Entscheidungsstichwort (Thema)
Bescheid. Ermessensentscheidung
Orientierungssatz
1. Nach § 40 Abs 1 KOVVfG kann die Verwaltungsbehörde zugunsten des Berechtigten jederzeit einen neuen Bescheid erteilen. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 54 Abs 2 S 2 SGG nur daraufhin nachgeprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (vgl BSG 1963-03-22 11 RV 724/62.
2. Ein solcher neuer (positiver) Bescheid setzt voraus, daß die frühere Entscheidung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unrichtig ist (vgl BSG 1963-08-27 9 RV 590/60).
3. Steht fest, daß ein früher bindend gewordener Bescheid unrichtig ist, so besteht für die Verwaltungsbehörde allerdings keine Wahl, entweder zugunsten des Berechtigten nach § 40 Abs 1 KOVVfG einen neuen Bescheid zu erteilen oder davon Abstand zu nehmen. Sie ist dann vielmehr verpflichtet, einen der materiellen Rechtslage entsprechenden neuen Bescheid zu erteilen (vgl BSG 1967-03-14 10 RV 504/66).
Die Verwaltungsbehörde genügt in der Regel der Pflicht zur sachgemäßen Ausübung des Ermessens nach § 40 Abs 1 KOVVfG, wenn sie zu dem durch die Überprüfung gerechtfertigten Ergebnis kommt, daß die beantragte Rechtsfolge auch abgelehnt werden müßte, wenn über sie erstmalig zu entscheiden gewesen wäre (vgl BSG 1963-08-27 9 RV 590/60).
Normenkette
KOVVfG § 40 Abs. 1; SGG § 54 Abs. 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 18.09.1969) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. September 1969 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Mit Umanerkennungsbescheid vom 21. Mai 1952 wurde beim Kläger: "Verlust beider Unterschenkel im oberen Drittel" als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H. anerkannt. Auf den Verschlimmerungsantrag des Klägers vom 23. Mai 1960 wurde mit Zugunsten- und Neufeststellungsbescheid nach § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) bzw. § 62 BVG vom 15. Mai 1961 die MdE auf 80 v. H. erhöht und die Leidensbezeichnung wie folgt geändert: "1. Teilverlust beider Unterschenkel bei mäßigen Stumpfverhältnissen. 2. Stecksplitter in den Stümpfen. 3. Narben an beiden Oberschenkeln und in der linken Kniekehle". Der am 18. Juni 1965 gestellte Antrag des Klägers, die Versorgungsbezüge nach Nummer 4 der Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG i. d. F. des Zweiten Neuordnungsgesetzes (2. NOG) zu erhöhen, wurde mit Bescheid vom 25. Oktober 1965 abgelehnt, weil die MdE mit 80 v. H. ausreichend bewertet worden und der Kläger auch nicht beruflich besonders betroffen sei; Berufsschadensausgleich könne ebenfalls nicht gewährt werden. Nach erfolglosem Widerspruch einigten sich die Beteiligten im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Detmold S 5 V 174/66 am 9. November 1967 dahin, daß ein weiterer - durch Bescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG vom 26. September 1967 abgelehnter - Antrag des Klägers vom 14. Januar 1967, mit dem er die Berücksichtigung der ab 1. Februar 1965 anzuwendenden "geänderten Bemessungsrichtlinien für Unterschenkelamputierte" begehrte, nicht Gegenstand dieses Verfahrens sei. Darauf schlossen die Beteiligten zur Beendigung des damaligen Rechtsstreits folgenden Vergleich:
1. Der Beklagte ist bereit, dem Kläger ab 1. Januar 1965 unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG eine Rente nach einer MdE um 90 v. H. zu gewähren und darüber einen Bescheid zu erteilen.
2. (betrifft die Kosten)
3. Der Kläger ist damit einverstanden und nimmt die Klage zurück.
Dieser Vergleich vom 9. November 1967 wurde mit Bescheid vom 1. Dezember 1967 ausgeführt. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1968 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 26. September 1967 zurückgewiesen. Auf die Klage des Beschädigten hat das SG Detmold im vorliegenden Verfahren S 5 V 50/68 mit Urteil vom 14. November 1968 den Beklagten verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 26. September 1967 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1968 dem Kläger ab 1. Januar 1967 Rente nach einer MdE um 100 v. H. zu gewähren und darüber einen Bescheid zu erteilen. Der Beklagte hat hierauf die vom SG zugelassene Berufung eingelegt und u. a. ausgeführt, im (früheren) Bescheid vom 25. Oktober 1965 sei ausdrücklich festgestellt worden, daß die Schädigungsfolgen des Klägers nach dem Ergebnis der versorgungsärztlichen Prüfung auch nach dem 2. NOG bzw. den Verwaltungsvorschriften (VV) Nr. 4 zu § 30 BVG mit einer MdE um 80 v. H. zutreffend beurteilt worden seien. Das werde auch durch das Gutachten des Chefarztes Dr. H vom 18. November 1966, das in dem Verfahren S 5 V 174/66 des SG Detmold eingeholt worden sei, bestätigt. Mit seiner Beurteilung der rein medizinischen MdE des Klägers um 90 v. H. habe sich das SG über Nr. 4 der VV zu § 30 BVG hinweggesetzt. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 18. September 1969 das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat u. a. ausgeführt, der Bescheid vom 26. September 1967 sei die Antwort der Versorgungsbehörde auf den im Verfahren S 5 V 174/66 des SG Detmold gestellten Antrag vom 14./25. Januar 1967, in dem der Kläger die Berücksichtigung der Änderung der VV Nr. 4 zu § 30 BVG vom 14. August 1961 (richtig: 23. Januar 1965) gefordert habe. Da auch eine Änderung der Rechtslage eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG sei, sei der Bescheid vom 26. September 1967 an sich als Bescheid nach § 62 BVG anzusehen. Durch die Klagerücknahme im Verfahren S 5 V 174/66 sei jedoch der Bescheid des Versorgungsamts vom 25. Oktober 1965, soweit er sich nicht mit einer besonderen beruflichen Betroffenheit befaßt habe, insbesondere also hinsichtlich des Grades der rein medizinisch bedingten MdE, rechtsverbindlich geworden. Der Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1968 sei nach diesem Vergleich und nach dem dazu ergangenen Ausführungsbescheid vom 1. Dezember 1967 ergangen. Mithin habe das SG den Bescheid vom 26. September 1967 zutreffend als Zugunstenbescheid nach § 40 VerwVG ansehen dürfen, weil er nur in der Form des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1968 streitig sei. Der materiellen Rechtsauffassung des SG könne jedoch nicht zugestimmt werden. Die Erhöhung des Mindesthundertsatzes um je 10 v. H. durch die VV Nr. 4 zu § 30 BVG vom 14. August 1961 (richtig: 23. Januar 1965) stelle eine wesentliche Änderung der Verhältnisse dar. Der Kläger könne aber seinen Anspruch auf eine höhere MdE nicht unmittelbar auf die genannte VV stützen. Vielmehr könne, nachdem auf Grund des Gutachtens des Versorgungsarztes Dr. H die MdE für den Unterschenkelverlust des Klägers "bei mäßigen Stumpfverhältnissen" verbindlich auf 80 v. H. festgesetzt worden sei (Bescheid vom 15. Mai 1961), die nach Inkrafttreten der VV "bei mäßigen Stumpfverhältnissen" anzunehmende MdE nur erneut überprüft und gegebenenfalls neu festgesetzt werden. Die Versorgungsbehörde habe sich insoweit auf das Gutachten des Dr. H vom 18. November 1966 stützen können, der den Grad der MdE für die anerkannten Schädigungsfolgen des Klägers mit 80 v. H. für "absolut zutreffend" halte. Dieser Sachverständige habe sich ausdrücklich nicht mit der Frage des Einflusses der Änderung des MdE-Satzes durch die VV vom 14. August 1961 (richtig: 23. Januar 1965) auf den Grad der MdE des Klägers befaßt, er lege aber dar, Dr. H habe wohl "im Vorgriff" auf die Änderung der VV eine Erhöhung der MdE für erforderlich gehalten und deshalb eine Verschlimmerung im Sinne von "mäßigen Stumpfverhältnissen" angenommen. Die Versorgungsbehörde sei aber nicht verpflichtet, nun im Wege des Zugunstenbescheides eine bereits "im Vorgriff" erhöhte MdE nochmals wegen einer wesentlichen - gesetzlichen - Änderung der Verhältnisse um weitere 10 v. H. zu erhöhen, nachdem der medizinische Gutachter die anatomisch bedingte MdE um 80 v. H. für durchaus ausreichend halte. Zu Unrecht greife das SG die Richtigkeit des in den VV vom 14. August 1961 (richtig: 23. Januar 1965) für den doppelten Unterschenkelverlust festgesetzten Mindesthundertsatzes an und halte hierfür eine MdE um 90 v. H. für angemessen. Denn die VV Nr. 4 zu § 30 BVG hätten den Charakter einer Rechtsnorm und seien deshalb maßgebend, wenn nicht im Einzelfall besondere Umstände vorlägen. Das SG habe aber solche besonderen Umstände, die eine Erhöhung der medizinisch begründeten MdE für den doppelten Unterschenkelverlust des Klägers rechtfertigen könnten, nicht anführen können.
Mit der zugelassenen Revision trägt der Kläger u. a. vor, der Beklagte sei nach der Erhöhung der Mindesthundertsätze durch die VV Nr. 4 zu § 30 BVG i. d. F. vom 23. Januar 1965 von 70 auf 80 v. H. verpflichtet, dem Kläger ab Antragsmonat (1. Januar 1967) Rente nach einer MdE um 90 v. H. zu zahlen. Zuzüglich der im Vergleichswege zugestandenen Rentenerhöhung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit sei ihm daher ab 1. Januar 1967 eine Gesamtrente nach einer MdE um 100 v. H. zu gewähren. Der Beklagte habe bereits im Bescheid vom 15. Mai 1961 eine Verschlimmerung der Stumpfverhältnisse bindend anerkannt und deshalb die bis dahin nach einer MdE um 70 v. H. gezahlte Rente ab 1. Mai 1960 um 10 v. H. auf 80 v. H. erhöht. Diese Erhöhung sei richtig gewesen, da nach der VV Nr. 6 zu § 30 BVG i. d. F. des 1. NOG bereits für den Verlust beider Unterschenkel bei funktionstüchtigem Kniegelenk und günstigen Stumpfverhältnissen Rente nach einer MdE um 70 v. H. zu zahlen gewesen wäre, bei ihm aber offensichtlich ungünstige Stumpfverhältnisse vorlägen. Im Hinblick auf die am 23. Januar 1965 erfolgte Rechtsänderung, die eine wesentliche Änderung im Sinne des § 62 BVG darstelle, sei die Ablehnung der Rentenerhöhung durch Versagung der begehrten Zugunstenregelung ermessensfehlerhaft. Daran ändere der Umstand nichts, daß das Gutachten des Dr. H eine MdE um 80 v. H. für zutreffend halte; denn für die streitige Erhöhung der Mindesthundertsätze in VV Nr. 4 zu § 30 BVG vom 23. Januar 1965 komme es nicht auf das Ergebnis einer ärztlichen Stellungnahme an. Die Erhöhung des bisher festgestellten Erwerbsminderungsgrades müsse selbst dann eintreten, wenn die bisherige MdE nach ärztlicher Auffassung etwa nur wohlwollend gewesen wäre. Die Ablehnung einer Erhöhung des MdE-Satzes von 80 v. H. komme einer Herabsetzung der MdE gleich, die nur unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 BVG zulässig sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 18. September 1969 aufzuheben und unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten im übrigen das Urteil des SG vom 14. November 1968 dahin abzuändern, daß der Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. September 1967 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1968 verurteilt wird, dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Eine unrichtige MdE-Festsetzung, die im Zugunstenwege korrigiert werden könnte, liege nicht vor. Eine Verletzung des § 62 BVG, die keine im Sinne des § 30 BVG unrichtige MdE-Feststellung herbeiführe, könne nicht zum Anlaß einer Zugunstenregelung genommen werden. Denn es sei nicht die Aufgabe des § 40 Abs. 1 VerwVG, die Rechtsbeständigkeit bindender Verwaltungsakte oder rechtskräftiger Entscheidungen zu gewährleisten; diese Vorschrift diene vielmehr der Verwirklichung der materiellen Gerechtigkeit. Im übrigen habe die Änderung des Mindesthundertsatzes für einen beiderseitigen Beinverlust im Bereich der Unterschenkel durch das Inkrafttreten der VV Nr. 4 zu § 30 BVG vom 23. Januar 1965 den Rentenanspruch des Klägers nicht berührt. Denn der für seinen Rentenanspruch nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebliche MdE-Grad sei schon vor dem Inkrafttreten der neuen Verwaltungsvorschrift auf 80 v. H. festgesetzt gewesen, weshalb sich die Änderung der VV im Falle des Klägers nicht mehr habe auswirken können.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Versorgungs- und Gerichtsakten sowie der im Revisionsverfahren eingereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sachlich konnte sie keinen Erfolg haben.
Nach § 30 Abs. 1 letzter Satz BVG i. d. F. des Ersten und Zweiten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 (BGBl I, 453) bzw. vom 21. Februar 1964 (BGBl I, 85) - 1. und 2. NOG - können für erhebliche äußere Körperschäden Mindesthundertsätze festgesetzt werden. Demnach ist in den VV Nr. 6 zu § 30 BVG vom 14. August 1961 (Bundesanzeiger Nr. 161 vom 23. August 1961) - wie auch schon zuvor in den VV Nr. 7 zu den §§ 29, 30 BVG i. d. F. vom 3. September 1958 - u. a. bestimmt worden, daß für den "Verlust beider Unterschenkel bei funktionstüchtigen Kniegelenken und günstigen Stumpfverhältnissen" ein Mindesthundertsatz von 70 v. H. gilt. Nach den VV Nr. 4 vom 23. Januar 1965 (Bundesanzeiger Nr. 19 vom 29. Januar 1965) zu § 30 BVG i. d. F. des 2. NOG (nF) gilt für den "Verlust beider Beine im Bereiche der Unterschenkel bei Funktionstüchtigkeit der Stümpfe und der Gelenke" ein Mindesthundertsatz von 80 v. H. Die VV Nr. 4 zu § 30 BVG i. d. F. vom 26. Juni 1969 (Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 119 vom 4. Juli 1969) hat insoweit keine Änderung gebracht. Diese Erhöhung des Mindesthundertsatzes um 10 v. H. durch die VV i. d. F. vom 23. Januar 1965 hat der Kläger im Juni 1965 zum Anlaß genommen, eine höhere MdE-Festsetzung zu beantragen, und über diesen Antrag hat das Versorgungsamt (VersorgA) bereits mit Bescheid vom 25. Oktober 1965, mit dem die Neufeststellung des Anspruchs auf Versorgung nach § 62 Abs. 1 BVG abgelehnt worden ist, entschieden. Hier wurde ausgeführt, daß nach dem Ergebnis der versorgungsärztlichen Überprüfung die MdE auch nach dem 2. NOG zum BVG unter Berücksichtigung der VV Nr. 4 zu § 30 BVG 80 v. H. betrage; die in den Stümpfen nachgewiesenen Stecksplitter sowie die Narben bedingten keine Funktionsstörungen und wirkten sich daher auch nicht auf die MdE aus. Die Versorgungsbehörde hat also entgegen der Auffassung des LSG nicht verkannt, daß die VV Nr. 4 vom 23. Januar 1965 zu § 30 BVG i. d. F. des 2. NOG mit ihren zum Teil erhöhten Mindesthundertsätzen den Charakter einer Rechtsnorm hat - dies hat der erkennende Senat bereits im Urteil vom 26. November 1968 - 9 RV 262/66 - (vgl. SozR Nr. 35 zu § 30 BVG) ausgesprochen - und daß die Erhöhung dieser Sätze eine Rechtsänderung darstellt, die als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG anzusehen ist. Dies ist zwischen den Beteiligten an sich auch unbestritten, zumal der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung schon im Rundschreiben vom 1. Juni 1965 (BVBl 1965, 91 Nr. 55) die gleiche Auffassung vertreten hat. Der Bescheid vom 25. Oktober 1965 ist zwar vom Kläger angefochten worden, die Beteiligten haben sich aber am 9. November 1967 im Verfahren S 5 V 174/66 dahin verglichen, daß die MdE unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins ab 1. Januar 1965 mit 90 v. H. zu bemessen ist. Der daraufhin ergangene Ausführungsbescheid vom 1. Dezember 1967 ist offensichtlich nicht angefochten worden, eine Anfechtung hätte auch dem Grunde nach keinen Erfolg gehabt, denn sein Inhalt entsprach dem zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleich. Damit war der Bescheid vom 25. Oktober 1965, mit dem geprüft worden war, ob die VV Nr. 4 zu § 30 BVG i. d. F. vom 23. Januar 1965 zu einer MdE-Erhöhung Anlaß gibt, in der Gestalt, die er durch den gerichtlichen Vergleich erhalten hat, bindend geworden, worüber ebenfalls kein Streit besteht. Wenn nun der Kläger am 14. Januar 1967 erneut - wenn auch mit einer etwas anderen Begründung - beantragt hat, die ab 1. Februar 1965 anzuwendenden "geänderten Bemessungsrichtlinien für Unterschenkelamputierte" zu berücksichtigen, und er dann in seiner Klageschrift vom 19. Februar 1968 nach Abschluß des den Bescheid vom 25. Oktober 1965 betreffenden Verfahrens die Festsetzung einer MdE um 100 v. H. begehrte, so ließ sich diese MdE-Erhöhung nur noch über die Kannvorschrift des § 40 Abs. 1 VerwVG erreichen. Dem LSG, das zu Unrecht von der VV Nr. 4 zu § 30 BVG vom 14. August 1961 - anstatt richtig: 23. Januar 1965 - ausgegangen ist, aber auch die Unanfechtbarkeit des Bescheides vom 25. Oktober 1965 angenommen hat, kann also nicht zugestimmt werden, wenn es die Auffassung vertritt, der spätere, auf den Antrag des Klägers vom 14. Januar 1967 ergangene Bescheid vom 26. September 1967 sei "an sich" als ein Bescheid nach § 62 BVG anzusehen. Das VersorgA hat sich in diesem Bescheid aus den genannten Gründen zu Recht nur auf die Vorschrift des § 40 Abs. 1 VerwVG gestützt. Einer Überprüfung dieses Bescheides stand der Vergleich vom 9. November 1967 nicht entgegen, weil sich die Beteiligten zuvor darüber geeinigt hatten, daß der "Zugunstenantrag vom 14.1.1967" nicht Gegenstand des gegenwärtigen Rechtsstreits - und damit auch nicht des Vergleichs - sei. Das LSG ist aus anderen Gründen ebenfalls und sonach im Ergebnis doch zu Recht davon ausgegangen, daß es sich bei dem Bescheid vom 26. September 1967 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1968 um die Ablehnung einer Zugunstenregelung nach § 40 (Abs. 1) VerwVG handelt. Insoweit erhebt die Revision auch keine Beanstandungen, sie macht vielmehr selbst nur geltend, der Beklagte sei bei fehlerfreier Anwendung des ihm in § 40 Abs. 1 VerwVG eingeräumten Ermessens gehalten gewesen, die MdE unter Beachtung der Neufestsetzung der Mindesthundertsätze in VV Nr. 4 zu § 30 BVG i. d. F. vom 23. Januar 1965 entsprechend zu erhöhen. Dieser Auffassung vermochte der erkennende Senat jedoch nicht zuzustimmen.
Nach § 40 Abs. 1 VerwVG kann die Verwaltungsbehörde zugunsten des Berechtigten jederzeit einen neuen Bescheid erteilen. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG nur daraufhin nachgeprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (BSG 19, 12). Ein solcher neuer (positiver) Bescheid setzt voraus, daß die frühere Entscheidung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unrichtig ist (vgl. BSG 19, 286, 287 und BSG in SozR Nr. 7, 12 zu § 40 VerwVG). Steht fest, daß ein früher bindend gewordener Bescheid unrichtig ist, so besteht für die Verwaltungsbehörde allerdings keine Wahl, entweder zugunsten des Berechtigten nach § 40 Abs. 1 VerwVG einen neuen Bescheid zu erteilen oder davon Abstand zu nehmen. Sie ist dann vielmehr verpflichtet - jedenfalls für die Zukunft -, einen der materiellen Rechtslage entsprechenden neuen Bescheid zu erteilen (vgl. BSG in SozR Nr. 10 zu § 40 VerwVG). Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ist der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden.
Beim Kläger sind 1.) Teilverlust beider Unterschenkel bei mäßigen Stumpfverhältnissen, 2.) Stecksplitter in den Stümpfen, 3.) Narben an beiden Oberschenkeln und in der linken Kniekehle als Schädigungsfolgen anerkannt. Weder in den VV Nr. 6 zu § 30 BVG (aF) noch in den VV Nr. 4 zu § 30 BVG (nF) ist für den beiderseitigen Unterschenkelverlust "bei mäßigen Stumpfverhältnissen" und bei vorhandenen "Stecksplittern in den Stümpfen" ein Mindesthundertsatz festgesetzt. Der frühere Mindesthundertsatz um 70 v. H. galt bei "funktionstüchtigen Kniegelenken und günstigen Stumpfverhältnissen", während der neue Mindesthundertsatz um 80 v. H. "Funktionstüchtigkeit der Stümpfe und der Gelenke" voraussetzt. Es ist sonach zunächst festzustellen, daß der neue, erhöhte Mindesthundertsatz nicht mehr darauf abhebt, ob die Stumpfverhältnisse "günstig" sind. Dies wird von der Revision nicht hinreichend beachtet, wenn sie die Erhöhung der Gesamt-MdE um weitere 10 v. H. nach der neuen VV Nr. 4 zu § 30 BVG damit begründen will, daß beim Kläger "offensichtlich ungünstige Stumpfverhältnisse vorlägen". Mit dieser Begründung hätte unter der Geltung der alten VV Nr. 6 zwar ohne weiteres eine Erhöhung des Hundertsatzes von 70 v. H. begehrt werden können. Denn da es sich um "Mindesthundertsätze" handelt, mußten Verwaltung und Gericht bei "günstigen" Stumpfverhältnissen von dieser Mindest-MdE um 70 v. H. ausgehen und demgemäß bei einem schwerwiegenden Befund, d. h. bei wirklich ungünstigen Stumpfverhältnissen, grundsätzlich zu einer entsprechend höheren MdE-Bewertung gelangen. Im vorliegenden Verfahren war aber nicht zu prüfen, ob die im Bescheid vom 15. Mai 1961 festgesetzte MdE um 80 v. H. zu Recht erfolgt ist. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß damals schon keine "ungünstigen", sondern nur "mäßige" Stumpfverhältnisse festgestellt worden sind und daß der Bescheid keine Feststellung darüber enthält, daß die "Splitter in den Stümpfen" nennenswerte Beschwerden verursachten. Trotzdem mag es der Verwaltungsbehörde 1961 vertretbar erschienen sein, den damals geltenden Mindesthundertsatz von 70 v. H. auf 80 v. H. zu erhöhen (vgl. hierzu die gutachtlichen Beurteilungen des Dr. H vom 14. Oktober 1960 und die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 30. November 1960), weil die Stumpfverhältnisse nur "mäßig" und somit jedenfalls nicht "günstig" waren. Wenn die MdE damals bei einem Vergleich mit den in der alten VV Nr. 7 bzw. Nr. 6 festgesetzten Mindesthundertsätzen zu hoch festgesetzt worden oder, wie die Revision andeutet, "wohlwollend" gewesen sein sollte, so könnte sich der Kläger - jedenfalls im Rahmen des § 40 Abs. 1 VerwVG - doch nicht darauf berufen. Denn die Verwaltungsbehörde genügt in der Regel der Pflicht zur sachgemäßen Ausübung des Ermessens nach § 40 Abs. 1 VerwVG, wenn sie zu dem durch die Überprüfung gerechtfertigten Ergebnis kommt, daß die beantragte Rechtsfolge auch abgelehnt werden müßte, wenn über sie erstmalig zu entscheiden gewesen wäre (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 27. August 1963 - 9 RV 590/60 - in SozR Nr. 8 zu § 40 VerwVG).
Nach der neuen VV Nr. 4 zu § 30 BVG, die nur noch von einer "Funktionstüchtigkeit der Stümpfe und der Gelenke" ausgeht, war jedoch zu prüfen, ob beim Kläger eine solche Funktionstüchtigkeit besteht oder nicht. Da die anerkannte Leidensbezeichnung von "mäßigen Stumpfverhältnissen" spricht, zur Frage der Funktionstüchtigkeit dieser Organe selbst aber nichts gesagt ist, bedurfte es auf den Antrag vom 18. Juni 1965 der Prüfung, inwieweit es beim Kläger an einer solchen Funktionstüchtigkeit etwa fehlt und deshalb der bereits zugebilligte MdE-Satz, der dem neu festgesetzten Mindesthundertsatz von 80 v. H. entspricht, zu erhöhen ist. Dabei bedurfte es einer näheren Betrachtung der Gelenke nicht, da niemand behauptet, daß diese beim Kläger etwa nicht funktionstüchtig seien. Zur Frage der Funktionstüchtigkeit der Stümpfe hat Oberregierungsmedizinalrat Dr. S am 2. Juli 1965 dahingehend Stellung genommen, daß die in den Stümpfen nachgewiesenen Stecksplitter sowie die Narben keine Funktionsstörungen bedingen und sich daher auch nicht auf die MdE auswirken. Daß diese Feststellung unzutreffend sei, ist von der Revision nicht vorgetragen worden; sie beruft sich vielmehr im wesentlichen nur darauf, daß beim Kläger "ungünstige" Stumpfverhältnisse vorlägen. Nun mag es allerdings denkbar sein, daß ungünstige Stumpfverhältnisse eine mangelnde Funktionstüchtigkeit der Stümpfe zur Folge haben. Insoweit konnte sich aber das LSG bei seiner Entscheidung auf das Gutachten des Dr. H vom 18. November 1966 stützen. Dieser Sachverständige, der auf die Beurteilung des Dr. S hingewiesen hat, ist zu dem Ergebnis gelangt, daß bei dem Kläger der glatte Verlust beider Unterschenkel im oberen Drittel mit noch als günstig zu bezeichnenden Stümpfen bestehe. Dabei hat sich der Gutachter mit der Frage des günstigen oder ungünstigen Stumpfes näher auseinandergesetzt und ausgeführt, im vorliegenden Fall seien beide Stümpfe genügend lang, frei von Neurombildung, mit gesunden, frei beweglichen Kniegelenken.
Die Tatsache, daß der Kläger auch ohne Stock relativ gut gehen könne, zeige rein äußerlich, daß diese Stümpfe, wenn nicht als ideal, so doch als gut zu bezeichnen seien. Ein schlechter Stumpf bestehe dann, wenn er zu kurz sei oder das Kniegelenk eine nennenswerte Bewegungseinschränkung oder eine fortgeschrittene Arthrosis zeige oder wenn die Weichteildeckung so schlecht sei, daß sich chronische, nicht heilbare Geschwüre oder Ekzeme zeigten, oder wenn infolge Neurombildung ständige Schmerzen bei geringstem Druck bestünden. Keines dieser Charakteristika für einen schlechten Stumpf liege hier vor. Die bräunlichen Verfärbungen und Indurationen am Prothesenaufsitz (dies sei an den Tibiacondylen, nicht am Stumpfende!) seien durchaus bei Amputierten üblich und gehörten zum normalen Komplex der Beinamputation. Die MdE um 80 v. H. sei im vorliegenden Fall also "absolut zutreffend". Diese Feststellungen sind ebenfalls von der Revision nicht angegriffen worden.
Damit erweist sich auch die Annahme ungünstiger Stumpfverhältnisse als etwaige Ursache einer mangelnden Funktionstüchtigkeit der Stümpfe nicht als begründet, weshalb die Feststellung des LSG, daß die anatomisch bedingte MdE um 80 v. H. durchaus ausreichend bewertet sei, nicht zu beanstanden ist. Zumindest kann es nicht als ermessensfehlerhaft erachtet werden, wenn die Verwaltungsbehörde die seither festgesetzte MdE unter diesen Umständen nicht als unrichtig im Sinne des § 40 Abs. 1 VerwVG angesehen hat.
Da das angefochtene Urteil des LSG somit im Ergebnis zutreffend ist, mußte die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen