Entscheidungsstichwort (Thema)
Schülerunfallversicherung
Leitsatz (redaktionell)
In Nordrhein-Westfalen ist die Gemeinde als Sachkostenträger zugleich auch der Träger der Unfallversicherung für Schüler an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. a Fassung: 1971-03-18, § 657 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Januar 1973 wird zurückgewiesen.
Gründe
I
Der beklagte Gemeindeunfallversicherungsverband (GUV) hält sich für den nach § 657 Abs. 1 Nr. 5 iVm § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. b (idF des Gesetzes über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten von 18. März 1971 - BGBl I 237 -) zuständigen Träger der Unfallversicherung (UV) für Schüler öffentlicher allgemeinbildender Schulen, da die Sachkosten dieser Schule von den zu seinen Mitgliedern gehörenden Gemeinden oder Gemeindeverbänden zu tragen seien. Durch Bescheid vom 15. Juni 1971 zog er die klagende Gemeinde (kreisfreie Stadt) "aus Anlaß der Übernahme der gesetzlichen Schülerunfallversicherung" zur Nachtragsumlage für die Zeit vom 1. April bis 31. Dezember 1971 heran und forderte die Zahlung von 93.447,--DM. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 15. September 1971).
Mit der Klage hat die Klägerin die Aufhebung des Bescheides und des Widerspruchsbescheides mit der Begründung beantragt, sie sei nicht die beitragspflichtige Unternehmerin und der Beklagte nicht der zuständige Versicherungsträger; das Land Nordrhein-Westfalen als Träger der Schulhoheit, das die überwiegenden Kosten für die allgemeinbildenden Schulen (Personalkosten, Zuschüsse für den Bau und die laufende Unterhaltung der Schulen) zahle und den Schulbetrieb rechtlich und tatsächlich bestimme, sei Träger der Versicherung und habe auch die Kosten der Schülerunfallversicherung zu tragen.
Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat durch Urteil vom 6. Juni 1972 die Klage abgewiesen. Es ist der Auffassung, die Zuständigkeit des Versicherungsträgers bestimme sich nach dem Sachkostenträger, die Klägerin sei daher mit Recht von dem Beklagten zur Nachtragsumlage herangezogen worden.
Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Beiladung des Landes Nordrhein-Westfalen die Berufung durch Urteil vom 10. Januar 1973 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Entscheidung, ob der Beklagte oder der Beigeladene zuständiger Versicherungsträger sei, hänge davon ab, auf wessen Kosten im Land Nordrhein-Westfalen die allgemeinbildenden Schulen betrieben werden (§§ 657 Abs. 1 Nr. 5, 655 Abs. 1 iVm 653 Abs. 1 Nr. 5 Reichsversicherungsordnung -RVO-). Kosten i.S. der §§ 657 Abs. 1 Nr. 5, 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO seien die Sachkosten, wie sich aus der geschichtlichen Entwicklung dieser Vorschriften und aus dem erkennbar gewordenen Willen des Gesetzgebers ergebe. Der Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 23. Oktober 1943 (AN 471) habe rechtsetzend festgestellt, daß sich die Zugehörigkeit der nach § 537 Nr. 11 RVO aF Versicherten nach den Träger der unterrichtlichen Veranstaltung (Sachkostenträger) bestimme. An diese Rechtslage habe der Gesetzgeber des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) angeknüpft und in Fortführung der bisherigen Zuständigkeitsregelung für die Fälle des § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO in §§ 657 Abs. 1 Nr. 5, 655 Abs. 1, 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO vorgeschrieben, daß der Kostenträger - nämlich der Sachkostenträger - der hierfür zuständige Versicherungsträger sein solle. Diese Rechtslage habe der Gesetzgeber durch die Einbeziehung der Schüler in die gesetzliche UV nicht ändern wollen, wie aus der amtlichen Begründung zum Gesetzentwurf der UV für Schüler und Studenten (BT-Drucks. VI/1333) hervorgehe. Im Land Nordrhein-Westfalen seien nach §§ 2, 8, 10 des Schulverwaltungsgesetzes vom 3. Juni 1958 (GV NW 223) die Gemeinden und in bestimmten Fällen die Gemeindeverbände die Schulträger für öffentliche allgemeinbildende Schulen. Nach § 2 des Gesetzes über die Finanzierung der öffentlichen Schulen (Schulfinanzgesetz) vom 17. April 1970 (GV NW 288) trage die Sachausgaben der öffentlichen Schulen der Schulträger und damit die Klägerin für ihre öffentlichen allgemeinbildenden Schulen. Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 des Schulfinanzgesetzes, daß zu den Sachausgaben die "Kosten für eine angemessene Schülerunfallversicherung" gehörten, sei durch das Gesetz über die Schülerunfallversicherung vom 18. März 1971 nicht außer Kraft gesetzt worden; sie enthalte eine Klarstellung, stehe mit dem Bundesrecht im Einklang und sei weiterhin sinnvoll und geltendes Recht.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und beantragt,
die angefochtenen Urteile zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 15. Juni 1971 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. September 1971 aufzuheben.
Sie trägt vor, das LSG gehe zu Unrecht davon aus, daß unter Kosten i.S. des § 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO nur die Sachkosten zu verstehen seien. Die bei der Einführung der gesetzlichen UV für Berufsschüler getroffene Regelung sei weder bei der Neufassung der RVO durch das UVNG noch durch das Gesetz vom 18. März 1971 wiederholt worden. Dies wäre aber angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO erforderlich gewesen, wenn statt der (gesamten) Kosten nur ein Teil der Kosten als Kriterium für die Zuständigkeit des Versicherungsträgers hätte gelten sollen. Eine Vorschrift, von der die Zuständigkeit des Versicherungsträgers abhänge, vertrage es nicht, daß sie nicht aus dem Wortlaut allein, sondern nur unter Hinzuziehung von Überlegungen erkennbar werde, die den wirklichen Willen des Gesetzgebers aus der geschichtlichen Entwicklung darlegen sollten. Dies gelte jedenfalls, wenn - wie hier - der Kreis der Betroffenen gegenüber dem früheren Zustand erheblich erweitert werde.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist - wie auch der Beigeladene, der ebenfalls die Zurückweisung der Revision beantragt - der Auffassung, das LSG habe richtig entschieden.
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Beklagte GUV als der in seinem Bereich zuständige Träger der Unfallversicherung für Schüler an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen berechtigt ist, die klagende Gemeinde als sein Mitglied zu der Nachtragsumlage heranzuziehen.
Nach § 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO sind die Gemeinden und die Gemeindeunfallversicherungsverbände Träger der UV für Versicherte in den Fällen des § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO, wenn das Unternehmen auf Kosten einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes oder in deren Auftrag durchgeführt wird. Im Land Nordrhein-Westfalen sind, wie das LSG ausgeführt hat, die Gemeinden - in bestimmten Fällen die Gemeindeverbände - Schulträger der öffentlichen allgemeinbildenden Schulen (§§ 2, 8, 10 des Schulverwaltungsgesetzes vom 3. Juni 1958 - GV NW 223 -), die Sachausgaben der öffentlichen Schulen tragen die Schulträger (§ 2 des Gesetzes über die Finanzierung der öffentlichen Schulen - Schulfinanzgesetz - vom 17. April 1970, GV NW 288); insoweit besteht unter den Beteiligten kein Streit.
Der von der Klägerin vertretenen Auffassung, der zuständige Träger der Unfallversicherung für Schüler bestimme sich, wenn Sach- und Personalkosten auseinanderfielen, danach, wer die Personalkosten trage - hier: das beigeladene Land -, pflichtet der erkennende Senat nicht bei, wie er auch in seinem ebenfalls am 11. Oktober 1973 ergangenen, zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil 2 RU 60/72 näher dargelegt hat.
Dem Wortlaut des § 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO allein ist allerdings nicht zu entnehmen, ob bei den Schulen, deren Sachkosten die Gemeinde und deren Personalkosten das Land trägt, die Gemeinde der zuständige Versicherungsträger ist. Seit dem Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 23. Oktober 1943 (AN S. 471) wird jedoch im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung als "Träger der unterrichtlichen Veranstaltung" nicht der Personalkostenträger, sondern der Sachkostenträger angesehen (vgl. BSG 17, 217, 220 und 221, 224; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-7. Aufl., S. 474 u I). Auch nach dem Inkrafttreten des UVNG vom 30. April 1963 (BGBl I 241) wird § 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO dahin ausgelegt, daß der gemeindliche Unfallversicherungsträger für die Entschädigung der weiter schon nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO idF vor Inkrafttreten des Gesetzes über die Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 (EGBl I 237) versicherten Schüler in Berufsfachschulen und Berufsschulen zuständig ist, weil die Gemeinde die Sachkosten trägt. Ein Auseinanderfallen von Sach- und Personalkostenträgern ist aber hier gleichfalls möglich.
Die Gesetzessystematik läßt ebenfalls erkennen, daß in den Fällen, in denen Sach- und Personalkosten von verschiedenen Stellen getragen werden, der Sachkostenträger zugleich der Träger der Unfallversicherung für Schüler an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen ist. Obgleich die Möglichkeit, daß die Gemeinde nur die Sachkosten, nicht aber auch die Personalkosten aufzubringen hat, schon lange vor Inkrafttreten des Gesetzes über die UV für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 (aaO) bestanden hat, sind die für die Personalkosten regelmäßig in Betracht kommenden Länder nicht auch als Träger der UV für Schüler an diesen öffentlichen Schulen, sondern nur für Schüler an privaten allgemeinbildenden Schulen bestimmt worden. Für öffentliche allgemeinbildende Schulen ist eine Zuständigkeit gemäß § 655 Abs. 1 iVm § 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO des Landes nur gegeben, wenn es Unternehmen des Landes sind. Schulträger der öffentlichen allgemeinbildenden Schulen ist in Nordrhein-Westfalen, wie das LSG dargelegt hat, jedoch nicht das Land.
Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes vom 18. März 1971 (aaO) bestätigt die sich aus dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik ergebende Zuständigkeitsregelung. In der amtlichen Begründung dieses Gesetzes ist ausgeführt (s. Bundestagsdrucksache VI/1333, S. 3): "Mit Ausnahme der Schüler an Privatschulen soll sich die Zuständigkeit der Versicherungsträger wie schon bisher bei den Berufs- und Fachschulen danach richten, wer Sachkostenträger der Schule ist. Für Schulen von Gemeinden oder Gemeindeverbänden soll die gemeindliche Unfallversicherung und für staatliche Schulen das Land als Unfallversicherungsträger zuständig sein". Der Gesetzgeber wollte somit die Regelung übernehmen, wie sie für die Zuständigkeit der Versicherungsträger für die bereits vor diesem Gesetz schon versicherten Schüler bestanden hat. Die Zuständigkeit für die Entschädigung der nach § 537 Nr. 11 RVO aF und § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO idF bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 18. März 1971 (aaO) versicherten Personen bestimmte sich aber - wie bereits aufgezeigt - nach dem Träger der unterrichtlichen Veranstaltung (Sachkostenträger). Bei der Anhörung von Sachverständigen durch den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages in seiner 40. Sitzung am 10. Dezember 1970 hat der Vertreter der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände (s.S. 48 des Sitzungsprotokolls) sich dagegen gewandt, daß als Unternehmer im Sinne der gesetzlichen UV bei öffentlichen allgemeinbildenden Schulen der Sachkostenträger angesehen werde. Trotz dieser Gegenvorstellung, die nicht notwendig gewesen wäre, wenn sich nicht bereits nach dem Gesetzentwurf aus der Sachkostenträgerschaft die Zuständigkeit der gemeindlichen Unfallversicherungsträger ergeben hätte, hat der Gesetzgeber den Gesetzentwurf insoweit nicht geändert. Das Schrifttum ist deshalb ebenfalls - soweit ersichtlich - einhellig der Auffassung, daß Träger der Unfallversicherung für Schüler an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen der Sachkostenträger ist (Brackmann aaO S. 474 u II; Dörner/Schmidt, Unfallversicherungsschutz für Schüler und Studenten, 1971, S. 52; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 539 Anm. 88; Miesbach/Baumer, Die gesetzliche Unfallversicherung, 2. Aufl., 1971, § 539 Anm. 31; Vollmar, Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten, 1972, S. 92; Holler, BG 1970, 385, 386; Boller, Sozialversicherung 1971, 97, 101; Breitbach, Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1971, 155, 158; Burke/Peters, Kompaß 1971, 97, 98; Dörner, Ersatzkasse 1971, 159, 160; Engelmann, DOK 1971, 220, 222; Nolte, Krankenversicherung 1971, 67, 69; Schöppner, Unfallversicherung für Schüler, Studenten, Sonderdruck des Mitteilungsblattes "Die Gemeindeunfallversicherung" 1971, S. 14; Wendland, BABl 1971, 749, 750; Wolber, BG 1971, 347, 350; Wittmann, SGb 1973, 166, 167; ebenso allgemein ohne Hinweis auf die Sachkostenträgerschaft für eine Zuständigkeit der gemeindlichen Unfallversicherungsträger: Figge, Blätter für Steuerrecht 1971, 197, 198; Hufer, BKK 1971, 70, 72; ohne Verfasserangabe WzS 1971, 132, 134).
Ob es Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung ebenso oder sogar besser entspräche, den Träger der Personalkosten auch als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für Schüler an allgemeinbildenden Schulen anzunehmen, bedarf in Anbetracht der sich aus den Gesetzeswortlaut, der Gesetzessystematik und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes vom 18. März 1971 (aaO) ergebenden Regelung des Gesetzgebers somit keiner Entscheidung.
Die sich aus § 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO ergebende gesetzliche Regelung steht auch nicht im Widerspruch zu der in Art. 7 Abs. 1 GG festgelegten Aufsicht des Staates über das Schulwesen. Diese Staatsaufsicht verbietet es nicht, die Gemeinden an den Kosten des Schulwesens zu beteiligen, insbesondere dadurch, daß sie die Sachkosten zu tragen haben. Es ist nicht ersichtlich, weshalb es dagegen dem Grundgesetz widersprechen sollte, daß die Gemeinden die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung für die Schüler der öffentlichen allgemeinbildenden Schulen tragen. Auch vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 18. März 1971 (aaO) hatten zB in Nordrhein-Westfalen, wie das LSG dargelegt hat, die Sachkostenträger die Kosten für eine angemessene Schülerunfallversicherung zu tragen (s. § 1 Abs. 3 des Schulfinanzgesetzes, aaO).
Die Beteiligten haben sich die Kosten nicht zu erstatten (§ 193 Abs. 4 SGG).
Fundstellen