Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. April 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise Berufsunfähigkeit (BU) gegen die Beklagte.
Der 1944 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Bis April 1963 war er als Landarbeiter, ab August 1963 als Bereitsteller bei der Volkswagen AG versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Februar 1990 war er zunächst arbeitsunfähig erkrankt, seit August 1991 steht er im Leistungsbezug der Bundesanstalt für Arbeit.
Den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit von August 1991 lehnte die Beklagte ab, weil weder EU noch BU gegeben seien (Bescheid vom 13. September 1991; Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 1992). Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Braunschweig vom 25. Januar 1994; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 12. April 1995). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der Kläger, der keinen Berufsschutz als Facharbeiter oder oberer Angelernter genieße, sei nicht berufs- oder erwerbsunfähig, weil er breit verweisbar sei und noch vollschichtig zumindest leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen – zB als Verpacker oder Sortierer von Kleinteilen – verrichten könne. Zu vermeiden seien lediglich Arbeiten in Zwangshaltungen, verbunden mit Heben und Tragen von Lasten über 10 Kilogramm, mit dauerndem Stehen, Überkopfarbeiten sowie Tätigkeiten mit ständiger Rotation des Kopfes.
Der Kläger hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und trägt vor: Mit den bei ihm festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen könne er auch iS der bisher entwickelten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dem Katalogfall zugerechnet werden, daß er nur noch Tätigkeiten verrichten könne, die nur unter nicht betriebsüblichen Arbeitsbedingungen ausgeübt werden könnten. Jedenfalls sei aber die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit deshalb erforderlich, weil für die Versichertengruppe, welcher der Kläger angehöre, eine erhebliche Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bestehe, wie sich aus den Vorlagebeschlüssen des 13. Senats an den Großen Senat (GrS) des BSG vom 23. November 1994 in den Verfahren 13 RJ 19/93, 13 RJ 71/93, 13 RJ 73/93 und 13 RJ 1/94 ergebe.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. April 1995 und des Sozialgerichts Braunschweig vom 25. Januar 1994 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. September 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Februar 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. September 1991 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß dem Kläger keine Rente wegen EU oder BU zusteht.
Soweit der Kläger sich zur Begründung seiner Revision auf die Vorlagebeschlüsse des 13. Senats des BSG vom 23. November 1994 in den Verfahren 13 RJ 19/93, 13 RJ 71/93, 13 RJ 73/93 und 13 RJ 1/94 bezieht, hält der Senat sein Vorbringen für unerheblich und verweist auf die Gründe seines Urteils vom 14. September 1995 – 5 RJ 50/94 – (SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 = SGb 1995, 603 = NZS 1996, 228).
In dieser Entscheidung ist auch ausgeführt, daß der Senat wegen der Vorlage zur Rechtsfortbildung nach § 41 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an einer Entscheidung nicht gehindert ist und der Kläger bei einer abweichenden Entscheidung des GrS nach Maßgabe der §§ 44 ff des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) geschützt wird. Daß dieser Schutz nur längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren in die Vergangenheit zurückreicht, ist eine sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers, die als Grundsatzregelung für alle Fälle einer nachgeholten Leistungserbringung – dh nicht nur für Streitigkeiten wie die vorliegende – gilt, und die der Senat nicht dadurch korrigieren kann, daß er entscheidungsreife Sachen unentschieden läßt.
Wie im Senatsurteil vom 14. September 1995 (5 RJ 50/94, aaO) im einzelnen ausgeführt, ist die bisherige Rechtsprechung des BSG zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes nicht ergänzungsbedürftig. Insbesondere stellen die bei dem Kläger bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen qualitativer Art keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen dar. Vielmehr handelt es sich um eine – wenn auch nicht unerhebliche – Anzahl gewöhnlicher Leistungseinschränkungen, die nicht dazu führen, daß der Kläger nur noch unter nicht betriebsüblichen Arbeitsbedingungen arbeiten könnte.
Im übrigen hat der Gesetzgeber durch die im Zweiten Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (Zweites SGB VI-Änderungsgesetz – 2. SGB VI-ÄndG) vom 2. Mai 1996 (BGBl I S 659) vorgenommene Ergänzung des § 43 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) klargestellt, daß nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Entsprechend steht ein vollschichtiges Leistungsvermögen – ohne Berücksichtigung der jeweiligen Arbeitsmarktlage – erst recht der Annahme von EU entgegen, § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB VI. Dies gilt gemäß § 302b Abs 3 SGB VI in der Fassung des 2. SGB VI-ÄndG für alle Versicherten, deren Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem 1. Juni 1996 noch nicht begonnen hat. Im vorliegenden Fall hat die Rente des Klägers, da über sie noch nicht abschließend (“rechtskräftig”) entschieden ist, noch nicht “begonnen”.
Dabei kann es wegen der klarstellenden Funktion der Rechtsänderung (BT-Drucks 13/2590 S 19; 13/3697 S 1, 3 ff; 13/3907 S 1, 5 ff) keinen Unterschied machen, ob der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach den Vorschriften des SGB VI oder – wie im Falle des Klägers – nach den im wesentlichen gleichlautenden Normen der §§ 1246, 1247 der Reichsversicherungsordnung zu beurteilen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen