Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsbegründung bei teilbarem Streitgegenstand. Inhalt des Verwaltungsakts. Verfügungssatz. Umdeutung eines Verwaltungsakts
Orientierungssatz
1. Betrifft die Revision mehrere Ansprüche, ist für jeden von ihnen die gesetzlich vorgeschriebene Begründung erforderlich (vgl BSG vom 16.3.1989 - 4/11a RA 70/87 = BSGE 65, 8, 11 = SozR 1300 § 48 Nr 55). Unter einer Mehrheit von Ansprüchen in diesem Sinne sind nicht einmal notwendig nur Ansprüche im prozessualen Sinne zu verstehen (vgl BSG vom 28.6.1990 - 7 RAr 132/88 = SozR 3-4100 § 115 Nr 1). Der gesetzliche Begründungszwang erfordert vielmehr, daß sich auch bei einem nur teilbaren Streitgegenstand die Begründung auf all die Teile des angefochtenen Urteils erstreckt, deren Abänderung verlangt wird.
2. Die im Verfügungssatz abgegebene Erklärung und der aus dem Inhalt ersichtliche Erklärungswille in der Gestalt, wie beides für den Adressaten der Erklärung erkennbar geworden ist, sind maßgebend für den Inhalt der von einer Behörde in Form des Verwaltungsaktes getroffenen Regelung.
3. Zur Umdeutung eines Bescheides in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB 10 bzw in einen Aufhebungsbescheid nach § 48 SGB 10.
Normenkette
SGG §§ 77, 164 Abs. 2 S. 3; SGB X §§ 43, 45, 48
Verfahrensgang
SG Köln (Entscheidung vom 22.06.1989; Aktenzeichen S 21 Ar 315/86) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 09.09.1992; Aktenzeichen S 12 Ar 174/89) |
Tatbestand
Das Verfahren betrifft die Rechtmäßigkeit und Rechtsfolgen eines Bescheides, mit dem die Beklagte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) für den Zeitraum vom 18. November 1985 bis 22. Januar 1986 wegen Ruhens des Anspruchs abgelehnt hat.
Dem Kläger, der seit 1981 bei einer Kölner Firma beschäftigt gewesen war, über deren Vermögen durch Beschluß des Amtsgerichts (AG) Köln vom 15. Mai 1985 das Konkursverfahren eröffnet worden war, wurde vom Konkursverwalter zum 30. September 1985 gekündigt; seit 1983 hatte der Kläger keinen Urlaub mehr erhalten. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) bezog er über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus bis zum 17. November 1985 Krankengeld.
Auf seinen Antrag vom 18. November 1985, mit dem er angab, von seiner ehemaligen Arbeitgeberin noch Urlaubsabgeltung beanspruchen zu können und deshalb beim Arbeitsgericht (ArbG) Klage erhoben zu haben, bewilligte ihm die Beklagte ab 18. November 1985 Alg (letzter Änderungsbescheid vom 12. März 1986) und teilte dem Konkursverwalter mit, der Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei auf sie übergegangen. Nachdem das ArbG Köln das Bestehen einer Masseschuld gemäß § 59 Abs 1 Nr 2 Konkursordnung in Höhe von 19.388,53 DM wegen eines Anspruchs ua auf Urlaubsabgeltung für 82 Tage festgestellt hatte, beschied die Beklagte den Kläger, daß ihm Alg für den Zeitraum vom 18. November 1985 bis 22. Januar 1986 nicht gezahlt werden könne; sein Anspruch hierauf ruhe gemäß § 117 Abs 1a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für 82 Tage (Bescheid vom 24. September 1986). Gleichzeitig forderte sie den Konkursverwalter auf, Urlaubsabgeltung in Höhe des gewährten Alg (3.959,60 DM) und angefallene Sozialversicherungsbeiträge (472,53 DM und 760,24 DM) an sie zu zahlen. Da der Kläger, der vom Schreiben der Beklagten an den Konkursverwalter eine Abschrift erhalten hatte, gegen den Bescheid vom 24. September 1986 mit der Begründung Widerspruch einlegte, es sei nicht nachvollziehbar, in welcher Höhe ihm selbst noch ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung gegen den Konkursverwalter zustehe, hinterlegte der Konkursverwalter der Konkursquote von 56% entsprechend einen Teilbetrag der von der Beklagten geforderten Gesamtsumme (5.192,37 DM) in Höhe von 2.907.73 DM beim AG Köln und verzichtete auf das Recht der Rücknahme.
Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens (Widerspruchsbescheid vom 25. November 1986) hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) beantragt, (1.) den Bescheid vom 24. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1986 aufzuheben, (2.) die Beklagte zu verurteilen, die Forderung "Anspruchsübergang" nach § 117 Abs 4 AFG nicht mehr geltend zu machen sowie (3.) in die Freigabe des beim AG Köln hinterlegten Betrages zu seinen Gunsten einzuwilligen. Das SG hat die Beklagte verurteilt, "den Bescheid vom 24. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1986 insoweit aufzuheben, als sie den Anspruch des Klägers auf Alg ab 8. November 1985 abgelehnt hat", und "in die Freigabe des zugunsten der Beteiligten beim AG Köln unter dem Az 81 HL 1115/86 hinterlegten Betrages in Höhe von 2.907,73 DM zugunsten des Klägers einzuwilligen". Im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Juni 1989). Zur Begründung ist ausgeführt, dem Kläger habe ab Konkurseröffnung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein anteiliger Urlaubsanspruch von 7 Tagen zugestanden. Nur der Urlaubsabgeltungsanspruch für diese Tage beruhe auf der Beendigung des Arbeitsverhältnisses; nur für die ersten 7 Tage nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses könne der Anspruch des Klägers auf Alg gemäß § 117 Abs 1a AFG ruhen. Da somit auf die Beklagte für die Zeit vom 18. November 1985 bis 22. Januar 1986 kein Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 117 Abs 4 Satz 1 AFG iVm § 115 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) übergegangen sei, müsse sie gemäß § 812 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in die Freigabe des hinterlegten Betrages einwilligen.
Auf die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten hat das LSG die Klage insgesamt abgewiesen (Urteil vom 9. September 1992). Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger habe wegen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung für 82 Kalendertage fordern können. Der Anspruch sei unabhängig von seiner konkursrechtlichen Behandlung erst zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis entstanden, so daß die Beendigung des Arbeitsverhältnisses kausal für sein Entstehen gewesen sei. Ob das Arbeitsverhältnis durch normale Kündigung, Konkurseröffnung oder spätere Kündigung des Konkursverwalters ende, sei im Rahmen des § 117 Abs 1a AFG nicht von Bedeutung. Der Zeitraum des Ruhens sei von der Beklagten zutreffend ermittelt worden. Da Alg indes nur in der Zeit vom 18. November 1985 bis 22. Januar 1986 gezahlt worden sei, habe die Beklagte zu Recht für diesen Zeitraum das Ruhen des Anspruchs auf Alg festgestellt. Ob die Sozialgerichte für die Entscheidung über den Anspruch auf Freigabe des hinterlegten Betrages (§ 812 BGB) zuständig seien, könne offenbleiben; das Berufungsgericht habe seine Zuständigkeit gemäß § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) nicht mehr zu prüfen. Die Klage sei insoweit jedoch unbegründet, da dem Kläger wegen des gesetzlichen Übergangs des Urlaubsabgeltungsanspruchs auf die Beklagte (§ 117 Abs 4 Satz 1 AFG iVm § 115 SGB X) der hinterlegte Betrag nicht zustehe. Einen Anspruch auf Auszahlung der Teilsumme, die auf Krankenversicherungs- und Rentenversicherungsbeiträge entfalle, besitze er ohnehin nicht.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 117 Abs 1a AFG. Dessen Voraussetzungen lägen nicht vor; er habe die Urlaubsabgeltung nicht wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu beanspruchen gehabt. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei vielmehr schon während des Konkursverfahrens entstanden, damit der Zeit vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzuordnen, weil der Konkursverwalter die ihm mögliche Freistellung zur Erfüllung des Urlaubsanspruches nicht erteilt habe. Dieses Verhalten des Konkursverwalters, nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei dann Ursache für die Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruches, zumal auch dessen übrige Voraussetzungen vor Ende des Arbeitsverhältnisses lägen. Selbst wenn jedoch § 117 Abs 1a AFG dem Grunde nach anwendbar wäre, hätte die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Alg nur für einen kürzeren Zeitraum feststellen dürfen. Der Umstand, daß nur eine Quote von 56% ausgezahlt worden sei, müsse nämlich bei der Ermittlung der Dauer des Ruhenszeitraums berücksichtigt werden. Im übrigen habe die Beklagte entgegen der Rechtsprechung des 10. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) während der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit vom 1. Oktober 1985 bis 17. November 1985 das Ruhen des Anspruchs auf Alg gemäß § 117 Abs 1a AFG angenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 9. September 1992 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 22. Juni 1989 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, zu Recht das Ruhen des Alg-Anspruchs gemäß § 117 Abs 1a AFG festgestellt zu haben. Der Kläger könne den vom Konkursverwalter hinterlegten Betrag deshalb für sich nicht beanspruchen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist teilweise unzulässig, im übrigen aber begründet.
Im Revisionsverfahren ist nur noch über die Anträge des Klägers auf Aufhebung des Bescheides vom 24. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1986 und Verurteilung der Beklagten zur Freigabe des vom Konkursverwalter hinterlegten Betrages zu entscheiden. Soweit der Kläger erstinstanzlich beantragt hat, die Beklagte zu verurteilen, die Forderung "Anspruchsübergang" nach § 117 Abs 4 AFG iVm § 115 SGB X nicht mehr geltend zu machen, ist die Klageabweisung durch das SG rechtskräftig geworden, da der Kläger hiergegen keine Berufung eingelegt hat. Mit seinem Revisionsantrag verfolgt er dieses Klagebegehren demnach nicht mehr.
Die Revision des Klägers ist unzulässig, soweit er die Verurteilung der Beklagten zur Einwilligung in die Auszahlung des beim AG Köln hinterlegten Betrages an ihn verlangt.
Nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG muß die (nach Satz 1) erforderliche Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Dabei bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSGE 70, 186, 187 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4; BSG SozR 1500 § 164 Nrn 5, 12, 22 und 28; SozR 4100 § 138 Nr 27 ≪insoweit nicht abgedruckt≫; SozR 3-1200 § 54 Nr 1 ≪insoweit nicht abgedruckt≫; SozR 3-2500 § 106 Nr 12; BSG, Urteil vom 25. Oktober 1989 - 7 RAr 90/88 - ≪unveröffentlicht≫). Betrifft die Revision mehrere Ansprüche, ist für jeden von ihnen die gesetzlich vorgeschriebene Begründung erforderlich (BSGE 65, 8, 11 = SozR 1300 § 48 Nr 55; BSG SozR 1500 § 164 Nrn 22 und 32; SozR 4100 § 91 Nr 5 ≪insoweit nicht abgedruckt≫; SozR 3-1200 § 54 Nr 1 ≪insoweit nicht abgedruckt≫; SozR 3-4100 § 115 Nr 1 ≪insoweit nicht abgedruckt≫; Urteil vom 26. April 1989 - 7 RAr 116/87 - ≪unveröffentlicht≫; BVerwG Buchholz 442.03 § 9 GüKG Nr 10; BAGE 2, 58, 59; BFHE 127, 1, 2). Unter einer Mehrheit von Ansprüchen in diesem Sinne sind nicht einmal notwendig nur Ansprüche im prozessualen Sinne zu verstehen (BSG SozR 1500 § 164 Nr 22; SozR 3-4100 § 115 Nr 1 ≪insoweit nicht abgedruckt≫; BSG, Urteil vom 26. April 1989 - 7 RAr 116/87). Der gesetzliche Begründungszwang erfordert vielmehr, daß sich auch bei einem nur teilbaren Streitgegenstand die Begründung auf all die Teile des angefochtenen Urteils erstreckt, deren Abänderung verlangt wird.
Der Kläger beantragt mit seiner Revision die Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG. Damit beansprucht er wegen der entsprechenden Verurteilung der Beklagten durch das SG weiterhin die Zustimmung der Beklagten zur Auszahlung des hinterlegten Betrages an ihn. Dieser Verfahrensgegenstand ist als solcher ohne weiteres von dem der Aufhebung des Bescheides vom 24. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1986 abgrenzbar. Seine Geltendmachung im Revisionsverfahren bedarf daher einer eigenständigen Begründung.
Daran fehlt es indes. Der Kläger hat weder vorgetragen, auf welche Rechtsvorschriften der Anspruch gestützt wird, noch enthält die Revisionsbegründung auch nur im Ansatz inhaltliche Ausführungen zum Anspruch selbst; Hinweise auf Vorbringen im Verwaltungs- bzw im erst- oder zweitinstanzlichen Verfahren ersetzen diese nicht (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 28 mwN). Ob auf eine eigene Begründung bei einem engen Zusammenhang zwischen mehreren Ansprüchen verzichtet werden kann, insbesondere wenn die Begründetheit des einen Anspruchs von der Begründetheit eines anderen unmittelbar abhängt (vgl hierzu BAG AP Nr 27 zu § 72 ArbGG 1953 "Streitwertrevision"), bedarf keiner Entscheidung, da eine derartige Konstellation nicht vorliegt.
Soweit der Kläger im Revisionsverfahren die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend macht, begründet er diese damit, daß die Voraussetzungen des § 117 Abs 1a AFG (hier idF des Sozialgesetzbuchs - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - vom 4. November 1982 - BGBl I 1450) nicht vorlägen; sein Anspruch auf Alg habe deshalb im streitigen Zeitraum nicht geruht. Diese Begründung stützt - ihre Richtigkeit unterstellt - nicht gleichzeitig den Anspruch auf Zustimmung zur Auszahlung des gesamten hinterlegten Betrages. Das LSG hat in seiner Entscheidung richtigerweise darauf hingewiesen, daß der vom Konkursverwalter entsprechend der Konkursquote von 56% hinterlegte Betrag nicht nur der Erfüllung des Urlaubsabgeltungsanspruchs diene, den die Beklagte wegen gesetzlichen Forderungsübergangs (§ 117 Abs 4 Satz 1 AFG iVm § 115 SGB X) für sich in Anspruch nimmt, sondern auch (entsprechend der Konkursquote) die von der Beklagten geltend gemachten Ansprüche auf Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 160 AFG und § 166a AFG betreffe. Zum anderen ergäbe sich aus einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides nicht ohne weiteres der Rechtsgrund für die Verpflichtung der Beklagten, in die Freigabe des hinterlegten Betrages einzuwilligen. Insoweit käme es auf die Rechtslage nach § 812 Abs 1 Satz 1 BGB iVm §§ 12, 13 Hinterlegungsordnung und §§ 372 Satz 2, 378 BGB an, die zumindest einer kurzen Darlegung bedurft hätte. Schließlich ist zweifelhaft, ob zur Entscheidung über den Anspruch auf Freigabeerklärung überhaupt die Zuständigkeit der Sozialgerichte nach § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anzunehmen ist. Dieses Argument verliert nicht deshalb an Gewicht, weil das BSG als Rechtsmittelgericht nach § 202 SGG iVm § 17a Abs 5 GVG idF des Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17. Dezember 1990 (BGBl I 2809) nicht mehr zu prüfen hat, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Entgegen der Ansicht des LSG ist diese mit Wirkung ab 1. Januar 1991 ins GVG eingefügte Vorschrift nämlich noch nicht anwendbar, weil das erstinstanzliche Urteil vor dem 1. Januar 1991 ergangen ist (vgl BSG SozR 3-3100 § 16g Nr 1; BGHZ 114, 1, 4 f; BVerwG Buchholz 300 § 17a GVG Nr 2; BAG AP Nr 21 zu § 2 ArbGG 1979).
Im übrigen ist die Revision des Klägers begründet.
Insoweit ist nur noch über den Antrag des Klägers auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 24. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1986 (§ 95 SGG) iS einer isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) zu befinden. Dieser Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig; ihm steht schon die Bindungswirkung der früheren Bewilligung von Alg (§ 77 SGG) für den Zeitraum vom 18. November 1985 bis 22. Januar 1986 entgegen. Auf die von den Beteiligten aufgeworfene Rechtsfrage, ob § 117 Abs 1a AFG Anwendung findet, kommt es deshalb nicht an; ob die Beklagte zu Recht einen Ruhenszeitraum vom 1. Oktober 1985 bis 22. Januar 1986 angenommen hat, ist ebensowenig zu entscheiden. Entgegen der Ansicht der Beklagten und der Vorinstanzen regelt der angefochtene Bescheid nämlich unter Berücksichtigung seines Verfügungssatzes, der für den Inhalt eines Verwaltungsakts maßgebend ist, ausschließlich die Ablehnung der Gewährung von Alg für den Zeitraum vom 18. November 1985 bis 22. Januar 1986.
Dies folgt aus der abgegebenen Erklärung der Beklagten und dem für den Adressaten ersichtlichen Erklärungswillen (Empfängerhorizont); der so ermittelte Verfügungssatz bestimmt den Inhalt des Verwaltungsaktes (BSGE 67, 221, 224 = SozR 3-4100 § 117 Nr 3; BSG SozR 4100 § 117 Nr 21). Der Bescheid der Beklagten vom 24. September 1986 führt nach der Angabe des Betreffs (Antrag auf Alg; Ruhen des Anspruchs in der Zeit vom 18. November 1985 bis 22. Januar 1986) aus, daß dem Kläger für den vorgenannten Zeitraum die oben angegebene Leistung nicht gezahlt werden könne. Zur Erläuterung wird darauf verwiesen, daß er gegen seine frühere Arbeitgeberin einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für 82 Kalendertage besitze, der seinen Anspruch auf Alg in der Zeit vom 1. Oktober 1985 bis 22. Januar 1986 ruhen lasse. Der Wortlaut des Verwaltungsaktes, dessen Auslegung in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (vgl Peters/Sautter/Wolff, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand Februar 1993, § 162 RdNr 65 mwN), ist eindeutig: Es wird eine Leistung abgelehnt unter Hinweis auf einen im Gesetz vorgesehenen Ruhenstatbestand. Nur ersteres ist der Verfügungssatz, letzteres die - richtige oder unrichtige - Begründung, wie der Senat bereits früher entschieden hat (BSG SozR 4100 § 117 Nr 21). Schon in dieser Entscheidung wurde deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es mißverständlich ist, wenn derartige Bescheide als Ruhensbescheide bezeichnet werden, selbst wenn es Sachverhalte geben könne, in denen durchaus Anlaß zum Erlaß eines feststellenden Verwaltungsaktes bestehe (vgl auch die Rechtsprechung zur Ablehnung von Alg wegen einer Sperrzeit: BSGE 18, 266, 268 = SozR Nr 22 zu § 144 SGG; BSGE 66, 94, 95 = SozR 4100 § 119 Nr 36; BSG, Urteil vom 4. Juli 1991 - 7 RAr 124/90 - ≪unveröffentlicht≫), der dann als solcher aus dem Empfängerhorizont aber erkennbar sein muß.
Regelt der angefochtene Bescheid der Beklagten mithin nicht das Ruhen des Alg-Anspruchs in der Zeit vom 1. Oktober 1985 bis 22. Januar 1986, sondern ausschließlich die Ablehnung der Gewährung von Alg für den Zeitraum vom 18. November 1985 bis 22. Januar 1986, so steht einer derartigen Regelung die Bindungswirkung der früheren Bewilligung von Alg entgegen. Eine unangefochtene Bewilligung ist gemäß § 77 SGG in ihrem materiellen Gehalt für alle Beteiligten verbindlich (vgl zu einem vergleichbaren Sachverhalt: BSG SozR 4100 § 117 Nr 21). Selbst dann würde nichts anderes gelten, wenn tatsächlich ausnahmsweise ein feststellender Ruhensbescheid im eigentlichen Sinne ergangen wäre (BSG aaO).
Der Bescheid der Beklagten kann nicht gemäß § 43 SGB X in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X bzw in einen Aufhebungsbescheid nach § 48 SGB X umgedeutet werden; auch dies hat der Senat im bezeichneten Urteil bereits ausgeführt (SozR 4100 § 117 Nr 21). § 45 SGB X erlaubt die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes unter weiteren gesetzlichen Prämissen nur, wenn er von Anfang an rechtswidrig war. § 48 SGB X verlangt eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen.
Die Umdeutung in die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 SGB X) scheitert bereits daran, daß eine gebundene Entscheidung nicht zur Ermessensentscheidung - wie im Falle des § 45 SGB X - werden darf (§ 43 Abs 4 SGB X); Ermessen hat die Beklagte ohnedies nicht ausgeübt. Darüber hinaus war die frühere Bewilligung von Alg bei Bejahung aller sonstigen Anspruchsvoraussetzungen nicht einmal dann rechtswidrig, wenn dem Kläger ein Urlaubsabgeltungsanspruch zugestanden hat, der an sich das Ruhen von Alg nach § 117 Abs 1a AFG ausgelöst hätte; denn in diesem Fall hatte die Beklagte an den Kläger Leistungen nach § 117 Abs 4 Satz 1 AFG zu erbringen. Ist jedoch § 117 Abs 1a AFG nicht einschlägig, hatte der Kläger - bei Erfüllung aller sonstigen Anspruchsvoraussetzungen - ohnedies einen Anspruch auf Alg.
Die Umdeutung des angefochtenen Bescheides in einen Aufhebungsbescheid nach § 48 SGB X scheitert daran, daß auch die Voraussetzungen für dessen Erlaß nicht vorliegen. Ein solcher Bescheid wäre rechtswidrig, da die arbeitsgerichtliche Zuerkennung des Urlaubsabgeltungsanspruchs bzw Zahlung oder Hinterlegung keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen darstellt, die die Grundlagen einer Bewilligung des Alg nach § 117 Abs 4 Satz 1 AFG nachträglich entfallen ließe. Eine rückwirkende Aufhebung früherer Bewilligungsbescheide kommt folglich nicht in Betracht (BSGE 60, 168, 172 = SozR 4100 § 117 Nr 16; BSG SozR 4100 § 117 Nrn 18, 19, 20 und 26). Entgegen dem Wortlaut der Regelungen in § 117 Abs 1 bis 2 AFG ruht der Alg-Anspruch im Falle des § 117 Abs 4 Satz 1 AFG nämlich nicht, sondern ist gleichwohl zu erfüllen. Es handelt sich dabei um den regulären Alg-Anspruch, nicht um einen Vorschuß mit der Notwendigkeit einer späteren Korrektur des Bewilligungsbescheides selbst; Korrekturmöglichkeiten bezüglich der Anspruchsdauer des Alg stehen auf einem anderen Blatt (vgl BSGE 60, 168 ff = SozR 4100 § 117 Nr 16; BSGE 64, 199 ff = SozR 4100 § 117 Nr 23; BSG SozR 4100 § 117 Nrn 18, 19, 20 und 22). Es ist zwar mißverständlich, wenn § 117 Abs 4 Satz 1 AFG eine Alg-Gewährung in der Zeit vorsieht, in der der Anspruch darauf ruht; gemeint ist jedoch die Zeit, in der der Anspruch auf Alg nach alleiniger Maßgabe des § 117 Abs 1 bis 2 AFG ruhen würde (BSGE 60, 168, 171 = SozR 4100 § 117 Nr 16). Im Ergebnis bedeutet dies, daß der Anspruch auf Alg gerade nicht ruht, wenn der Arbeitslose die an sich zum Ruhen führende Leistung tatsächlich nicht erhält.
Die Beklagte ist in Fällen der Gleichwohlgewährung nach § 117 Abs 4 Satz 1 AFG darauf verwiesen, den von Gesetzes wegen auf sie übergegangenen Anspruch (§ 115 SGB X), ohne daß es eines weiteren Verwaltungsaktes gegenüber dem Arbeitslosen bedarf, beim Arbeitgeber geltend zu machen. Zahlt dieser nicht, ist der Anspruch so zu realisieren, wie er ohne den Anspruchsübergang vom Arbeitslosen selbst durchgesetzt werden müßte. Zahlt der Arbeitgeber allerdings mit befreiender Wirkung an den Arbeitslosen oder einen Dritten, haben diese die Beträge zu erstatten (§ 117 Abs 4 Satz 2 AFG). Auch hierfür ist die Aufhebung der früheren Bewilligungsbescheide nicht erforderlich, sogar nicht zulässig (vgl nur BSGE 67, 221, 223 = SozR 3-4100 Nr 3; BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 7 mwN). Hinterlegt der Arbeitgeber - wie hier - wegen bestehender Unsicherheit über die Person des Gläubigers den von der Beklagten geltend gemachten Betrag, so muß die Beklagte bei wirksamer Hinterlegung die Rechtsfolgen der Hinterlegung gegen sich gelten lassen, hat aber wie jeder Hinterlegungsbeteiligte die Möglichkeit, die Berechtigung zur Auszahlung des hinterlegten Betrages gerichtlich zu erstreiten. Abgesehen davon, daß die Beklagte keinen feststellenden Verwaltungsakt des Inhaltes erlassen hat, daß der Anspruch des Klägers im streitigen Zeitraum geruht habe, ist somit zur Wahrung der Rechte der Beklagten grundsätzlich weder Bedarf noch Raum für einen derartigen Bescheid.
Trotz der im Ergebnis die Rechtsauffassung des SG bestätigenden Beurteilung, daß der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist, konnte sich der Senat nicht auf die bloße Aufhebung des LSG-Urteils in diesem Punkt und die entsprechende Zurückweisung der Berufung der Beklagten beschränken. Vielmehr mußte das Urteil des LSG der wahren Rechtslage gemäß korrigiert und dementsprechend das Urteil des SG abgeändert werden. Das SG hätte auf die isolierte Anfechtungsklage, von der es ersichtlich ebenfalls ausgegangen ist, den angefochtenen Bescheid idF des Widerspruchsbescheids durch eine Kassationsentscheidung aufheben müssen. Es hat deshalb zu Unrecht die Beklagte verurteilt, ihren Bescheid selbst aufzuheben. Dem Antrag des Klägers gemäß war dem nunmehr in der Revisionsinstanz mittels Korrektur des zweitinstanzlichen Urteils Rechnung zu tragen, da das LSG - ausgehend von der unzutreffenden Auffassung, der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtmäßig - hierüber nicht befunden hat. Richtigerweise hätte es jedoch bei Annahme der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides die Berufung der Beklagten inhaltlich zurückweisen und gleichzeitig den Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung abändern müssen. Eine unzulässige Verböserung wäre damit nicht verbunden gewesen. Das Gebot der umfassenden Entscheidung über die vom Kläger erhobenen Ansprüche gilt nämlich gleichermaßen für die Klage- und Berufungsinstanz, wenn das SG rechtsirrig nicht in vollem Umfang über den Streitfall entschieden und nur die in erster Instanz verurteilte Beklagte Berufung eingelegt hat (BSGE 48, 243, 244 f = SozR 5310 § 6 Nr 2), es sei denn, daß es sich um verschiedene oder abtrennbare Streitgegenstände handelt. Dies ist vorliegend nicht der Fall; vielmehr geht es ausschließlich um die Frage, ob der als rechtswidrig erkannte Bescheid durch die Beklagte selbst oder bereits durch das Gericht aufzuheben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen