Entscheidungsstichwort (Thema)
Hilfeleistung bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr, gemeiner Not. Löschen eines Feuers in einer Baugrube
Orientierungssatz
1. Nicht jeder Brand in einer Stadt bedeutet eine gemeine Gefahr oder Not. Eine Gefahr ist ein Zustand, in dem nach den obwaltenden Umständen des Einzelfalles ein Schaden wahrscheinlich ist. Gemeine Gefahr ist gegeben, wenn die Gefahr der Allgemeinheit droht (vgl BSG 1974-10-30 2/8 RU 100/73 = USK 74130).
2. Das BSG hat schon zur Hilfe bei Unglücksfällen entschieden, daß bei der Prüfung, ob eine gegenwärtige Lebensgefahr oder eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für Körper und Gesundheit eines anderen gegeben ist, darauf abzustellen ist, ob der Hilfeleistende nach den Umständen eine solche Gefahr annehmen durfte (vgl BSG 1973-12-11 2 RU 30/73 = BSGE 37, 38). Es liegt nahe, ohne daß der Senat dies hier abschließend zu entscheiden brauchte, bei Hilfeleistungen bei gemeiner Gefahr oder Not ebenfalls davon auszugehen, daß es insoweit darauf ankommt, daß der Hilfeleistende nach den Umständen des Falles annehmen durfte, seine Hilfe diene der Beseitigung oder Beschränkung einer gemeinen Gefahr oder Not.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 28.09.1978; Aktenzeichen I UBf 17/78) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 17.02.1978; Aktenzeichen 24 U 522/76) |
Tatbestand
Am 14. Oktober 1972 entdeckten der damals 11 Jahre alte Beigeladene und sein 3 Jahre jüngerer Bruder auf einem geräumten und eingefriedigten 2.800 qm großen Ruinengrundstück (35 x 80 m) in der Margarethenstraße in Berlin-Lichterfelde in einer Baugrube ein mit starker Rauchentwicklung brennendes Feuer. Sie betragen nach ihren Aussagen vor der Kriminalpolizei das Grundstück durch eine schadhafte Stelle im Zaun und versuchten zunächst, das Feuer durch Hineinwerfen von Steinen und verrosteten Stäben zu löschen. Sodann breiteten sie einen alten Teppich über einen Kühlschrank, der im Feuer stand. Außerdem versuchten sie drei- bis viermal, ein altes verschlossenes 200-Literfaß, das etwa 2 m vom Feuer entfernt lag, in dieses hineinzurollen. Das Faß prallte jedesmal von einem Korb ab, der im Feuer stand. Dann entzündete sich explosionsartig ein Dieselölrest, der sich im Faß befand. Durch die Explosion zog sich der Beigeladene lebensgefährliche Brandverletzungen zu.
Die Klägerin gewährte der bei ihr versicherten Mutter des Beigeladenen Familienkrankenpflege für den verletzten Sohn. Hinsichtlich der Kosten der Krankenhauspflege in Höhe von mehr als 20.000,-- DM machte die Klägerin einen Ersatzanspruch bei dem Beklagten geltend, den dieser ablehnte.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 17. Februar 1978 die Klage abgewiesen, da die Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz bei einer Hilfeleistung bei Unglücksfällen oder bei gemeiner Gefahr nicht gegeben gewesen seien. Vielmehr sei die Gefahr erst durch das Rollen des Fasses in das Feuer entstanden.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 26. September 1978 zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt: Das Löschen des Feuers habe nicht der Hilfeleistung bei einem Unglücksfall oder der Rettung eines anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher gegenwärtiger Gefahr für Körper und Gesundheit gedient. Auch von einer Hilfeleistung bei gemeiner Gefahr oder Not habe es sich nicht überzeugen können. Durch das Feuer in der Ausschachtgrube habe keine Gefahr für die Allgemeinheit gedroht. Es sei nicht festzustellen, daß es sich um ein größeres offenes Feuer gehandelt habe. Für einen Schwelbrand spreche, daß die Hitzeentwicklung nicht groß gewesen sein könne. Das ergebe sich aus dem Verhalten der Kinder vor der Explosion. Selbst wenn man jedoch eine Gefahr oder gemeine Gefahr annehme, scheitere der Anspruch der Klägerin daran, daß sich nicht feststellen lasse, daß das Verhalten des Beigeladenen von dem Willen bestimmt gewesen sei, Hilfe zu leisten. Zwar könne dem damals 11-jährigen Beigeladenen und seinem jüngeren Bruder die Einlassung bei der polizeilichen Vernehmung, sie hätten versucht, das Feuer zu löschen, nicht widerlegt werden. Diese subjektive Motivation lasse sich jedoch durch das nach außen in Erscheinung getretene Verhalten des Beigeladenen nicht als Hilfeleistung objektivieren. Die zum Löschen eines Feuers ungeeigneten Maßnahmen - Steine und verrostete Stäbe in das Feuer werden - ließen es zumindest zweifelhaft erscheinen, löschen zu wollen. Es sei ebensowenig auszuschließen, daß der Beigeladene und sein Bruder dabei ihrem Spieltrieb nachgegangen seien. Es lasse sich jedenfalls nicht feststellen, daß die ernsthafte Absicht, das Feuer zu löschen, die im Unfallzeitpunkt wesentliche Ursache für das Handeln des Beigeladenen gewesen sei.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt.
Sie trägt vor: Das LSG widerspreche sich, wenn es einerseits davon ausgehe, daß dem Beigeladenen seine Einlassung bei der polizeilichen Vernehmung, sie hätten versucht, das Feuer zu löschen, nicht widerlegt werden könne, andererseits aber dies in der Urteilsbegründung wieder in Zweifel stelle.Inwieweit eine Gefahr und in welcher Größe diese Gefahr bestanden habe, sei nicht von entscheidender Bedeutung, wenn man davon ausgehe, daß die Jungen eine ernsthafte Absicht hatten, "eine Gefahr" zu beseitigen. Das aktive Tun des Hilfeleistenden müsse auch nicht auf einer mehr oder minder längeren Überlegung darüber beruhen, ob und wie ggf Hilfe geleistet werden solle. Zudem sei ein Feuer im Stadtwohnbereich, zumal mit gefährlichem Brennmaterial, immer eine besondere Gefahr für Menschen und Gegenstände. Es müsse genügen, wenn der Handelnde aus den Gesamtumständen den berechtigten Schluß habe ziehen können, daß unmittelbare Gefahr für Leben, Körper oder Gesundheit bestehe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Hamburg vom 26. September 1978
aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr
die durch den Unfall am 14. Oktober 1972 entstandenen
Kosten gemäß § 1510 RVO zu ersetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht durch einen beim Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- ).
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Der auf eine entsprechende Anwendung des § 1510 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestützte Ersatzanspruch der Klägerin (s BSGE 39, 24, 25) ist, wie das SG und das LSG zutreffend entschieden haben, nicht begründet. Der Beigeladene hat am 14. Oktober 1972 keinen Arbeitsunfall im Sinne der §§ 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a, 548 RVO erlitten.
Nach den von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß durch den Brand in der Baugrube jedenfalls in dem Zeitpunkt, als der Beigeladene und sein jüngerer Bruder das Gelände betraten, auch für den Beigeladenen ersichtlich kein Unglücksfall eingetreten war und auch keine gegenwärtige Lebensgefahr oder erhebliche gegenwärtige Gefahr für Körper oder Gesundheit eines anderen bestand.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hat durch den Brand auch objektiv keine gemeine Gefahr oder Not bestanden. Entgegen der Auffassung der Klägerin bedeutet nicht jeder Brand in einer Stadt eine gemeine Gefahr oder Not. Eine Gefahr ist ein Zustand, in dem nach den obwaltenden Umständen des Einzelfalles ein Schaden wahrscheinlich ist (s ua Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-9. Aufl, S 473c; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 Anm 57). Gemeine Gefahr ist gegeben, wenn die Gefahr der Allgemeinheit droht (s BSG Urteile vom 22. Februar 1973 - 2 RU 125/70 - und 30. Oktober 1974 - 2/8 RU 100/73; Brackmann aaO; Lauterbach aaO).Aus den besonderen Umständen des vorliegenden Falles, insbesondere aus dem Umgang des Beigeladenen und seines jüngeren Bruders mit dem Feuer, dem Verhalten der Bewohner aller Häuser neben dem Ruinengrundstück sowie der Größe dieses Grundstückes und der Lage der Feuerstelle, ist das LSG ohne Rechtsirrtum zu der Überzeugung gelangt, daß das Feuer keine Gefahr für die Allgemeinheit bildete. Dabei ist zu beachten, daß die mit dem Feuer verbundenen Belästigungen der Anwohner, zB die vom LSG festgestellte starke Rauchentwicklung, hier allein noch keine Gefahr bedeuteten.
Der Senat hat schon in seinem Urteil vom 11. Dezember 1973 (BSGE 37, 38, 39) zur Hilfe bei Unglücksfällen entschieden, daß bei der Prüfung, ob eine gegenwärtige Lebensgefahr oder eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für Körper und Gesundheit eines anderen gegeben ist, darauf abzustellen ist, ob der Hilfeleistende nach den Umständen eine solche Gefahr annehmen durfte (ebenso Brackmann aaO S 473 b/c). Es liegt nahe, ohne daß der Senat dies hier abschließend zu entscheiden braucht, bei Hilfeleistungen bei gemeiner Gefahr oder Not ebenfalls davon auszugehen, daß es insoweit darauf ankommt, daß der Hilfeleistende nach den Umständen des Falles annehmen durfte, seine Hilfe diene der Beseitigung oder Beschränkung einer gemeinen Gefahr oder Not. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgeht, führt dies zu keiner anderen Entscheidung. Dabei ist insbesondere zu beachten, daß nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG das Grundstück umfriedet war, das Feuer jedenfalls nur gering brannte, Anhaltspunkte für ein Übergreifen des Feuers auch für den Beigeladenen nicht erkennbar waren, wie seine Versuche, das Feuer zu löschen, gleichfalls erkennen lassen, und daß der Beigeladene auch nicht davon ausging, das nicht weit vom Feuer lagernde Faß bilde eine gemeine Gefahr, denn er versuchte mit seinem jüngeren Bruder, das Faß sogar in das Feuer hineinzurollen.Nicht nur die objektiven Umstände, sondern auch das Verhalten des Beigeladenen selbst geben nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG auch unter Berücksichtigung seines Alters im Unfallzeitpunkt keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, daß er davon ausgehen durfte, es liege eine gemeine Gefahr vor.
Außerdem hat sich das LSG ohne Rechtsirrtum nicht davon überzeugen können, daß der Beigeladene Hilfe leisten wollte.Das LSG widerspricht sich nicht, wie die Klägerin meint, wenn es einerseits davon ausgeht, der Beigeladene und sein Bruder hätten das Feuer löschen wollen, andererseits aber nicht davon überzeugt ist, die Jungen hätten Hilfe leisten wollen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß der Beigeladene das Feuer löschen wollte, so sind den tatsächlichen Feststellungen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß der Beigeladene das Feuer löschen wollte, um Hilfe zu leisten, und nicht nur, um im Rahmen einer spielerischen Betätigung das Feuer zu löschen. Das LSG hat zudem lediglich nicht ausschließen können, daß der Beigeladene und sein Bruder Hilfe leisten wollten. Der Ersatzanspruch der Klägerin wäre insoweit aber nur dann begründet, wenn festzustellen ist, daß der Beigeladene Hilfe leisten wollte. Davon hat sich das LSG jedoch aus den von ihm gewürdigten Umständen, insbesondere auch aus dem Verhalten des Beigeladenen und seines Bruders, ohne Rechtsirrtum nicht überzeugen können.Dabei hat das LSG einen Arbeitsunfall des Beigeladenen nicht, wie die Klägerin meint, deshalb verneint, weil er schnell hatte handeln wollen und dabei nicht die geeigneten Mittel ergriffen habe. Das LSG ist vielmehr zu der Überzeugung gelangt, daß sich nicht feststellen lasse, daß der Beigeladene überhaupt Hilfe leisten wollte. Deshalb fehlt es auch aus diesem Grund an der Voraussetzung des Ersatzanspruchs der Klägerin, daß sie die Aufwendungen für die Krankenhauspflege des Beigeladenen aus Anlaß eines Arbeitsunfalles erbracht hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, daß nicht auszuschließen ist, daß dem Beigeladenen im Revisionsverfahren Kosten entstanden sind, die von der Klägerin jedoch nicht zu erstatten sind, weil nicht ersichtlich ist, daß der Beigeladene sich der Prozeßführung des beklagten Landes angeschlossen hat.
Fundstellen