Entscheidungsstichwort (Thema)

Ruhen der Rente bei Bezug von Arbeitslosengeld

 

Orientierungssatz

Die durch das Finanzänderungsgesetz 1967 mit Wirkung vom 1.1.1968 eingeführten Vorschriften über das Ruhen der Rente aus eigener Versicherung beim Zusammentreffen mit einem Arbeitslosengeld (RVO § 1283) gelten auch für Renten, die zu diesem Zeitpunkt bereits gezahlt wurden (Anschluß an BSG 1968-12-11 1 RA 157/68 = SozR Nr 2 zu § 1283 RVO).

 

Normenkette

RVO § 1283 Fassung: 1967-12-21

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 05.07.1968)

 

Tenor

Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juli 1968 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob die durch das Finanzänderungsgesetz (FinÄndG) 1967 mit Wirkung vom 1. Januar 1968 eingeführte Vorschrift des § 1283 der Reichsversicherungsordnung (RVO) über das Ruhen der Rente aus eigener Versicherung beim Zusammentreffen mit Arbeitslosengeld auch auf Fälle anzuwenden ist, in denen Rente und Arbeitslosengeld bereits vor dem Inkrafttreten der Ruhensvorschrift gewährt worden sind.

Der Kläger bezieht seit November 1967 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres in Höhe von monatlich 687,70 DM. Nachdem das Arbeitsamt angezeigt hatte, daß er vom 4. Dezember 1967 an für 156 Tage Arbeitslosengeld von wöchentlich 118,20 DM erhalte, stellte die beklagte Landesversicherungsanstalt durch Bescheid vom 8. März 1968 fest, daß das Altersruhegeld nach § 1283 RVO für die Zeit des Bezugs von Arbeitslosengeld in dieser Höhe ruhe, also vom 1. Januar 1968 an nur in Höhe von 687,70 - 512,20 = 175,50 DM auszuzahlen sei. Auf diesen Betrag setzte sie vom 1. April 1968 an den Zahlbetrag herab; von einer Rückzahlung des für Januar bis März 1968 überzahlten Betrages sah sie ab.

Diesen Bescheid hat der Kläger mit einem an die Beklagte gerichteten und bei ihr am 21. März 1968 eingegangenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten L vom Deutschen Gewerkschaftsbund angefochten. Darin heißt es u.a.: "... erheben wir namens und in Vollmacht des Versicherten vorsorglich Klage gegen den Bescheid vom 8. März 1968. Da bereits durch uns in der Sache des Versicherten W.W. ... Klage ... erhoben wurde und es sich dabei um den rechtlich gleichen Sachverhalt handelt, wäre evtl. zu bedenken, ob die Klage an das Sozialgericht weitergeleitet werden soll oder ob die Möglichkeit besteht, zu vereinbaren, daß die Sache im Ergebnis so behandelt wird, wie sich das aus einer rechtskräftigen Entscheidung in der Klagesache W.W. ... oder einer anderen - evtl. früher zur Entscheidung gelangenden - gleichgelagerten Sache ergeben wird." Die Beklagte hat die Klageschrift - ohne erneute Nachfrage bei dem Kläger - an das Sozialgericht (SG) weitergeleitet.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der durch das FinÄndG 1967 eingefügte § 1283 RVO sei mit Art. 20 des Grundgesetzes (GG) nicht zu vereinbaren, aber auch auf seinen Leistungsanspruch nicht anwendbar, weil dieser bereits im Jahre 1967 entstanden sei; zudem verletze die Anwendung der Vorschrift auf Renten aus alten Versicherungsfällen Art. 14 GG.

Das SG Frankfurt a.M. hat die Klage durch Urteil vom 5. Juli 1968 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Es hat die vom Kläger erhobenen rechtlichen Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 1283 RVO auf den vorliegenden Fall nicht geteilt.

Das SG hat die Berufung zugelassen (§ 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), weil es von grundsätzlicher Bedeutung sei, ob eine Klageschrift, in welcher dem Versicherungsträger die Weiterleitung an das Gericht überlassen werde, bei Vorlage an das Gericht die Rechtshängigkeit begründe und ob § 1283 RVO auf Versicherungsfälle aus der Zeit vor dem 1. Januar 1968 anwendbar sei.

Der Kläger hat Sprungrevision eingelegt und zu deren Begründung ausgeführt: Das Fehlen von Übergangsvorschriften zu der Ruhensregelung des § 1283 RVO zeige, daß bei den am 1. Januar 1968 bereits laufenden Rentenleistungen ein Eingriff nicht beabsichtigt gewesen sei. Eine Bestätigung dafür sei, daß das FinÄndG 1967 eine Entlastung des Bundeshaushalts im Auge gehabt habe, § 1283 RVO aber die Staatsfinanzen nicht berühre. Die Vorschrift sei geschaffen worden zur finanziellen Entlastung der Rentenversicherungsträger, zur Beseitigung einer Doppelleistung mit Unterhaltsersatzfunktion und weil bei Fünfundsechzigjährigen die Arbeitsbereitschaft als notwendige Voraussetzung nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) oftmals fehle. Die Rentenversicherungsträger seien nicht so notleidend, daß die Neuregelung auch die bereits laufenden Renten hätte erfassen müssen. Es habe bei dem Rechtsgrundsatz bleiben sollen, daß jeder Fall nach der Rechtslage zur Zeit des Versicherungsfalles abzuwickeln sei. § 1283 RVO könne nur angewendet werden, wenn mindestens ein Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1967 eingetreten sei.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil und den Bescheid der Beklagten aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie pflichtet der Begründung des angefochtenen Urteils bei und weist außerdem darauf hin, daß die in § 80 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) für den Knappschaftssold alten Rechts getroffene Ausnahmeregelung auf der Überlegung beruhe, daß die neue Ruhensvorschrift auch für Renten aus Versicherungsfällen vor dem 1. Januar 1968 gelte.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Sprungrevision ist zulässig.

Gegen die - auch vom SG bejahte - Zulässigkeit der Klage bestehen, was von Amts wegen zu prüfen war, keine rechtlichen Bedenken. Die Einreichung der Klageschrift beim Versicherungsträger hat die Frist des § 87 SGG gewahrt (§ 91 Abs. 1 SGG). Die Klage ist auch nicht, was rechtsnachteilig sein könnte, bedingt erhoben worden. Der Kläger hatte im Rahmen einer unbedingt erhobenen Klage lediglich zur Erörterung gestellt, ob es sich empfehle, das Verfahren - wegen der Anhängigkeit von Parallelfällen - nicht mit Nachdruck zu betreiben, und - alternativ - seine Bereitschaft zur Klagerücknahme angedeutet, wenn die Beklagte sich verpflichte, den Klageanspruch entsprechend dem Ergebnis eines Musterprozesses zu behandeln. Zu einer solchen Vereinbarung ist es aber nicht gekommen; vielmehr hat die Beklagte - wie dies in § 91 Abs. 2 SGG vorgesehen ist - die Klageschrift unverzüglich an das SG abgegeben.

In der Sache selbst hat die Sprungrevision keinen Erfolg.

Nach der in ihrer Tragweite umstrittenen Vorschrift des § 1283 RVO ruht, wenn eine Rente aus eigener Versicherung mit einem Arbeitslosengeld zusammentrifft, die Rente bis zur Höhe des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum, für den beide Leistungen zu gewähren sind. In dem hier zu entscheidenden Falle trafen die beiden Leistungen auch nach dem 1. Januar 1968 zeitweilig zusammen. Die Entscheidung hängt also davon ab, ob § 1283 RVO nur auf Renten anzuwenden ist, die erst nach dem Inkrafttreten des FinÄndG 1967 gewährt wurden, oder ob auch die zu dieser Zeit bereits laufenden Renten betroffen wurden. Der erkennende Senat schließt sich nach eigener Prüfung in dieser Frage der Auffassung des 1. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) an (Urteil vom 11. Dezember 1968 in SozR Nr. 2 zu § 1283 RVO). Die vorbezeichnete Entscheidung geht davon aus, daß das Gesetz diese Frage nicht ausdrücklich geregelt hat. Es sei jedoch der Wille des Gesetzgebers zu erkennen, der Vorschrift eine sogenannte unechte Rückwirkung beizulegen. Dies sei den Materialien zum FinÄndG zu entnehmen. Es habe nämlich durch dieses Gesetz eine erhebliche Einsparung erzielt werden sollen, die bei einer anderen Auslegung des § 1283 RVO nicht erreicht werden könnte. Auch müsse § 80 RKG beachtet werden. Danach gelte die in Satz 1 enthaltene Ruhensvorschrift nach Satz 2 unter den dort genannten Voraussetzungen nicht für den Empfänger eines Knappschaftssoldes, wenn er nach Beginn der Leistung eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach dem AVAVG von 26 Wochen (sechs Monaten) ausgeübt habe. Der Knappschaftssold sei aber eine Leistung, die nur auf Grund eines "alten" Versicherungsfalles habe gewährt werden können. Aus der Erwähnung des Knappschaftssoldes folge, daß in der Regel auch "alte Fälle" von der Ruhensvorschrift des § 1283 RVO erfaßt werden sollten. Diese Auffassung werde in der Literatur - das belegt der 1. Senat näher - überwiegend geteilt. - In der erwähnten Entscheidung ist auch erörtert worden, ob diese Gesetzesinterpretation gegen das Grundgesetz (Art. 14, 19 Abs. 2, Art. 20 GG) verstößt. Diese Frage ist verneint worden. In seiner Entscheidung vom 18. März 1966 (BSG 24, 285) habe, so legt der 1. Senat dar, das BSG ausgeführt, daß eine unechte Rückwirkung nicht grundsätzlich durch Art. 14 oder 20 GG ausgeschlossen sei. Weder aus der Eigentumsgarantie noch aus dem Gebot sozialstaatlichen Handelns könne eine Verpflichtung zur allgemeinen Besitzstandswahrung sozialer Rechte abgeleitet werden. Erst recht scheide eine Grundgesetzverletzung aus, wenn die Würdigung einer gesetzlichen Regelung ergebe, daß im ganzen gesehen die Rechte der Versicherten gefestigt worden seien. In einem derartigen Fall sei der Gesetzgeber auch durch das Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht gehindert, eine Ruhensvorschrift für bereits bewilligte Leistungen einzuführen, wenn dies für notwendig gehalten werde. Es könne geboten sein, die Interessen des einzelnen Betroffenen zurückzustellen. Falls Einsparungen erforderlich seien, so sei es nicht unbillig, die "Altrentner" ebenso daran zu beteiligen wie die "Neurentner".

Die Beklagte hat hiernach zu Recht das zeitweilige Ruhen des Altersruhegeldes des Klägers festgestellt.

Seine Revision gegen das klagabweisende Urteil des SG muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2285026

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