Leitsatz (redaktionell)

"Arbeitslos" kann auch ein Ruhegehaltsempfänger sein. Die ernstliche Arbeitsbereitschaft als Voraussetzung für das vorzeitige Altersruhegeld ist aber in jedem Einzelfall  sorgfältig zu prüfen; sie kann nicht allein durch die Meldung beim Arbeitsamt bewiesen werden.

 

Normenkette

RVO § 1248 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 25 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Juni 1963 wird dahin geändert, daß die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 8. Februar 1962 in vollem Umfang zurückgewiesen wird.

Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger, einem pensionierten Polizeibeamten, vorzeitiges Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit (§ 25 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) zusteht.

Der Kläger, der eine Prüfung als Kaufmannsgehilfe abgelegt hat und als kaufmännischer Angestellter sowie als selbständiger Süßwaren-Großhändler tätig war, wurde 1940 zur Polizei eingezogen (notdienstverpflichtet); später wurde er als Polizeibeamter übernommen; er fand auch längere Zeit im Bürodienst Verwendung. Am 31. März 1959 trat er in den Ruhestand, nachdem er die Altersgrenze im Polizeidienst (Vollendung des 60. Lebensjahres) erreicht hatte. Anstelle eines Gehalts von zuletzt 750,- DM monatlich erhielt er ein Ruhegehalt von monatlich 418,90 DM; als einmalige Abfindung wurde ihm beim Ausscheiden ein Betrag von 5.475,- DM gezahlt. Am 6. Juli 1959 meldete sich der Kläger beim zuständigen Arbeitsamt als Arbeitsuchender; in der Folgezeit - bis Dezember 1960 - wiederholte er seine Meldungen in etwa monatlichen Abständen.

Im Juli 1960 beantragte der Kläger das vorzeitige Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. Januar 1961 ab, weil er als Ruhegehaltsempfänger aus dem Kreis der Arbeitsuchenden ausgeschieden und deshalb nicht arbeitslos sei. Die Klage beim Sozialgericht (SG) Dortmund hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen verurteilte die Beklagte - unter Abweisung der Klage im übrigen - zur Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes für die Zeit vom 1. Juli 1960 bis 31. Dezember 1960. Die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 18. 6. 1963).

Nach der Ansicht des LSG ist der Kläger als Arbeitnehmer im Sinne des § 75 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) und auch als - zeitweilig - arbeitslos anzusehen. Zwar sei bei einem Ruhestandsbeamten in der Regel anzunehmen, sein Ruhegehalt reiche als Lebensgrundlage aus. Das sei aber dann nicht der Fall, wenn sich - wie hier - infolge einer wesentlichen Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten die Notwendigkeit oder auch nur die Zweckmäßigkeit ergebe, eine Arbeitnehmertätigkeit aufzunehmen. Der Kläger habe sich darauf verlassen dürfen, daß seine Meldung beim Arbeitsamt zum Nachweis seines ernstlichen Arbeitswillens ausreiche. Jedenfalls spreche es nicht gegen ihn, wenn er eigene Bemühungen um eine neue Stellung unterlassen habe. Der Annahme, daß der Kläger die Absicht hatte, wieder als Arbeitnehmer tätig zu sein, stehe auch nicht entgegen, daß er sich seit Dezember 1960 nicht mehr beim Arbeitsamt gemeldet habe. Hieraus lasse sich nur folgern, daß jedenfalls von diesem Zeitpunkt an eine solche ernstliche Absicht gefehlt habe, nicht aber, daß dies schon im Juli 1960 der Fall gewesen sei. Der Anspruch des Klägers sei deshalb auch nur für die Zeit vom 1. Juli 1960 bis 31. Dezember 1960 begründet. Mit dem letztgenannten Zeitpunkt sei er aus dem Kreis der Arbeitnehmer ausgeschieden und deshalb nicht mehr arbeitslos gewesen, weil er dann nicht mehr den Willen hatte zu arbeiten.

Die Beklagte legte Revision ein mit dem Antrag, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als sie für die Zeit vom 1. Juli 1960 bis 31. Dezember 1960 zur Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes verurteilt wurde. Hilfsweise beantragte sie, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Sie rügte die unrichtige Anwendung von § 25 Abs. 2 AVG und machte Verfahrensverstöße geltend, die nach ihrer Meinung dem LSG unterlaufen sind.

Der Kläger - der gleichfalls Revision eingelegt, diese inzwischen aber zurückgenommen hat - beantragte die Zurückweisung der Revision.

Die Revision ist zulässig und auch begründet. Der Kläger hat für die noch streitige Zeit von Juli bis Dezember 1960 keinen Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld.

Da die sonstigen Voraussetzungen zur Anwendung des § 25 Abs. 2 AVG erfüllt sind, kommt es für die Entscheidung allein darauf an, ob der Kläger in der Zeit von Juli bis Dezember 1960 seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos gewesen ist. Das setzt nach der Auslegung, die das Gesetz in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bisher gefunden hat, voraus, daß der Kläger in dem hiernach maßgeblichen Jahreszeitraum vor Juli bis Dezember 1960 die Voraussetzungen der §§ 75, 76 AVAVG erfüllt hat; er muß also für diese Zeit als Arbeitnehmer anzusehen, vermittlungsfähig und ernstlich bereit gewesen sein, eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben (BSG 18, 287; 20, 190). Der 11. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 4. Februar 1965 - 11/1 RA 142/63 - (vgl. SozR § 1248 RVO Nr. 33) entschieden, daß auch ein Beamter zum Kreis der berufsmäßigen Arbeitnehmer im Sinne des § 75 Abs. 1 AVAVG gehören kann, wenn er sich nach seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst entschließt, eine abhängige Arbeit auszuüben. Der erkennende Senat hat sich dieser Auffassung bereits angeschlossen (vgl. Urteil vom 23. Juli 1965 - 1 RA 143/63 -). Zu dem gleichen Ergebnis ist - wenn auch mit einer von der Auffassung des 11. Senats abweichenden Begründung - der 4. Senat in seinem Urteil vom 11. August 1965 - 4 RJ 325/62 - gekommen.

Entgegen der Meinung des LSG ist jedoch die ernstliche Arbeitsbereitschaft des Klägers nicht erwiesen. Die vom Berufungsgericht insoweit festgestellten objektiven Umstände rechtfertigen die gegenteilige Schlußfolgerung des LSG nicht.

Wie das BSG schon mehrfach entschieden hat (BSG 20, 190, 197 sowie 11. Senat aaO und 1. Senat in seinem Urteil vom 23. Juli 1965 - 1 RA 143/63 -) entspricht es nicht dem Sinn und Zweck des § 25 Abs. 2 AVG, auch diejenigen Versicherten in den Genuß des vorzeitigen Altersruhegeldes kommen zu lassen, die durch die Meldung beim Arbeitsamt lediglich die Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes anstreben, ohne um einen Arbeitsplatz ernstlich bemüht zu sein. § 25 Abs. 2 AVG soll vielmehr nur solchen Versicherten zugute kommen, die zur Aufnahme oder Wideraufnahme einer Arbeit entschlossen sind, trotz aller Bemühungen aber einen Arbeitsplatz nicht mehr finden können. Die subjektive Verfügbarkeit, insbesondere die ernstliche Arbeitsbereitschaft als Voraussetzung des vorzeitigen Altersruhegeldes ist daher in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen; sie kann nicht ohne weiteres aus der bloßen Meldung beim Arbeitsamt geschlossen werden. Ernstliche Arbeitsbereitschaft kann vielmehr nur dann angenommen werden, wenn sie durch objektive Umstände so eindeutig dargetan ist, daß daran kein vernünftiger Zweifel besteht (BSG 20, 190, 197). Bei einem Ruhestandsbeamten kann im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß seine Lebensgrundlage durch das Ruhegeld gewährleistet ist, auch wenn die Zurruhesetzung - wie beim Kläger - schon mit Vollendung des 60. Lebensjahres ausgesprochen wurde. Zwar kann eine infolge der Pensionierung eingetretene Änderung der persönlichen Verhältnisse und eine damit verbundene Einkommenseinbuße im Einzelfall mitbestimmend sein für den ernstlichen Arbeitswillen.

Immer aber kommt es in einem solchen Fall entscheidend darauf an, daß die Ernstlichkeit der Arbeitsbereitschaft durch weitere objektive Umstände glaubwürdig gemacht ist (vgl. 11. Senat aaO). Hieran fehlt es im Falle des Klägers, denn, wie sich aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergibt (vgl. S. 20), ist nicht dargetan, daß er selbst sich um Arbeit bemüht hat; er hat vom Dezember 1960 an auch die regelmäßige Meldung beim Arbeitsamt unterlassen. Die Meinung des LSG, der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, daß seine Meldung beim Arbeitsamt zum Nachweis seines ernstlichen Arbeitswillens ausreiche, kann der Senat nicht teilen. Das LSG verkennt, daß es nicht darauf ankommt, was der Kläger als ausreichenden Nachweis seines ernstlichen Arbeitswillens ansieht, sondern darauf, welche Bemühungen gerade in seiner besonderen Lage bei verständiger Würdigung seines Lebensalters, seiner Fähigkeiten und der Lage auf dem Arbeitsmarkt ausreichten, um alle zumutbaren Chancen zu nutzen.

Es kommt auch nicht darauf an, daß das Arbeitsamt allein zuständig ist für die gewerbsmäßige Arbeitsvermittlung. Denn die Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, offene Stellen beim Arbeitsamt anzumelden und Arbeitskräfte nur nach Zuweisung durch das Arbeitsamt einzustellen. Die Tagespresse zeigt, daß Arbeitgeber Arbeitskräfte häufig ohne Einschaltung des Arbeitsamtes suchen wie auch umgekehrt Arbeitnehmer ihre Dienste in der Tagespresse anbieten. Es ist auch allgemein bekannt, daß das Arbeitsamt offene Stellen vornehmlich den Empfängern von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe benennt, da diese im allgemeinen wirtschaftlich schwächer sind als pensionierte Beamte, die ihr Ruhegehalt aufbessern wollen. Das Arbeitsamt wird daher in erster Linie die Unterstützungsempfänger unterbringen. Der Arbeitslosmeldung beim Arbeitsamt - das sich üblicherweise auf die Meldekontrolle beschränkt - kann demnach nicht die Bedeutung beigemessen werden, die ihr das LSG hat zukommen lassen. Damit aber entfallen auch die Gründe, denen das LSG glaubte entnehmen zu können, daß dem Kläger über diese Meldung hinaus weitere eigene Bemühungen um eine Arbeitsstelle nicht zuzumuten waren.

Nach der Auffassung des Senats spricht auch der Umstand, daß sich der Kläger nur bis zum Dezember 1960 regelmäßig beim Arbeitsamt gemeldet hat - entgegen der Meinung des LSG - gerade gegen seinen ernstlichen Arbeitswillen; denn wenn er mit seiner regelmäßigen Vorsprache beim Arbeitsamt ernstlich bestrebt war, eine Beschäftigung zu finden, so ist kein überzeugender Grund ersichtlich, weshalb er vom Dezember 1960 an auf solche Meldungen verzichtet hat. Seine Einlassung, er habe weitere Meldungen beim Arbeitsamt für überflüssig angesehen, weil ihm schon bisher keine Tätigkeit vermittelt werden konnte, ist nicht überzeugend. Sie verliert um so mehr an Glaubwürdigkeit, als der Kläger zugleich auch vorgebracht hat, auf Grund einer ihm erteilten Auskunft und eines Aufsatzes in der Zeitschrift "Deutsche Polizei" habe er angenommen, schon nach mehr als einjähriger regelmäßiger Meldung beim Arbeitsamt einen Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld erworben zu haben. Um so weniger aber ist es deshalb gerechtfertigt, die bloßen Meldungen des Klägers beim Arbeitsamt als Grundlage ernstlicher Arbeitsbereitschaft zu werten.

Der Anspruch des Klägers auf vorzeitiges Altersruhegeld ist somit auch für die Zeit von Juli bis Dezember 1960 nicht begründet. Der Senat kann abschließend entscheiden, weil es weiterer Ermittlungen durch das Berufungsgericht nicht bedarf. Das Urteil des LSG war demzufolge dahin zu ändern, daß die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang zurückgewiesen wird. Unter diesen Umständen bedurfte es keines Eingehens auf die von der Beklagten vorgebrachten Verfahrensrügen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380447

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