Entscheidungsstichwort (Thema)

Invalidenrente. Versicherungsfall. Bayern. Rechtsgültigkeit

 

Orientierungssatz

1. Sollte der Versicherte erst nach dem 31.12.1948 Invalide geworden sein, so wird die Anwartschaft aus den Beiträgen und Ersatzzeiten, die auf die Zeit bis zum 31.12.1923 entfallen, gemäß § 4 Abs 2 SVAnpG idF vom 17.6.1949 als erhalten gelten.

2. Sollte die Invalidität dagegen schon vor dem 1.1.1949 bestanden haben, so ist die Anwartschaft des Versicherten aus den bis zum 31.12.1923 entrichteten Beiträgen und den ihnen gleichgestellten Ersatzzeiten gemäß Art 19 SVVereinfV 1 idF vom 17.3.1945 erhalten.

3. Art 19 SVVereinfV 1 idF vom 17.3.1945 ist in Bayern rechtsgültig zustande gekommen und dort auch spätestens mit dem 7.9.1949 wirksam geworden (vgl BSG vom 11.7.1956 - 3 RJ 128/54 = BSGE 3, 161 = SozR Nr 1 zu Art 19 1. VereinfachungsVO).

 

Normenkette

SVVereinfV 1 Art. 19 Fassung: 1945-03-17; SVAnpG § 4 Abs. 2 Fassung: 1949-06-17

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. April 1954 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger entrichtete bis zum Jahre 1930 insgesamt 663 Wochenbeiträge zur Invalidenversicherung. Während des ersten Weltkrieges von Oktober 1914 bis Dezember 1918 war er Soldat. Im Jahre 1947 vollendete er das 65. Lebensjahr. Ob er zu diesem Zeitpunkt schon invalide war, steht nicht fest; keinesfalls ist er jedoch vor dem 1. April 1945 invalide geworden. Den Antrag des Klägers auf Altersinvalidenrente vom 25. Juni 1951 lehnte die beklagte Landesversicherungsanstalt ab, weil die Anwartschaft aus den geleisteten Beiträgen erloschen sei. Auch die Berufung an das Oberversicherungsamt Augsburg blieb erfolglos. Auf die Revision des Klägers, die nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung auf das Bayerische Landessozialgericht überging, hob dieses das Urteil des Oberversicherungsamts und den ablehnenden Bescheid der Beklagten auf und erklärte den Rentenanspruch des Klägers vom 1. Juli 1951 ab dem Grunde nach für gerechtfertigt. Das Berufungsgericht ist im Anschluß an eine Entscheidung des Großen Senats des Bayerischen Landesversicherungsamts vom 30. November 1953 (Grunds.Entsch. Nr. 107, Amtsbl. des Bayer. Arb.u.Soz.Min.1954 B, S. 45) der Auffassung, daß die Erste Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung (VereinfVO) vom 17. März 1945 (RGBl. I S. 41) mit den darin vorgesehenen Anwartschaftsvergünstigungen (Art. 19) auch in Bayern rechtswirksam geworden sei. Da die Anwartschaft aus den vom Kläger vor dem 1. Januar 1924 entrichteten Beiträgen und den ihnen gleichstehenden Ersatzzeiten sonach als erhalten gelte, habe der Kläger zusammen mit den später geleisteten Beiträgen die Wartezeit für die Altersinvalidenrente erfüllt. Hiergegen wendet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrage, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie macht geltend, dem Art. 19 VereinfVO fehle die gesetzliche Grundlage, die VereinfVO habe auch zu den vorgesehenen Zeitpunkten (1. Mai bzw. 1. Juni 1945) nicht mehr in Kraft treten können, weil Bayern inzwischen von den Alliierten besetzt worden sei und diese nach Art. III der Proklamation der amerikanischen Militärregierung vom 19. September 1945 nur das zur Zeit der Besetzung bereits in Kraft befindliche Recht übernommen hätten. Im übrigen lasse das angefochtene Urteil die Feststellung vermissen, welcher Versicherungsfall - Alter oder Invalidität - zugrunde gelegt werde und seit wann der Kläger invalide sei.

Die Revision ist nicht begründet.

Das Berufungsgericht hat ohne erkennbaren Verfahrensverstoß festgestellt, daß der Kläger nicht vor dem 1. April 1945 invalide geworden ist. Im übrigen hat es nähere Feststellungen über den Zeitpunkt des Eintritts der Invalidität nicht getroffen. Dagegen sind Bedenken nicht zu erheben; denn der Rentenanspruch des Klägers ist ohne Rücksicht darauf begründet, wann er nach diesem Zeitpunkt invalide geworden ist.

Sollte der Kläger erst nach dem 31. Dezember 1948 invalide geworden sein, so würde die Anwartschaft aus den Beiträgen und Ersatzzeiten, die auf die Zeit bis zum 31. Dezember 1923 entfallen, gemäß § 4 Abs. 2 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes (SVAG) vom 17. Juni 1949 (WiGBl. S. 99) als erhalten gelten; denn sowohl der Versicherungsfall der Invalidität als auch der Versicherungsfall des Alters - für diesen kommt es allein auf den Zeitpunkt des (hier im Jahre 1951 gestellten) Rentenantrages an (Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 29. März 1956, 4 RJ 45/54) - wären dann nach dem in § 4 Abs. 2 SVAG genannten Stichtag (31. Dezember 1948) eingetreten. Sollte die Invalidität dagegen schon vor dem 1. Januar 1949 bestanden haben, so ist die Anwartschaft des Klägers aus den bis zum 31. Dezember 1923 entrichteten Beiträgen und den ihnen gleichstehenden Ersatzzeiten (§ 1263 Nr. 3 Reichsversicherungsordnung) gemäß Art. 19 VereinfVO erhalten.

Diese Bestimmung ist, wie der Senat in einer anderen, auch am 11. Juli 1956 verhandelten Sache (3 RJ 128/54) näher dargelegt hat, entgegen der Ansicht der Revision rechtsgültig zustandegekommen und auch in Bayern spätestens mit dem 7. September 1949 wirksam geworden. Da der Kläger die Voraussetzungen des Art. 19 VereinfVO - Eintritt des Versicherungsfalles nicht vor dem 1. April 1945 und Entrichtung mindestens eines Beitrages nach dem 31. Dezember 1923 - nach den tatsächlichen Feststellungen des Landessozialgerichts erfüllt, war die Revision der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Berufungsgerichts zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2180182

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