Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungsfall Krankheit. Krankengeldanspruch nach dem Ende der Mitgliedschaft

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Krankengeldanspruch beruht auch dann auf dem während der Mitgliedschaft eingetretenen Versicherungsfall, wenn die bei ununterbrochener Behandlungsbedürftigkeit einsetzende AU erst nachher beginnt; der Anspruch auf Krankengeld kann deshalb nicht von den Voraussetzungen des RVO § 214 Abs 1 abhängig gemacht werden.

 

Normenkette

RVO § 214 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15, § 182 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. April 1964 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 26. Februar 1962 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger neben Krankenpflege auch Krankengeld für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung, nämlich vom 26. Juli bis zum 17. August 1958, zusteht.

Laut Bescheinigung des praktischen Arztes Dr. B in Füssen vom 26. Juli 1958 war der Kläger seit dem 26. Juli 1958 wegen Bandscheibenerkrankung arbeitsunfähig. Nach weiteren Zeugnissen dieses Arztes vom 7. August 1958 und 22. Januar 1962 hat die Bandscheibenerkrankung bereits während des Arbeitsverhältnisses bestanden. Nach dem vertrauensärztlichen Gutachten vom 11. August 1958 war der Kläger vom 18. August 1958 an wieder arbeitsfähig.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 13. August 1958 die Gewährung von Krankengeld ab, weil die Vorversicherungszeit gemäß § 214 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht vorgelegen habe. Der Widerspruch des Klägers wurde am 5. Mai 1959 zurückgewiesen.

Der Kläger hat in seiner Klage vorgetragen, seine Erkrankung habe schon während seines Arbeitsverhältnisses bestanden, er habe am 23. Juli 1958 bei der Beklagten wegen Aushändigung eines Krankenscheines vorgesprochen, diesen aber nicht erhalten, weil er noch nicht angemeldet gewesen sei. Am 24. und 25. Juli 1958 habe er wegen Hochbetriebs bei seinem Arbeitgeber nicht weggehen können, am 26. Juli habe ihn Dr. B sofort ins Krankenhaus eingewiesen.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 26. Februar 1962 die Beklagte verurteilt, dem Kläger vom 26. Juli bis zum 17. August 1958 Krankenhilfe zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG dahingehend abgeändert, daß die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 26. Juli bis zum 17. August 1958 nur Krankenpflege zu gewähren habe (Urteil vom 29. April 1964). Zur Begründung hat es ausgeführt, am Tage der Feststellung der Erkrankung, dem 26. Juli 1958, sei der Kläger nicht mehr bei der Beklagten versichert gewesen, weil seine Mitgliedschaft mit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses am 25. Juli 1958 erloschen gewesen sei. Er habe daher nur einen Anspruch auf Krankenpflege, da die Erkrankung noch während der Versicherungszeit, nämlich am 23. Juli 1958, eingetreten sei. Ihm stehe aber kein Krankengeld zu, weil er erst am 26. Juli 1958 arbeitsunfähig geworden sei. Der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit sei zwar kein selbständiger Versicherungsfall, sondern nur eine der Erscheinungsformen, in denen sich die den Versicherungsfall auslösende Krankheit äußern könne. Die verschiedenen Ansprüche des Versicherten, die nach Eintritt des Versicherungsfalles während des Verlaufs der Krankheit entstehen könnten, seien nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Versicherungsfalles nur ihrem Rechtsgrund nach, nicht auch der Art und Höhe nach, auf den Eintritt der Krankheit zurückbezogen. Die rechtliche Abhängigkeit der verschiedenen Leistungen von demselben Versicherungsfall schließe daher nicht aus, daß für den Anspruch auf Krankengeld die Verhältnisse maßgebend seien, die im Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit vorliegen würden. Da die Gewährung von Krankengeld Arbeitsunfähigkeit voraussetze, diese Voraussetzung beim Kläger aber erst eingetreten sei, als er nicht mehr Mitglied der Beklagten gewesen sei, stehe ihm ein Anspruch auf Krankengeld nicht zu. Dieses Ergebnis entspreche auch der Lohnersatzfunktion des Krankengeldes; denn der Kläger habe nach seinem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis keinen Lohnanspruch mehr gehabt. Auch ein Anspruch auf Krankengeld nach § 214 RVO sei nicht gegeben. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Er trägt vor, am 23. Juli 1958 sei er nicht nur behandlungsbedürftig, sondern schon arbeitsunfähig gewesen. Das LSG habe insoweit das Beweisergebnis nicht richtig gewürdigt und damit gegen § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen, insbesondere habe es die ärztlichen Stellungnahmen aus dem Sinnzusammenhang heraus verwertet. Zumindest sei das LSG verpflichtet gewesen, den Sachverhalt noch weiter aufzuklären (§ 103 SGG).

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen LSG vom 29. April 1964 die Beklagte entsprechend dem Urteil des SG Augsburg vom 26. Februar 1962 zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 13. August 1958 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Mai 1959 für die Zeit vom 26. Juli bis 17. August 1958 Krankenhilfe - Krankenpflege und Krankengeld - zu gewähren,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision ist begründet.

Streitig ist, ob der Kläger Krankengeld für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit vom 26. Juli bis zum 17. August 1958 fordern kann. Dies ist zu bejahen. Dabei kann dahinstehen, ob die Arbeitsunfähigkeit bereits am 23. wie der Kläger behauptet, oder erst am 26. Juli 1958, nach dem Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Tätigkeit, eingetreten ist, wie das LSG festgestellt hat. Denn auch wenn die Arbeitsunfähigkeit erst zu dem letztgenannten Zeitpunkt eingetreten ist, bestehen Ansprüche auf Krankengeld für die genannte Zeit. Das Reichsversicherungsamt (RVA) hat bereits in seiner Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 5545 vom 25. November 1943 (AN 1944 S. 38) ausgesprochen, ein Anspruch auf Krankengeld bestehe, wenn ein Kassenmitglied behandlungsbedürftig erkrankt sei, die Arbeitsunfähigkeit jedoch erst nach dem Ausscheiden aus der Versicherung und nach dem Ablauf der Dreiwochenfrist des § 214 RVO, aber noch während des Anspruchs auf Krankenpflege eingetreten sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, wenn die Erkrankung einmal den Unterstützungsfall ausgelöst habe, so sei bis zu dessen Ablauf die Grundvoraussetzung für den Eintritt der im Gesetz als Krankenhilfe vorgesehenen Leistungen gesetzt, und zwar auch dann, wenn der Zustand sich erst allmählich zur Arbeitsunfähigkeit gesteigert habe, die den Krankengeldanspruch auslöse. Es genüge, daß die Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Erkrankung auftrete, die die Behandlungsbedürftigkeit hervorgerufen habe. In einer weiteren Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 5582 vom 15. September 1944 (AN 1944 S. 286) hat das RVA unter Bezugnahme auf die Grundsätzliche Entscheidung Nr. 5545 ausgesprochen, diese Grundsätze gelten auch, wenn die Erkrankung während der Dreiwochenfrist des § 214 RVO aufgetreten sei. Diesen Gedankengängen hat sich der erkennende Senat angeschlossen.

Er hat bereits in BSG 16, 117 entschieden, daß die Neuregelung über die grundsätzlich unbegrenzte Gewährung von Krankengeld auch für Versicherte gelte, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Leistungsverbesserungsgesetzes mit Krankengeld bereits ausgesteuert gewesen seien, sofern die Krankheit in diesem Zeitpunkt noch ununterbrochen angedauert habe. Der Anspruch auf Krankengeld dürfe nicht aus seiner engen Beziehung zum Versicherungsfall der Krankheit gelöst und in dem Sinne verselbständigt werden, daß nunmehr ein Arbeitsunfähigkeitsfall eingetreten sei, der den Anspruch auf Krankengeld als selbständigen Anspruch auslöse und nicht mehr als Bestandteil der Krankenhilfe aufzufassen sei. Vielmehr sei die Arbeitsunfähigkeit gleich der Behandlungsbedürftigkeit nach wie vor nur eine der Erscheinungsformen, in denen sich die den Versicherungsfall auslösende Krankheit äußern könne. Wo immer das Gesetz im Bereich der Krankenversicherung auf den Eintritt des Versicherungsfalles als Anspruchsgrundlage verweise, da sei die Erkrankung gemeint, die den Versicherungsfall ausgelöst habe. Zu demselben Ergebnis ist der Senat auch in seinem neuerlichen Urteil vom 25. Mai 1966 - 3 RK 8/63 - gekommen. Auch hier hat er einen Anspruch auf Krankengeld bejaht, obwohl die Arbeitsunfähigkeit erst nach Beendigung des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses eingetreten war und im wesentlichen auf anderen Krankheiten beruhte, als sie zu Beginn der Behandlungsbedürftigkeit bestanden haben. Es ist hier als entscheidend angesehen worden, daß der für den Anspruch maßgebende Versicherungsfall bereits während der versicherungspflichtigen Beschäftigung eingetreten war und bei Einsetzen der Arbeitsunfähigkeit noch angedauert hat.

Weil im vorliegenden Fall die Behandlungsbedürftigkeit bereits am 23. Juli 1958, also noch während des Bestehens des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses eingetreten ist, besteht der Anspruch auf Krankengeld für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit vom 26. Juli bis 17. August 1958, auch wenn beim Eintritt der Arbeitsunfähigkeit die versicherungspflichtige Beschäftigung nicht mehr bestanden hat. Dem Kläger steht deshalb für die Zeit nicht nur Krankenpflege, sondern auch Krankengeld zu.

Auf die Revision des Klägers war daher das Urteil des Bayerischen LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Augsburg zurückzuweisen, das für die streitige Zeit auch Krankengeld zugesprochen hat.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2129537

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