Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung des Rückforderungsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
Zur Verwirkung des Rückforderungsanspruchs aus KOV-VfG § 47 Abs 3 S 2 Buchst a (Fassung: 1960-06-27) - jetzt: KOV-VfG § 47 Abs 1 Nr 2 Buchst a - bei einer unangemessen langen Bearbeitungszeit (hier: 8 Jahre) trotz Kenntnis der für die Rückforderung maßgebenden Tatsachen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein arglistig Handelnder kann grundsätzlich keinen Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen. Entsteht aber durch unvertretbares langes Untätigsein der Verwaltung (- hier 8 Jahre -) ein unangemessen hoher Rückforderungsbetrag, dessen Tilgung zu zusätzlichen, seitlich kaum absehbaren Belastungen für den rückzahlungspflichtigen Versorgungsempfänger führen muß und der seine wirtschaftliche Existenz vernichten kann, dann ist der Rückforderungsanspruch verwirkt.
2. Der erkennende Senat hat bereits entschieden, daß für den Rückforderungsanspruch der Versorgungsverwaltung eine aus BGB § 197 abzuleitende Verjährungsfrist von 4 Jahren nicht gilt (vergleiche BSG 1964-04-17 10 RV 1299/61 = BSGE 21, 27). Eine solche Frist folgt auch nicht aus SGB 1 § 45, weil es sich hier nicht um von der Versorgungsbehörde geleistete Vorschüsse handelt. Für Rückforderungsansprüche gilt vielmehr die 30jährige Verjährung.
Normenkette
KOVVfG § 41 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-06-27, § 47 Abs. 3 S. 2 Buchst. a Fassung: 1960-06-27, Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a Fassung: 1973-06-09; BGB § 197; SGB 1 § 45
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Juni 1975 geändert. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 31. Mai 1974 wird insoweit zurückgewiesen, als sie die Rückzahlung der vor dem 1. Januar 1966 an den Kläger überzahlten Versorgungsbezüge betrifft.
Im übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
Der im Jahre 1922 geborene Kläger beantragte im Mai 1947 Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Herzleiden, Detonations-Gehörschaden und einer bei einem Unfall auf einem Minensuchboot erlittenen schweren Verletzung der linken Hand. Die Landesversicherungsanstalt (LVA) W, der damals noch keine Lazarett- oder sonstigen Unterlagen über den Kläger vorlagen, erkannte durch Bescheid vom 19. November 1948 einen Herzklappenfehler, eine Teillähmung der linken Hand nach Nervenlähmung und eine mäßige Schwerhörigkeit beiderseits als Schädigungsfolgen nach dem BVG mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v. H. an, die durch den Beschwerdeausschuß auf 70 v. H. heraufgesetzt wurde. Durch Umanerkennungsbescheid des Versorgungsamts (VersorgA) B vom 17. Dezember 1951 wurden die anerkannten Schädigungsfolgen mit einer MdE um 70 v. H. übernommen. Im Widerspruchsbescheid wurde die MdE wegen eines aus der Handschädigung folgenden besonderen beruflichen Betroffenseins des Klägers in seinem Beruf als Sattler und Polsterer auf 80 v. H. heraufgesetzt (Ausführungsbescheid vom 20. August 1954).
Im Mai 1961 gingen dem VersorgA B verschiedene Wehrmachts- und Krankenbuchunterlagen über den Kläger zu, aus denen sich ergab, daß der Kläger die Handverletzung auf einer außerdienstlichen Eisenbahnfahrt davongetragen hatte. Nachdem das VersorgA im Mai 1969 weitere Unterlagen von der Deutschen Dienststelle erhalten hatte, hörte es den Kläger am 17. Juli 1969 persönlich an. Mit Zustimmung des Landesversorgungsamts (LVersorgA) erteilte das VersorgA am 17. März 1970 einen Berichtigungsbescheid nach § 41 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG-KOV). Darin erkannte es die Gesundheitsstörungen an der linken Hand nicht mehr als Schädigungsfolgen an und lehnte auch die darauf beruhende Erhöhung der MdE wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins ab; die MdE des Klägers wurde rückwirkend auf 40 v. H. festgesetzt. Außerdem forderte das VersorgA die in der Zeit vom 1. August 1947 bis 30. April 1970 zu Unrecht empfangenen Leistungen nach § 47 Abs. 3 VerwVG vom Kläger zurück und kündigte gleichzeitig deren Bezifferung in einem späteren Bescheid an. Der Widerspruch war vergeblich (Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 1970).
Während des Klageverfahrens erging am 21. Mai 1971 der angekündigte Ergänzungsbescheid, in dem die Höhe der vom Kläger zu Unrecht empfangenen und zu erstattenden Leistungen mit 84.162,26 DM errechnet wurde. Das Sozialgericht (SG) Detmold hat durch Urteil vom 31. Mai 1974 den Beklagten verurteilt, dem Kläger Versorgungsbezüge nach einer MdE um 50 v. H. zu zahlen und nur die in der Zeit ab 1. Januar 1967 überzahlten Versorgungsbezüge zurückzufordern: Der Gehörschaden sei mit 20 v. H. (statt bisher 10 v. H.) zu bemessen; die nach § 47 Abs. 3 Buchst. a) VerwVG grundsätzlich gegebene Rückzahlungspflicht sei für die Zeit bis zum 31. Dezember 1966 verjährt, weil hier die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entsprechend anzuwenden sei.
Gegen dieses Urteil haben beide Beteiligten Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 12. Juni 1975 die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG abgeändert und die Klage auch insoweit abgewiesen, als sie die Rückforderung der Leistungen aus der Zeit vor dem 1. Januar 1967 betrifft. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, die früheren Bescheide hätten für die Zeit ab 1. April 1955 nach § 41 VerwVG und für die Zeit davor nach Maßgabe der Grundsätze des Allgemeinen Verwaltungsrechts zurückgenommen oder berichtigt werden können, weil sie tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen seien. Für den Senat stehe einwandfrei fest, daß der Kläger die Verletzungen an der linken Hand auf einer versorgungsrechtlich nicht geschützten Eisenbahnfahrt während eines Urlaubs erlitten habe. Das Recht des Beklagten zur rückwirkenden Berichtigung der früheren Anerkennungsbescheide sei nicht verwirkt. Der Beklagte habe zwar nach Eingang der Unterlagen des Krankenbuchlagers mehr als acht Jahre vergehen lassen, bevor er die hieraus gebotenen Folgerungen gezogen habe. Der reine Zeitablauf reiche aber für die Verwirkung des Berichtigungsrechts nicht aus. Der Kläger habe, weil ihm von der Beiziehung der Krankenpapiere im Jahre 1961 nichts bekannt gewesen sei, zu keiner Zeit darauf vertrauen dürfen, daß eine Berichtigung der früheren Bescheide unterbleiben und der Beklagte keine Rückforderungsansprüche erheben werde. Andererseits habe der Kläger sein doloses Verhalten bis zuletzt fortgesetzt und dem Beklagten keine Möglichkeit gegeben, seinen Irrtum zu erkennen.
Entgegen der Auffassung des SG sei auch der Rückforderungsanspruch weder ganz noch teilweise verjährt oder verwirkt. Für ihn gelte weder eine 3- oder 4-jährige, sondern eine 30-jährige Verjährungsfrist. An die Verwirkung eines aus § 47 Abs. 3 VerwVG wegen dolosen Verhaltens des Leistungsempfängers begründeten Rückforderungsanspruchs seien strenge Anforderungen zu stellen. Wer selbst schuldhaft handele, könne der Versorgungsverwaltung eine verspätete Geltendmachung ihrer Rechte nicht entgegenhalten.
Das LSG hat die Revision nur hinsichtlich des Rückforderungsanspruchs zugelassen.
Der Kläger hat in diesem Rahmen Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 27. Oktober 1975 am 30. September 1975 begründet.
Er rügt die Verletzung von § 47 VerwVG und der allgemeinen Rechtsgrundsätze der Verwirkung. Bei zutreffender Rechtsanwendung hätte das LSG zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß der Beklagte die Rückforderung der mehr als drei bzw. vier Jahre zurückliegenden Versorgungsbezüge verwirkt habe. Der Beklagte habe bereits im Jahre 1961 die Krankenpapiere des Klägers erhalten und über zehn Jahre verstreichen lassen, bevor er die bezifferte Rückforderung vorgenommen habe. Dieser ungewöhnlich lange Zeitraum könne dem Kläger nicht angelastet werden. Zumindest ab 1961 beruhe die Auszahlung der überhöhten Versorgungsbezüge allein auf dem fehlerhaften Verhalten des Beklagten; andernfalls wäre die Rückforderung wesentlich geringer ausgefallen. Der Kläger habe sich auf den Bezug der ihm gewährten Versorgungsleistungen eingestellt. Im Vertrauen darauf habe er in der Vergangenheit keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet und könne daher nur eine geringe Rente erwarten.
Der Kläger beantragt,
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1. |
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das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Juni 1975 insoweit aufzuheben, als es der Berufung des Beklagten entsprochen hat und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Detmold vom 31. Mai 1974 zurückzuweisen; |
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2. |
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hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und entsprechender Abänderung des Klageurteils den Beklagten zu verurteilen, von einer Rückforderung der in der Zeit vor dem 1. Januar 1966 überzahlten Versorgungsbezüge abzusehen; |
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3. |
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den Beklagten ferner zu verurteilen, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten; |
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4. |
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hilfsweise, das angefochtene Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen aufzuheben, soweit es über den Rückforderungsanspruch entschieden hat, und die Sache in diesem Umfange zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, sowie die Kostenentscheidung dem abschließenden Urteil vorzubehalten. |
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beklagte meint, er dürfe vom Kläger alle zu Unrecht gewährten Versorgungsleistungen vom 1. August 1947 an zurückfordern. Das Rückforderungsrecht sei weder verjährt noch verwirkt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) (vgl. BSGE 35, 91) sei ein Recht grundsätzlich als verwirkt anzusehen, wenn der Berechtigte während einer längeren Zeitspanne dem Verpflichteten gegenüber untätig geblieben ist und besondere Umstände hinzugetreten sind, auf Grund derer sein Verhalten als Verstoß gegen Treu und Glauben empfunden werde. Solche besonderen Umstände seien im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Kläger habe erst im Jahre 1969 erfahren, daß der Beklagte Krankenunterlagen über ihn erhalten habe. Der Kläger habe sich demnach auf ein etwaiges Unterbleiben der Rückforderung nicht einrichten und keine entsprechenden Maßnahmen für seine Lebensführung treffen können. Er habe auch seinen Lebensunterhalt nicht ausschließlich aus den Renteneinkünften bestritten.
Beide Parteien sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die vom LSG zugelassene Revision ist vom Kläger form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 160 Abs. 1, 164, 166, 169 SGG). Sie ist im Sinne des ersten Hilfsantrags begründet.
Das LSG hat die Revision nur wegen des Rückforderungsanspruchs zugelassen; der Kläger hat nur in diesem Umfang Revision eingelegt. Daher ist rechtskräftig und bindend darüber entschieden, daß die früheren Bescheide des Beklagten zum Teil unrichtig waren und nach § 41 VerwVG-KOV berichtigt werden konnten, und daß dem Kläger statt einer Versorgung nach einer MdE um 80 v. H. nur eine solche nach einer MdE um 50 v. H. zusteht. Der Kläger hat auch die Feststellung des LSG nicht angegriffen, daß die seinerzeitige Anerkennung und Berentung der Verletzung der linken Hand auf Grund wissentlich falscher Angaben durch den Kläger erfolgt ist. Daraus folgt zugleich, daß der Beklagte zu einer Rückforderung nach § 47 Abs. 3 Buchst. a) VerwVG-KOV (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem 7. Anpassungsgesetz - 7. AnpG-KOV - vom 9. Juni 1975, BGBl I S. 1321) dem Grunde nach berechtigt ist. Da sich der Kläger nach seinem Revisionsantrag und Revisionsvorbringen nicht gegen das Urteil des LSG wendet, soweit dieses die vom SG ausgesprochene Rückzahlungsverpflichtung bestätigt hat, steht weiter fest, daß der Kläger die in der Zeit ab 1. Januar 1967 überzahlten Versorgungsbezüge zurückerstatten muß. Im Streit ist daher nur noch der Rückforderungsanspruch des Beklagten für die Zeit vor dem 1. Januar 1967.
Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß eine Verjährung des Rückforderungsanspruchs nicht eingetreten ist. Der 8. Senat des BSG hat zwar in seinem Urteil vom 18. August 1966 (vgl. KOV 1967 S. 46) ausgesprochen, daß der Rückforderungsanspruch aus § 47 Abs. 3 Buchst. a) BVG in entsprechender Anwendung des § 852 BGB in drei Jahren verjährt. Diese Auffassung hat der 8. Senat jedoch in seinem Urteil vom 26. November 1968 (vgl. SozR VerwVG § 47 Nr. 25) aufgegeben, weil es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung, sondern um eine Rechtsfolge aus dem Institut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs handele (vgl. auch BSG SozR aaO Nr. 24). Der erkennende Senat hat bereits entschieden (vgl. BSGE 21, 27), daß für den Rückforderungsanspruch der Versorgungsverwaltung eine aus § 197 BGB abzuleitende Verjährungsfrist von 4 Jahren nicht gilt (vgl. auch Schneider-Danwitz, Die Rentenversicherung 1967 S. 7). Eine solche Frist folgt auch nicht aus Art. I § 45 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB - AT), weil es sich hier nicht um von der Verwaltungsbehörde geleistete Vorschüsse handelt. Die danach in Betracht kommende Verjährungsfrist von 30 Jahren ist bei Erlaß des Berichtigungs- und Rückforderungsbescheides vom 17. März 1970 noch nicht abgelaufen gewesen. Von dieser Rechtslage geht offenbar auch der Kläger aus (vgl. Ziff. 1 der Revisionsbegründung).
Entgegen der Auffassung des LSG kann jedoch eine Verwirkung des Rückforderungsanspruchs nicht für den gesamten streitigen Zeitraum verneint werden. Das LSG hat alle die Voraussetzungen zusammengetragen, die in Urteilen des BSG für die Verwirkung aufgezählt sind. Dabei hat das LSG jedoch übersehen, daß diese Voraussetzungen nicht immer kumulativ vorliegen müssen. Das BSG hat stets betont, daß den Besonderheiten des konkreten Einzelfalles auf dem hierfür zuständigen Rechtsgebiet ausschlaggebende Bedeutung zukommt (vgl. BSGE 35, 91, 95; Urteil des erkennenden Senats vom 10. Juni 1976 - 10 RV 203/75 - mit weiteren Nachweisen). Ferner muß zwischen der Verwirkung des Berichtigungsrechts nach § 41 VerwVG-KOV und der Verwirkung des Rückforderungsanspruchs (insbesondere nach § 47 Abs. 2 und 3 VerwVG-KOV) unterschieden werden. Die Berichtigung bezieht sich zwar auf die früher erteilten Bescheide und greift somit in die Vergangenheit; sie äußert ihre Wirkungen aber auch für die Zukunft, weil vermieden werden soll, daß unter Umständen auf unabsehbare Zeit öffentliche Leistungen zu Unrecht gewährt und bezogen werden (vgl. auch § 48 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VerwVfG - vom 25. Mai 1976, BGBl I S. 1253). Dagegen hat die Rückforderung immer nur einen vergangenheitsbezogenen Effekt, wobei - unabhängig von § 47 Abs. 4 VerwVG-KOV - auch die soziale und wirtschaftliche Komponente nicht außer Betracht bleiben darf. Die Kriegsopfer gehören überwiegend zu den wenig begüterten Volksschichten; die bezogenen Versorgungsleistungen werden von ihnen regelmäßig - insbesondere wenn es sich um einkommensabhängige Leistungen handelt - zum Lebensunterhalt verwendet und daher verbraucht sein.
Für Rückforderungsansprüche nach § 47 Abs. 2 VerwVG-KOV hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 17. April 1964 (vgl. BSGE 21, 27, 32) ausgesprochen, daß es eine unzulässige Rechtsausübung darstellt, wenn die Versorgungsbehörde sie für einen Zeitraum geltend macht, der mehr als vier Jahre seit Beginn des Jahres zurückliegt, in dem der Rückforderungsbescheid ergangen ist. In seinem Urteil vom 14. März 1975 (10 RV 341/74) hat der Senat erneut darauf hingewiesen, daß die Frist von vier Jahren deshalb angenommen worden ist, weil rückständige Rentenansprüche des Versorgungsberechtigten in entsprechender Anwendung des § 197 BGB in vier Jahren verjähren (vgl. BSGE 19, 88; KOV 1967 S. 124; KOV 1969 S. 60; SozR 3900 VerwVG § 47 Nr. 3; s. jetzt auch § 45 Abs. 1 SGB-AT).
Der Senat verkennt nicht, daß im vorliegenden Fall der Rückforderungsanspruch nicht auf Abs. 2, sondern auf Abs. 3 des § 47 VerwVG-KOV (a. F.) beruht, weil der Kläger nach den Feststellungen des LSG insoweit wissentlich falsche Angaben gemacht hatte. Daraus allein kann jedoch nicht gefolgert werden, daß die Rückforderung für den gesamten strittigen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren (von 1947 bis April 1970) uneingeschränkt zulässig sein muß. Das Versorgungsrechtsverhältnis erschöpft sich nicht nur in der Gewährung der Versorgungsbezüge, sondern ist in besonderem Maße dadurch gekennzeichnet, daß eine Betreuungs- und Fürsorgepflicht der Versorgungsverwaltung gegenüber den Kriegsopfern begründet wird. Diese Fürsorgepflicht besteht jedenfalls auch dann, wenn - wie hier - nur ein Teil des Versorgungsanspruchs erschlichen ist und im übrigen die Versorgungsbezüge zu Recht bezogen werden. Das BSG hat bereits wiederholt entschieden, daß auch ein arglistig handelnder Versorgungsberechtigter einen Anspruch darauf hat, daß die Verwaltungsbehörde über den gegen ihn zu erhebenden Rückforderungsanspruch in angemessener Zeit entscheidet (vgl. Urteil vom 26. November 1968, KOV 1969 S. 60), und daß es eine unzulässige Rechtsausübung darstellen kann, wenn sich die Verwaltungsbehörde die Kenntnis, daß ihr ein Rückforderungsanspruch zugestanden hat, schon früher hätte verschaffen können und müssen, gleichwohl aber über lange Zeiträume untätig geblieben ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Verwaltungsbehörde die Kenntnis von dem Rückforderungsanspruch zwar noch nicht direkt vermittelt, aber doch "greifbar nahe gebracht" war (vgl. Urteil BSG vom 7. August 1969 - 8 RV 71/68 -). Daß die Versorgungsverwaltung nach dem Willen des Gesetzgebers auch gegenüber dem dolos Handelnden eine "Pflicht zum Tätigwerden" trifft, wird im übrigen durch § 43 Abs. 2 VerwVG-KOV bestätigt.
Im vorliegenden Fall hat die Versorgungsverwaltung die entscheidenden Krankenunterlagen, aus denen hervorgeht, daß der Kläger die schwere Verletzung der linken Hand bei einem "außerdienstlichen" Unfall erlitten hat, im Mai 1961 erhalten (vgl. insbesondere Bd. II Bl. 26 und 28 der Vers. Akten). Den von der Deutschen Dienststelle im Juni 1969 übersandten Unterlagen, die sich hauptsächlich auf die Gefangenschaft des Klägers beziehen, ist darüber nichts zu entnehmen. Der Versorgungsverwaltung war also die Kenntnis der für den Rückforderungsanspruch wesentlichen Tatsachen bereits im Mai 1961 zumindest insoweit vermittelt, daß sie umgehend tätig werden mußte. Das wird im übrigen auch durch den Aktenvermerk vom 7. Mai 1969 (vgl. Bd. III Bl. 110 der Vers. Akten) bestätigt. Ein Zeitraum von acht Jahren überschreitet jedes vertretbare Maß; das darf nicht auf dem Rücken des Versorgungsberechtigten ausgeglichen werden. Obwohl ein dolos Handelnder grundsätzlich keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen kann, ist hier durch das unvertretbar lange Untätigsein der Verwaltung jedenfalls ein unangemessen hoher Rückforderungsbetrag aufgelaufen, dessen Tilgung zu zusätzlichen, zeitlich kaum absehbaren Belastungen für den rückzahlungspflichtigen Kläger führen muß und der die wirtschaftliche Existenz des in bescheidenen Verhältnissen lebenden Klägers vernichten kann (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 10. Juni 1976 - 10 RV 203/75 -). Das Rechtsinstitut der Verwirkung soll aber gerade dazu dienen, daß derartige, als äußerst unbillig anzusehende Ergebnisse, die durch die verspätete Geltendmachung bestehender Rechte entstehen, vermieden werden. Unter Würdigung der Gesamtumstände kann daher ein vollständiger, bis auf das Jahr 1947 zurückgreifender Rückforderungsanspruch des Beklagten nicht gebilligt werden.
Der Senat hat erwogen, den Rückforderungsanspruch in anderer Weise als durch einen Vierjahreszeitraum zu begrenzen. Der bezifferte Ergänzungsbescheid (Rückforderungsbescheid) vom 21. Mai 1971 (vgl. Bd. III Bl. 182 der Vers. Akten) zeigt jedoch, daß der weitaus größte Teil der Versorgungsbezüge (mehr als zwei Drittel) in dem Zeitraum seit Mitte 1961 und fast die Hälfte seit dem 1. Januar 1966 gezahlt worden ist. Daher hat der Senat den auch sonst üblichen Zeitraum von vier Jahren als rechtens angesehen. Maßgebend für die Berechnung des Vierjahreszeitraums ist dabei der Berichtigungs- und Rückforderungsbescheid vom 17. März 1970. In diesem Bescheid hat der Beklagte unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er die nach der Berichtigung seiner früheren Bescheide zu Unrecht gezahlten Versorgungsbezüge zurückfordern wird. Der Bescheid vom 21. Mai 1971 enthält nur die rechnerische Feststellung der bereits früher dem Grunde nach festgesetzten Rückforderung und kann daher nicht als Ausgangspunkt für die zeitliche Begrenzung der Rückzahlungsverpflichtung des Klägers dienen. Das bedeutet im Ergebnis, daß der Rückforderungsanspruch des Beklagten auf die Zeit seit dem 1. Januar 1966 zu begrenzen ist. Für die weiter zurückliegende Zeit kann sich der Kläger mit Erfolg auf Verwirkung berufen. Insoweit ist seine Revision begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen