Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.01.1990; Aktenzeichen L 5 A 60/89)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. Januar 1990 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob der Kläger zur Nachentrichtung von Beiträgen in der Angestelltenversicherung berechtigt ist.

Der 1924 geborene Kläger war nach seinen Angaben bis September 1960 überwiegend als mithelfender Familienangehöriger, zeitweise aber auch als selbständiger Unternehmer in der Landwirtschaft tätig. Danach übte er eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Angestellter aus. Nachdem er diese Ende September 1986 aufgegeben hatte, war er bis zur Bewilligung von vorzeitigem Altersruhegeld im September 1989 arbeitslos und bezog ab Ende Dezember 1986 Arbeitslosengeld (Alg). Während seiner Arbeitslosigkeit beantragte er im März 1987 die Zulassung zur Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 50b und § 50c des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis 31. August 1960. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 16. Juni 1987). Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 1987 zurück.

Das Sozialgericht (SG) Mainz hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23. Juni 1989). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 25. Januar 1990): Der Kläger habe kein Recht zur Nachentrichtung, weil er bei Antragstellung nicht mehr versicherungspflichtig beschäftigt oder tätig gewesen sei. Bei ehemaligen landwirtschaftlichen Unternehmern müsse die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit zumindest bei der Antragstellung ausgeübt werden. Eine aktuelle versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit sei auch bei ehemaligen mitarbeitenden Familienangehörigen erforderlich. Arbeitslosigkeit könne dem nicht gleichgestellt werden. Dies sei allenfalls für Zeiten der Arbeitslosigkeit vom 1. Juli 1978 bis zum 31. Dezember 1982 möglich gewesen, für die nach § 2 Abs 1 Nr 12 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in der für diesen Zeitraum geltenden Fassung (aF) Versicherungspflicht mit Beitragspflicht in der Rentenversicherung bestanden habe. Die für die Zeiten der Arbeitslosigkeit des Klägers gemäß § 112a AVG entrichteten Beiträge seien dagegen keine derartigen Beiträge, sondern eine Art Ausgleichs- oder Ersatzzahlungen.

Der Kläger begründet seine Revision mit einer Verletzung des Art 2 § 50b Abs 1 Satz 2 Buchst b und § 50c Abs 1 AnVNG.

Er beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß der Kläger weder nach § 50b noch nach § 50c des Art 2 AnVNG (§ 52a und § 52b des Art 2 ArVNG) zur Nachentrichtung von Beiträgen berechtigt ist und der angefochtene Bescheid daher nicht rechtswidrig ist.

Ehemalige landwirtschaftliche Unternehmer iS des § 1 Abs 3 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) können nach näherer Maßgabe des Art 2 § 50b Abs 1 AnVNG für Zeiten nach dem 31. Dezember 1955 freiwillige Beiträge nachentrichten. Ein entsprechendes Nachentrichtungsrecht sieht Art 2 § 50c Abs 1 AnVNG für frühere mitarbeitende Familienangehörige vor.

Nach dem Gesetzeswortlaut hängt das Recht zur Nachentrichtung bei früheren landwirtschaftlichen Unternehmern ua davon ab, daß sie „eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben”, bei früheren mitarbeitenden Familienangehörigen ua davon, daß sie „seit mindestens 24 Kalendermonaten eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben”. Aus der Verwendung der Gegenwartsform ergibt sich, daß die versicherungspflichtige Beschäftigung bei Ausübung des Nachentrichtungsrechts verrichtet werden muß. Ob es dabei auf den Zeitpunkt der Antragstellung oder den der abschließenden Verwaltungsentscheidung ankommt, kann hier dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls wer – wie der Kläger – bei Stellung des Nachentrichtungsantrages und auch später keine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit mehr ausgeübt hat, erfüllt die genannte Voraussetzung nicht.

Der Sinn dieser Vorschriften, die mit Wirkung vom 1. Januar 1971 durch Art 2 § 2 des Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes (ASEG) vom 21. Dezember 1970 (BGBl I S 1774) eingefügt worden sind, gebietet keine über ihren Wortlaut hinausgehende Auslegung. Sie bezweckten nach dem Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung, „den Landwirten, die ihr landwirtschaftliches Unternehmen abgegeben haben und versicherungspflichtig tätig geworden sind, die Möglichkeit zu geben, eine ausreichende Alterssicherung zu schaffen” (vgl BT-Drucks VI/1384, I 2 S 2 und II Art 2 S 3 und 4). Mitarbeitende Familienangehörige in der Landwirtschaft sollten danach ebenfalls diese Möglichkeit erhalten, allerdings unter der Voraussetzung, daß sie seit mindestens 24 Kalendermonaten eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben (BT-Drucks VI/1384 aaO). Damit sollte dem Strukturwandel in der Landwirtschaft und der damit zusammenhängenden Tatsache Rechnung getragen werden, daß in den 60er und 70er Jahren immer mehr Landwirte mit Klein- und Mittelbetrieben ihre selbständige Erwerbstätigkeit aufgaben und – wie auch ihre mithelfenden Familienangehörigen – eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in anderen Wirtschaftsbereichen aufnahmen. Die bei diesem Personenkreis infolge des Berufswechsels typischerweise eingetretene Lücke in der sozialen Sicherung sollte durch die Nachentrichtung geschlossen werden können. Um dies zu erreichen, die Nachentrichtung aber andererseits diesem Ziel entsprechend zu beschränken, hat der Gesetzgeber sie nur für die rentenversicherungspflichtig Beschäftigten oder Tätigen vorgesehen. Damit wurde vor allem vermieden, daß auch Personen nachentrichtungsberechtigt wurden, die nach Aufgabe ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit als Unternehmer oder mithelfende Familienangehörige eine nicht versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufnahmen oder nicht mehr erwerbstätig waren.

Mit der Anknüpfung des Nachentrichtungsrechts an die gegenwärtige Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit sollte aber auch das von der Solidargemeinschaft zu tragende Versicherungsrisiko begrenzt werden. Würde man die Nachentrichtung nämlich für den genannten Personenkreis zeitlich unbeschränkt zulassen, ginge der nachentrichtungsberechtigte Versicherte mit einem Hinausschieben der Nachentrichtung ein Risiko nur für den plötzlichen Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ein, da die Nachentrichtung sich auf Renten aus bereits eingetretenen Versicherungsfällen nicht steigernd auswirkt (§ 141 Abs 1 AVG; § 1419 Abs 1 RVO). Dagegen ließe sich die Nachentrichtung hinsichtlich des Versicherungsfalls des Alters nahezu ohne jedes Risiko aufschieben. Wenn der Gesetzgeber bei Art 2 §§ 50b und 50c AnVNG zur Begrenzung des Versicherungsrisikos nicht – wie in anderen Fällen der außerordentlichen Nachentrichtung (zB Art 2 § 49a Abs 3 Satz 1 AnVNG, Art 2 § 51a Abs 3 Satz 1 ArVNG, § 10 Abs 1 Satz 4 WGSVG) -bestimmte Fristen für die Ausübung des Nachentrichtungsrechts gesetzt hat, liegt der Grund hierfür erkennbar darin, daß eine auf Dauer angelegte Regelung beabsichtigt war, die an die Umstände des Einzelfalls anknüpfte (Aufgabe der Tätigkeit in der Landwirtschaft). Von ihrer Funktion her kommt daher die Abhängigkeit der Nachentrichtung von einer bestehenden versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit einer Befristung von Nachentrichtungsrechten nahe.

Das Erfordernis der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit bei Ausübung des Nachentrichtungsrechts wird durch Arbeitslosigkeit mit Bezug von Alg, wie sie beim Kläger zur Zeit der Antragstellung und der Entscheidung über den Nachentrichtungsantrag im Jahre 1987 vorlag, nicht erfüllt. Während der Arbeitslosigkeit wird eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht ausgeübt. Der Umstand, daß auch ein Arbeitsloser noch zum Kreis der im Erwerbsleben stehenden Personen gehört, hat den Gesetzgeber nicht veranlaßt, in der Vergangenheit entweder im Rahmen der hier zu prüfenden Nachentrichtungstatbestände oder sogar allgemein in der Rentenversicherung die Arbeitslosigkeit (mit Leistungsbezug) der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gleichzustellen. Als die Nachentrichtungsregelungen eingeführt wurden, war die Zeit des Alg-Bezuges lediglich Ausfallzeit (§ 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AVG, § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 3 RVO damaliger Fassung). Später (von Juli 1978 bis Dezember 1982) begründete sie vorübergehend Versicherungspflicht. Zu der hier maßgebenden Zeit (1987) war sie wiederum Ausfallzeit, nunmehr allerdings mit Beitragsentrichtung durch die Bundesanstalt für Arbeit (§ 112a AVG; § 1385a RVO). Angesichts dieser wechselvollen Entwicklung hält sich der Senat nicht für befugt, im Wege der Anwendung geltenden Rechts beim Kläger die Zeit des Alg-Bezuges der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gleichzuachten. Das gilt umso mehr, als Nachentrichtungsvorschriften den Berechtigten außerordentliche Vorteile im Vergleich zu einer laufenden Beitragsentrichtung einräumen und daher als Ausnahmeregelungen eher eng auszulegen sind (BSGE 47, 207, 208 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 24). Die künftig geltende Neuregelung ist hier noch nicht anwendbar: Der Gesetzgeber verlangt in § 208 Abs 1 Satz 1 Nr 4 und Abs 3 Satz 1 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung -(SGB VI) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261), der am 1. Januar 1992 in Kraft tritt, für die Zeit der Antragstellung nur noch, daß Versicherungspflicht besteht, was nach Maßgabe des § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI auch beim Bezug von Alg der Fall sein wird.

Der Senat vermag sich nicht davon zu überzeugen, daß der zur Zeit noch geltende Ausschluß der Arbeitslosen von der Beitragsnachentrichtung wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz iVm dem Sozialstaatsprinzip (Art 3 Abs 1, Art 20 Abs 1 des Grundgesetzes) verfassungswidrig ist. Beim Bezug einer anderen Lohnersatzleistung als dem Alg, nämlich der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hat es das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu einer vergleichbaren Nachentrichtungsregelung (Art 2 § 27 AnVNG; Art 2 § 28 ArVNG: Nachentrichtung nach früherer Beitragserstattung wegen Heirat) mit Beschluß vom 12. Dezember 1973 (BVerfGE 36, 237 = SozR Nr 99 zu Art 3 GG) für vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, daß Versicherte von der Nachentrichtung ausgeschlossen sind, wenn sie eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausüben, weil sie erwerbsunfähig sind. Die dort angeführten Gründe sprechen auch für die Verfassungsmäßigkeit der hier anzuwendenden Vorschrift. Das gilt umso mehr, als die Arbeitslosigkeit häufiger als die Erwerbsunfähigkeit nur ein vorübergehender Zustand ist, nach dessen Ende mit der erneuten Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung auch das Recht zur Nachentrichtung wieder eintritt. Wenn das bei Versicherten wie dem Kläger nicht zutraf, weil die Arbeitslosigkeit am Ende des Erwerbslebens eingetreten war, so hatten solche Versicherte doch oft vorher eine längere versicherungspflichtige Beschäftigung aufzuweisen, während der sie hätten nachentrichten können. Beim Kläger war das zwischen der Einführung der Regelung ab 1971 und der Aufgabe der Beschäftigung im Jahre 1986 der Fall.

Versicherte wie der Kläger werden nicht ohne sachlichen Grund anders behandelt als der in Abs 1a des Art 2 § 50b AnVNG genannte Personenkreis der nach § 14 Abs 2 Satz 1 Buchst a oder b GAL von der Beitragspflicht befreiten landwirtschaftlichen Unternehmer, auf den allein sich auch die in Art 2 § 50b Abs 2 Satz 1 AnVNG enthaltene Formulierung „oder zuletzt versicherungspflichtig war” bezieht. Bei ihnen genügt allerdings, daß sie früher versicherungspflichtig waren. Wenn das Gesetz demnach die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit zur Zeit der Nachentrichtung nicht fordert, so beruht das auf Besonderheiten bei diesem Personenkreis, der einerseits eine (frühere) Beziehung zur Rentenversicherung aufzuweisen hat, andererseits weiterhin in der Landwirtschaft geblieben ist und eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit derzeit nicht ausübt. Bei diesem Personenkreis, der mit Einfügen des Abs 1a in den Art 2 § 50b AnVNG durch Art 3 § 2 Buchst b des 7. Änderungsgesetzes GAL vom 19. Dezember 1973 (BGBl I S 1937) mit Wirkung vom 1. Januar 1973 nachentrichtungsberechtigt geworden ist, handelt es sich nämlich einmal um (noch aktive) landwirtschaftliche Unternehmer, die vor der Befreiung von der Beitragspflicht nach dem GAL mindestens 60 Kalendermonate versicherungspflichtig in der Rentenversicherung waren (§ 14 Abs 2 Satz 1 Buchst a GAL), also typischerweise um Nebenerwerbslandwirte. Sind diese zeitweise wieder als Vollerwerbslandwirte tätig, so sind sie weder in der Rentenversicherung versicherungspflichtig, noch können sie wegen ihrer Befreiung nach § 14 GAL Beiträge zur Landwirtschaftlichen Alterskasse (LAK) entrichten.

Zum anderen fallen unter Art 2 § 50b Abs 1a AnVNG selbständige Handwerker, die in die Handwerksrolle eingetragen sind (§ 14 Abs 2 Satz 1 Buchst b GAL). Unter diesen sind solche, bei denen die für 216 Kalendermonate bestehende Versicherungspflicht aufgrund des § 1 des Handwerkerversicherungsgesetzes geendet hat und die zur LAK – wegen ihrer Befreiung – ebenfalls keine Beiträge mehr entrichten. Im übrigen wird künftig (ab 1. Januar 1992) auch für die hier behandelten Personengruppen von dem Erfordernis der aktuell bestehenden Versicherungspflicht nicht mehr abgesehen, weil § 208 Abs 2 SGB VI von der Geltung des § 208 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI keine Ausnahme vorsieht.

Die Revision des Klägers erwies sich mithin als unbegründet und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173060

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