gehandelt, die jedoch die Versorgungsbehörde in ihren Bescheiden nicht als solche bezeichnet habe; das Todesleiden sei die Folge des Kriegsdienstes. Demgegenüber verneinte der Versorgungsarzt - nach Beiziehung eines Berichtes des Chirurgen Dr. F (Chirurgische Abteilung des Krankenhauses Nymphenburg) - einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Tode an einem - anlagebedingten - Gallensteinleiden und der als Schädigungsfolge anerkannten Minderung des Salzsäuregehaltes des Magensaftes. Das Versorgungsamt (VersorgA) München II erließ daraufhin den Umanerkennungsbescheid nach dem BVG, der die anerkannten Schädigungsfolgen und den bisherigen Grad der MdE übernahm. Weiter bewilligte es der Klägerin unter dem 31. Mai 1951 nur das halbe Bestattungsgeld, "weil es sich bei dem zum Tode führenden Gallensteinleiden um ein anlage- und konstitutionsbedingtes Leiden handele, das mit dem als Schädigungsfolgen anerkannten Leiden ... in keinem Ursachenzusammenhang stehe". Das Berufungs- und das Rekursverfahren gegen diesen Bescheid hatten keinen Erfolg.

Aus den gleichen Gründen lehnte das VersorgA mit Bescheid vom 10. Juni 1953 auch den Antrag der Klägerin ab, ihr eine Witwenrente zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) München hat die Klage abgewiesen.

Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) in München von Amts wegen ein Gutachten des Prof. Dr. B und der Dres. E und K (II. Medizinische Klinik der Universität München) zu folgenden Fragen eingeholt:

1. Bestand ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den bescheidmäßig anerkannten Schädigungsfolgen und dem Todesleiden bzw. dem Tode des M Sch

2. Läßt sich sagen, daß die anerkannten Schädigungsfolgen den Tod des M Sch mindestens um ein Jahr beschleunigt haben?

Die Gutachter haben in ihrem Gutachten vom 16. Dezember 1960 ausgeführt, es gebe beim Zusammentreffen von Subacidität des Magensaftes mit einem Gallensteinleiden zwei Möglichkeiten der Krankheitsentwicklung: Die Subacidität des Magensaftes könne das primäre Leiden gewesen sein und über ascendierende Infektionen der Gallenwege zu rezidivierenden Cholecystitiden mit Steinbildung geführt haben. Es sei aber auch möglich, daß das Gallensteinleiden das primäre gewesen und die Subacidität als Folgeerscheinung aufgetreten sei. Da der Verstorbene schon 1916 über kolikartige, für einen Salzsäuremangel nicht typische Schmerzen geklagt und er eine Ruhrerkrankung nicht durchgemacht habe, müsse man in erster Linie daran denken, daß er bereits 1916 an Gallensteinen gelitten habe, die über eine chronische Irritation des Magens zu einer Subacidität des Magensaftes geführt hätten. Das Gallensteinleiden sei eine rein anlagebedingte Erkrankung. Wenn man dagegen davon ausgehen könnte, daß der Verstorbene eine Ruhr durchgemacht habe, so sei die zeitliche Reihenfolge der Erkrankungen an Subacidität und Gallensteinen umgekehrt und die Zusammenhangsfrage zu bejahen. Die Herzneurose und die Lungentuberkulose hätten keinen Einfluß auf den Leidensverlauf gehabt. Entscheidend für die ärztliche Stellungnahme sei die Frage, ob der Verstorbene während des Wehrdienstes eine Ruhr durchgemacht habe. Sei dies nicht der Fall, so sei die Zusammenhangsfrage zwischen dem Leiden und dem Wehrdienst zu verneinen, ob es sich nun um ein primär anlagebedingtes Gallensteinleiden oder um eine primär anlagebedingte Subacidität des Magensaftes mit sekundärer Cholethiasis über ascendierende Gallenwegsinfektionen gehandelt habe.

Die Klägerin hat die - nach ihrer Auffassung unzulässige - Stellung des Gutachters zu der Frage bemängelt, ob die anerkannt gewesene Verminderung des Salzsäuregehaltes des Magensaftes tatsächlich eine Schädigungsfolge sei. Im übrigen greife die Rechtsvermutung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG Platz; denn ihr Ehemann sei an den mittelbaren Folgen der anerkannten Untersäuerung des Magensaftes gestorben. Dazu hat sie eine Bescheinigung des Bruders des Verstorbenen vorgelegt, nach der letzterer während des ersten Weltkrieges - zu einem unbekannten Zeitpunkt - an Ruhr erkrankt gewesen sei.

Das LSG hat mit Urteil vom 16. Juni 1961 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Tode des Ehemannes der Klägerin und einer Schädigung im Sinne des BVG bestehe weder als Voraussetzung für die Gewährung von Witwenrente nach § 1 Abs. 5, § 38 Abs. 1 Satz 1 BVG, noch gelte er auf Grund der unwiderleglichen Rechtsvermutung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG als gegeben. Der Ehemann der Klägerin sei ohne Zweifel im Anschluß an eine Operation wegen eines Gallensteinleidens an einer galligen Peritonitis gestorben. Das Gallensteinleiden sei deshalb als wesentliche Ursache für den Tod anzusehen. Diese Feststellung reiche jedoch zur Begründung eines Witwenrentenanspruchs nicht aus; denn das Gallensteinleiden könne nicht als Folge des militärischen Dienstes im ersten Weltkrieg angesehen werden. Gallensteinleiden gehörten nämlich zu den Leiden, bei deren Entstehung in aller Regel die persönliche Veranlagung zur Steinbildung eine Rolle spiele. Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn das Gallensteinleiden nicht die primäre Erkrankung, sondern die Folge von aus dem Bereich des Magens aufsteigenden Infektionen sei. Zu solchen könne es besonders bei einer Untersäuerung des Magensaftes kommen. Diese Anomalität könne ihrerseits wieder zwei Ursachen haben. Sie könne einmal auf einer entsprechenden Veranlagung beruhen; ein durch die Subacidität vermittelter ursächlicher Zusammenhang eines Gallensteinleidens mit dem Wehrdienst scheide dann ebenfalls aus. Sie könne aber auch Folge einer Ruhrerkrankung sein, was zur Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs mit dem Wehrdienst führe, wenn die Ruhrerkrankung während des Wehrdienstes abgelaufen sei. Eine solche Ruhrerkrankung oder eine andere infektiöse Darmerkrankung des Verstorbenen während des ersten Weltkrieges könne jedoch nicht festgestellt werden, so daß der Wehrdienst nicht Ausgangspunkt einer zum Tode führenden Ursachenreihe gewesen sei. Die Beschwerden, die der Verstorbene seit 1916 geäußert habe, seien nicht für eine Subacidität, sondern für ein Gallensteinleiden charakteristisch gewesen, deshalb könne auch nicht davon ausgegangen werden, daß eine Subacidität des Magensaftes Wegbereiterin des Gallensteinleidens gewesen sei. Der Tod des Ehemannes der Klägerin sei daher nicht die Folge einer Schädigung im Sinne des BVG, wahrscheinlicher sei vielmehr, daß das primäre Gallensteinleiden im Laufe der Zeit über eine Irritation des Magens zu einer Untersäuerung des Magensaftes geführt habe. Die Klägerin könne sich, so hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt, auch nicht auf die Rechtsvermutung des § 38 Abs.1 Satz 2 BVG berufen. Nach dem Wortlaut des Bescheides vom 21. Mai 1951 könne kein Zweifel bestehen, daß die Rechtsvermutung nicht zutreffe, denn das Gallensteinleiden, das zum Tode des Ehemannes der Klägerin geführt habe, sei als Schädigungsfolge in den Bescheiden über die Beschädigtenrente nicht aufgeführt gewesen. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) - Urteil vom 26. August 1960, 8 RV 1225/58 - solle die Rechtsvermutung zwar auch dann Anwendung finden, wenn ein Beschädigter an den mittelbaren Folgen eines als Schädigungsfolge anerkannten Leidens verstorben sei. Aber auch diese Ansicht führe nicht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis. Die Gallensteinerkrankung sei nämlich im vorliegenden Fall nicht Folge des anerkannten Versorgungsleidens "Untersäuerung des Magensaftes", sondern dessen Ursache gewesen. Schließlich könne man - entgegen der Ansicht der Klägerin - auch nicht durch Auslegung des Bescheides vom 21. Mai 1951 und der darin enthaltenen Feststellungen über die Schädigungsfolgen zu dem Ergebnis kommen, daß unter der Krankheitsbezeichnung "Untersäuerung des Magensaftes" auch die Gallensteinerkrankung anerkannt worden sei. Die Diagnose "Untersäuerung des Magensaftes" sei nämlich eine ganz präzise. Diese Gesundheitsstörung könne für sich allein, unabhängig von Vor- oder Nacherkrankungen, auftreten. Zu einer Gallensteinerkrankung stehe sie also nicht im Verhältnis eines unselbständigen Teilsymptoms, sondern in dem einer - überdies auch nur möglichen - Folgeerkrankung. Die vom VersorgA getroffene Feststellung der Schädigungsfolgen sei somit nicht auslegungsbedürftig, deshalb sei auch insoweit kein Raum für eine Anwendung der Rechtsvermutung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses ihr am 2. August 1961 zugestellte Urteil des LSG hat die Klägerin mit einem beim BSG am 10. August 1961 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt. Mit der - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist - am 5. Oktober 1961 eingegangenen Revisionsbegründungsschrift rügt sie die Verletzung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG und des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie trägt vor, das Berufungsgericht habe mit seiner Feststellung, daß die Gallensteinerkrankung nicht Folge des anerkannten Versorgungsleidens "Untersäuerung des Magensaftes", sondern dessen Ursache gewesen sei, die Anwendung der Rechtsvermutung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG in Wahrheit deswegen abgelehnt, weil die frühere Anerkennung der "Verminderung des Salzsäuregehalts des Magensaftes" im Beschädigtenrentenverfahren fehlerhaft gewesen sei. Das Berufungsgericht habe damit den dem Verstorbenen erteilten Bescheid unzulässigerweise berichtigt. Das solle gerade durch die Vorschrift des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG vermieden werden. Vorliegend genüge es zur Anwendung der Rechtsvermutung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG, daß die Subacidität als Schädigungsfolge anerkannt gewesen sei. Das Berufungsgericht hätte deshalb den ursächlichen Zusammenhang zwischen der anerkannten Subacidität, dem Gallensteinleiden und dem Tod des Ehemannes der Klägerin anerkennen müssen. Im übrigen, so trägt die Revision weiter vor, seien gegen die Feststellung des LSG, die Gallensteinerkrankung des Verstorbenen sei vorliegend nicht die Folge, sondern die Ursache des anerkannten Versorgungsleidens "Untersäuerung des Magensaftes" gewesen, verfahrensrechtliche Bedenken zu erheben. Denn Prof. Dr. B habe über die von ihm zu beurteilende Beweisfrage hinausgegriffen; er habe nicht darüber zu urteilen gehabt, ob die Anerkennung der Verminderung des Salzsäuregehaltes des Magensaftes im Beschädigtenrentenverfahren zu Recht erfolgt sei oder nicht, sondern er habe von der bindend erfolgten Anerkennung dieser Schädigungsfolge ausgehen und diese seiner Beurteilung zugrunde legen müssen. Das Berufungsgericht habe dadurch, daß es insoweit dem Gutachten des Sachverständigen gefolgt sei, die Grenzen des ihm im Rahmen der Beweiswürdigung eingeräumten freien Ermessens in prozessual unzulässigerweise überschritten. Das angefochtene Urteil beruhe insoweit auch auf dem gerügten Verfahrensmangel.

Die Klägerin beantragt,

1. das angefochtene Urteil, das Urteil des SG München vom 15. November 1955 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. Juni 1953 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, vom 1. Januar 1951 an Witwenrente zu zahlen;

2. hilfsweise,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision (§ 164 Abs. 1 Satz 1 SGG) ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG).

Sie ist auch begründet.

Die rechtskräftige Entscheidung über die Bewilligung des halben Bestattungsgeldes aus Anlaß des Todes des Ehemannes der Klägerin hat hinsichtlich des jetzt geltend gemachten Anspruchs auf Witwenrente der erneuten Prüfung der Zusammenhangsfrage durch den Beklagten nicht entgegengestanden und steht auch einer Nachprüfung dieser Frage im sozialgerichtlichen Verfahren nicht entgegen. Denn die rechtswirksame Anerkennung oder Nichtanerkennung des Todes als Folge einer Schädigung in einem Bescheid über das Bestattungsgeld ist für die Entscheidung über den Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht bindend (BSG 10, 167; BSG 14, 99, 102).

Das Berufungsgericht hat zunächst geprüft, ob der Ehemann der Klägerin an den Folgen einer Schädigung gestorben ist (§§ 1 Abs. 5, 38 Abs. 1 Satz 1 BVG). Es hat diese Frage verneint. Gegen die hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen hat diese Revisionsrügen, insbesondere solche, die das Verfahren betreffen, nicht erhoben. Die Feststellungen sind deshalb für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG), so daß es insoweit einer Überprüfung nicht bedurfte. Dasselbe gilt hinsichtlich der Entscheidung und den zu ihr getroffenen Feststellungen, daß der Ehemann der Klägerin während seines Wehr- und Kriegsdienstes eine Ruhrerkrankung nicht durchgemacht hat. Schließlich binden den erkennenden Senat auch die Feststellungen des Berufungsgerichts, daß die Krankheitsbezeichnung "Verminderung des Salzsäuregehaltes des Magensaftes" eindeutig sei und daß darin weder durch Auslegung des Umanerkennungsbescheides vom 21. Mai 1951 noch durch Umdeutung des Wortlauts der mit ihm ausgesprochenen Anerkennungen eine gleichzeitige Anerkennung auch einer Gallensteinerkrankung erblickt werden könne.

Soweit das LSG die Vorschrift des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG nicht für anwendbar hält, kann ihm jedoch nicht gefolgt werden. Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BVG hat die Witwe eines Beschädigten, der an den Folgen einer Schädigung gestorben ist, Anspruch auf Witwenrente; nach § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG gilt der Tod stets dann als Folge einer Schädigung, wenn ein Beschädigter an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Schädigung rechtsverbindlich anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war. Im Vordergrund dieser gesetzlichen Regelung stehen die Fälle, in denen eine im Verfahren über die Beschädigtenrente anerkannte Schädigungsfolge unmittelbar zum Tode geführt hat. Auf diese ist aber, wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 26. August 1960 (BSG 13, 43, 46, 47) bereits entschieden hat, die Anwendung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG nicht beschränkt. Vielmehr greift die Rechtsvermutung auch dann Platz, wenn ein anerkanntes Versorgungsleiden den Tod nur mittelbar verursacht hat.

Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß der Regelfall des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG nicht vorliegt, da ein mit Gewährung von Rente im Zeitpunkt des Todes anerkanntes Schädigungsleiden nicht unmittelbare Ursache des Todes gewesen ist. Der "leichte chronische Luftröhrenkatarrh", die "leichte Blutarmut" und die "Nervenschwäche" scheiden ohnehin aus; hinsichtlich der "Lungenerkrankung" und der "Herzneurose" hat das LSG, gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. B, unangegriffen festgestellt, daß sie den Tod des Ehemannes der Klägerin in keiner Weise beeinflußt haben. Die noch verbleibende "Verminderung des Salzsäuregehaltes des Magensaftes" kann aber als unmittelbare Todesursache deshalb nicht in Frage kommen, weil der Ehemann der Klägerin zweifelsfrei - und auch von ihr nicht bestritten - allein an einem Gallensteinleiden verstorben ist. Dieses ist aber in den Bescheiden über die Beschädigtenrente nicht als Schädigungsleiden aufgeführt gewesen.

Das LSG hat offenbar auch keine Bedenken gehabt, sich der vorstehend angeführten Rechtsprechung des erkennenden Senats anzuschließen. Denn es hat ausgeführt, wenn man dieser Auffassung des BSG folge, könne dies deshalb zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis führen, weil die Gallensteinerkrankung des verstorbenen Ehemannes nicht die Folge des anerkannt gewesenen Versorgungsleidens "Verminderung des Salzsäuregehaltes des Magensaftes", sondern dessen Ursache gewesen sei. Insoweit rügt die Revision mit Recht, das Berufungsgericht habe die gesetzlichen Grenzen des Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten. Prof. Dr. B sollte in erster Linie gutachtlich dazu Stellung nehmen, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den "bescheidmäßig anerkannten Schädigungsfolgen" und dem Todes- (Gallenstein-) Leiden bzw. dem Tod des verstorbenen Ehemannes der Klägerin bestanden habe. Wie bereits dargelegt, kommt dabei als "bescheidmäßig anerkannte Schädigungsfolge" allein noch die "Verminderung des Salzsäuregehalts des Magensaftes" in Betracht. Zur Frage des Zusammentreffens von Subacidität und Gallensteinleiden hat der Gutachter, wie ebenfalls bereits dargelegt, allgemein ("grundsätzlich") ausgeführt, entweder könne über ascendierende Infektionen der Gallenwege eine primäre Subacidität des Magensaftes zu rezidivierenden Cholecystitiden mit Steinbildung führen oder die Subacidität trete als Folgeerscheinung eines anlagebedingten primären Gallensteinleidens auf; dabei sei auch eine primäre Subacidität als anlagebedingt anzusehen, wenn sie nicht auf eine Ruhrerkrankung zurückzuführen sei. Die Zusammenhangsfrage zwischen dem zum Tode führenden Gallensteinleiden des Ehemannes der Klägerin und der Subacidität des Magensaftes könne deshalb nur bejaht werden, wenn die Subacidität als Ruhrfolge tatsächlich ein Schädigungsleiden gewesen sei, da es dann mit Wahrscheinlichkeit über ascendierende Gallenweginfektionen zu rezidivierenden Cholecystitiden und schließlich zu Cholelithiasis gekommen sei. Sonst sei die Zusammenhangsfrage auf jeden Fall zu verneinen, ob es sich nun um eine primär anlagebedingte Subacidität oder um ein primär anlagebedingtes Gallensteinleiden gehandelt habe.

Dieses Gutachten des Prof. Dr. B war jedoch, und das hat das Berufungsgericht verkannt, lediglich zur selbständigen Entscheidung der Frage geeignet, ob der Ehemann der Klägerin "an den Folgen einer Schädigung gestorben ist" (§§ 1 Abs. 5, 38 Abs. 1 Satz 1 BVG). Dagegen konnte sich das LSG nicht auf dieses Gutachten stützen, um auch die Rechtsvermutung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG mit der Begründung auszuschließen, daß der Ehemann der Klägerin ebensowenig wie an den unmittelbaren Folgen an den mittelbaren Folgen des als Schädigungsfolge anerkannten Leidens "Verminderung des Salzsäuregehalts des Magensaftes" gestorben sei; die zum Tode führende Gallensteinerkrankung sei "nicht Folge des anerkannten Versorgungsleidens ..., sondern dessen Ursache gewesen". Denn damit hat das LSG zu Unrecht die Richtigkeit der Anerkennung der "Verminderung des Salzsäuregehalts des Magensaftes" im Beschädigtenrentenbescheid in Frage gestellt und ist - mangels einer nachgewiesenen Ruhrerkrankung des Verstorbenen - davon ausgegangen, daß die frühere Anerkennung fehlerhaft gewesen sei. Das aber durfte es nicht tun, gleichgültig, ob es nur Zweifel an der Richtigkeit der früheren Anerkennung hatte, oder ob es - wie der Gutachter - von der Unrichtigkeit dieser früheren Anerkennung überzeugt war. Denn der Tod des rentenberechtigten Beschädigten "gilt" auch dann als - unmittelbare oder mittelbare - Folge der Schädigung, wenn bei der Entscheidung über den Antrag auf Hinterbliebenenrente feststeht, daß das zum Tode führende Leiden zweifelsfrei zu Unrecht als Schädigungsfolge festgestellt worden ist (vgl. Urteil des 11. Senats des BSG vom 20. August 1963 - 11 RV 932/62 -). Eine andere Beurteilung wäre als eine - im vorliegenden Falle nicht vorgenommene - Berichtigung des dem Ehemann der Klägerin erteilten Rentenbescheides anzusehen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob ein solcher Berichtigungsbescheid hätte erteilt werden können. Im übrigen hat das Berufungsgericht, worauf die Klägerin zutreffend hinweist, nicht berücksichtigt, daß der Gutachter Prof. Dr. B ein Gallensteinleiden als Folge einer Untersäuerung des Magensaftes nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern sogar durchaus als möglich angenommen hat, nämlich für den Fall, daß die Untersäuerung des Magensaftes als das primäre Leiden angesehen werden muß. Da der Ehemann der Klägerin schon viele Jahre vor seinem Ableben wegen des anerkannten Schädigungsleidens "Verminderung des Salzsäuregehalts des Magensaftes" Rente bezogen hatte, hätten der Gutachter und insbesondere das Berufungsgericht diese rechtsverbindliche Anerkennung nicht einfach übergehen dürfen. Gegebenenfalls hätte der Gutachter noch darauf hingewiesen werden müssen, daß er in seinem Gutachten nicht nur zur Zusammenhangsfrage schlechthin Stellung nehmen solle, sondern daß er - wegen der unwiderlegbaren Rechtsvermutung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG - notwendig auch davon ausgehen müsse, daß im Beschädigtenrentenverfahren die "Verminderung des Salzsäuregehalts des Magensaftes", gleichgültig ob zu Recht oder zu Unrecht, rechtsverbindlich als Schädigungsleiden anerkannt gewesen sei.

Nach alledem durfte das LSG das Gutachten des Prof. Dr. B in der ihm vorliegenden Form seiner Entscheidung, ob § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG Platz greife, nicht zugrunde legen. Daher leidet sein Verfahren an dem von der Klägerin gerügten wesentlichen Mangel des Verfahrens. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben. Dabei erschien dem erkennenden Senat eine eigene Sachentscheidung nicht tunlich, da die vom LSG getroffenen Feststellungen nicht ausreichen und von diesem gegebenenfalls noch weitere Ermittlungen zur Frage der Anwendbarkeit des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG - durch Einholung eines weiteren Gutachtens oder Einholung eines Zusatzgutachtens des Prof. Dr. B - angestellt werden müssen. Die Sache war deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Vordergericht zurückzuverweisen. (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2304646

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