Leitsatz (amtlich)

1. Als berufliche Tätigkeiten iS von § 112 Abs 7 AFG sind auch Zeiten der beruflichen Bildung anzusehen, die der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit unterliegen oder Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung gleichstehen.

2. Bei der Prüfung, ob eine unbillige Härte iS von § 112 Abs 7 AFG vorliegt, ist für eine berufliche Tätigkeit zur Umschulung von dem Bemessungsentgelt auszugehen, nach dem sich das während der Umschulung gezahlte Unterhaltsgeld gerichtet hat.

 

Normenkette

AFG § 112 Abs 2, § 112 Abs 3 S 1, § 112 Abs 7 Fassung: 1983-12-22, § 107

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.03.1986; Aktenzeichen L 5 Ar 2444/85)

SG Reutlingen (Entscheidung vom 18.07.1985; Aktenzeichen S 8 Ar 1242/84)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg).

Der 1949 geborene Kläger war nach Abschluß seiner Berufsausbildung seit 1966 zunächst als Schaufenstergestalter tätig, später Zeitsoldat. Von Januar 1977 bis Mitte November 1980 war er bei der Firma D. (Fa.D.) in S.als Arbeiter beschäftigt, wo er in dem bei seinem Ausscheiden zuletzt abgerechneten Monat August 1980 in 167,92 Arbeitsstunden 2.772,89 DM verdiente.

Vom 17. November 1980 bis 14. November 1983 nahm der Kläger an einer Umschulungsmaßnahme zum Zahntechniker bei der Dental-Labor O. K. GmbH (K.) in A. teil, die vom Arbeitsamt ua durch Zahlung von Unterhaltsgeld (Uhg) gefördert wurde. Der Kläger schloß mit der Firma K. einen entsprechenden Umschulungsvertrag für die Zeit vom 15. November 1980 bis 14. November 1983, der auch die Zahlung von geringen monatlichen Vergütungen vorsah. Wie das Landessozialgericht (LSG) festgestellt hat, fand die mündliche Prüfung erst in der Zeit vom 16. bis 21. Januar 1984 statt. Deshalb beschäftigte ihn der Umschulungsbetrieb noch vom 15. November 1983 bis 31. Januar 1984 befristet als Zahntechniker gegen ein Entgelt von 1.000,-- DM monatlich. Als der Kläger ausschied, war zuletzt der Monat Dezember 1983 abgerechnet worden.

Auf seinen Antrag bewilligte ihm das Arbeitsamt durch Bescheid vom 16. Februar 1984 ab 1. Februar 1984 Alg nach der Leistungsgruppe A ohne Kind in Höhe von 107,40 DM wöchentlich für 312 Tage. Es legte dafür den erwähnten Monatsbezug von 1.000,-- DM zugrunde und gelangte so zu einem Bemessungsentgelt von 230,-- DM wöchentlich. Das Uhg war zuletzt nach einem Entgelt von 815,-- DM wöchentlich bemessen worden.

Auf den Widerspruch des Klägers bewilligte das Arbeitsamt Alg in Höhe von 117,60 DM wöchentlich, wobei es gemäß § 112 Abs 5 Nr 2, Abs 7 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ein Entgelt von 1.100,-- DM monatlich zugrunde legte (255,-- DM wöchentlich). Das Arbeitsamt sah diesen Betrag als die Hälfte des Entgelts eines Zahntechnikers an, das aufgrund einer Umfrage in verschiedenen Dentallabors mit 2.200,-- DM monatlich ermittelt worden sei (Änderungsbescheid vom 26. März 1984). Im übrigen wies es den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 1984).

Auf seine Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte unter Änderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 1. Februar 1984 Alg nach § 112 Abs 5 Nr 8 AFG zu zahlen. Es hat die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Kläger habe Anspruch auf Alg nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 815,-- DM, nach welchem sein Uhg zuletzt bemessen worden sei (Urteil vom 18. Juli 1985).

Durch Urteil vom 25. März 1986 hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte dem Kläger Alg für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Juli 1984 nach dem Bemessungsentgelt von 815,-- DM wöchentlich und vom 6. bis 20. April 1985 nach dem gemäß § 112a Abs 1 Satz 1 AFG erhöhten Bemessungsentgelt zu zahlen habe. Im übrigen hat das LSG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Zu entscheiden sei über die Ansprüche des Klägers während seiner Arbeitslosigkeit ab 1. Februar 1984. Diese habe bis zum 31. Juli 1984 gedauert. Vom 27. Februar bis 2. März 1984 sei der Kläger arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Vom 1. August 1984 bis 5. April 1985 sei er als Zahntechniker beschäftigt gewesen und habe zuletzt 2.352,-- DM monatlich verdient. Anschließend habe er vom 6. bis 20. April 1985 wieder Alg bezogen. Seit Montag, dem 22. April 1985, sei er wieder bei Fa. D. beschäftigt. Nach §§ 111 Abs 1, 112 Abs 2 und 3 AFG richte sich der Alg-Anspruch zwar grundsätzlich nach dem in den letzten vor dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten, insgesamt mindestens 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträumen der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs erzielten Arbeitsentgelt. Dies wäre hier der Monatslohn von 1.000,-- DM, den der Kläger zuletzt abgerechnet im Monat Dezember 1983 erhalten habe. Zu beachten sei jedoch, daß seit der Regelung durch das Haushaltsstrukturgesetz-AFG auch der Bezug von Uhg zu einem die Anwartschaft auf Alg begründenden Tatbestand erklärt worden ist, eine Regelung, die für den streitigen Sachverhalt idF des § 112 Abs 5 Nr 8 AFG anzuwenden sei. Zwar gelte diese Bestimmung ihrem Wortlaut nach nur für diejenigen Fälle, in denen der Uhg-Bezug noch in den maßgeblichen Bemessungszeitraum des § 112 Abs 3 AFG falle, was hier nicht der Fall sei. Für Fälle der vorliegenden Art enthalte das Gesetz eine planwidrige Lücke. Diese sei dahin zu schließen, daß § 112 Abs 5 Nr 8 AFG auch dann anzuwenden sei, wenn zwischen dem Ende der Bildungsmaßnahme einschließlich des Bezuges von Uhg und dem Eintritt der Arbeitslosigkeit eine kurzfristige Verlegenheitsbeschäftigung liege. Das LSG führt dies des Näheren aus. Dies bedeute, daß auch für Dezember 1983 das Entgelt heranzuziehen sei, nach dem das Uhg zuletzt bemessen worden ist, so daß dem Kläger jedenfalls nach dem von ihm in der Berufungsinstanz erhobenen Begehren, das ihm vom SG zuerkannte Alg nach einem Bemessungsentgelt von anfänglich 815,-- DM wöchentlich zustehe, allerdings nur für Zeiten der Arbeitslosigkeit. Unter diesen Umständen bedürfe es keiner Klärung, ob dieser Anspruch auch als Herstellungsanspruch begründet sei, falls die Beklagte den Kläger nicht darauf hingewiesen habe, welche Rechtsnachteile die Aufnahme einer Zwischenbeschäftigung gegenüber einer Arbeitslosmeldung nach dem Ende des Unterrichts haben könnte.

Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des § 112 Abs 2, 3, 5 Nr 8 AFG idF des Gesetzes vom 22. Dezember 1983 und führt dazu im wesentlichen aus: Der Alg-Anspruch des Klägers bemesse sich ausschließlich nach § 112 Abs 2 AFG, da in den Bemessungszeitraum nach § 112 Abs 3 AFG allein Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung des Klägers gegen Entgelt im Anschluß an die Umschulungsmaßnahme fielen. Weder § 112 Abs 5 Nr 8 AFG noch § 112 Abs 5 Nr 2 iVm Abs 7 AFG seien anwendbar. Die Regelung des § 112 Abs 5 Nr 8 AFG sei abschließend. Sie enthalte weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Zweck eine Lücke. Die Beklagte führt dies des Näheren aus.

Sie beantragt, das angefochtene Urteil, soweit es der Berufung nicht stattgegeben hat, und das Urteil des SG Reutlingen vom 18. Juli 1985 aufzuheben, die Klage in vollem Umfang abzuweisen sowie zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich im wesentlichen auf die seiner Meinung nach zutreffenden Ausführungen des LSG. Ergänzend weist er darauf hin, daß es sich bei der Beschäftigung des Klägers von Mitte November 1983 bis 31. Januar 1984 nicht um einen Arbeitsvertrag nach Abschluß einer beruflichen Bildungsmaßnahme gehandelt habe, sondern im Grunde um eine Verlängerung des Ausbildungsvertrages bis zum Zeitpunkt nach Ablegung der praktischen Prüfung. Es habe somit zwischen dem ausbildenden Betrieb und dem Kläger insgesamt nur ein Ausbildungsvertrag bestanden. Die Zahlungen des Betriebes seien als Ausbildungsvergütung zu qualifizieren, die berufliche Bildungsmaßnahme daher mit Ablauf des 14. November 1983 nicht abgeschlossen. Wenn der Kläger deshalb zur sachgerechten Beendigung seiner Ausbildung kurzfristig eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 1.000,-- DM monatlich in Kauf genommen habe, ein Betrag, der wahrscheinlich im dritten Ausbildungsjahr bei Zahntechnikern üblich sei, so dürfe dies nicht zu einer Schlechterstellung gegenüber Teilnehmern einer beruflichen Umschulung führen, die innerhalb der Höchstförderungsdauer von drei Jahren ihre Prüfungen insgesamt ablegen könnten.

Beide Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.

Nach den Feststellungen des LSG besitzt der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Alg ab 1. Februar 1984. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Die angefochtenen Bescheide haben die Höhe dieses Alg-Anspruchs jedoch rechtswidrig zu niedrig festgesetzt.

Das Alg richtet sich nach näherer Bestimmung des § 111 AFG und konkretisiert sich in einem bestimmten Prozentsatz des um pauschale Abzüge geminderten Arbeitsentgelts nach § 112 (§ 111 Abs 1 AFG). Der § 111 Abs 2 AFG stellt bestimmte Leistungsgruppen auf, die von den auf der Lohnsteuerkarte des Antragstellers eingetragenen Merkmalen ausgehen. Die von der Beklagten beim Kläger zugrunde gelegte Leistungsgruppe A (§ 111 Abs 2 Nr 1 Buchst a AFG) ist nach den Feststellungen des LSG nicht zu beanstanden. Der individuelle Leistungssatz ergibt sich aus tabellarisch aufgestellten Leistungssätzen, die dem maßgeblichen Entgelt zugeordnet sind. Dies geschieht durch Rechtsverordnung (§ 111 Abs 2 AFG). Vorliegend ist maßgebend die Leistungsverordnung 1984 vom 13. Januar 1984 (BGBl I 49) und deren Anlage 2 (§ 1 Nr 2 der Leistungsverordnung 1984). Im Falle des Klägers hat die Beklagte nicht das für die Ermittlung des konkreten Leistungssatzes richtige Arbeitsentgelt iS des § 112 AFG zugrunde gelegt.

Die Grundregel für die Bestimmung des für einen Alg-Anspruch maßgeblichen Arbeitsentgelts enthält § 112 Abs 2 AFG, hier anzuwenden in der seit 1. Januar 1982 geltenden Fassung des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497). Danach ist von dem dort näher bestimmten Arbeitsentgelt eines sog Bemessungszeitraumes auszugehen. Nach § 112 Abs 3 Satz 1 AFG (hier ebenfalls anzuwenden idF des AFKG) sind Bemessungszeiträume die letzten vor dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten, insgesamt 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnisse vor der Entstehung des Anspruchs. Der Anspruch des Klägers ist am 1. Februar 1984 entstanden. Das LSG hat festgestellt, daß davor zuletzt der Monat Dezember 1983 seiner Beschäftigung bei der Firma K. abgerechnet war. Dieser Monat ist folglich nach § 112 Abs 3 Satz 1 AFG der hier maßgebliche Bemessungszeitraum. Gleichwohl scheidet das in diesem Zeitraum vom Kläger erzielte Entgelt für die Bemessung seines Alg-Anspruchs aus.

Diese Rechtsfolge ergibt sich nicht, worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat, aus § 112 Abs 5 Nr 2 AFG. Inhalt dieser Vorschrift ist nämlich, daß ggf ein höheres Arbeitsentgelt als nach § 112 Abs 2 AFG (nämlich die Hälfte des Arbeitsentgelts nach § 112 Abs 7 AFG) zugrunde zu legen ist, wenn der Arbeitslose im Bemessungszeitraum nach § 112 Abs 3 AFG zur Berufsausbildung beschäftigt war und die Abschlußprüfung bestanden hat. Diese Voraussetzungen lagen im Dezember 1983 jedoch nicht vor. Nach den Feststellungen des LSG hatte die Umschulung des Klägers mit Ablauf des 14. November 1983 geendet; danach hat er bei der Fa. K. bis 31. Januar 1984 in einem Beschäftigungsverhältnis als Arbeitnehmer gestanden. Der Kläger hat diese Feststellungen nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen, so daß sie für den Senat bindend sind (§ 163 SGG).

Auch aufgrund der Regelung in § 112 Abs 5 Nr 8 AFG steht dem Kläger der Klageanspruch nicht zu, wie das LSG angenommen hat. Diese Vorschrift wurde ab 1. Januar 1976 als eine Nr 4b in § 112 Abs 5 AFG durch das Haushaltsstrukturgesetz-AFG (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) eingefügt, später geändert (vgl Art II § 2 Nr 10 Buchst b des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - -SGB 10- vom 18. August 1980 - BGBl I 1469), schließlich durch Art 1 § 1 Nr 40 des AFKG mit Wirkung ab 1. Januar 1982 in die Nr 8 des § 112 Abs 5 AFG umgewandelt. Für den hier streitigen Sachverhalt ist ihre Fassung durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 (HBeglG 1984) vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532), in Kraft seit 1. Januar 1984 (Art 39 des HBeglG 1984), maßgebend. Die Vorschrift regelt die Bemessung der Höhe eines Alg-Anspruchs für Personen, die bisher wegen Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme Uhg (vgl § 44 AFG) bezogen oder nur wegen des Vorrangs anderer Leistungen (§ 107 Satz 1 Nr 5 Buchst b AFG) nicht bezogen haben. Sie bestimmt, daß bei der Feststellung des für den Alg-Anspruch maßgeblichen Arbeitsentgelts für die Zeit eines Uhg-Bezuges das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen ist, nach dem das Uhg zuletzt bemessen worden ist. Das LSG hat nicht verkannt, daß die Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur in Fällen gilt, in denen ein Uhg-Bezug bzw ein Anspruch dem Grunde nach hierauf (noch) in den Bemessungszeitraum des § 112 Abs 3 AFG fällt.

Wie schon ausgeführt, war nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG für den Klageanspruch letzter abgerechneter Lohnabrechnungszeitraum iS des § 112 Abs 3 AFG der Monat Dezember 1983. In diesem Monat hat der Kläger jedoch weder Uhg bezogen noch lediglich wegen des Vorrangs anderer Leistungen gem § 107 Satz 1 Nr 5 Buchst b AFG nicht bezogen. Die Abschlußprüfung fand erst im Januar 1984 statt. Aufgrund des § 112 Abs 5 Nr 8 AFG stand dem Kläger für seinen ab 1. Februar 1984 entstandenen Anspruch folglich nicht Alg nach Maßgabe des Arbeitsentgelts zu, das seinem früheren Uhg-Anspruch zuletzt zugrunde lag.

Der Senat hat schon entschieden, daß diese Vorschrift angesichts ihres unmißverständlichen Wortlauts für die Annahme einer Lücke, die durch Richterrecht zu füllen wäre, grundsätzlich keinen Raum bietet (vgl Urteil vom 22. Juli 1982 - 7 RAr 107/81 - DBl R der Beklagten Nr 2793a zu § 112 AFG). Ob dies uneingeschränkt so ist, kann dahinstehen. Jedenfalls besteht für Fälle der vorliegenden Art kein Bedürfnis zu einer ausdehnenden Auslegung des § 112 Abs 5 Nr 8 AFG; denn entgegen der Auffassung des LSG ist hier die Regelung des § 112 Abs 7 AFG anwendbar. Sie enthält die Rechtsgrundlage für eine angemessene Lösung von Streitfragen, wie sie hier zu entscheiden sind.

Nach § 112 Abs 7 AFG, der ebenfalls in der Fassung des HBeglG 1984 anzuwenden ist, ist das Alg nach dem am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Arbeitslosen maßgeblichen tariflichen, ersatzweise ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung zu bemessen, für die der Arbeitslose nach Lebensalter und Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt, ua, wenn es mit Rücksicht auf die von ihm in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit unbillig hart wäre, von dem Arbeitsentgelt nach Absätzen 2 bis 6 auszugehen.

Der § 112 Abs 7 AFG stellt zwar rechtstechnisch eine Ausnahme von der Regelbemessung des § 112 Abs 2 AFG dar. Diese knüpft an das vor Eintritt der Arbeitslosigkeit erzielte Entgelt an, weil davon ausgegangen wird, daß der Arbeitnehmer ohne den Verlust der zugrunde liegenden Beschäftigung jenes Entgelt weiter erzielt hätte. Es entspricht deshalb dem System der Arbeitslosenversicherung, Lohnersatz in bestimmter Höhe auf der Grundlage dieses Entgelts zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet aber zugleich, daß es das eigentliche Prinzip der Arbeitslosenversicherung ist, den wegen Arbeitslosigkeit ausfallenden Lohn teilweise zu ersetzen. Folgerichtig sieht das Gesetz in Fällen, in denen die Bemessung nach dem früheren Entgelt nicht oder nicht mehr dieser Sachgesetzlichkeit entsprechen würde, selbst Ausnahmen in der Weise vor, daß es die Berücksichtigung eines davon abweichenden erzielbaren, also fiktiven Entgelts vorschreibt (vgl zB § 112 Abs 5 Nrn 2, 4, 5, 9, 10). Ausdruck findet dieser Grundsatz auch in der regelmäßigen Anpassung des der Bemessung zugrunde liegenden Arbeitsentgelts an die Lohnentwicklung nach Maßgabe des § 112a AFG. Dem trägt, wie der Senat schon entschieden hat, gerade auch der Inhalt des § 112 Abs 7 AFG Rechnung (BSGE 45, 49, 57 ff = SozR 4100 § 112 Nr 6). Dies ergibt sich in gleicher Weise aus der seit dem HBeglG 1984 in § 112 Abs 7 AFG eingefügten Bestimmung, daß die fiktive Bemessung nach dem erzielbaren Entgelt zu erfolgen hat, wenn der letzte Tag des eigentlichen Bemessungszeitraums bei Entstehung des Anspruchs länger als drei Jahre zurückliegt. In diesen Fällen ist nämlich nicht mehr die Vermutung gerechtfertigt, daß der Arbeitslose (nur) dieses Entgelt auch in Zukunft erzielen kann (vgl Begründung zum Regierungsentwurf des HBeglG 1984 zur Änderung des § 112 Abs 7, BR-Drucks 302/83 S 85). Die Rechtsfolgeregelung des § 112 Abs 7 AFG, nämlich die Bemessung des Alg nach dem individuell zu bestimmenden Entgelt, das der Arbeitslose, wäre er beschäftigt, erzielen könnte, spiegelt deshalb von allen Bemessungsregeln in der deutlichsten Form das Bemessungsprinzip des AFG wider.

Allerdings ist die unmittelbare Bemessung nach § 112 Abs 7 AFG nur unter einschränkenden Voraussetzungen zugelassen. Es muß sich, sofern der eigentliche Bemessungszeitraum nicht länger als drei Jahre zurückliegt, aus der Regelbemessung eine unbillige Härte für den Arbeitslosen ergeben. Dabei kann jede Bemessung aus den Absätzen 2 bis 6 des § 112 AFG in Betracht kommen. Deshalb ist die Auffassung des LSG nicht berechtigt, § 112 Abs 7 AFG sei nicht anzuwenden, wenn eine Bemessung nach § 112 Abs 5 Nr 8 Platz greifen kann. Maßstab für die Bestimmung des Rechtsbegriffs der unbilligen Härte ist der Vergleich zwischen den in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung von dem Arbeitslosen ausgeübten beruflichen Tätigkeiten und den daraus erzielten Entgelten. Erst ein deutlich höheres Entgelt aus in dieser Zeit überwiegend ausgeübten beruflichen Tätigkeiten als aus der Tätigkeit im Bemessungszeitraum spricht für unbillige Härte der Regelbemessung mit der Rechtsfolge des § 112 Abs 7 AFG (vgl dazu BSG SozR Nrn 3 und 5 zu § 90 AVAVG; BSG SozR 4100 § 112 Nr 19; BSGE 45, 49 = SozR 4100 § 112 Nr 6; Urteil vom 31. August 1976 - 7 RAr 128/74 -, DBl R der BA Nr 2162 zu § 112 AFG; Urteil vom 26. November 1986 - 7 RAr 88/85 - SozR 4100 § 112 Nr 28).

Im vorliegenden Falle führt der oa Vergleich zu der Feststellung, daß der Kläger in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung zum 1. Februar 1984 überwiegend, nämlich seit 1. Februar 1981 bis 14. November 1983, in einer Maßnahme der beruflichen Umschulung mit Gewährung von Uhg stand und nur vom 15. November 1983 bis 31. Januar 1984 als Arbeitnehmer beschäftigt war. Die Beschäftigung als Umschüler ist als berufliche Tätigkeit iS des § 112 Abs 7 AFG anzusehen. Der Senat hat die Frage, ob Beschäftigungen zur beruflichen Ausbildung als berufliche Tätigkeiten in diesem Sinne gelten, bisher offenlassen können (vgl Urteile vom 12. Mai 1982 - 7 RAr 17/81 -, DBl R der BA Nr 2787 zu § 112 AFG, und vom 26. November 1986 - 7 RAr 88/85 - SozR 4100 § 112 Nr 28). Er hat dies lediglich dann verneint, wenn es sich um Berufsausbildungen oder sonstige Tätigkeiten handelte, die nicht der Beitragspflicht zur Beklagten unterlagen (vgl BSGE 53, 186 = SozR 4100 § 112 Nr 20; Urteil vom 9. November 1983 - 7 RAr 6/83 -, DBl R der BA Nr 2960a zu § 112 AFG). Der dargestellte Zweck des § 112 Abs 7 AFG führt jedoch zu der Erkenntnis, daß Zeiten der beruflichen Bildung, die der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) unterliegen (§ 168 AFG) oder Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung gleichstehen (§ 107 AFG), und die iS des § 104 AFG anwartschaftsbegründenden Charakter besitzen, als berufliche Tätigkeiten iS des § 112 Abs 7 AFG anzusehen sind. Dies stimmt zudem mit der Auffassung des Senats überein, daß jedenfalls Bezieher von Uhg seit dem HStruktG-AFG wie Erwerbstätige und nicht wie Alg- oder Alhi-Empfänger behandelt werden (BSG vom 22. Juli 1982 - 7 RAr 107/81 -, DBl R der BA Nr 2793a zu § 112 AFG).

Der Begriff selbst verbietet eine solche Auslegung nicht. Berufliche Tätigkeit ist schon dem Wortsinn nach weiter gefaßt als etwa Beschäftigung als Arbeitnehmer. Dies entsprach auch durchaus der Absicht des Gesetzgebers, wie der Senat schon dargestellt hat (vgl BSGE 53, 186, 192 = SozR 4100 § 112 Nr 20). Der Begriff gestattet deshalb die Einbeziehung aller Arten von Tätigkeiten, die einen Bezug zum Arbeitsmarkt besitzen, sofern sie nur durch ihre Qualifizierung als versicherte Tätigkeiten dem System der Arbeitslosenversicherung angehören. Es wäre im übrigen ein kaum verständlicher Widerspruch in sich, wenn berufliche Tätigkeiten einerseits der Beitragspflicht zur BA unterliegen, bzw beitragspflichtigen Beschäftigungen gleichgestellt sind und deshalb den Anspruch auf Versicherungsleistungen auslösen können, sie andererseits von der Anwendung des § 112 Abs 7 AFG ausgeschlossen wären. So spricht auch der übrige Wortlaut des § 112 Abs 7 AFG für die Auffassung des Senats. Danach kommt es auf den Vergleich zu dem Arbeitsentgelt an, welches im Einzelfalle nach jedem beliebigen Sachverhalt der Absätze 2 bis 6 AFG zugrunde zu legen wäre. Es sind folglich auch die Bemessungsregeln des § 112 Abs 5 AFG in das Vergleichsmodell einbezogen. Dem zugrunde liegende Tätigkeiten müssen dann aber auch auf beiden Seiten der Vergleichsbetrachtung Berücksichtigung finden können, sollen nicht sinnwidrige Ergebnisse die Folge sein. Schließlich ist zu beachten, daß eine andere Auffassung zu rechtspolitisch unverträglichen Ergebnissen führen würde. Um sich einen hohen Bemessungswert aus bisherigem Uhg-Bezug zu erhalten, müßte jedem Teilnehmer an einer Bildungsmaßnahme geraten werden, sich sofort nach deren Ende arbeitslos zu melden, jedenfalls aber Arbeitsangebote mit niedrigerem Entgelt nicht wahrzunehmen. Wer sich nämlich, wie der Kläger, versicherungsfreundlich verhält, Arbeitslosigkeit vermeidet und wenigstens noch vorübergehend zu ungünstigen Bedingungen weiterarbeitet, müßte bei Nichtanwendung des § 112 Abs 7 AFG ggf mit erheblichen Leistungseinbußen rechnen. Die Anwendung des § 112 Abs 7 AFG kann geeignet sein, dem entgegenzuwirken und dient folglich zugleich dem Schutz der Versichertengemeinschaft vor einer frühzeitigen, aber nicht erforderlichen Herbeiführung von Versicherungsfällen. Dieser Effekt ist um so mehr zu begrüßen, als er mit einer systemgerechten Alg-Bemessung einhergeht.

Der Vergleich zwischen der überwiegend ausgeübten Beschäftigung des Klägers als Umschüler und seiner Arbeitnehmertätigkeit ergibt, daß die Bemessung nach dem im Dezember 1983 erzielten und abgerechneten Entgelt (§ 112 Abs 2, 3 AFG) unbillig hart wäre. Maßgebend ist hierfür die erheblich unterschiedliche Entgelthöhe aus beiden Beschäftigungen. Hierfür könnten das Uhg als solches und die vertraglich vereinbarte Vergütung während der Umschulung zugrunde gelegt werden. Letztere würde allerdings bei einer nach § 112 Abs 5 Nr 8 AFG möglichen Bemessung ausscheiden, wenn nämlich der Kläger in dem für seinen Anspruch maßgeblichen Bemessungszeitraum noch Uhg bezogen hätte. Der Senat hält es deshalb für angebracht, in diesen Fällen für die Bestimmung der unbilligen Härte iS des § 112 Abs 7 AFG generell auf das Bemessungsentgelt abzustellen, das die Grundlage für die Lohnersatzleistung während einer beruflichen Tätigkeit zur Umschulung gebildet hat. Dieses Bemessungsentgelt repräsentiert nämlich den individuellen Wert, den das Gesetz der beruflichen Tätigkeit dieses Umschülers beimißt und den es durch entsprechenden Lohnersatz ausgleicht. Es ermöglicht zudem eine einfache Handhabung durch die Verwaltung.

Nach den Feststellungen des LSG betrug das Bemessungsentgelt für den Uhg-Anspruch des Klägers schon zu Beginn der Umschulung mehr als 2.700,-- DM. Ein Vergleich dieser Größe mit dem zuletzt erzielten Arbeitsentgelt von 1.000,-- DM ergibt ohne weiteres, daß die Bemessung nach dem letzteren unbillig hart wäre. Folglich bestimmt sich der Anspruch des Klägers nach dem Entgelt, das er nach Maßgabe der Rechtsfolgeregelung aus § 112 Abs 7 AFG erzielen konnte und das offenkundig wesentlich höher gewesen wäre als 1.000,-- DM monatlich. Hierbei ist auf die Verhältnisse am 1. Februar 1984 abzustellen. Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um die Frage des erzielbaren Entgelts abschließend zu beurteilen. Insoweit kann trotz der Feststellung des LSG, daß der Kläger seit 22. April 1985 wieder bei Fa. D. beschäftigt ist, nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Kläger noch ein Entgelt erzielen konnte, wie zuletzt aus seiner Beschäftigung im August 1980, welches letztlich der Entscheidung des LSG zugrunde liegt. Das schließt es allerdings nicht aus, auch die dem zugrunde liegende berufliche Tätigkeit bei der Feststellung des fiktiven Entgelts iS des § 112 Abs 7 AFG zu berücksichtigen, falls sich daraus ein höheres Entgelt ergeben sollte, als das Entgelt aus Tätigkeiten als Zahntechniker und der Kläger dafür in Betracht kommt (vgl Hennig/Kühl/Heuer, Komm z AFG, März 1986, Erl 14 zu § 112).

Sollte allerdings die Bemessung nach § 112 Abs 7 AFG ein niedrigeres Alg ergeben, als der Kläger bei Anwendbarkeit des § 112 Abs 5 Nr 8 AFG erhalten hätte, vermag die Berufung auf einen Herstellungsanspruch den höheren Anspruch nicht zu stützen. Eine - wie hier - fehlende Arbeitslosmeldung im Anschluß an die Umschulung und damit das Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen des § 112 Abs 5 Nr 8 AFG vermag die Beklagte durch Herstellung nicht zu ersetzen (BSGE 60, 43, 48 = SozR 4100 § 105 Nr 2).

Die Sache muß deshalb zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 43

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