Leitsatz (amtlich)
Gegen einen an die Geschäftsführer einer GmbH persönlich als Gesamtschuldner gerichteten Ordnungsstrafenbescheid des Unfallversicherungsträgers kann die GmbH grundsätzlich wegen fehlenden eigenen Rechtsschutzbedürfnisses auch mit Ermächtigung der Geschäftsführer nicht im eigenen Namen (gewillkürte Prozeßstandschaft) klagen.
Leitsatz (redaktionell)
Aus einem gegen die Geschäftsführer einer GmbH persönlich gerichteten Bescheid kann nicht gegen die Gesellschaft, deren Geschäfte sie führen, vollstreckt werden.
Normenkette
SGG § 69 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. November 1972 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin - im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die im Laufe des Revisionsverfahrens in eine Kommanditgesellschaft (KG) umgewandelt wurde - betreibt eine Schuhfabrik in P. Sie ist Mitglied der Beklagten. Mit Bescheid vom 26. November 1968 verhängte die Beklagte gegen "1) O R, 2) W R, Geschäftsführer der Firma R GmbH, Schuhfabrik, P", als Gesamtschuldner eine Ordnungsstrafe von 85,- DM wegen grob fahrlässigen Verstoßes gegen die Verpflichtung, einem der beiden Sicherheitsbeauftragten ihres Betriebes die Teilnahme an den von ihr veranstalteten Ausbildungslehrgängen zu ermöglichen. Da die Verletzung der Unfallverhütungsvorschriften im Betrieb einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung geahndet werde, seien die Geschäftsführer zu bestrafen.
Der Verband der Schuhindustrie in Rheinland-Pfalz e. V. legte "im Namen und mit Vollmacht" der "Mitgliedsfirma L R GmbH, P", Widerspruch ein und machte geltend, eine Ordnungsstrafe sei nicht zulässig, da § 710 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nur im Rahmen des Vierten Abschnittes, Teil A, nicht aber Teil B des 3. Buches der RVO, Zweiter Teil, anwendbar sei.
Die Beklagte wies am 3. Dezember 1970 mit einem an "1) Herrn O R, 2) Herrn W R, Geschäftsführer der Schuhfabrik R GmbH", gerichteten Bescheid den Widerspruch als unbegründet zurück.
Der Verband der Schuhindustrie in Rheinland-Pfalz hat für die "Firma L R GmbH, Schuhfabrik, P", Klage erhoben und zur Begründung wiederum ausgeführt, es fehle an einer Rechtsgrundlage für die Ordnungsstrafe. Die Vollmacht für den Geschäftsführer des Verbandes der Schuhindustrie in Rheinland-Pfalz e. V. hat der Geschäftsführer O R unterzeichnet und mit dem Firmenstempel versehen.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 24. April 1972 die Klage abgewiesen, da die Firma R gegen § 9 der Unfallverhütungsvorschriften grob fahrlässig verstoßen habe. Im Rubrum des Urteils ist als Klägerin die "Firma L R GmbH" aufgeführt.
Die "Firma L R GmbH" hat Berufung eingelegt. Die Vollmacht des Geschäftsführers des Verbandes der Schuhindustrie in Rheinland-Pfalz e. V. ist wiederum von O R unterzeichnet.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 15. November 1972 die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Eine Beschränkung der Strafandrohung auf Verstöße gegen unmittelbar der Unfallverhütung dienende Vorschriften über Schutzvorrichtungen an betrieblichen Einrichtungen ergebe sich nicht daraus, daß die Strafvorschrift des § 710 RVO in Teil A, die Bestimmungen über den Sicherheitsbeauftragten in Teil B des Vierten Abschnittes des Zweiten Teiles des 3. Buches der RVO enthalten seien.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die "Firma L R GmbH" hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Die Vollmacht des Geschäftsführers des Verbandes der Schuhindustrie in Rheinland-Pfalz e. V. ist von O R unterschrieben, trägt den Stempel "L. R GmbH, Schuhfabrik, P".
Die Revision führt aus: Die Ordnungsstrafe verstoße gegen rechtsstaatliche Grundsätze, da § 710 RVO auch nicht entsprechend für Teil B gelte. Auch dürfe eine Ordnungsstrafe gegenüber einer Firma nicht ausgesprochen werden, wenn sich im Betrieb niemand unter der Belegschaft bereit finde, als Sicherheitsbeauftragter an einem Kurs teilzunehmen.
Die Revision beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG Speyer vom 24. April 1972 den Ordnungsstrafenbescheid vom 26. November 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 1970 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat der Klägerin mit Schreiben vom 7. und 18. September 1973 Gelegenheit gegeben, zu ihrer Prozeßführungsbefugnis und ggf. dazu Stellung zu nehmen, ob die Firma L R lediglich irrtümlich anstelle der Herren O und W R als Klägerin aufgeführt ist.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden; die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind erfüllt.
Die Revision ist zulässig.
Der Verband der Schuhindustrie in Rheinland-Pfalz e. V. ist eine Vereinigung von Arbeitgebern i. S. des § 166 Abs. 2 Satz 1 SGG. Nach § 4 seiner Satzung bezweckt er die Förderung und Wahrung der gemeinsamen Interessen seiner Mitglieder, und zwar auf fachlichem und arbeitsrechtlichem Gebiet. Er verhandelt zu diesem Zweck mit Behörden und anderen Organisationen und ist berechtigt, Kollektivverträge mit den Gewerkschaften abzuschließen. Die Mitgliedschaft des Verbandes können nach § 7 Nr. 1 der Satzung alle in das Handelsregister eingetragenen Unternehmer und Unternehmungen (natürliche und juristische Personen) im Lande Rheinland-Pfalz erwerben, die Schuhe, Schäfte oder andere Schuhteile herstellen, die in der Regel in Schuhfabriken angefertigt werden. Die korporative Mitgliedschaft des Verbandes können nach § 7 Nr. 4 der Satzung Zusammenschlüsse von Unternehmungen und Unternehmern erwerben, die Teile von Schuhen herstellen oder bestimmte Arbeitsgänge der Schuhfertigung für andere in Lohn ausführen.
Die zulässige Revision ist jedoch nicht begründet.
Das LSG hat im Ergebnis mit Recht die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückgewiesen.
Kläger sind nicht die Adressaten des Verwaltungsaktes der Beklagten vom 26. November 1968, sondern Klägerin ist die frühere Firma L R GmbH, die nunmehr in der Rechtsform einer KG weitergeführt wird. Dafür sprechen die Bezeichnung der Klägerin in dem Verfahren vor dem SG und dem LSG, die Prozeßvertretung durch den Geschäftsführer des Verbandes der Schuhindustrie in Rheinland-Pfalz e. V. und dessen Bevollmächtigung durch O R als Geschäftsführer der Klägerin. Die vorsorglichen Rückfragen des erkennenden Senats haben keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, daß trotzdem in dem Rechtsstreit Kläger die Herren O und W R sind und die Firma L R GmbH - nunmehr KG - nur irrtümlich als Klägerin aufgeführt worden ist.
Die Klage der Firma L R GmbH, nunmehr KG, ist jedoch unzulässig. Die Firma L R ist nicht zur Führung des Prozesses im eigenen Namen gegen die Festsetzung der Ordnungsstrafe in dem Bescheid vom 26. November 1968 befugt. Die Prozeßführungsbefugnis ist eine unverzichtbare Prozeßvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (BSG 6, 278, 281; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl., S. 234 m I).
Der Bescheid der Beklagten vom 26. November 1968 und der Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1970 sind an O und W R gerichtet. Gemäß § 774 RVO ist diesen natürlichen Personen und nicht der Firma L R GmbH die Ordnungsstrafe als Gesamtschuldner auferlegt. Sie sind durch die Bescheide beschwert und prozeßführungsbefugt. Die Firma L R KG - vormals GmbH - ist dagegen nicht befugt, im eigenen Namen gegen den Ordnungsstrafenbescheid vom 26. November 1968 zu klagen. Eine gesetzliche Prozeßstandschaft der Firma scheidet aus. Eine gewillkürte Prozeßstandschaft setzt nicht nur voraus, daß - was hier zugunsten der Klägerin unterstellt werden kann - O und W R die Firma L R GmbH zur Prozeßführung ermächtigt haben. Eine gewillkürte Prozeßstandschaft ist nur zulässig, wenn der Dritte außerdem ein eigenes Rechtsschutzbedürfnis an der Geltendmachung des Rechts hat (vgl. BSG 10, 131, 134; BSG SozR Nr. 3 zu § 69 SGG, BGHZ 25, 250, 259/260; 35, 180, 184; 38, 281, 283; 48, 12, 15; Brackmann, aaO, S. 234 m; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., § 69 Anm. 2; Stein/Jonas/Pohle, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., Vorbem. vor § 50, Anm. II 7; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., 1969, § 46 III - 1 S. 201). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Der Bescheid der Beklagten vom 26. November 1968 und auch der Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1970 sind gegen O und W R als Gesamtschuldner gerichtet. Aus dem Bescheid vom 26. November 1968 kann die Beklagte nicht gegen die Firma L R GmbH - nunmehr KG - vollstrecken. Auch sonst berührt dieser Bescheid die Rechte der mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Firma L R GmbH - nunmehr KG - nicht. Das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 14. Juli 1965 (LM Nr. 16 zu § 185 BGB = NJW 1965, 1962) rechtfertigt ebenfalls keine andere Entscheidung. Der BGH hat auch in dieser Entscheidung für eine gewillkürte Prozeßstandschaft ein eigenes Rechtsschutzbedürfnis der Dritten vorausgesetzt und dieses für die Klage eines Geschäftsführers einer GmbH bejaht, mit der er eine Forderung der GmbH mit deren Ermächtigung im eigenen Namen geltend machte, da er 98 % der Geschäftsanteile innehatte und deshalb an der Einziehung von Forderungen der GmbH in nahezu demselben Maße interessiert war. Der BGH hat "dieses erhebliche wirtschaftliche Interesse des beherrschenden Gesellschafters als rechtsschutzwürdig" angesehen. Ein entsprechendes erhebliches wirtschaftliches Interesse besteht jedoch nicht für den - hier vorliegenden - Fall, daß sich die GmbH gegen eine ihre Gesellschafter persönlich als Gesamtschuldner betreffende Ordnungsstrafe von 85,- DM wendet. Die Firma mag hinsichtlich der gegenüber ihren Geschäftsführern erhobenen Vorwürfe ein berechtigtes Interesse an der Klärung des Sachverhalts und der Rechtslage sowie an der Aufhebung der Ordnungsstrafe haben; ein eigenes Rechtsschutzbedürfnis besteht jedoch nicht, da sie durch den Ordnungsstrafenbescheid nicht in ihren Rechten betroffen ist. Das LSG hat deshalb zu Recht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klage der Firma L R GmbH - nunmehr KG - ist jedoch nicht als unbegründet, sondern als unzulässig abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen