Leitsatz (amtlich)

Der von einer - im Februar 1949 im Gebiet der damaligen US-Besatzungszone wiederverheirateten - Kriegerwitwe erstmals 1972 geltend gemachte Anspruch auf Heiratsabfindung ist weder nach BVG § 44 noch nach den in BVG § 84 Abs 2 Nr 2 aF aufgeführten Vorschriften, sondern allein nach KBLG § 7 zu beurteilen. KBLG § 7 in der vor dem 1949-03-01 geltenden Fassung ist für die damalige Zeit nicht wegen eines "Wandels der Rechtsanschauung" unanwendbar (Fortsetzung von BSG 1959-06-11 11/9 RV 130/57 = BSGE 10, 64).

 

Normenkette

BVG §§ 44, 84 Abs. 2 Nr. 2

 

Tenor

Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. September 1973 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin war in erster Ehe mit dem im Juni oder Juli 1944 gefallenen J F verheiratet. Aus dieser Verbindung ging der ... 1942 geborene Sohn H hervor, für den die Klägerin seit Juli 1949 vom Kriegsversehrtenfürsorgeamt F Waisenrente erhielt. Nachdem die Klägerin im August 1948 vom Tode ihres Ehemannes benachrichtigt worden war, hatte sie im Dezember 1948 bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) B in K Versorgungsleistungen nach dem Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KB-Leistungsgesetz - KBLG -) beantragt; hierüber erging keine Entscheidung. Nach der Wiederverheiratung mit J E am 22. Februar 1949 verzog die Klägerin am 7. März 1949 von K nach B.

Im November 1972 beantragte die Klägerin erstmals eine Heiratsabfindung nach § 44 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Das zuständige Versorgungsamt K lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Witwenrente nach dem im Zeitpunkt der Wiederverheiratung geltenden KBLG gehabt, weil sie nicht für ein waisengeldberechtigtes Kind unter 3 Jahren oder 2 Kinder unter 8 Jahren habe sorgen müssen (Bescheid vom 5. Dezember 1972). Im Vorverfahren brachte die Klägerin vor, Anspruch auf Witwenrente habe dennoch bestanden, weil die Waise bei Eintritt des Rentenfalles (Juli 1944) noch nicht 2 Jahre alt gewesen sei. Die nach § 84 BVG vorgesehene Außerkraftsetzung des KBLG habe ex tune-Wirkung haben sollen. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 12. Februar 1973).

Mit der Klage machte die Klägerin geltend, sie sei 1944 nach K bei S (Geburtsort) verzogen, habe aber auf Weisung der französischen Besatzungsbehörde wieder nach K zurückkehren müssen. Mit Wohnsitz in K hätten für sie die in der französischen Zone in Kraft gebliebenen Versorgungsgesetze weiter gegolten, nach denen sie Witwenrente und Heiratsabfindung hätte erhalten können. Der Rückgriff auf das soldaten- und hinterbliebenenfeindliche KBLG sei rechtsstaatswidrig.

Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab und ließ die Berufung zu (Urteil vom 25. September 1973): Voraussetzung für eine Heiratsabfindung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BVG sei ein Anspruch auf Witwenrente im Zeitpunkt der Wiederverheiratung. Da das BVG erst nach der Heirat der Klägerin in Kraft getreten sei (1. Oktober 1950) und sich keine Rückwirkung beigelegt habe, könne die Klägerin aus § 44 BVG keine Rechte herleiten. Aber auch das bis zum 1. Oktober 1950 für Württemberg-Baden geltende Ländergesetz (KBLG vom 21. Januar 1947) habe der Klägerin keinen Anspruch auf Witwenrente oder Heiratsabfindung eröffnet, weil sie dessen Voraussetzungen nicht erfüllt habe. In der französischen Zone habe zwar bis 1. Oktober 1950 das Reichsversorgungsgesetz (RVG) bzw. das Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetz vom 26. August 1938 (WFVG) weiter gegolten, wonach Witwen grundsätzlich Anspruch auf Rente und Heiratsabfindung hatten. Indessen sei die Gewährung von Heiratsabfindungen in der strittigen Zeit von der französischen Militärregierung untersagt worden.

Die Klägerin hat gegen dieses Urteil mit Einwilligung des Beklagten Sprungrevision eingelegt. Sie macht geltend, für ihren gefallenen Ehemann hätten nach dem RVG bzw. WFVG Stammrechte bestanden, die ihm und seiner Familie Rente und gegebenenfalls Abfindung garantierten.

Die am 1. Februar 1947 in Kraft getretene Militärbestimmung trage den Stempel der bewußten Benachteiligung von deutschen Soldaten und ihren Hinterbliebenen auf der Stirn, Es stelle sich die Frage, ob deutsche Behörden und Gerichte berechtigt und verpflichtet seien, solche aus der Besatzungszeit stammende Bestimmungen zu berücksichtigen. Zwar habe das BVG keine Rückwirkung gehabt, jedoch sei zu bedenken, daß die Bundesrepublik Deutschland am 1. Oktober 1950 noch kein souveräner Staat gewesen sei. Es liege ein krasser Verstoß gegen das Prinzip der im Grundgesetz (GG) postulierten Pflicht der rechtsstaatlichen Gleichbehandlung vor, wenn in anderen Rechtsbereichen, z. B. Art. 131 GG, Beamtenwiedergutmachung, Lastenausgleich usw. den in der Vergangenheit erworbenen Rechten zumindest im Laufe der Zeit Rechnung getragen worden sei, während den Witwen der Vaterlandsverteidiger die in der Zeit nach 1945 entstandenen Nachteile allein aufgebürdet geblieben seien. Die Versagung bestehender Rechte von Kriegerwitwen durch einen besonders besatzungstypischen pseudolegalen Vorgang sei als besonders frappierender Besatzungsschaden einzustufen, dessen Regulierung nur bei Nichtbeachtung des GG verweigert werden könne. Auf die Ausführungen in früheren Schriftsätzen werde verwiesen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG und die Bescheide vom 5. Dezember 1971/12. Februar 1973 aufzuheben und ihr eine Heiratsabfindung zu bewilligen, hilfsweise die Sache an das SG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt die Verwerfung der Sprungrevision als unzulässig, weil sie nicht den Formerfordernissen des § 164 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspreche; mit ihr würde nur ganz allgemein ohne Angabe der Rechtsnorm Verletzung materiellen Rechts gerügt.

 

Entscheidungsgründe

Da die gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG an sich ausgeschlossene Berufung vom SG ausdrücklich zugelassen wurde und der Rechtsmittelgegner in die Einlegung der Sprungrevision eingewilligt hat, sind die Voraussetzungen der Statthaftigkeit nach § 161 Abs. 1 SGG erfüllt. Die Revisionsbegründung erweckt allerdings Zweifel, ob den Anforderungen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG hinsichtlich der Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm genügt worden ist. Immerhin ist aber aus dem Zusammenhang noch erkennbar, daß mit der "am 1.2.1947 in Kraft getretenen Militärbestimmung" das seinerzeit in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone ergangene KBLG gemeint ist, dessen Vereinbarkeit mit den heute geltenden Rechtsauffassungen, insbesondere mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG die Revision bestreitet. Die Revision ist somit zulässig, sie ist jedoch unbegründet.

Die Klägerin, deren erster Ehemann im Sommer 1944 gefallen war und die am 22.2.1949 wieder geheiratet hat, begehrt eine Heiratsabfindung. Dieser Anspruch kann nicht auf § 44 BVG gestützt werden, denn das BVG ist erst mit Wirkung ab 1. Oktober 1950 in Kraft getreten, die Wiederheirat geschah also nicht im zeitlichen Geltungsbereich des § 44 BVG, deshalb ist diese Norm hier von vornherein unanwendbar (vgl. BSG 1, 189, 191).

Unanwendbar waren im Februar 1949 auch die Vorschriften des RVG idF vom 1. April 1939, des WFVG vom 26. August 1938 und des EWFVG vom 6. Juli 1939. Durch Art. III des Kontrollratsgesetzes Nr. 34 vom 20. August 1946 wurden die "gesetzlichen Bestimmungen über die rechtliche und wirtschaftliche Stellung von Angehörigen der Wehrmacht und deren Familien" aufgehoben; hierunter fielen auch die Versorgungsgesetze aus der Zeit vor dem Zusammenbruch (SozR Nr. 27 zu § 85 BVG). Diese besatzungsrechtliche Maßnahme ist auf ihre Rechtsgültigkeit von deutschen Gerichten nicht zu überprüfen (vgl. BVerfG 15, 337, 347). Zur Klarstellung sind dann durch § 38 KBLG und schließlich durch § 84 Abs. 2 Nr. 2 BVG die alten reichsrechtlichen Versorgungsvorschriften nochmals außer Kraft gesetzt worden.

Das Klagebegehren ist vielmehr nach der Rechtslage zu beurteilen, die in der Zeit zwischen Kriegsende und dem Inkrafttreten des BVG bestanden hat. Hierbei handelte es sich bis einige Zeit nach Errichtung der Bundesrepublik um territorial verschiedene Rechtsnormen, was sich zwangsläufig aus dem Wegfall der Zentralgewalt des Deutschen Reichs ergab. Die daraus resultierende Rechtszersplitterung, die dem Art. 74 Nr. 10 GG nach dem Inkrafttreten dieser Verfassungsnorm zuwiderlief, ist alsdann durch das Bundesgesetz zur Verbesserung von Leistungen an Kriegsopfer vom 27. März 1950 (BGBl S. 77) mit Wirkung ab 1. Januar 1950 überbrückt und schließlich durch eine einheitliche bundesgesetzliche Neuordnung der Kriegsopferversorgung in Gestalt des BVG abgelöst worden, jedoch nur mit Wirkung für die Zukunft; für die Zeit vorher mußte das jeweilige Landesrecht maßgebend bleiben. Da die Klägerin nach der von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellung des SG bis Anfang März 1949 in Karlsruhe, also im damaligen Gebiet des zur US-Zone gehörenden Landes Württemberg-Baden wohnhaft war, richteten sich ihre Versorgungsansprüche zur Zeit der Wiederverheiratung nach den in diesem Gebiet geltenden Vorschriften und nicht nach denen, die in Württemberg-Hohenzollern oder Baden (Franz. Zone) galten. Für die vier unter amerikanischer Besatzung stehenden Länder war zoneneinheitlich das KBLG aufgrund von Beschlüssen der jeweiligen Länderparlamente ergangen; im Lande Württemberg-Baden war dies das am 1. Februar 1947 in Kraft getretene Gesetz Nr. 74 vom 21. Januar 1947 (Reg. Bl. Württemberg-Baden Seite 7). Danach erhielten Kriegsbeschädigte und ihre Hinterbliebenen Leistungen nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 1); einer damals noch nicht 60 Jahre alten Kriegerwitwe stand nach § 7 KBLG eine Rente nach Unfallversicherungsvorschriften zu, solange sie zu 2/3 erwerbsunfähig war oder ein waisengeldberechtigtes Kind, welches das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte bzw. 2 waisengeldberechtigte Kinder unter 8 Jahren aufzog; maßgebend war also bei der 2. Alternative nicht das Lebensalter des Kindes zur Zeit des Kriegstodes des Vaters, sondern das Lebensalter im Zeitpunkt der Antragstellung. Die erleichterten Voraussetzungen für die Witwenrente, welche durch das am 1. März 1949 in Kraft gesetzte Änderungsgesetz Nr. 946 vom 20. Juni 1949 (Reg.-Bl. Seite 165) eingeführt wurden, kamen der Klägerin nicht mehr zugute, da sie bereits vor diesem Zeitpunkt ihre zweite Ehe geschlossen hatte und damit nicht mehr Kriegerwitwe war (vgl. Bayer. Landesversicherungsamt, Entscheidung vom 30. Januar 1951, Breithaupt 1952, 204).

Der Senat verkennt nicht, daß diese bis Ende Februar 1949 anzuwendende Regelung für die betroffenen Kriegerwitwen eine Härte bedeutete. Der Rechtsprechung ist es indes verwehrt, in solchen Fällen unter Bezugnahme auf eine "gewandelte Rechtsauffassung" die Anwendung der aus heutiger Sicht unbillig erscheinenden Rechtsnormen zu verweigern. Wie der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem einen insoweit vergleichbaren Fall betreffenden Urteil vom 11. Juni 1959 (BSG 10, 64 f) zutreffend dargelegt hat, ist es bei einer Wertung früherer Gesetzesvorschriften unter den Aspekten der materiellen Gerechtigkeit bedeutsam, in welcher Zeit und für welche Zeit diese Vorschriften erlassen worden sind (vgl. auch SozR Nr. 1 zu Art. 14 KBLG). In dieser Hinsicht darf man aber nicht übersehen, daß in jenen Jahren allein schon die völlig unübersichtlichen Wirtschafts- und Finanzverhältnisse für die Träger der Versorgungslasten eine finanzielle Bedrängnis ungewöhnlichen Grades bewirkt haben (BSG 3, 251, 258), woraus eine Einsparung von nicht unbedingt lebensnotwendigen Versorgungsleistungen zwingend geboten erscheinen mußte. Selbst die Begründung zum Regierungsentwurf des BVG (BT-Drucks. 1/1333 vom 12. September 1950, S. 43, 44) läßt erkennen, wie stark auch damals immer noch die finanzielle Notlage von Bund und Ländern eine sofortige Befriedigung aller berechtigten Wünsche und Forderungen der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen erschwert hat. So hat sogar § 40 BVG aF noch vorgesehen, daß eine Witwengrundrente in voller Höhe (40,- DM) nur bei Erwerbsunfähigkeit oder bei Sorge für mindestens ein Kind i. S. des § 41 Abs. 1 Buchst. c gewährt werden sollte. Auch eine Heiratsabfindung war nach § 44 BVG aF noch auf einen festen Betrag von nur 1.200,- bemessen. Die Auffassung der Revision, die im KBLG getroffenen Regelungen stellten nur bewußte Schikanen gegen Kriegsopfer dar, trifft jedenfalls nicht zu. Die aus den Verhältnissen jener Zeit verständlichen Leistungseinschränkungen sind etwa ab Mitte 1949 schrittweise abgebaut worden, ohne daß freilich hiervon auch abgeschlossene Fälle noch erfaßt werden konnten. Dies entspricht dem Vorgehen auf anderen, von der Revision angeführten Rechtsgebieten, wie etwa beim Gesetz zu Art. 131 GG, wonach Versorgungsleistungen erst ab Inkrafttreten des Gesetzes am 1. April 1951 zu gewähren waren, oder auch beim Soforthilfegesetz vom 8. August 1949, nach dessen § 39 Unterhaltshilfe frühestens ab 1. April 1949 zu zahlen war.

Die Revision ist hiernach unbegründet und muß zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646694

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