Leitsatz (amtlich)

Der Bemessungszeitraum iS AFG § 112 Abs 3 umfaßt, falls nicht bereits der letzte Lohnabrechnungszeitraum vor der Entstehung des Anspruchs diese Bedingung erfüllt, soviele weitere nach rückwärts aufeinanderfolgende volle Lohnabrechnungszeiträume, bis alle zusammen mindestens 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten; das gilt auch dann, wenn dafür Lohnabrechnungszeiträume aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen herangezogen werden müssen.

 

Normenkette

AFG § 111 Abs 1 Fassung: 1974-12-21, § 112 Abs 2 Fassung: 1974-12-21, § 112 Abs 3 S 1 Fassung: 1969-06-25

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 20.10.1978; Aktenzeichen L 1 Ar 114/77)

SG Lübeck (Entscheidung vom 01.11.1977; Aktenzeichen S 7 Ar 56/77)

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt ein höheres Arbeitslosengeld (Alg).

Der Kläger war zuletzt vom 3. August bis 30. September 1976 bei der Firma M G B GmbH (Firma G.) und ab 5. Oktober 1976 bei der Firma N B GmbH (Firma N.) beschäftigt. Er meldete sich am 13. Dezember 1976 arbeitslos und legte ua eine Arbeitsbescheinigung der Firma N. vom gleichen Tage über seinen Verdienst im Monat Oktober 1976 vor, der mit 2.001,56 DM angegeben war, die der Kläger an 19 Arbeitstagen (5. bis 31.Oktober 1976) in 158,5 Arbeitsstunden erzielt habe. Ferner ist in der Arbeitsbescheinigung vermerkt: "November-Abrechnung steht noch nicht". Aus einer ebenfalls vorgelegten Arbeitsbescheinigung der Firma G. ergibt sich, daß der Kläger im Monat September 1976 an 21 Arbeitstagen mit zusammen 170 Arbeitsstunden 1.703,88 DM verdient hatte.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 27.Dezember 1976 ab 14. Dezember 1976 Alg für 312 Wochentage. Sie ging von einem gerundeten Arbeitsentgelt von 450,-- DM aus, welches sie aus dem in den Monaten September und Oktober 1976 in 328,5 Arbeitsstunden erzielten Arbeitsentgelt von 3.705,44 DM errechnete. Mit seinem Widerspruch hiergegen wendete der Kläger erfolglos ein, daß sein Alg nur nach dem höheren Durchschnittseinkommen im Oktober 1976 bei der Firma N. bemessen werden durfte (Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 1977). Ab 16. Februar 1977 stand der Kläger erneut in Arbeit.

Seine Klage hat das Sozialgericht (SG) Lübeck durch Urteil vom 1. November 1977 abgewiesen. Die vom SG zugelassene Berufung des Klägers, der Alg nach einem Arbeitsentgelt von 505,-- DM (aufgrund des Verdienstes im Oktober 1976 bei seinem letzten Arbeitgeber) forderte, hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 20. Oktober 1978 zurückgewiesen. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt: Die Beklagte sei zutreffend von den Lohnabrechnungszeiträumen September und Oktober 1976 ausgegangen. Denn der Lohnabrechnungszeitraum Oktober habe nur 19 Arbeitstage umfaßt, während der Lohn für den Monat November beim Ausscheiden des Klägers aus seinem letzten Arbeitsverhältnis noch nicht abgerechnet worden sei. Zwar sei unter "der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung" in § 112 Abs 3 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nur das letzte beitragspflichtige Beschäftigungsverhältnis zu verstehen. Die Vorschrift sei aber so auszulegen, daß mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Lohnabrechnungszeiträume der letzten und der vorangegangenen Beschäftigung bis zur Mindestzahl von 20 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt zusammengerechnet werden. Mit dieser Verfahrensweise würde der Gesetzeszweck erfüllt, der in einer einfachen und schnellen Feststellbarkeit der Berechnungsgrundlagen und der Zeitnähe des maßgeblichen Lohnniveaus liege. Andere Berechnungsmethoden würden diesem Gesetzeszweck nicht in gleichem Maße entsprechen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 112 AFG. Er macht zur Begründung geltend, daß sein Durchschnittsstundenlohn im Oktober 1976 12,63 DM, im September hingegen nur 10,02 DM betragen habe. Der Alg-Berechnung sei ein durchschnittlicher Stundenlohn von 11,061 DM zugrunde gelegt worden. Das Zurückgreifen auf das vorletzte Beschäftigungsverhältnis entspreche nicht dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers. Maßgeblich solle das letzte Arbeitsverhältnis sein, das der Arbeitslosigkeit vorangehe. Sinn des Gesetzes sei es, den Arbeitslosen in seiner Lebenshaltung nicht zu stark absinken zu lassen. Zu diesem Zweck müsse aber eine Verbesserung der Einkommenssituation im letzten Arbeitsverhältnis in vollem Umfang berücksichtigt werden. Es bestünden allerdings Bedenken dagegen, den letzten Lohnabrechnungszeitraum auf mindestens zwanzig Tage hochzurechnen. Wenn dieser nämlich nur wenige Tage umfasse, könne er die Einkommenssituation nicht richtig wiedergeben. Diese Methode sei für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, speziell bezüglich § 182 Abs 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO), vom 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) verworfen worden (Urteil vom 22. Juni 1973 - 3 RK 90/71 - BSGE 36, 55). Nach diesem Urteil sollten die an mindestens vier Wochen fehlenden Zeiten aus dem Verdienst eines gleichartig Beschäftigten ergänzt werden. Die Anwendung dieser Methode dürfte nicht schwerfallen, weil gleichartig wie der Kläger beschäftigte Arbeitnehmer der Firma N. zur selben Zeit ebenfalls arbeitslos geworden seien. Die Auslegung des § 182 Abs 5 RVO durch den 3. Senat des BSG habe im übrigen bei der Berechnung des Übergangsgeldes Auswirkungen auf den gesamten Bereich der medizinischen und beruflichen Rehabilitation. Die Rehabilitationsträger, mit Ausnahme der Beklagten, verführen nach dieser Methode.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 1. November 1977 sowie das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 20. Oktober 1978 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, dem Kläger vom 21. Dezember 1976 bis 15. Februar 1977 Arbeitslosengeld unter Zugrundelegung eines Arbeitsentgelts von 505,-- DM zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Zu der Revisionsbegründung führt sie aus, daß der Gesetzgeber so viele Lohnabrechnungszeiträume zugrunde gelegt haben wollte, daß mindestens zwanzig Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erfaßt würden. Auf diese Weise sollten Zufallsergebnisse durch zu kurze Zeiträume vermieden werden. Die Berücksichtigung weiter zurückliegender Arbeitsentgelte könne nicht nur bei mehreren Beschäftigungsverhältnissen, sondern auch innerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses in Betracht kommen. Der Wortlaut des § 112 Abs 3 AFG bedeute nicht, daß der Bemessungszeitraum nicht in frühere Beschäftigungsverhältnisse hineinreichen dürfe. Es entspreche dem Sprachgebrauch des AFG, regelmäßig nur von der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (Einzahl) zu sprechen, auch wenn eine Mehrzahl von Beschäftigungsverhältnissen gemeint sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte hat den Alg- Anspruch des Klägers zu Recht nach seinem Verdienst in der Zeit vom 1. September bis 31. Oktober 1976 bemessen.

Nach §§ 111, 112 Abs 2 AFG bemißt sich das Alg nach einem durchschnittlichen Arbeitsentgelt, das der Antragsteller im Bemessungszeitraum des § 112 Abs 3 AFG erzielt hat. Nach § 112 Abs 3 Satz 1 AFG, der für den Anspruch des Klägers maßgebend ist, sind Bemessungszeitraum "die letzten, am Tage des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten, insgesamt zwanzig Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs". Danach gehört für den Anspruch des Klägers nicht in den Bemessungszeitraum der Lohnabrechnungszeitraum November 1976, während dessen der Kläger noch bei der Firma N. gearbeitet hat. Denn nach den Feststellungen des LSG war der Lohn des Klägers für den Monat November zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis bei der Firma N. noch nicht abgerechnet. Die Eingrenzung auf "abgerechnete" Lohnabrechnungszeiträume wurde vom Gesetzgeber im 7. Änderungsgesetz zum Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 10. März 1967 (BGBl I 266) bewußt vorgenommen, um klare Verhältnisse für die Berechnung der Leistungen zu sichern und eine raschere Feststellung der zu gewährenden Leistungen zu ermöglichen (BSG SozR 4100 § 112 Nr 3, mit Hinweis auf die amtliche Begründung in BT-Drucks zu Drucks V/1420, II, 1, g, S 3; BSG SozR 4100 § 112 Nr 5).

Es ist ferner nicht zu beanstanden, daß die Beklagte den Bemessungszeitraum auch noch auf den letzten Lohnabrechnungszeitraum (1. bis 30. September 1976) des vorletzten Beschäftigungsverhältnisses des Klägers bei der Firma G. erstreckt hat.

Schon dem Wortlaut des § 112 Abs 3 Satz 1 AFG kann - entgegen der Ansicht des LSG - nicht entnommen werden, daß bei der Festlegung des Bemessungszeitraumes nur Lohnabrechnungszeiträume aus dem letzten Beschäftigungsverhältnis vor Eintritt der Arbeitslosigkeit zugrunde gelegt werden sollen. Die dort angeordnete Maßgeblichkeit von Lohnabrechnungszeiträumen der letzten "die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs" enthält nicht eine derartige Beschränkung. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, daß der Begriff der "die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung" im AFG allgemein nicht im Sinne der Bezeichnung nur eines einzelnen Beschäftigungsverhältnisse bzw Arbeitsverhältnisses gebraucht wird. So bestimmt § 168 Abs 1 Satz 1 AFG, daß beitragspflichtig die Personen sind, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (Arbeitnehmer), soweit sie nicht ... beitragsfrei sind. Es liegt auf der Hand, daß in dieser Legaldefinition keinesfalls nur auf ein einzelnes Beschäftigungsverhältnis abgehoben ist. Entscheidend ist die Kennzeichnung der Arbeitnehmereigenschaft als Folge abhängiger Beschäftigung. Im gleichen Sinne wird der Begriff in den §§ 104, 106 und 107 Abs 1 Satz 1 AFG gebraucht. Darüber hinaus ist in § 112 Abs 2 Satz 1 AFG ausdrücklich bestimmt, daß es auf den "Durchschnitt der ... Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum" ankommt. In dieser Vorschrift wird also unzweideutig davon ausgegangen, daß der Bemessungszeitraum Lohnabrechnungszeiträume mehrerer Beschäftigungsverhältnisse umfassen kann. Aus diesem Grund gibt selbst der Gebrauch der Einzahl in der Wendung "aus dem Beschäftigungsverhältnis" in Abs 3 des § 112 AFG nicht zu Zweifeln Anlaß. Das letzte Beschäftigungsverhältnis ist nur insoweit bedeutsam, als sein Ende den Zeitpunkt bestimmt, an dem Lohnabrechnungszeiträume abgerechnet sein müssen, wenn sie für die Bemessung des Alg herangezogen werden sollen (vgl Kühl, Anmerkung zu dem Urteil des LSG Schleswig vom 22. Mai 1970, "Arbeit, Beruf und Arbeitslosenhilfe - Das Arbeitsamt" -ABA- 1970, 265, 266). Es trifft entgegen der Ansicht des LSG im übrigen nicht zu, daß der Senat in seinem Urteil vom 31. August 1976 - 7 RAr 128/74 - eine gegenteilige Ansicht geäußert habe. Der Senat hat dort (Seite 9) sogar ausdrücklich ausgeführt, daß es grundsätzlich nicht ausgeschlossen sei, daß sich das Arbeitsentgelt im Sinne von § 112 Abs 2 AFG aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen errechnet, wenn der Arbeitslose im Bemessungszeitraum im Sinne des § 112 Abs 3 AFG in mehreren beitragspflichtigen Beschäftigungen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt gestanden hat. Zu dem Unterschied zwischen dem "Beschäftigungsverhältnis" und der "die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung" hatte der Senat in dem oa Urteil letztlich aber nicht zu entscheiden, weil im Bemessungszeitraum des § 112 Abs 3 AFG nur ein Beschäftigungsverhältnis der dortigen Klägerin vorgelegen hatte.

Auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 112 Abs 3 AFG ist es geboten, für die Ermittlung des maßgeblichen Arbeitsentgelts im Sinne von § 112 Abs 2 AFG gegebenenfalls Lohnabrechnungszeiträume aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen zugrunde zu legen, und zwar so viele, bis von ihnen die Mindestzahl von zwanzig Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt abgedeckt ist. Insbesondere ist die Vorschrift in mehrfacher Hinsicht mit der den Begriff "Bemessungszeitraum" ebenfalls enthaltenden Vorschrift des § 182 Abs 5 RVO nicht gleichzusetzen. Demgemäß können auch die Grundsätze, die der 3. Senat des BSG in seinem Urteil vom 22. Juni 1973 (vgl BSGE 36, 55 ff) für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung aufgestellt hat, entgegen der Ansicht der Revision nicht entsprechend angewendet werden:

Eines der Ziele des § 112 AFG besteht darin, daß - ausgehend von den vor Beginn der Arbeitslosigkeit bestehenden Einkommensverhältnissen - die Beibehaltung des bisherigen Lebensstandards in einem gewissen, näher bestimmten Umfang gesichert werden soll (vgl BSG SozR 4100 § 112 Nrn 1, 3, 5). Im Grundsatz besteht auch bei der Vorschrift des § 182 Abs 5 RVO das gleiche Ziel. Sinn dieser Regelung ist es nämlich, das dem Lohnersatz dienende Krankengeld allen Veränderungen in den Lohnverhältnissen des Versicherten so dicht wie möglich folgen, also das jeweils aktuelle Lohnniveau widerspiegeln zu lassen (BSGE 36, 55, 57 mit weiterem Hinweis; ebenso Leingärtner in SGb 73, 507, 509). Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist jedoch der Regellohn und damit das Krankengeld in jedem Falle - also auch bei wiederholtem Eintritt von Arbeitsunfähigkeit - nach dem "vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit" erzielten Entgelt zu berechnen. Eine solche Aktualität, die auch Lohnveränderungen durch kurze Zwischenbeschäftigungen berücksichtigt, ist im AFG jedoch nicht vorgesehen. Nach § 112 Abs 3 Satz 1 AFG ist vielmehr die Einkommenssituation "vor Entstehung des Anspruchs" maßgebend. Ein Anspruch auf Alg kann nach § 100 Abs 1 AFG jedoch nur entstehen, wenn ua die Anwartschaftszeit nach § 104 AFG erfüllt ist. Danach muß eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung von sechsundzwanzig Wochen oder sechs Monaten (nach § 104 Abs 1 AFG idF des 5. Änderungsgesetzes vom 23. Juli 1979 - BGBl I 1189 - von 180 Kalendertagen) in der Rahmenfrist vorliegen. Ist danach ein Anspruch auf Alg entstanden, kann eine Einkommensveränderung nach einer neuen Beschäftigung erst dann berücksichtigt werden, wenn diese Beschäftigung mindestens die in § 104 Abs 1 AFG genannte Zeit angedauert hat. Auch braucht diese eine (neue) Anwartschaftszeit begründende Mindestbeschäftigungszeit keineswegs unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit zurückgelegt worden zu sein. Der Gesetzgeber hat es für grundsätzlich ausreichend angesehen, daß die Anwartschaftszeit in der Rahmenfrist von drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit erfüllt ist (vgl im einzelnen hierzu § 104 Abs 2 und 3 AFG). Das Ende des Bemessungszeitraumes kann also bis zu zweieinhalb Jahren vor der Entstehung des Leistungsanspruchs liegen.

Allerdings sind in § 112 Abs 5 bis 7 AFG verschiedene Regelungen enthalten, die bei der Feststellung des maßgeblichen Arbeitsentgelts einen anderen Ausgangspunkt bieten. Insoweit wird aber lediglich besonderen Sachverhalten Rechnung getragen, bei denen eine Berechnung des maßgeblichen Arbeitsentgelts nach § 112 Abs 3 AFG nicht möglich oder nötig ist oder zu unbilligen Ergebnissen führen würde.

Kein Unterschied im Regelungszweck beider Vorschriften besteht lediglich hinsichtlich der Forderung, daß alle die Lohnhöhe beeinflussenden Zufälligkeiten außer Betracht bleiben sollen. In § 182 Abs 5 AFG wird daher ebenso wie in § 112 Abs 3 AFG regelmäßig von einem die Mindestzeit umfassenden Lohnabrechnungszeitraum ausgegangen. Auch sollen einmalige Zuwendungen außer Betracht bleiben (§ 112 Abs 2 Satz 3 AFG; § 182 Abs 5 Satz 1 RVO). Damit werden nur solche Lohnveränderungen berücksichtigt, durch die sich ein gewisser Dauerzustand ausdrückt, die also geeignet sind, den Lebensstandard des Leistungsempfängers zu repräsentieren (BSGE 36, 55, 57).

Ein drittes Ziel der beiden Vorschriften ist das der Verwaltungsvereinfachung, Es soll eine rasche und einfache Feststellung der Leistungshöhe schon bei Ausscheiden des Antragstellers aus seinem Beschäftigungsverhältnis bzw bei seiner Erkrankung ermöglicht werden (s bezüglich § 182 Abs 5 RVO: BSGE 36, 55, 57 f mit Hinweis auf BT-Drucks III/2748, S 2; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, 17. Aufl, 44. Nachtrag, § 182 Anm 18b, S 17/328 - 3; bezüglich § 112 Abs 3 AFG: BSG SozR 4100 § 112 Nr 1 und Nr 5; Hennig/Kühl/Heuer, Kommentar zum AFG, § 112 Anm 6; Schönefelder/Kranz/Wanka, Kommentar zum AFG, 1. Lieferung, Stand August 1972, § 112 RdNr 7). Anders als in der gesetzlichen Krankenversicherung wäre die vom 3. Senat des BSG (aaO) für diesen Bereich entwickelte Methode - nämlich die an mindestens vier Wochen fehlenden Zeiten aus dem Verdienst eines gleichartig Beschäftigten zu ergänzen - für die Beklagte eine Erschwerung ihrer Verwaltungstätigkeit. Denn zum einen gibt es im AFG keine dem § 200 Abs 2 letzter Satz RVO entsprechende Vorschrift, in der das durchschnittliche Arbeitsentgelt eines gleichartig Beschäftigten (im gleichen Betrieb) zugrunde gelegt wird. Nach der allenfalls vergleichbaren Vorschrift des § 112 Abs 7 AFG ist vielmehr nach dem tariflichen bzw dem ortsüblichen Arbeitsentgelt einer für den einzelnen Leistungsempfänger in Betracht kommenden Beschäftigung zu fragen.

Zum anderen trifft auch der weitere Gesichtspunkt einer nur geringfügigen Verwaltungsarbeit bei der Ermittlung von regelmäßigen Überstunden, der für die Entscheidung des 3. Senats maßgebend war (s BSGE 36, 55, 59), im Bereich der Beklagten nicht zu. Die Ermittlung einer Vergleichsperson ist in der gesetzlichen Krankenversicherung außer im Falle des § 200 Abs 2 letzter Satz RVO auch dann vorzunehmen, wenn die Zahl der regelmäßigen Überstunden in der maßgeblichen Referenzperiode festzustellen ist. Denn wenn es keine vereinbarte Arbeitszeit im Sinne des § 182 Abs 5 Satz 2 RVO gibt, ist ein wöchentlicher Durchschnitt aus einem bestimmten früheren Lohnabschnitt zu errechnen. War der Versicherte aber bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit noch nicht entsprechend lange beschäftigt, richtet sich die Zahl der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden nach den Verhältnissen eines in demselben Betrieb während des ganzen in Betracht kommenden Lohnabschnitts tätig gewesenen gleichartig Beschäftigten (BSGE 35, 126, 128 f). In der gesetzlichen Krankenversicherung bringt somit die Ermittlung einer Vergleichsperson kaum eine zusätzliche Belastung mit sich, weil eine solche Ermittlung in verschiedenen Bereichen erforderlich ist. Die Beklagte ist hingegen mit derartigen Ermittlungen nicht befaßt.

Ob die vom Kläger vorgeschlagene Ergänzung des zwanzig Entgelttage nicht enthaltenden Bemessungszeitraumes durch die Heranziehung des Arbeitsentgelts eines vergleichbaren Beschäftigten auch im Falle des § 59 Abs 3 Satz 1 AFG anzuwenden ist, wie der Kläger meint, bedarf hier keiner Entscheidung; denn hier geht es nicht um die Anwendung des § 59 Abs 3 Satz 1 AFG, sondern um § 112 Abs 3 AFG. Bei der erstgenannten Vorschrift handelt es sich um die Berechnung des Regellohnes als Maßstab für die Höhe des Übergangsgeldes nach § 59 Abs 2 AFG; sie wurde erst durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) -RehaAnglG- in das AFG eingefügt. Bei § 112 Abs 3 AFG geht es um die Höhe des hier allein streitigen Anspruchs auf Alg. Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß die vom Kläger zu § 59 Abs 3 AFG erwogene Berechnungsmethode in der Literatur unterschiedlich bewertet wird (vgl Krebs, Kommentar zum AFG, § 59 Anm 13; Hoppe/Berlinger, Förderung der beruflichen Bildung, § 59 Anm 15; Rehabilitation in der Rentenversicherung, herausgegeben von der BfA mit Erläuterungen von Kugler, § 18 AVG Erläuterung 3.2.1; Zweng/ Scheerer, Handbuch der Rentenversicherung, Bd I, 2. Aufl, 14. Lieferung, § 1241 RVO, Anm II A; Hoernigk/Jorks, Rentenversicherung, Bd I, 33. Ergänzungslieferung Oktober 1979, § 1241 RVO Anm 2; Jung/Preuß, Rehabilitation, Die Angleichung von Leistungen, 2. Aufl, Kommentar zu § 13 RehaAnglG Anm 10; Gemeinsames RdSchr der Rehabilitationsträger vom 12. Juli 1974, Ziffer 2.1.1.1.1 "Bemessungszeitraum", zitiert nach: Zweng/ Scheerer, aaO, Anhang zu § 1241 RVO; Hennig/Kühl/Heuer, aaO, § 59 Anm 14, 18; Gagel/Jülicher, Kommentar zum AFG, § 59 RdNr 9).

Schließlich machen die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 112 Abs 3 AFG sowie deren Weiterentwicklung durch das 5. AFG-Änderungsgesetz vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) deutlich, daß nach dem Willen des Gesetzgebers das Arbeitsentgelt auf keinen Fall nach einem kürzeren als zwanzig Entgelttage umfassenden Lohnabrechnungszeitraum berechnet werden soll. Wie sich aus der Begründung der Bundesregierung zu § 101 Abs 3 des Entwurfs zum AFG (entspricht im wesentlichen § 112 Abs 3 Satz 1 AFG, vgl BR-Drucks 484/67, S 80 f) ergibt, enthält diese Vorschrift keine sachliche Änderung gegenüber der Vorgängervorschrift des § 90 Abs 2 AVAVG idF des 2. Änderungsgesetzes zum AVAVG vom 7. Dezember 1959 (BGBl I 705). In der Begründung zum Entwurf des § 90 Abs 2 AVAVG heißt es (BT-Drucks III/1240, S 13):

"Die Berücksichtigung nur geschlossener Lohnabrechnungszeiträume, also von Zeiträumen, für die im Einzelfalle der Lohn durch den Betrieb abgerechnet wurde (Abs 2), macht es künftig entbehrlich, das Arbeitsentgelt für eine genau festgelegte Zahl von Arbeitstagen zu ermitteln, wie das zur Zeit nach § 90 AVAVG erforderlich ist. Um Zufallsergebnisse durch zu kurze Zeiträume zu vermeiden, sollen so viele rückwärts aufeinander folgende Lohnabrechnungszeiträume zugrunde gelegt werden, bis sie mindestens 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassen. Liegen im Bemessungszeitraum mehrere Beschäftigungsverhältnisse mit unterschiedlicher tariflicher Arbeitszeit, so ist der gewogene Durchschnitt der tariflichen Arbeitszeiten zu ermitteln." (Folgt Beispiel)

Durch die Fassung des § 112 Abs 3 Satz 2 AFG im 5. Änderungsgesetz bestätigt sich die gesetzgeberische Tendenz, bei schwankenden individuellen Einkommensverhältnissen den Bemessungszeitraum so zu gestalten, daß er eine einigermaßen sichere Aussage über das Durchschnittseinkommen vor der Arbeitslosigkeit zuläßt. In dieser Vorschrift wurde nämlich der Bemessungszeitraum bei Arbeitnehmern mit Akkordlohn oder umsatzbezogenem Lohn auf 60 Tage erweitert.

Nach alledem begegnet das von der Beklagten praktizierte Verfahren keinen Bedenken. Dies ist auch der einhellige Standpunkt der Literatur (vgl Hennig/Kühl/Heuer, aaO, § 112 Anm 6; Schönefelder/Kranz/Wanka, aaO, § 112 RdNr 8; Krebs, aaO, 18. Lieferung Mai 1976, § 112 RdNr 21; Geffers/Schwarz, Kommentar zum AFG, 3. Lieferung März 1979, § 112 RdNr 7). Die Revision des Klägers ist demgemäß zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1981, 249

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