Leitsatz (redaktionell)

Ein Beteiligter darf nicht wegen Prozeßunfähigkeit von der Führung des Rechtsmittelverfahrens, bei dem er seine Prozeßunfähigkeit geltend macht, ausgeschlossen werden. Danach muß ein Beteiligter als prozeßfähig behandelt werden, solange seine Prozeßunfähigkeit nicht festgestellt ist; solange kann auch der Rechtsstreit durch Handlungen eines in Wirklichkeit Prozeßunfähigen und des von ihm bestellten Prozeßbevollmächtigten weitergeführt werden (vergleiche BSG 1957-06-06 5 RKn 47/55 = BSGE 5, 176).

 

Normenkette

ZPO § 56 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle vom 24. September 1959 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die vom Kläger persönlich eingelegte Revision gegen das Ergänzungsurteil des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle vom 5. November 1959 wird als unzulässig verworfen; insoweit sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der ... 1893 geborene Kläger betreibt seit 1951 ein Versorgungsverfahren; er begehrt dabei im wesentlichen Rente und Pflegezulage wegen der gesundheitlichen Folgen seines Wehrdienstes im ersten Weltkrieg und wegen der Folgen von Schädigungen während seines Wehrdienstes im zweiten Weltkrieg und auf der Flucht. Durch Bescheid vom 15. September 1952 erkannte das Versorgungsamt (VersorgA) Braunschweig "reizlose Narbe über dem rechten Scheitelbein mit Knocheneindellung" als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) an, lehnte die Gewährung von Rente jedoch ab, da eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 25 v.H. durch diese Schädigungsfolge nicht erreicht werde. Durch einen weiteren Bescheid vom 13. Dezember 1952 wurde auch die Gewährung von Pflegezulage abgelehnt. Den Einspruch gegen beide Bescheide wies der Beschwerdeausschuß am 10. April 1953 zurück. Die Berufung des Klägers (alten Rechts) ist als Klage auf das Sozialgericht (SG) Braunschweig übergegangen; das SG hat die Klage mit Urteil vom 13. Oktober 1955 abgewiesen.

Im Berufungsverfahren gegen dieses Urteil hat der Kläger am 17. Oktober 1958 dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen schriftlich folgendes mitgeteilt: "Ich verzichte hiermit großzügig auf den Fortgang des obigen immerhin seit Sommer 1951 währenden Kriegsopferverfahrens. Die hierzu meinem Prozeßbevollmächtigten erteilte Vollmacht wird hiermit gleichzeitig gegenstandslos." Das LSG hat dieses Schreiben als Rücknahme der Berufung angesehen. Am 29. März 1959 hat dann der Kläger dem LSG mitgeteilt, daß er "nach Monaten innerlicher Beunruhigung" seine Erklärung vom 17. Oktober 1958 widerrufe; da er auf seinen Versorgungsanspruch rechtswirksam nicht verzichten könne, verzichte er logischer weise auch nicht auf das Berufungsverfahren. Das LSG hat mit Urteil vom 24. September 1959 entschieden:

Der Rechtsstreit ist durch die Zurücknahme der Berufung mit Schriftsatz des Klägers vom 17. Oktober 1958 erledigt.

Es hat ausgeführt: Soweit die Prozeßfähigkeit des Klägers zweifelhaft sei, sei dieser bis zum Nachweis der Prozeßunfähigkeit als prozeßfähig anzusehen. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. K und Dr. K vom 26. Oktober 1957, die den Kläger nicht hätten untersuchen können, weil er eine Untersuchung verweigert habe, sei der Kläger prozeßunfähig. Dies habe auch Dr. F in seinem Gutachten vom 10. Juli 1958 bestätigt. Der Kläger sei ein schwerkranker Mann, der leide ua an einer weit fortgeschrittenen allgemeinen Schlagaderverkalkung mit besonderer Beteiligung der Hauptschlagader und der Hirnschlagadern, es finde sich auch ein über sein Alter hinausgehender Altersabbau, der besonders auf psychischem Gebiet hervortrete. Wenn Dr. F, der den Kläger persönlich untersucht habe, diesen als prozeßunfähig bezeichnet habe, so überzeuge dieses Gutachten nicht, denn die - sehr eingehenden - Untersuchungsbefunde ließen den Schluß auf Prozeßunfähigkeit nicht zu; die Prozeßunfähigkeit könne auch nicht, wie Dr. F angenommen habe, den Schriftsätzen des Klägers vom 19. November 1957 und 16. Dezember 1957 entnommen werden, denn diese Schriftsätze seien ebenso wie die vom 17. Oktober 1958 und vom 23. und 29. März 1959 durchaus verständlich und einigermaßen klar, jedenfalls weit klarer als die vom Prozeßbevollmächtigten (dem Sohn) des Klägers verfaßten Schriftsätze. Nach der gutachtlichen Äußerung des Nervenarztes Dr. B in der Sitzung vom 24. September 1959 sei der Senat von der Prozeßunfähigkeit des Klägers nicht überzeugt. Dieser habe sonach mit dem Schreiben vom 17. Oktober 1958 seine Berufung rechtswirksam zurückgenommen, die Erklärung habe nach § 156 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) den Verlust des Rechtsmittels bewirkt; der Kläger habe seine Erklärung vom 17. Oktober 1958 zwar am 29. März 1959 widerrufen; die Zurücknahme der Berufung sei jedoch eine Prozeßhandlung und damit grundsätzlich unwiderruflich, sofern der Widerruf nicht auf Gründe gestützt werde, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 179 SGG, §§ 578 ff. der Zivilprozeßordnung - ZPO -) rechtfertige; solche Gründe habe der Kläger nicht geltend gemacht. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Das Urteil ist dem damaligen Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 7. Oktober 1959 zugestellt worden. Anträge des Klägers auf Ergänzung des Urteils sind durch Urteil vom 5. November 1959 abgelehnt worden.

Am 31. Oktober 1959 hat der Kläger gegen das Urteil vom 24. September 1959 Revision eingelegt und beantragt, für Recht zu erkennen:

1. Das Urteil des LSG Celle vom 24. September 1959 wird aufgehoben,

2. der Rechtsstreit wird an dieses Gericht zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen;

hilfsweise,

1. es werden aufgehoben:

a) das Urteil des SG Braunschweig vom 13. Oktober 1955,

b) das Urteil des LSG Niedersachsen in Celle vom 24. September 1955,

c) die Bescheide des VersorgA Braunschweig vom 15. September 1952 und 13. Dezember 1952 sowie die Entscheidung des Beschwerdeausschusses des genannten VersorgA vom 10. April 1953, und zwar soweit durch diese Entscheide den Anträgen des Klägers nicht entsprochen worden ist,

2. das beklagte Land Niedersachsen wird für verpflichtet erklärt, das VersorgA Braunschweig bzw. das Fürsorgeamt der Stadt Braunschweig anzuweisen:

a) dem Kläger Kriegsbeschädigtenrente unter Zugrundelegung einer Wehrdienstbeschädigung von mindestens 80 v.H. zu gewähren, und zwar vom Tage der Antragstellung ab,

b) vom gleichen Zeitpunkt ab dem Kläger eine Kriegsbeschädigten-Pflegezulage nach Stufe III zu gewähren,

c) dem Kläger die Benutzung der Polsterklasse und eine ständige Begleitperson mit der Maßgabe weiterhin zu gewähren, daß für die Begleitperson Fahrkosten nicht zu entrichten sind.

In einem von ihm persönlich unterzeichneten Schreiben vom 30. November 1959 an das Bundessozialgericht (BSG) hat der Kläger mitgeteilt, daß er auch gegen das Urteil vom 5. November 1959 Revision einlege.

Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 7. Januar 1960 hat der Kläger die Revision gegen das Urteil vom 24. September 1959 begründet. Er rügt wesentliche Mängel des Verfahrens des LSG und trägt hauptsächlich folgendes vor: Das LSG habe gegen die §§ 41 Nr. 6, 42, 47 ZPO in Verbindung mit § 60 SGG verstoßen. Nachdem über die Ablehnung der Richter des 13. Senats des LSG Niedersachsen durch Beschluß der Richter dieses Senats vom 16. Juli 1959 ablehnend entschieden worden sei, habe er wiederholt und noch in der mündlichen Verhandlung am 24. September 1959 an der Ablehnung festgehalten, er habe seine Ablehnung auch nicht auf "die Richter des LSG Niedersachsen" beschränkt, trotzdem hätten die abgelehnten Richter an dem Urteil vom 24. September 1959 mitgewirkt. Insbesondere sei auch der Landessozialrichter Dr. F von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen gewesen; er habe ua bei dem Verwaltungsverfahren über seinen Antrag auf Benutzung der ersten Wagenklasse mit Fahrtausweis der zweiten Wagenklasse bei Eisenbahnfahrten und auf die unentgeltlichen Beförderung eines ständigen Begleiters bei Eisenbahn- und Kraftpostfahrten mitgewirkt; das angefochtene Urteil betreffe auch diesen Antrag. Im übrigen habe das Berufungsgericht auch materiell-rechtlich entscheiden müssen. Er sei am 17. Oktober 1958 bei Rücknahme der Berufung von irrigen Vorstellungen ausgegangen; insbesondere sei er durch das Verhalten der Ärzte Dr. K und Medizinalräte Dr. F und Dr. K bei der Nachprüfung seiner Prozeßfähigkeit "grenzenlos verbittert" gewesen und habe geglaubt, er werde ungerecht behandelt und verunglimpft. Erst nach fünf Monaten habe er sich innerlich beruhigt gehabt und von der Unrichtigkeit seiner Meinung überzeugt, er habe deshalb die Rücknahme der Berufung nach § 119 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) angefochten; die Anfechtung einer Prozeßhandlung sei im sozialgerichtlichen Verfahren als wirksam zu behandeln. Eine Rücknahme der Berufung habe sonach am 24. September 1959 nicht mehr vorgelegen, das LSG habe gegen die §§ 156, 157 SGG verstoßen, wenn es nicht in der Sache entschieden habe. In sachlicher Hinsicht sei sein Begehren auf Anerkennung der Schädigungsleiden und auf Rente begründet, wie sich aus zahlreichen ärztlichen Gutachten, insbesondere im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, ergebe. Ursache aller seiner Leiden sei die Kopfverwundung im Jahre 1915.

Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 1959 hat der Kläger noch vorsorglich geltend gemacht, er sei entgegen der insoweit nicht bindenden Feststellung des Berufungsgerichts bei der Erklärung der Berufungsrücknahme am 17. Oktober 1958 vorübergehend prozeßunfähig gewesen. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Gutachten des Medizinalrats Dr. F. Im März bzw. September 1959 habe sich jedoch sein geistiger Zustand wieder gebessert gehabt, nach dem Gutachten von Dr. B vom 24. September 1959 sei er zu diesem Zeitpunkt prozeßfähig gewesen.

Am 3. August 1961 hat der neue Prozeßbevollmächtigte vorgetragen, er habe sich auf Grund neuerlicher Verhandlung mit dem Kläger davon überzeugt, daß dieser prozeßunfähig sei. Dies ergebe sich auch aus dem Urteil des Landesverwaltungsgerichts Braunschweig vom 24. März 1960 und des SG Braunschweig vom 12. Oktober 1960; in beiden Fällen sei die Klage als unzulässig abgewiesen worden, weil der Kläger sich geweigert habe, sich zur Prüfung seiner Prozeßfähigkeit ärztlich untersuchen zu lassen, und weil sich deshalb die Prozeßfähigkeit des Klägers nicht habe feststellen lassen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

sie als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Mit einem am 10. Juni 1964 beim BSG eingegangenen Schreiben hat der Kläger noch mitgeteilt, daß er inzwischen einen Blindenausweis- mit der Berechtigung der freien Fahrt für sich und einen ständigen Begleiter für Straßenbahn- und Omnibuslinien der Stadtwerke Braunschweig - erhalten habe und insoweit klaglos gestellt sei.

Soweit der Kläger gegen das Ergänzungsurteil des LSG vom 5. November 1959 mit einem von ihm persönlich unterzeichneten Schreiben Revision eingelegt hat, ist die Revision nicht statthaft. Auch dieses Urteil kann zwar selbständig angefochten werden, der Kläger hat die Revision jedoch nicht in der gesetzlich gebotenen Form durch einen beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten (§ 166 SGG) eingelegt; sie ist daher schon deshalb unzulässig (§ 169 Satz 2 SGG); es kommt insoweit nicht darauf an, ob der Kläger prozeßfähig ist.

Die Revision gegen das Urteil des LSG vom 24. September 1959 ist durch einen beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Mit Schriftsatz vom 3. August 1961 hat der Kläger seine derzeitige Prozeßfähigkeit in Frage gestellt; zur Begründung der Statthaftigkeit der Revision macht er geltend, daß er auch im Verfahren vor dem LSG, jedenfalls am 17. Oktober 1958 bei Abgabe der Erklärung der Rücknahme der Berufung, nicht prozeßfähig gewesen sei. Nach § 71 Abs. 6 SGG in Verbindung mit § 56 Abs. 1 ZPO hat das Gericht den Mangel der Prozeßfähigkeit von Amts wegen zu berücksichtigen; dies gilt auch für das Revisionsverfahren. Der Umstand, daß der Kläger das Revisionsverfahren durch einen von ihm bestellten beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten selbst führt, obwohl er seine Prozeßfähigkeit bezweifelt, ein gesetzlicher Vertreter für ihn bisher nicht bestellt worden ist und die Vollmacht, die der Kläger seinem Prozeßbevollmächtigten erteilt hat, gegebenenfalls unwirksam ist, macht die Revision nicht unzulässig. Denn ein Beteiligter darf nicht wegen Prozeßunfähigkeit von der Führung des Rechtsmittelverfahrens, in dem er seine Prozeßunfähigkeit geltend macht, ausgeschlossen werden, weil damit das Prozeßergebnis insoweit in unzulässiger Weise vorweggenommen würde. Danach muß ein Beteiligter als prozeßfähig behandelt werden, solange seine Prozeßunfähigkeit nicht festgestellt ist; solange kann auch der Rechtsstreit durch Handlungen eines in Wirklichkeit Prozeßunfähigen und des von ihm bestellten Prozeßbevollmächtigten weitergeführt werden (vgl. BSG 5, 176 ff. mit weiteren Hinweisen). Einer Entscheidung darüber, ob der Kläger zur Zeit prozeßunfähig ist, bedarf es deshalb nicht; auch wenn dies der Fall wäre, muß er insoweit als prozeßfähig behandelt werden, als er mit der Revision geltend macht, er sei bei der Rücknahme der Berufung am 17. Oktober 1958 prozeßunfähig und nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen (§ 551 Nr. 5 ZPO); er macht damit einen der unbedingten Revisionsgründe des § 551 ZPO geltend, die nach § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren (BSG, aaO) Geltung haben.

Die Revision des Klägers ist statthaft nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Denn er rügt zu Recht, das LSG habe nicht feststellen dürfen, daß er bei Rücknahme der Berufung am 17. Oktober 1958 prozeßfähig gewesen sei. Zwar hat das LSG insoweit nicht gegen § 103 SGG verstoßen, da es im Berufungsverfahren alle Möglichkeiten zur Klärung der Frage, ob der Kläger prozeßfähig sei, erschöpft, insbesondere noch eine - vom Kläger allerdings vereitelte - persönliche Untersuchung durch Prof. Dr. K und Medizinalrat Dr. K für erforderlich gehalten und angeordnet hat. Das LSG hat aber die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen (§ 128 Abs. 1 SGG) überschritten, wenn es auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen den Kläger als prozeßfähig angesehen hat. Es hat sich hierbei im wesentlichen darauf gestützt, daß die Schriftsätze, die der Kläger 1957, 1958 und 1959 offensichtlich selbst gefertigt hat, die also nicht von seinem damaligen Prozeßbevollmächtigten - seinem Sohn K-H O - verfaßt sind, insbesondere die Schriftsätze vom 19. November 1957, vom 16. Dezember 1957, vom 17. Oktober 1958 und vom 29. März 1959, "durchaus verständlich und einigermaßen klar" seien. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Verfahren nicht schon deshalb an einem wesentlichen Mangel leidet, weil das LSG nicht beanstandet hat, daß der Rechtsstreit, obwohl der Kläger seinem Sohn K-H O Prozeßvollmacht erteilt und diese Vollmacht jedenfalls bis zum 17. Oktober 1958 nicht widerrufen hatte, teilweise vom Kläger selbst geführt worden ist, und weil es, soweit der Prozeßbevollmächtigte im Verfahren tätig geworden ist, nicht geprüft hat, ob der Prozeßbevollmächtigte des Klägers während des Verfahrens prozeßfähig gewesen ist. Auf jeden Fall aber lassen gerade die vom LSG erwähnten Schriftsätze - sofern der Kläger sie selbst gefertigt hat - nicht den Schluß zu, daß er - entgegen den Schlußfolgerungen des Dr. F - prozeßfähig gewesen ist. Der Gutachter Dr. F hat zutreffend darauf hervorgehoben, daß gerade die Schreiben vom 19. November und 16. Dezember 1957 auf einen "Beeinträchtigungswahn", auf "Querulantenwahn" und auf "fixierten Gedankeninhalt" hinweisen; der Kläger leide nach dem Ergebnis der persönlichen Untersuchung und dem Inhalt seiner Schriftsätze "bei noch erhaltenem formalen Denken" an einer "weitgehenden Einengung des Denkinhalts", an einer "Verlangsamung des Denkablaufs mit erheblicher Konzentrationsschwäche und Merkschwäche", an "hochgradiger Urteilsschwäche" und "Mangel an Kritikfähigkeit". Das LSG hat auch aus den von ihm erwähnten weiteren Schriftsätzen keine anderen Schlußfolgerungen ziehen dürfen, jedenfalls dann nicht, wenn es das sonstige Verhalten des Klägers während des Berufungsverfahrens, insbesondere auch gegenüber den angeordneten Untersuchungen durch Prof. Dr. K und Dr. K, berücksichtigt hat. Im übrigen hat Dr. F seine ärztliche Überzeugung von der Prozeßunfähigkeit des Klägers auch eingehend begründet. Er hat zutreffend dargelegt, daß in mehreren ärztlichen Gutachten fortlaufend schon seit 1952 Befunde enthalten sind, die auf eine erhebliche Beeinträchtigung des Geisteszustandes des Klägers hinweisen; diese früheren Gutachten hat das LSG überhaupt nicht gewürdigt. Es hätte sie aber im Hinblick darauf, daß Prof.Dr. K und Dr. K nicht haben selbst untersuchen und beobachten können, nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Dr. F hat darauf hingewiesen, daß beim Kläger schon 1952 bei der Begutachtung im Niedersächsischen Landeskrankenhaus Königslutter (Dr. H und Prof. Dr. B) ein "depressiver Verstimmungszustand" mit "zerebralsklerotischer Komponente (Verkalkung der Hirnschlagadern)" bestanden habe und 1954 in Königslutter (Prof. Dr. B) bei einer allgemeinen Arteriosklerose ua eine "Manifestation des Gefäßleidens im Gehirn" beobachtet worden sei. Der Gutachter hat weiter darauf hingewiesen, daß 1955 in Königslutter nach langer stationärer Behandlung eine "mäßige Demenz (Geistesschwäche) mit querulantischer Note" beobachtet worden ist, und daß Prof. Dr. G im November 1956 beim Kläger eine "ausgesprochene Arteriosklerose, besonders des Gehirns" sowie "enorme Vergeßlichkeit, Hilflosigkeit ..., psychisch ausgesprochen senil (vergreist)", beobachtet hat. Über diese von Dr. F erwähnten und in den Akten enthaltenen Feststellungen und Gutachten hat das LSG sich ohne stichhaltige Begründung hinweggesetzt. Dabei kann offen bleiben, ob es dem Aktengutachten von Prof. Dr. K und Dr. K hätte folgen müssen, obwohl diese Ärzte den Kläger nicht haben persönlich untersuchen können. Aber auch Dr. B, der vom LSG als Terminsgutachter gehört worden ist, hat den Kläger nicht persönlich gesehen und untersucht, so daß seinem Terminsgutachten jedenfalls nicht mehr Bedeutung hätte beigemessen werden dürfen, als dem Gutachten des Dr. F, zumal dieser als einziger ärztlicher Sachverständige in der fraglichen Zeit den Kläger selbst gesehen, persönlich untersucht und bei seinem Gutachten auch seine Beobachtungen und Befunde verwertet hat. Darüber hinaus hat Dr. B nicht etwa die Prozeßfähigkeit des Klägers bejaht, sondern er ist nur zu dem Ergebnis gekommen, er könne "das Gutachten von Dr. F nicht ohne Bedenken anerkennen" und eine Prozeßunfähigkeit des Klägers "nicht ohne Zweifel annehmen"; Dr. B hat auch die Feststellungen der Gutachter Prof. Dr. K und Dr. K, Dr. F und Prof. Dr. G keineswegs widerlegt, sondern nur dargetan, daß er das Gutachten des Dr. F nicht für vollständig halte, daß beim Kläger allerdings psychogene Verhaltensweisen vermutet werden oder doch nicht ausgeschlossen werden können, und daß das Gutachten von Prof. Dr. G "nicht absolut schlüssig" sei. Auf Grund dieser sehr unbestimmten Äußerungen des Dr. B hätte das LSG nicht davon überzeugt sein dürfen, daß gegen die Schlußfolgerungen von Dr. F "Bedenken zu erheben" sind. Es hätte das Gutachten des Dr. F jedenfalls nicht als widerlegt ansehen dürfen. Damit hat sich das LSG über das Gutachten des Dr. F und die von ihm verwerteten früheren ärztlichen Befunde ohne ausreichende und stichhaltige Begründung hinweggesetzt und gegen § 128 SGG verstoßen; die Feststellung, der Kläger sei bei Rücknahme der Berufung am 17. Oktober 1958 prozeßfähig gewesen, beruht somit auf einer fehlerhaften Würdigung der Beweise, der Kläger hat diesen Mangel im Revisionsverfahren zu Recht gerügt. Die Revision ist deshalb statthaft. Sie ist auch begründet, da das Urteil vom 24. September 1959 auf der angegriffenen Feststellung des LSG beruht. Denn wenn der Kläger entgegen dieser Feststellung im Verfahren vor dem LSG oder jedenfalls bei Abgabe seiner Erklärung vom 17. Oktober 1958 nicht prozeßfähig gewesen ist, hat er auch die Berufung nicht rechtswirksam zurücknehmen können. Das hätte zur Folge, daß das Verfahren nicht beendet worden ist, mit der weiteren Folge, daß das LSG in der Sache selbst hätte entscheiden müssen. Auf die Frage, ob eine Berufungsrücknahme widerrufen werden kann, kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an. Das Urteil des LSG war deshalb aufzuheben. Das BSG konnte jedoch nicht selbst entscheiden, da einmal die vom LSG festgestellten Tatsachen die Schlußfolgerung nicht rechtfertigen, der Kläger sei damals prozeßfähig gewesen, und darüber hinaus auch keine Feststellungen darüber vorliegen, ob und inwieweit die Leiden des Klägers Schädigungsfolgen sind. Die Sache war deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Wenn das Berufungsgericht nunmehr zu der Überzeugung gelangen sollte, der Kläger sei nicht nur damals prozeßunfähig gewesen, sondern er sei es auch jetzt, so ist für das weitere Verfahren zu beachten, daß der Rechtsstreit nur weitergeführt werden kann, wenn der Kläger durch einen gesetzlichen Vertreter oder durch einen vom Gericht bestellten besonderen Vertreter (§ 72 SGG) vertreten wird.

Da die Revision schon aus den dargelegten Gründen statthaft ist, bedurfte es keiner Entscheidung mehr darüber, ob die übrigen vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel ebenfalls vorliegen. Im übrigen ist eine Rüge der Verletzung des § 60 SGG in Verbindung mit §§ 41 Ziff. 6, 42, 47 ZPO gegenstandslos. Der Kläger hat im Berufungsverfahren nach § 41 ZPO Ausschließungsgründe hinsichtlich der Richter des LSG vorgetragen und damit keinen Erfolg gehabt, das LSG hat seinen Ablehnungsantrag als unbegründet erklärt und ablehnend entschieden. Dieser Beschluß des Berufungsgerichts ist - entgegen der Auffassung des Klägers - endgültig und stellt keinen Revisionsgrund dar (s. § 551 Nr. 3 ZPO); im übrigen ist schon - die im Zivilprozeß mögliche - sofortige Beschwerde (§ 46 Abs. 2 ZPO) im sozialgerichtlichen Verfahren ausgeschlossen (§§ 60 Abs. 1, 177 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2304662

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge