Entscheidungsstichwort (Thema)
Salmonellenvergiftung durch den Genuß von Tatar
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Einnahme eines Abendessen während der Fahrtpause auf der Heimfahrt von der Arbeitsstelle besteht grundsätzlich kein Versicherungsschutz (vergleiche BSG 1964-09-30 2 RU 197/63 = BG 1965, 273). Die Tatsache, daß die Essenseinnahme wegen der langen Dauer der Rückfahrt von den Montagearbeiten "unumgänglich" war, genügt nicht, um sie als versichert anzusehen; sie ist dem privaten unversicherten Lebensbereich zuzurechnen.
2. Die Einnahme von Speisen und Getränken ist im allgemeinen dem persönlichen, nicht unfallversicherten Lebensbereich zuzurechnen; Unfallversicherungsschutz kann während des Essens und Trinkens jedoch dann gegeben sein, wenn betriebliche Umstände eine rechtlich wesentliche Bedeutung für die Gesundheitsschädigung haben (zB weil die Essenseinnahme der Wiederherstellung oder der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit eines Kraftfahrers wesentlich dient, dessen Fahrtüchtigkeit sonst beeinträchtigt gewesen wäre).
Normenkette
RVO § 550 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Januar 1973 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Stahlbauschlosser Wilhelm B. (B.), Ehemann und Vater der Klägerinnen, befand sich mit sechs anderen Beschäftigten der I. hütte AG in A. auf Montagearbeiten im Hüttenwerk S. . Im Verlauf des 24. Juli 1970 (Freitag) erhielten sie vom Arbeitgeber die Aufforderung zur Rückkehr nach A. . Daraufhin traten sie gegen 19,00 Uhr mit einem betriebseigenen VW-Kombi gemeinsam die Rückreise an. Nach etwa 15 km unterbrachen sie die Fahrt und nahmen gegen 20,00 Uhr in der Gastwirtschaft M. in S.-O. ein Abendessen ein. Sie erreichten A am 25. Juli 1970 (Sonnabend) gegen 6,00 Uhr.
Am 27. Juli 1970 wurde B. in das Städtische M.-...krankenhaus in A. eingeliefert und am 1. August 1970 in die Medizinische Klinik der Krankenanstalten der Stadt N. verlegt. Dort starb B. am 5. August 1970 an den Folgen einer Salmonelleninfektion. Bei der Krankenhausaufnahme hatte B. angegeben, am 24. Juli 1970 abends und am 25. Juli 1970 etwa um 17,00 Uhr ein Tatar gegessen zu haben; gegen 22,00 Uhr seien plötzliche durchfallartige, wässrige Stühle aufgetreten, die in den folgenden Tagen angehalten hätten.
Mit der Behauptung, daß B. sich die Salmonelleninfektion bei den Montagearbeiten in S. zugezogen habe, machten die Klägerinnen bei der Beklagten Entschädigungsansprüche geltend. Durch Bescheid vom 26. Mai 1971 lehnte die Beklagte Entschädigungsansprüche ab, weil der Tod des B. nicht Folge eines Arbeitsunfalls gewesen sei. Wenn unterstellt werde, daß die Salmonellen-Erkrankung durch den Genuß von Tatar beim Abendessen am 24. Juli 1970 auf der Rückreise nach A... verursacht worden sei, dann habe es sich bei dem Essen um eine unversicherte eigenwirtschaftliche Tätigkeit gehandelt, die mit der betrieblichen Tätigkeit nicht in einem ursächlichen Zusammenhang gestanden habe.
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des Sozialgerichts -SG- Regensburg vom 19. November 1971 und des Bayerischen Landessozialgerichts -LSG- vom 16. Januar 1973). Das LSG hat ausgeführt: Es stehe zur Überzeugung des Senats fest, daß B. sowohl am 24. Juli 1970 in der Gastwirtschaft... in S.-O. gegen 20,00 Uhr als auch am 25. Juli 1970 zu Hause gegen 17,00 Uhr ein Tatar gegessen habe. Es könne weiterhin davon ausgegangen werden, daß zumindest ein Tatar von Salmonellenbakterien befallen gewesen war und den Tod des B. herbeigeführt habe. Es bestehe aber kein hinreichender Nachweis dafür, ob die Salmonellenvergiftung, die zum Tod des B. geführt habe, auf das Essen am 24. Juli 1970 in der Gastwirtschaft ... oder auf das Essen am 25. Juli 1970 daheim in A. oder auf eine andere Ursache zurückzuführen sei. Letzten Endes könne diese Frage aber dahingestellt bleiben. Beruhe die Lebensmittelvergiftung auf dem Essen am 25. Juli 1970, dann könne sie nicht als Arbeitsunfall angesehen werden, weil dieses Essen unzweifelhaft ... zu den eigenwirtschaftlichen Verrichtungen gehört habe; die Dienstfahrt sei bereits am 25. Juli 1970 um 6,00 Uhr beendet gewesen. Stamme aber die Salmonellenvergiftung vom Abendessen am 24. Juli 1970 in der Gastwirtschaft M. dann bestehe ebenfalls kein Versicherungsschutz, weil auch dieses Essen eine unversicherte eigenwirtschaftliche Vorrichtung darstelle und in keinem rechtserheblichen ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden habe. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei die Nahrungsaufnahme im allgemeinen der rein persönlichen Sphäre des Versicherten zuzurechnen ... Demgemäß erkenne das BSG eine Schädigung durch verdorbene Speisen nur dann als Arbeitsunfall an, wenn die Essenseinnahme mit der versicherten Tätigkeit in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang stehe. Dieses Erfordernis sei nicht schon dann erfüllt, wenn der Versicherte sich außerhalb des Betriebes auf einer Dienstreise oder - wie hier - auf Montage befinde. Werde aus betrieblichen Gründen die Einnahme einer Mahlzeit unumgänglich, so könne auf dem hierbei zurückgelegten Weg Unfallversicherungsschutz bestehen. Das gelte jedoch nicht ohne weiteres auch für Unfälle, die sich unmittelbar beim Essen und Trinken ereigneten. Ein Unfallversicherungsschutz komme hier nur ausnahmsweise beim Vorliegen besonderer Begleitumstände in Betracht, die mit dem Beschäftigungsverhältnis in einem wesentlichen Zusammenhang stehen, so zB wenn sie sich auf den Unfallhergang unmittelbar auswirken. Umstände solcher Art; hätten sich im vorliegenden Fall jedoch nicht ergeben. Den Angehörigen der Montagegruppe habe es freigestanden ..., die Rückfahrt auch erst am Morgen des 25. Juli 1970 anzutreten. Dafür, daß sie sich dennoch entschlossen, unmittelbar nach Beendigung der Arbeitszeit abzufahren, seien nicht betriebliche, sondern nur persönliche Gründe maßgehend gewesen. Hinzu komme, daß sie die Rückfahrt fast überstürzt angetreten hätten. Es wäre naheliegend gewesen, nach Beendigung der Arbeit um 18,30 Uhr erst einmal in Ruhe zu Abend zu essen und dann einigermaßen gestärkt die Rückfahrt anzutreten. Daß die Rückreise unmittelbar nach Beendigung der betrieblichen Tätigkeit angetreten worden sei, sei nicht durch betriebliche Gründe veranlaßt worden. Die Verhältnisse, unter denen B. in der Gastwirtschaft M möglicherweise verdorbene Speisen zu sich genommen habe, seien auch nicht der üblichen Essenseinnahme in Werkskantinen gleichzusetzen, auf die ein Versicherter wegen seiner Arbeitszeiteinteilung oder sonstiger betrieblicher Gründe überhaupt und speziell hinsichtlich der geringen Auswahlmöglichkeiten bei Gemeinschaftsverpflegung fast ausnahmslos angewiesen sei. Auch die von den Klägerinnen geltend gemachte kameradschaftsfördernde Wirkung des gemeinschaftlichen Essens könne beim Fehlen aller übrigen betriebsbezogenen Bedingungen den Versicherungsschutz allein nicht begründen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerinnen haben dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Außergewöhnliche Umstände rechtfertigen ein Abweichen von den Grundsätzen des BSG und die Annahme eines Versicherungsschutzes. B. habe noch einen Weg von acht bis neun Stunden vor sich gehabt. Es sei daher für ihn unumgänglich gewesen, sich für die Heimfahrt entsprechend körperlich zu stärken, Wenn schon angenommen werde, daß eine besonders schwere, lange und kräfteraubende Arbeit eine betriebliche Ursache für die Essenseinnahme sein könne, dann müsse dies auch für eine Heimfahrt gelten, die in ihrer entfernungsmäßigen und zeitlichen Länge wesentlich über das Normalmaß hinausgehe.
Die Klägerinnen beantragen,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 19. November 1971 sowie des Bescheides der Beklagten vom 26. Mai 1971 die Beklagte zu verurteilen, Witwen- und Waisenrente ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, die Gewährung des Unfallversicherungschutzes für die erste Essenseinnahme am 24. Juli 1970 setze den ursächlichen Zusammenhang zwischen dieser Essenseinnahme und dem Tod des B. am 5. August 1970 voraus. Das LSG habe jedoch diesen Zusammenhang nicht festgestellt ...; es habe sich nicht zu entscheiden vermocht, ob der Tod durch die Essenseinnahme am 24. Juli 1970 oder erst durch die Essenseinnahme am 25. Juli 1970 hervorgerufen worden sei. Nach den gewiß gerichtsbekannten Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft hätte das Berufungsgericht die Essenseinnahme am 24. Juli 1970 keinesfalls als ursächlich fur die Salmonellen-Erkrankung ansehen können. Im Merkblatt des Bundesministers; für Arbeit und Sozialordnung über Berufskrankheiten nach der Siebenten Berufskranken-Verordnung ist zu den von Tieren und Menschen ... übertragbaren Krankheiten (zu Nr. 38) unter II A Nr. 9 "Erkrankung durch Salmonelle " ausgeführt, daß Krankheitserscheinungen beim Menschen in der Regel akute bis subakute Gastroenteritiden seien, die zu unterscheiden seien von den schlagartig einsetzenden bakteriellen Intoxikationen nach Genuß von infizierten Lebensmitteln tierischer Herkunft. Die bei B. unstreitig am 25. Juli 1970 gegen 22,00 Uhr schlagartig aufgetretenen Intoxikationserscheinungen könnten nur auf den Genuß eines Tatars am 25. Juli 1970 gegen 17,00 Uhr und nicht auf die Essenseinnahme am 24. Juli 1970 zurückgeführt werden. Wenn das LSG - was ihm die Revision nicht als Unterlassung vorwerfe - dem Kausalitätsproblem näher nachgegangen wäre, hätte der Ursachenzusammenhang mit der Essenseinnahme am 24. Juli 1970 verneint werden müssen. Aber auch bei einer für den Tod des B. ursächlichen Essenseinnahme am 24. Juli 1970 hätte kein Versicherungsschutz bestanden. Die Einnahme des Essens sei auch bei einer Betriebspreise eine private unversicherte Angelegenheit. Das LSG habe insoweit die Rechtsprechung des BSG zutreffend wiedergegeben. Die gesamte Montage, die sich über mehrere Tage erstreckt habe, sei als eine Einheit anzusehen. Während dieser Zeit habe B. essen, schlafen, sich ausruhen und erholen müssen. Alle derartigen privaten Betätigungen mögen zwar unumgänglich gewesen sein, um die Arbeitskraft des B. für die jeweils anschließende betriebliche Tätigkeit zu erhalten. Auch für die Durchführung oder Fortführung der Heimfahrt am 24. Juli 1970 mag die Einnahme eines Abendessens für den Fahrer notwendig gewesen sein. Selbst dadurch werde die Essenseinnahme aber nicht zu einer betriebsbedingten; sie verliere nicht ihren grundsätzlich privaten, unversicherten Charakter. Sie sei genauso privatwirtschaftlich gekennzeichnet und damit unversichert, wie jede andere Essenseinnahme oder sonstige private Betätigung während der Montage in S. . Erst recht gelte dies für B., der den ... VW-Kombi nicht einmal gesteuert habe, sondern nur einfach mitgefahren sei.
II
Die Revision der Klägerinnen ist nicht begründet.
Das LSG hat feststellen können, ob die Salmonellenvergiftung ..., die zum Tod des B. geführt hat, auf den Genuß von Tatar in der Gastwirtschaft ... am 24. Juli 1970 zurückzuführen ist. Es fehlt demnach bereits in tatsächlicher Hinsicht an einer entscheidenden Voraussetzung...für die Anerkennung des Todes des B. als Folge eines Arbeitsunfalls. Denn nur wenn B. sich die Salmonellenvergiftung während der zum Abendessen unterbrochenen Rückfahrt von S. nach A. zugezogen hat, kann nach Lage des Falles überhaupt ein Zusammenhang mit seiner ver- sicherten Tätigkeit in Betracht gezogen werden. Beruht dagegen die Salmonellenvergiftung auf dem Genuß von Tatar zu Hause am 25. Juli 1970 oder auf einer anderen Infektionsquelle nach Beendigung der Rückfahrt, scheidet ein Arbeitsunfall ohnehin aus.
In Bezug auf den nicht hinreichenden Nachweis einer Salmonellenvergiftung durch Genuß von Tatar beim Abendessen auf der Rückfahrt, haben die Klägerinnen keine Revisionsrügen erhoben. Ihre Revision ist daher unbegründet, ohne das geprüft zu werden brauchte, ob B. bei der Einnahme des Abendessens unter Versicherungsschutz gestanden hat.
Aber selbst wenn das Urteil des LSG dahin verstanden wird, daß es die Frage, ob B. sich die Salmonellenvergiftung beim Abendessen auf der Rückfahrt von der Montagearbeit zugezogen hat, unentschieden lassen wollte, weil Entschädigungsansprüche der Klägerinnen schon wegen des fehlenden Versicherungsschutzes bei diesem Essen zu verneinen seien, ist die Revision nicht begründet.
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 30. September 1964 (BG 1965, 273) entschieden hat, besteht grundsätzlich kein Versicherungsschutz bei der Einnahme eines Abendessens während der Fahrtpause auf der Heimfahrt von der Arbeitsstelle. Die Nahrungsaufnahme ist im allgemeinen eine überwiegend dem privaten unversicherten Lebensbereich zuzurechnende Tätigkeit (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 7. Aufl. S. 482 mit weiteren Nachweisen). Nur unter besonderen Voraussetzungen Nahrungsaufnahme ... den ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit begründen, z.B. weil die Essenseinnahme der Wiederherstellung oder der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit eines Kraftfahrers wesentlich dient, dessen Fahrtüchtigkeit sonst beeinträchtigt gewesen wäre (BSG SozR Nr. 40 zu § 542 RVO aF; Brackmann aaO. S. 482a mit weiteren Beispielen). Solche besonderen Voraussetzungen haben im vorliegenden Fall gefehlt.
Nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) war B, nicht Fahrer des VW-Kombi. B. verrichtete während der Fahrt von S nach A. auch keine sonstige Betriebstätigkeit. Die Einnahme des Abendessens in der Gastwirtschaft ... in S. diente weder B. noch den anderen mit ihm fahrenden Beschäftigten der L-hütte AG - mit Ausnahme des Kraftfahrers - der betriebsnotwendigen Erhaltung der Arbeitskraft, denn sie hatten zu diesem Zeitpunkt das arbeitsfreie Wochenende vor sich, an den folgenden beiden Tagen (Sonnabend und Sonntag) waren keine Betriebstätigkeiten zu verrichten .... Besondere betriebliche Umstände, die als wesentliche Bedingung für die Essenseinnahme anzusehen sind, hat das LSG nicht festgestellt. Auch wenn, wie die Revision meint, die Essenseinnahme bei einer besonders schweren und langen kräfteraubenden Arbeit versichert sein kann, so ist dies nach Ansicht des Senats bei der damit nicht vergleichbaren Essenseinnahme nach Abschluß eines normalen Arbeitstages nicht der Fall. Allein der Umstand, daß nach der betrieblichen Tätigkeit noch ein langer Weg nach Hause zurückgelegt werden muß, reicht für die Bejahung des Versicherungsschutzes bei der Essenseinnahme nicht aus. B. hätte auch ohne den Weg nach Hause zu Abend essen müssen. Eine betriebliche Tätigkeit ist von ihm nicht mehr verrichtet worden.
Die Revision der Klägerinnen war daher nach § 170 Abs. 1 SGG als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen