Leitsatz (amtlich)
1. 1. Werden Einkommensänderungen mit der Lebensbescheinigung am Ende des Rechnungsjahres (Jahresbescheinigung) angezeigt, so ist der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige nur genügt, wenn die Änderungen zeitlich unmittelbar vor Abgabe der Jahresbescheinigung eingetreten sind.
2. Wenn der Empfänger der Leistungen seiner Pflicht zur unverzüglichen Anzeige jeder Einkommensänderung nur unvollständig genügt hat, so kann daraus geschlossen werden, daß er "wußte oder wissen mußte, daß ihm die gezahlten Versorgungsbezüge im Zeitpunkt der Zahlung nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden" (KOV-VfG § 47 Abs 2 ).
3. Die wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne des KOV-VfG § 47 Abs 2 Halbs 2 sind nicht nur nach den Einkünften zur beurteilen; die Rückforderung ist wirtschaftlich nicht schon dann vertretbar (vgl die Verwaltungsvorschrift Nr 11 zu KOV-VfG § 47), wenn die Einkünfte (netto) größer sind als die ungekürzte Grundrente und Ausgleichsrente eines Erwerbsunfähigen, es kommt vielmehr auf die gesamte wirtschaftliche Lage an; dabei sind die Vermögens- und Familienverhältnisse und auch besondere Aufwendungen, die von dem Empfänger der Leistungen zu erbringen sind, zu berücksichtigen.
Leitsatz (redaktionell)
"Wissenmüssen" iS des KOV-VfG § 47 Abs 2 liegt vor, wenn die Unkenntnis des Versorgungsberechtigten darauf beruht, daß er die insoweit erheblichen Umstände aus Nachlässigkeit oder aus anderen Gründen, die er zu vertreten hat, nicht oder nicht genügend beachtet hat.
Diese Voraussetzungen sind unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des einzelnen Falles der Persönlichkeit und des Verhaltens des Versorgungsberechtigten zu beurteilen; nicht erforderlich ist, daß der Empfänger auch hat übersehen können, wie sich die Änderung der Verhältnisse auf die Höhe seiner Versorgungsbezüge im einzelnen auswirkt.
Normenkette
KOVVfG § 47 Abs. 2 Fassung: 1955-05-02, § 16 Abs. 2 Fassung: 1955-05-02
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Oktober 1956 wird aufgehoben; die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger erhielt durch Umanerkennungsbescheid des Versorgungsamts (VersorgA.) G vom 5. Juni 1951 wegen verschiedener Gesundheitsstörungen vom 1. Oktober 1950 an Grundrente und Ausgleichsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 80 v.H. Die Ausgleichsrente berechnete das VersorgA. nach einem monatlichen Einkommen von durchschnittlich 207,07 DM; diesen Durchschnitt berechnete es nach den Einkünften vom 1. Oktober 1950 an. Der Fragebogen, den der Kläger am 30. März 1951 ausfüllte, und der Umanerkennungsbescheid enthielten die Aufforderung, bei Bezug von Ausgleichsrente jede Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere den Beginn und die Erhöhung eines Einkommens jeder Art, unverzüglich anzuzeigen. In der Jahresbescheinigung vom 19. März 1952 erklärte der Kläger, er beziehe von Februar 1952 an ein monatliches Bruttogehalt von 244,- DM. Das VersorgA. veranlaßte auf diese Bescheinigung hin zunächst nichts. Auf eine Anfrage des VersorgA. vom 14. Januar 1953 teilte die Fürsorgestelle für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene am 20. Januar 1953 mit, der Bruttolohn habe vom 1. Oktober 1950 bis zum 31. Dezember 1952 monatlich durchschnittlich 230,- DM betragen, vom 1. Januar 1951 bis zum 31. Dezember 1951 durchschnittlich 201,- DM. In der Jahresbescheinigung vom 24. März 1953 gab der Kläger an, sein Stundenlohn betrage vom 1. Januar 1953 an 1,35 DM, vor dieser Zeit habe er 1,22 DM betragen. Auf die Anfrage des VersorgA. vom 10. August 1953 gab die Stadt Bochum am 14. August 1953 den Lohn und die Abzüge für die Zeit vom 1. Januar 1950 bis 31. Juli 1953 an; daraus ergab sich ein Monatslohn von durchschnittlich 228,31 DM für das Jahr 1951, von 291,15 DM für das Jahr 1952 und von 322,91 DM für die ersten 7 Monate des Jahres 1953.
Durch Bescheid vom 11. September 1953, der als Neufeststellungsbescheid bezeichnet und auf § 62 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gestützt ist, berechnete das VersorgA. die Ausgleichsrente des Klägers neu. Es verglich die Beträge an Ausgleichsrente, die der Kläger erhalten hatte, mit den Beträgen, die ihm nach seinem tatsächlichen Einkommen zugestanden hätten und stellte fest, daß vom 1. Januar 1951 an ein Betrag von 1.153,- DM zuviel gezahlt sei; dieser Betrag wurde von November 1953 an in monatlichen Raten von 30,- DM von der laufenden Rente einbehalten. Den Widerspruch wies das Landesversorgungsamt (LVersorgA.) am 18. März 1954 zurück. Das Sozialgericht (SG.) Dortmund wies die Klage durch Urteil vom 23. November 1954 ab. Auf die Berufung des Klägers änderte das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen dieses Urteil durch Urteil vom 18. Oktober 1956 ab, hob den Widerspruchsbescheid auf und änderte den Bescheid des VersorgA. vom 11. September 1953 ab, soweit er die Rückforderung der Ausgleichsrente in Höhe von 1.153,- DM betraf: Der Rückforderungsanspruch sei nach § 47 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) nicht begründet; der Kläger habe dem VersorgA. die Änderung seines Einkommens mit den "Lebensbescheinigungen" ordnungsmäßig angezeigt; das VersorgA. habe innerhalb einer angemessenen Frist, die man in entsprechender Anwendung von § 88 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf etwa 6 Monate ansetzen könne, die Versorgungsbezüge neu feststellen müssen; wenn es dies versäumt habe, habe es die Überzahlung selbst zu verantworten; der Kläger habe infolge der langen Untätigkeit des VersorgA. auch weiterhin mit der bisherigen Rente rechnen können, er habe sonach nicht gewußt und auch nicht wissen müssen, daß ihm die Rente in der bisherigen Höhe nicht mehr zustehe; die Rückforderung verstoße damit gegen Treu und Glauben; sie sei auch wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nicht vertretbar, der Kläger sei verheiratet und habe in den Jahren 1951, 1952 und 1953 durchschnittlich nur 228,- DM, 291,- DM und 322,- DM brutto verdient. Die Revision ließ das LSG. zu.
Das Urteil wurde dem Beklagten am 22. Januar 1957 zugestellt. Am 13. Februar 1957 legte er Revision ein und beantragte,
das Urteil des LSG. aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise die Sache an das LSG. zurückzuverweisen.
Am 15. März 1957 begründete er die Revision: Das LSG. habe § 47 VerwVG unrichtig angewandt; der Kläger habe aus den Belehrungen ersehen, daß die Ausgleichsrente von der Höhe seines sonstigen Einkommens abhängig sei; zu Unrecht habe das LSG. angenommen, der Kläger habe nach einer gewissen Zeit überzeugt sein müssen, trotz Erhöhung seines Einkommens stehe ihm auch weiter Ausgleichsrente in der bisherigen Höhe zu; es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger mit der Angabe des Einkommens in den Jahresbescheinigungen die Verpflichtung, jede Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unverzüglich anzuzeigen, erfüllt habe, jedenfalls habe er allein daraus, daß das VersorgA. die Ausgleichsrente nicht innerhalb von 6 Monaten neu festgestellt habe, nicht schließen dürfen, die Rente habe ihm trotz der Erhöhung seines Lohnes weiter in der bisherigen Höhe zugestanden; auf jeden Fall habe aber das LSG. die Rückforderung nur für die Zeit nach Ablauf von 6 Monaten für unzulässig halten dürfen, nur insoweit habe der Kläger überzeugt sein können, daß er Anspruch auf die bisherige Rente habe; die Rückforderung sei aber auch wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vertretbar; dies sei nach der Verwaltungsvorschrift Nr. 11 zu § 47 VerwVG der Fall, wenn das Einkommen (netto) des Beschädigten größer sei als die ungekürzte Grund- und Ausgleichsrente eines Erwerbsunfähigen; diese habe bis zum 1. August 1953 180,- DM und anschließend 203,- DM betragen, die Einkünfte des Klägers seien aber höher gewesen.
Der Kläger beantragte,
die Revision insoweit zurückzuweisen, als die Rückforderung die Rente betrifft, die nach dem 30. August 1952 zuviel gezahlt worden ist;
hilfsweise beantragte er, das Urteil des LSG. aufzuheben und die Sache an das LSG. zurückzuverweisen.
II
Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft; der Beklagte hat sie auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet, sie ist daher zulässig. Sie ist auch begründet.
Das LSG. hat die Berufung mit Recht als zulässig angesehen. Das Urteil des SG. betrifft weder eine einmalige Leistung (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG) noch die Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume (§ 148 Nr. 2 SGG), sondern die Rückforderung zuviel gezahlter Rente; in einem solchen Falle ist die Berufung statthaft (vgl. BSG. 3 S. 234 (236, 237)).
Angefochten ist der Neufeststellungsbescheid vom 11. September 1953, soweit er die Rückforderung der vom 1. Januar 1951 bis zum 31. Oktober 1953 gezahlten Ausgleichsrente betrifft. Durch den Neufeststellungsbescheid vom 11. September 1953 hat der Beklagte die Ausgleichsrente vom 1. Januar 1951 an wegen einer wesentlichen Änderung in den für die Feststellung maßgebenden Verhältnissen teilweise entzogen, er hat insoweit den Umanerkennungsbescheid vom 5. Juni 1951 von dem Zeitpunkt an, in dem sich das für die Berechnung der Ausgleichsrente maßgebende Einkommen erhöht hat, teilweise als rechtswidrig angesehen und als fehlerhaft zurückgenommen. Er hat dies dann tun dürfen, wenn er den Umanerkennungsbescheid von einem bestimmten Zeitpunkt an hat zurücknehmen können (vgl. BSG. 7 S. 8 (11) mit weiteren Hinweisen). Im vorliegenden Fall ist der Beklagte zu der Rücknahme nach § 62 Abs. 1 BVG berechtigt gewesen; die Verhältnisse, die für die Feststellung der Ausgleichsrente maßgebend gewesen sind, haben sich geändert, der Lohn des Klägers hat sich erhöht. Die teilweise Rücknahme des Bescheides vom 5. Juni 1951 ist auch nicht deswegen rechtswidrig, weil der Beklagte die Ausgleichsrente vom 1. Januar 1951 an erst mit dem Neufeststellungsbescheid vom 11. September 1953 geändert hat. Die Neufeststellung, die nach § 62 Abs. 1 BVG zwingend vorgeschrieben ist, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt, hat Ermittlungen des Beklagten vorausgesetzt; diese Ermittlungen sind notwendig gewesen, weil auf Grund der Angaben des Klägers allein die Neufeststellung nicht hat vorgenommen werden können. Der Beklagte hat grundsätzlich mit der Neufeststellung auch die Rückforderung zuviel gezahlter Beträge verbinden dürfen; die Absicht, 1.153,- DM zurückzufordern, ergibt sich daraus, daß in dem Bescheid eine Überzahlung in dieser Höhe festgestellt und zugleich verfügt worden ist, der überzahlte Betrag sei von der laufenden Rente einzubehalten. Bei der Entscheidung darüber, ob der Rückforderungsanspruch des Beklagten begründet ist, hat aber das LSG. das Gesetz verletzt. Es ist zwar zunächst mit Recht davon ausgegangen, die Rückforderung sei nach § 47 Abs. 2 VerwVG zu beurteilen; diese Vorschrift ist, obwohl sie erst vom 1. April 1955 an gilt, auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Rückforderungsfälle anzuwenden (vgl. zu § 47 Abs. 1 und 2 VerwVG BSG. 3 S. 343, zu § 47 Abs. 3 VerwVG BSG. 6 S. 11). Nach § 47 Abs. 1 sind die Versorgungsleistungen, die zu Unrecht gewährt worden sind, zurückzuerstatten, soweit nichts anderes bestimmt ist. Beruht die Überzahlung - wie hier - auf einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, so darf der Betrag, der zu Unrecht gezahlt ist, nur zurückgefordert werden, wenn der Empfänger wußte oder wissen mußte, daß ihm dieser Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht oder nicht mehr in der bisherigen Höhe zugestanden hat oder wenn die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist (§ 47 Abs. 2 VerwVG). "Wissen" bedeutet die durch Auskünfte, Belehrungen, Hinweise oder andere Umstände erworbene Kenntnis des Versorgungsberechtigten, daß ihm die Versorgungsbezüge infolge Änderung der persönlichen oder familiären Verhältnisse, der wirtschaftlichen Einkommens- oder Vermögensverhältnisse nicht oder doch nicht in der bisherigen Höhe zugestanden haben; "Wissenmüssen" liegt vor, wenn die Unkenntnis des Versorgungsberechtigten darauf beruht, daß er die insoweit erheblichen Umstände aus Nachlässigkeit oder aus anderen Gründen, die er zu vertreten hat, nicht oder nicht genügend beachtet hat (vgl. dazu auch die Verwaltungsvorschriften (VV) Nr. 5 und 6 zu § 47 Abs. 2 VerwVG). Diese Voraussetzungen sind unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des einzelnen Falles, der Persönlichkeit und des Verhaltens des Versorgungsberechtigten zu beurteilen (BSG. 5 S. 267 (269)); nicht erforderlich ist, daß der Empfänger auch hat übersehen können, wie sich die Änderung der Verhältnisse auf die Höhe seiner Versorgungsbezüge im Einzelnen auswirkt. Für die Frage, ob der Kläger sich darüber hat im klaren sein können, daß ihm die Ausgleichsrente in der ursprünglich bewilligten Höhe nicht mehr zugestanden hat, kommt es daher zunächst darauf an, ob er erkannt hat oder hat erkennen können, welche Bedeutung seine Einkünfte für die Berechnung der Höhe der Ausgleichsrente haben. Insoweit ist zu beachten, daß der Kläger schon in dem "Erhebungsbogen zur Ausgleichsrente bei nicht selbständiger Arbeit" darauf hingewiesen worden ist, daß ihm die Ausgleichsrente nur gewährt werde, soweit der Lebensunterhalt weder durch eine zumutbare Arbeit noch auf andere Weise sichergestellt sei, daß die Angaben über seine Einkünfte der Feststellung der Ausgleichsrente dienten und daß er jede Änderung unverzüglich anzeigen und Versorgungsbezüge zurückzahlen müsse, die er zu Unrecht bezogen habe. Der Kläger hat auch aus der Berechnung der Ausgleichsrente im Umanerkennungsbescheid deren Abhängigkeit von dem jeweiligen Einkommen ersehen können; er ist außerdem in diesem Bescheid erneut auf die Verpflichtung hingewiesen worden, beim Bezug der Ausgleichsrente auch jede Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere den Beginn und die Erhöhung eines Einkommens jeder Art, dem VersorgA. unverzüglich anzuzeigen. Der Kläger hat den Neufeststellungsbescheid auch nicht deshalb angefochten, weil die Ausgleichsrente rückwirkend geändert worden ist; er ist also selbst nicht der Meinung, die Ausgleichsrente habe ihm in der Höhe, in der er sie erhalten hat, zugestanden; er hat sich nur gegen die Rückforderung der Überzahlung gewandt.
Zu Unrecht hat aber das LSG. die Feststellung, der Kläger habe nicht gewußt und auch nicht wissen müssen, daß ihm die Ausgleichsrente in der bisherigen Höhe nicht mehr zugestanden habe, auf die Überlegung gestützt, der Kläger habe in den Jahresbescheinigungen für 1951 und 1952 seiner Anzeigepflicht genügt, der Beklagte habe aber erst nach mehr als sechs Monaten die Ausgleichsrente neu festgestellt und die zuviel gezahlten Beträge zurückgefordert. Es kann in diesem Fall dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 VerwVG - Wissen oder Wissenmüssen - nicht mehr vorliegen, wenn die Versorgungsverwaltung nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach der ordnungsmäßigen Anzeige des Versorgungsberechtigten die Versorgungsbezüge neu feststellt (vgl. BSG. 9 S. 47 ff.). Der Kläger hat nämlich mit den Angaben in den Jahresbescheinigungen für 1951 und 1952 seiner Pflicht, jede Änderung seiner Einkünfte unverzüglich anzuzeigen, nicht ordnungsmäßig, sondern nur teilweise genügt. Nach § 17 Abs. 1 der Vorschriften zu § 66 BVG für die Zahlung und den rechnungsmäßigen Nachweis der Versorgungsbezüge (veröffentlicht in BVBl. 1951 S. 25) hat jeder Empfänger von Versorgungsbezügen im letzten Monat jeden Rechnungsjahres eine Lebensbescheinigung mit einer Erklärung über seine persönlichen Verhältnisse beizubringen. Zwar hat sich diese Erklärung nach dem im vorliegenden Falle verwendeten Vordruck auch darauf bezogen, ob sich das Einkommen des Klägers seit der letzten Feststellung der Ausgleichsrente geändert hat, wann die Änderung eingetreten und wie hoch das Einkommen nunmehr ist; der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige ist mit diesen Angaben in der Jahresbescheinigung jedoch nur genügt, wenn die Änderung in den Bezügen zeitlich unmittelbar vor der Erklärung in der Jahresbescheinigung eingetreten ist; der Versorgungsberechtigte kann sich aber auf die Erklärung in der Jahresbescheinigung nicht berufen, soweit die Änderungen lange vorher eingetreten sind. In der Jahresbescheinigung vom 19. März 1952 hat der Kläger lediglich erklärt, sein Einkommen habe sich seit der letzten Feststellung der Ausgleichsrente geändert, es betrage seit Februar 1952 brutto 244.- DM, netto 214,18 DM; die Änderungen im Jahre 1951 hat er überhaupt nicht angegeben, die Änderungen in der Zeit vom 1. März 1952 bis zum 31. Dezember 1952 hat er erst in der Jahresbescheinigung vom 24. März 1953 angegeben; in dieser Jahresbescheinigung hat er erklärt, sein Einkommen habe sich seit dem 1. März 1952 geändert, der Stundenlohn betrage vom 1. Januar 1953 an 1,35 DM und habe vorher 1,22 DM betragen. Soweit ihn die Jahresbescheinigungen nicht zu Angaben über die Höhe seines Lohnes veranlaßt haben, hat er es also jeweils darauf ankommen lassen, ob und wann der Beklagte von den Einkommenserhöhungen erfahre, die inzwischen eingetreten sind. Damit hat der Kläger aber seine Anzeigepflicht nicht voll erfüllt. Der soziale Rechtsstaat, wie er nach Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in der Bundesrepublik Gestalt und Ausdruck findet, hat zwar die Pflicht, sich gegenüber seinen Bürgern sozial und gerecht zu verhalten; er darf aber auch erwarten, daß der einzelne Bürger sich ihm gegenüber entsprechend verhält; dazu gehört auch, daß der Bürger, wenn er von der öffentlichen Verwaltung wiederkehrende Leistungen erhält, die Pflicht, Änderungen wesentlicher Umstände unverzüglich anzuzeigen, ernst nimmt und voll erfüllt (BSG. 7 S. 8 (15, 16)). Es fällt daher in den Verantwortungsbereich des Klägers, daß die Änderungen seines Einkommens erst bei der Neufeststellung am 11. September 1953 berücksichtigt worden sind. Der Beklagte hat den vollen Umfang der jeweiligen Änderung nicht vom Kläger erfahren, sondern von sich aus ermitteln müssen und erst danach die Ausgleichsrente neu feststellen können. Die unvollständige Erfüllung der Anzeigepflicht durch den Kläger legt es nahe, anzunehmen, daß der Kläger die wesentlichen Umstände für die Entstehung der Überzahlung im Sinne des § 47 Abs. 2 VerwVG gekannt hat oder doch hat kennen müssen. Unter diesen Umständen ist die Feststellung des LSG., der Kläger habe vom 1. Januar 1951 an nicht gewußt und auch nicht wissen müssen, daß ihm die Ausgleichsrente in der bisherigen Höhe nicht mehr zustehe, durch den bisher ermittelten Sachverhalt nicht gerechtfertigt; das LSG. hat insoweit sein Recht, das Gesamtergebnis des Verfahrens frei zu würdigen (§ 128 SGG), überschritten; seine Feststellungen binden deshalb das Bundessozialgericht nicht (§ 163SGG).
Das Urteil des LSG. beruht auch insoweit auf unrichtiger Anwendung des Gesetzes, als es die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers nach § 47 Abs. 2 VerwVG, 2. Halbsatz, nicht für vertretbar hält. Das LSG. hat insoweit lediglich festgestellt, der Kläger sei um 80 v.H. erwerbsgemindert, er sei seit dem 10. Februar 1950 verheiratet und habe 1951, 1952 und 1953 durchschnittlich 228,-, 291,- und 322,- DM monatlich verdient; es hat aus diesen Gründen die Rückforderung wirtschaftlich nicht für vertretbar gehalten. Das LSG. hat sich aber für die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht mit der Feststellung der jeweiligen Einkünfte begnügen dürfen; es hat die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers ermitteln und würdigen müssen. Insoweit genügt es allerdings auch nicht - wie der Beklagte meint -, die Einkünfte (netto) mit der ungekürzten Grundrente und Ausgleichsrente eines Erwerbsunfähigen zu vergleichen. Zwar ist nach der VV Nr. 11 zu § 47 Abs. 2 VerwVG eine Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Versorgungsempfängers vertretbar, wenn seine Einkünfte (netto) größer sind als die ungekürzte Grundrente und Ausgleichsrente eines Erwerbsunfähigen; die Verwaltungsvorschrift, die keine authentische Auslegung des Gesetzes enthält (BSG. 6 S. 175, 252; 8 S. 140), entspricht aber im vorliegenden Fall weder dem Wortlaut noch dem Zweck des Gesetzes (§ 47 Abs. 2 VerwVG, 2. Halbsatz); es kommt nicht nur auf die Einkünfte, aber auch nicht nur auf die Höhe der ungekürzten Grundrente und Ausgleichsrente an; die Rückforderung soll vielmehr immer dann möglich sein, wenn der Empfänger wirtschaftlich so gestellt ist, daß die Rückzahlung von ihm erwartet werden kann; ob dies der Fall ist, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen; dabei sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers und die Aufwendungen zu berücksichtigen, die er für sich und seine Familie hat; für die Mindesthöhe dieser Aufwendungen geben auch die Fürsorgerichtsätze einen Anhalt.
Das LSG. hat sonach § 47 Abs. 2 VerwVG nicht richtig angewandt; das Urteil des LSG. ist daher aufzuheben. Der Senat kann aber nicht selbst entscheiden, für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger nach den gesamten Umständen seiner Persönlichkeit und seinem Verhalten gewußt hat oder hat wissen müssen, daß ihm die Ausgleichsrente in der ursprünglich bewilligten Höhe nicht mehr zugestanden habe, und für die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse sind noch tatsächliche Feststellungen erforderlich; das LSG. wird danach das Beweisergebnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu würdigen haben; die Sache ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten ist dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen