Leitsatz (amtlich)
Die Festnahme eines Deutschen in Oberschlesien im Juli 1947 wegen einer Straftat nach dem polnischen Dekret vom 1944-08-31/1946-12-11 war weder eine Internierung iS des BVG § 1 Abs 2 Buchst c noch ein schädigender Vorgang infolge einer mit der Besetzung deutschen Gebietes zusammenhängenden besonderen Gefahr iS des BVG § 5 Abs 1 Buchst d.
Leitsatz (redaktionell)
Als "Internierung" iS des BVG § 1 Abs 2 Buchst c kann nicht abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch begrifflich jede Haft eines Deutschen im Ausland und in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden Gebieten ungeachtet des jeweiligen besonderen Gewahrsamszweckes verstanden werden; der Begriff "Internierung" läßt sich nicht auf den äußeren Zustand des Festgehaltenwerdens beschränken. Daß die Festnahme wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit vorgenommen sein muß, ergänzt den Sicherungszweck, der begrifflich zur "Internierung" im allgemeinen Verständnis gehört, und setzt ihn voraus, begründet insbesondere die allgemeine Erwartung, der Internierte würde in Freiheit die Gewahrsamsmacht schädigen.
Eine unberechtigte Strafverfolgung gegen Deutsche durch nichtdeutsche Behörden nach der Besetzung wird durch BVG § 5 Abs 1 Buchst d hinreichend versorgungsrechtlich geschützt.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 2 Buchst. c, § 5 Abs. 1 Buchst. d
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. März 1973 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger, der in O (O) wohnt, beantragte im November 1968 Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG); er führte Krampfadern am rechten Fuß und Versteifung oder Lähmung des linken Fußes auf eine anderthalbjährige Gefängnishaft zurück, die er infolge falscher Zeugenaussagen wegen seiner SA-Zugehörigkeit verbüßt habe. Das Versorgungsamt lehnte den Antrag mit der Begründung ab, Gesundheitsstörungen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 25 v. H. infolge schädigender Einwirkungen durch Wehrdienst, Kriegsgefangenschaft, Internierung oder unmittelbare Kriegseinwirkungen beständen beim Kläger wahrscheinlich nicht (Bescheid vom 9. September 1970). Mit seinem Widerspruch übersandte der Kläger folgende Urkunden:
Beschluß über eine vorübergehende Festnahme vom 23. Juli 1947, Anklageschrift vom 29. August 1947, Beschluß über eine vorübergehende Festnahme vom 12. März 1948, Anklageschrift vom 12. April 1948, Bescheinigungen über die Entlassung aus Untersuchungshaft im Gefängnis Opole vom 16. Oktober 1947 und 6. September 1948 sowie Bericht über eine stationäre Behandlung im Jahre 1961. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen, weil der Kläger weder wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit interniert noch infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebietes zusammenhängenden besonderen Gefahr, vielmehr wegen des Verdachtes strafbarer Handlungen verhaftet gewesen sei (Bescheid vom 20. August 1971). Mit seiner Klage trug der Kläger vor, er sei lediglich deshalb auf Anordnung der sowjetischen oder polnischen Streitkräfte interniert worden, weil er Blockleiter gewesen sei; er habe zwischen 1943 und 1945 im Kreis O. keine strafbaren Handlungen begangen und sei daher vom polnischen Gericht freigesprochen worden. Das Sozialgericht (SG) Münster wies die Klage ab (Urteil vom 8. November 1972). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 21. März 1973): Dem Kläger könne weder nach dem Häftlingshilfegesetz noch unmittelbar nach dem BVG eine Teilversorgung gewährt werden. Seine Strafhaft sei keine Kriegsgefangenschaft (§ 1 Abs. 2 Buchstabe b) BVG), keine Strafmaßnahme einer deutschen Stelle (§ 1 Abs. 2 Buchstabe d) BVG), keine Internierung wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit (§ 1 Abs. 2 Buchstabe c) BVG) und keine unmittelbare Kriegseinwirkung (§ 1 Abs. 2 Buchstabe a) iVm § 5 BVG) gewesen. Eine Internierung sei wegen der bereits befriedeten Verhältnisse im Wohngebiet des Klägers in den Jahren 1947/48 und auch wegen des Haftzweckes ausgeschlossen gewesen; der Kläger sei nicht etwa deshalb festgehalten worden, weil wegen seiner deutschen Abstammung zu erwarten gewesen wäre, daß er die polnische Staatsmacht schädigen könne, sondern sei eines Verhaltens in der Vergangenheit, das nach polnischem Recht strafbar gewesen sei, beschuldigt worden. Eine Schädigung infolge einer mit der Besetzung des Wohngebietes des Klägers zusammenhängenden besonderen Gefahr (§ 1 Abs. 2 Buchstabe a) iVm § 5 Abs. 1 Buchstabe d) BVG) sei deshalb ausgeschlossen, weil die Haft weder in engem zeitlichen noch in unmittelbar ursächlichem Zusammenhang mit Kriegsereignissen oder mit der Besetzung des Landes gestanden habe, vielmehr von der polnischen Justiz zu einer Zeit angeordnet worden sei, als dort die polnische Verwaltung voll funktionsfähig gewesen sei. Selbst wenn mit der bedenklichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dieser Gesetzestatbestand auf "Besatzungsunrecht" unter befriedeten Verhältnissen ausgedehnt werde, habe es an einer besatzungseigentümlichen Gefahr gefehlt, die von militärischen Besatzungsgesichtspunkten oder von Nachwirkungen der Kriegswirren hätte geprägt gewesen sein müssen. Der Kläger sei vor einem normalen Bezirksgericht angeklagt gewesen, und die Ahndung der ihm vorgeworfenen Straftaten sei nicht aus dem Kriegsgeschehen, sondern aus dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft überhaupt zu erklären. Daher sei nicht aufzuklären, ob der Kläger in Untersuchungshaft gewesen und dann auf freien Fuß gesetzt oder ob er verurteilt und später begnadigt oder ob er freigesprochen worden sei. Schädigungstatbestände i. S. des § 5 Abs. 1 Buchstaben a, b, c und c) BVG seien auch nicht gegeben.
Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt der Kläger eine Verletzung des § 1 Abs. 2 Buchstabe c) und des § 5 Abs. 1 Buchstabe d) BVG durch das LSG. Einer Internierung stehe nicht entgegen, daß der Kläger erst nach Kriegsende inhaftiert worden sei. Er sei auch ausschließlich wegen seiner deutschen Staats- oder Volkszugehörigkeit verhaftet worden. Dabei sei es unerheblich, ob wegen seiner Deutschstämmigkeit ein für Polen schädliches Verhalten befürchtet oder ein nach polnischem Recht strafbares Tun während des Krieges verfolgt worden sei. Ohne den Krieg wäre es nicht zu der Haft gekommen. Auf eine besatzungseigentümliche Gefahr sei die Festnahme deshalb zurückzuführen, weil der verlorene Krieg und der Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft unlösbar miteinander verbunden gewesen seien. Diese Ereignisse hätten zu den besonderen Gefahren für den Kläger im polnisch besetzten Gebiet geführt.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. März 1973 und des Sozialgerichts Münster vom 8. November 1972 sowie der Bescheide des Beklagten vom 9. September 1970 und 20. August 1971 den Beklagten zu verurteilen, über den Antrag des Klägers vom 14. November 1968 auf Gewährung von Teilversorgung ermessensfehlerfrei zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Revision nach der Rechtsprechung des BSG für unbegründet.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zulässig (§§ 164, 166, 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), aber sachlich nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis mit Recht die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen.
Die Revision beanstandet nicht die zutreffende Entscheidung des LSG, dem Kläger könne keine Teilversorgung (§ 64 BVG) wegen der Folgen eines politischen Gewahrsams i. S. des Häftlingshilfegesetzes, einer Kriegsgefangenschaft i. S. des § 1 Abs. 2 Buchstabe b) BVG, einer Strafmaßnahme einer deutschen Stelle gemäß § 1 Abs. 2 Buchstabe d) BVG oder einer unmittelbaren Kriegseinwirkung nach § 1 Abs. 2 Buchstabe a) iVm § 5 Abs. 1 Buchstaben a, b, c und e) BVG gewährt werden. Mit Recht hat das LSG aber auch als nicht ermessensfehlerhaft (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG) beurteilt, daß der Beklagte dem Kläger eine Teilversorgung wegen einer Schädigung durch eine Internierung i. S. des § 1 Abs. 2 Buchstabe c) BVG oder eine besondere Besatzungsgefahr i. S. des § 5 Abs. 1 Buchstabe d) BVG versagt hat.
Der Begriff der "Internierung" i. S. des § 1 Abs. 2 Buchstabe c) BVG kann wohl auch Fälle eines Gewahrsams nach Kriegsende umfassen, ebenso wie verschiedene andere Versorgungstatbestände des BVG auf Nachkriegszuständen beruhen (vgl. insbesondere § 1 Abs. 2 Buchstabe b), Buchstabe a) iVm § 5 Abs. 1 Buchstaben d und e), § 4 Abs. 2 und 3 BVG; BSG 17, 69 = SozR Nr. 60 zu § 1 BVG). Aber im übrigen bestimmt sich dieser Rechtsbegriff nach seiner allgemeinen Bedeutung, die er im Völkerrecht, dem er entstammt, nach üblichem Sprachgebrauch hat (BSG, BVBl 1959, 92; SozR Nr. 42 zu § 1 BVG; BSG 14, 50 = SozR Nr. 54 zu § 1 BVG); nach diesem Begriffsinhalt war der Kläger nicht "interniert". Die Internierung ist im Völkerrecht nur zum Schutz und zur Sicherung der Gewahrsamsmacht erlaubt, soweit andere Kontrollmaßnahmen gegenüber Personen in ihrem Machtbereich nicht ausreichen (Art. 79, 41, 42, 78 des IV. Genfer Abkommens vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten - BGBl II 1954, 917); sie kann auch an Stelle einer Gefängnisstrafe wegen einer Straftat, die die Gewahrsamsmacht schädigen soll, verhängt werden (Art. 68 aaO); die Internierten sind in jedem Fall getrennt von anderen der Freiheit beraubten Personen unterzubringen (Art. 84 aaO), also auch getrennt von Strafgefangenen. Dem Schutz und der Sicherung der Gewahrsamsmacht, derentwegen die Internierung - im Unterschied zur Strafhaft (BSG 17, 69, 72) - vorgenommen wird, diente die Haft des Klägers nicht. Sie war vielmehr eine Maßnahme der Strafverfolgung; sie sollte ein nach polnischem Recht strafbares Verhalten aus der Zeit vor der polnischen Verwaltung ahnden. Der Haftzweck ist aus den zugrundeliegenden Festnahmebeschlüssen und Anklageschriften zu erkennen. 1947 wurde der Kläger festgenommen und angeklagt wegen seiner Tätigkeit als Blockleiter der NSDAP als einer "leitenden Position" in der NSDAP, einer "verbrecherischen Organisation", wobei allein die Ausübung der mit diesem Parteiamt verbundenen Pflichten als verbrecherisch gewertet wurde und mit einer Gefängnisstrafe nicht unter drei Jahren oder mit Todesstrafe bedroht war (Art. 4 § 1 und § 3 Buchstabe a) des Dekretes über die Strafzumessung für faschistisch-hitlerische Verbrecher, die der Tötung oder der Mißhandlung von Zivilpersonen und Kriegsgefangenen schuldig sind, sowie für Verräter des polnischen Volkes vom 31. August 1944 idF der Bekanntmachung vom 11. Dezember 1946 - in: Theod. Schieder u. a, Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, Bd. I, 3, Polnische Gesetze und Verordnungen 1944-1955 S. 349 ff). 1948 wurde der Kläger verhaftet und angeklagt, weil er 1940 bei der deutschen Gendarmerie einen gewissen W. P. der Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei bezichtigt haben und dieser an Schäden infolge der anschließenden Gefängnishaft verstorben sein sollte; diese Tat war mit der Todesstrafe bedroht (Art. 1 Nr. 2 des Dekretes vom 31. August 1944). Der Kläger wurde jedesmal von vornherein zwecks einer Strafverfolgung und nicht - auch nicht anfangs - zur Sicherung festgenommen (vgl. BSG 21, 41, 42 = SozR Nr. 2 zu § 2 UBG; andererseits BSG 17, 225 = SozR Nr. 62 zu § 1 BVG).
Als "Internierung" i. S. des § 1 Abs. 2 Buchstabe c) BVG kann nicht abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch begrifflich jede Haft eines Deutschen im Ausland und in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden Gebieten ungeachtet des jeweiligen besonderen Gewahrsamszweckes verstanden werden; der Begriff "Internierung" läßt sich nicht auf den äußeren Zustand des Festgehaltenwerdens beschränken. Daß die Festnahme wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit vorgenommen worden sein muß, ergänzt den Sicherungszweck, der begrifflich zur "Internierung" im allgemeinen Verständnis gehört, und setzt ihn voraus, begründet insbesondere die allgemeine Erwartung, der Internierte würde in Freiheit die Gewahrsamsmacht schädigen. Falls der Sicherungszweck nicht den Tatbestand des § 1 Abs. 2 Buchstabe c) BVG wesentlich bestimmte, könnten auch allgemein Deutsche, die wegen des Vorwurfs irgend eines strafbaren Verhaltens inhaftiert wurden, einen Versorgungsanspruch nach dieser Vorschrift erlangen. Das widerspräche dem Zweck des BVG. Eine unberechtigte Strafverfolgung gegen Deutsche durch nichtdeutsche Behörden nach der Besetzung wird durch § 5 Abs. 1 Buchstabe d) BVG hinreichend versorgungsrechtlich geschützt.
Dieser Tatbestand ist hier ebenfalls nicht gegeben; der Kläger war 1947/48 nicht infolge einer besonderen Gefahr, die mit der militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebietes zusammenhing, in Haft. Was zu den schädigenden Vorgängen infolge einer solchen Gefahr nach § 5 Abs. 1 Buchstabe d) BVG rechnet, bestimmt sich nach der Einleitungsformel des § 5 Abs. 1: Ein derartiger Vorgang gilt als eine unmittelbare Kriegseinwirkung i. S. des § 1 Abs. 2 Buchstabe a) BVG, wenn er im Zusammenhang mit einem der beiden Weltkriege stand. Außerdem muß die Gefahr mit der in oder nach einem der beiden Weltkriege vorgenommenen militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzen Gebietes, so wie sie tatsächlich verlief, zusammengehangen haben und als "besondere Gefahr" dieser Besetzung eigentümlich und typisch für sie gewesen sein und sich dadurch von den Vorgängen unterschieden haben, die unter einer unabhängigen deutschen Verwaltung in der Nachkriegszeit zu erwarten gewesen wären (BSG 2, 99, 102 ff; seither ständige Rechtsprechung des BSG, z. B. 12, 13, 15).
Falls Schädigungstatbestände i. S. des § 5 Abs. 1 Buchstabe d) BVG allein unmittelbar mit dem Besetzungsvorgang als Teil des Kriegsgeschehens oder mit der militärischen Sicherung der Besatzungsherrschaft oder mit kriegsbedingten "Nachkriegswirren" zusammengehangen haben müßten, wie das LSG annimmt, wäre schon diese Voraussetzung einer Versorgung des Klägers nicht erfüllt; denn der Kläger wurde erst mehr als zwei Jahre nach der Besetzung Oberschlesiens im Wege einer Strafverfolgung nach polnischem Recht, die nicht ausschließlich gegen Deutsche gerichtet war, festgenommen. Eine Versorgung nach dieser Vorschrift kann dem Kläger aber auch dann nicht gewährt werden, wenn mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG darüber hinaus die dem anschließenden Besatzungszustand eigentümlichen Gefahren - ebenso wie nachträgliche Auswirkungen kriegerischer Vorgänge (§ 5 Abs. 1 Buchstabe b) und Abs. 2 BVG) - dem "Besatzungsunrecht" i. S. des § 5 Abs. 1 Buchstabe d) BVG zugerechnet werden.
Grundsätzlich sind Strafmaßnahmen aufgrund polnischen Rechts seit der Einführung der polnischen Zivilverwaltung in Oberschlesien, jedenfalls soweit sie 1947/48 vorgenommen wurden, nicht als "besondere" Besatzungsgefahren i. S. des § 5 Abs. 1 Buchstabe d) BVG zu werten (BSG SozR Nr. 26 zu § 5 BVG; BSG 20, 114, 116 = SozR Nr. 39 zu § 5 BVG; BSG 9 RV 130/68 vom 8. September 1970, zit. in BSG 34, 62, 69; BSG 10 RV 495/70 vom 16. März 1972, SozArb 1972, 458). Für diese Beurteilung sind die wirklichen Verhältnisse maßgebend, wie sie zu jener Zeit im Gebiet um Oppeln, das zum Deutschen Reich in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 gehörte, bestanden; dagegen sind die umstrittenen völkerrechtlichen Ansprüche bezüglich dieses Gebietes, auch aus deutscher Sicht, für die Annahme einer schicksalsmäßigen Opferlage i. S. des BVG nicht beachtlich. Jenes Gebiet des Deutschen Reiches gehörte 1947/48 nicht zum Bereich der vier Besatzungszonen der alliierten Besatzungsmächte, sondern war 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht, bestätigt durch das Potsdamer Abkommen, der zivilen Verwaltung durch den polnischen Staat unterstellt worden (Abschnitt IX des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945, abgedr. in: Hohlfeld - Hgb -, Dokumente der Deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart, VI, Berlin und München ohne Jahr, S. 26 ff; Markert - Hgb -, Ost-Europa-Handbuch, Polen, 1959, S. 228 f; Stoll, Die Rechtsstellung der deutschen Staatsangehörigen in den polnisch verwalteten Gebieten, 1968, S. 44). Allerdings können die in der Übergangszeit massenhaft, später u. U. vereinzelt ausschließlich gegen Deutsche zur Sicherung und Vergeltung gerichteten Verhaftungen, Ausweisungen und anderen Maßnahmen in der Regel dem § 5 Abs. 1 Buchstabe d) BVG zuzuordnen sein (BSG 6, 294, 296 f; BSG 20, 114, 116; BVerwG 9, 59, 60 ff; für die Tschechoslowakei: BSG 15, 152, 154; 16, 195 = SozR Nr. 32 zu § 5 BVG; für Eupen-Malmedy: BSG 34, 62, 67 f = SozR Nr. 45 zu § 5 BVG). Im Juli 1947 hingegen war in Oberschlesien die Herrschaft des polnischen Staates, der zuvor im Februar 1947 sein Parlament gebildet, den Staatspräsidenten berufen, eine Regierung bestellt und eine vorläufige Verfassung geschaffen hatte (Markert, aaO, S. 234 f, 329), in Form einer funktionsfähigen Zivilverwaltung praktisch wie in einem annektierten Gebiet eingeführt; ein wesentlicher Unterschied zur Rechtslage und zur Organisation im Bereich des Vorkriegs - Polen bestand nicht (Markert, aaO, S. 229 f, 331 f; Stell, aaO, S. 44 ff, 50). Speziell für Strafverfahren, wie sie gegen den Kläger betrieben wurden, waren 1946 die Sondergerichte aufgehoben worden (Markert, aaO, S. 332; Rundschreiben des BMA vom 17. Januar 1958, BVBl 1958, 18, 19). Im Sommer 1947 war eine weitere grundlegende Voraussetzung für eine Besatzungsherrschaft als Fremdherrschaft über Deutsche, d. h. für eine Herrschaft durch eine fremde (ausländische) Staatsmacht über die bis zur Besetzung in dem Gebiet ansässige (deutsche) Bevölkerung, infolge einer Bevölkerungsumschichtung praktisch entfallen. Zu dieser Zeit kamen die Massenausweisungen der Deutschen aus den polnisch verwalteten Gebieten im wesentlichen zum Stillstand (Stoll, aaO, S. 155; Dokumentation der Vertreibung, Band I/1, S. 150 E f). Die Bevölkerung Oberschlesiens bestand nunmehr infolge von Kriegsereignissen, Flucht und Vertreibung einerseits, Einwanderung und Polonisierung andererseits zum überwiegenden Teil nicht mehr aus deutschen Staatsangehörigen wie vor der Besetzung, sondern aus eingewanderten und aus ursprünglich dort ansässigen Polen sowie aus ehemaligen deutschen Staatsangehörigen, die nach dem Krieg die polnische Staatsangehörigkeit erworben hatten (Dokumentation der Vertreibung, I/1, S. 129 E, 145 E f, 155 E, 156 E, 158 E; Markert, aaO, S. 334; Stoll, aaO, S. 49, 60 ff, 88 ff, 116 ff, 159 ff). Für diese Bewohner war die polnische Rechtsordnung nicht die fremde eines anderen. Staates, der eine Besatzungsherrschaft ausübte. Dann konnten die Maßnahmen, die auf dem für die gesamte Bevölkerung des polnischen Staates geltenden Recht beruhten, grundsätzlich keine "besonderen", einer Besetzung eigentümlichen Gefahren herbeiführen. Die Ausdehnung der polnischen Rechtsordnung auf Oberschlesien, die der polnische Staat im Wege einer tatsächlichen, durch Gesetz bestätigten Annexion vornahm (Fritz Faust, Das Potsdamer Abkommen und seine völkerrechtliche Bedeutung, 4. Aufl. 1969, S. 152), ließ keinen Raum für eine Besatzungsherrschaft als eine bloß vorläufige Machtausübung über einen anderen Staat, dessen Rechtsordnung überlagert wird, aufgrund einer kriegerischen Eroberung (Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl. 1964, S. 463; von der Heydte, Völkerrecht, Band II, 1960, S. 316 ff). Da ein von diesem Besatzungsbegriff geprägter besonderer und enger Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg hier also fehlt, ist - wie allgemein bei Folgen der politischen Nachkriegsentwicklung in den Ostblockstaaten (Begründung, I, zum Entwurf eines Häftlingshilfegesetzes - Bundestags-Drucks. 2/1450, S. 5; BSG 14, 50, 53) - eine Entschädigung nach dem BVG ausgeschlossen. Zur funktionierenden Zivilverwaltung eines anderen Staates, die sich von der Militärverwaltung einer Besatzungsmacht i. S. des § 5 Abs. 1 Buchstabe d) BVG unterscheidet (vgl. BSG 34, 62, 67 f), gehörten nach dem Zweiten Weltkrieg regelmäßig auch Straf- und Zwangsmaßnahmen wegen Anzeigens eines Kommunisten im Jahre 1940 und wegen Förderung des Nationalsozialismus (vgl. zum deutschen Recht: BGHSt 3, 4, 110 ff, weitere Nachweise bei Schönke/Schröder, Kommentar zum StGB, 17. Aufl. 1974, Vorbemerkung 19 zu § 47; Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. August 1946 für die Länder der amerikanischen Besatzungszone, z. B. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1946, 145). Eine Prüfung, ob die gegen den Kläger ergriffenen Maßnahmen auch unter einer unabhängigen deutschen Verwaltung zu erwarten gewesen wären, erübrigt sich.
Da der Kläger somit die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe c) BVG wie auch des § 5 Abs. 1 Buchstabe d) BVG nicht erfüllt hat, muß seine Revision als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen