Beteiligte
Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen |
Landwirtschaftliche Alterskasse Rheinland-Pfalz |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. April 2000 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 14. Juni 1999 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungs- und das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Versicherungspflicht als Ehegattin eines Landwirts zu befreien ist.
Die 1959 geborene und seit 1983 mit einem Nebenerwerbslandwirt verheiratete Klägerin entrichtete von Februar 1981 bis März 1987 Beiträge als landwirtschaftliche Unternehmerin. Anschließend – nach Aufgabe ihres landwirtschaftlichen Betriebes – entrichtete sie Beiträge als Weiterversicherte iS des § 27 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL). Mit Bescheid vom 14. November 1995 befreite die Beklagte sie gemäß § 84 Abs 2 des Gesetzes für die Alterssicherung der Landwirte (ALG) antragsgemäß mit Wirkung vom 31. Januar 1996 (Ablauf des Monats, in dem die Wartezeit für eine Altersrente erfüllt war) von der Versicherungspflicht als Weiterversicherte. Der Verfügungssatz des Bescheides lautete: „Aufgrund Ihres am 2.11.95 eingegangenen Antrages endet Ihre Versicherungspflicht am 31.1.96”. Vorausgegangen war ein Hinweis auf die bisherige Beitragspflicht der Klägerin nach § 27 GAL und deren Weiterbestehen nach § 84 Abs 2 ALG. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 18. März 1997 stellte die Beklagte ab 1. Januar 1995 die Versicherungspflicht der Klägerin als Ehegattin eines Landwirts gemäß § 1 Abs 3 ALG fest und verlangte die Entrichtung von Beiträgen. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 3. April 1997 Widerspruch, über den bisher noch nicht entschieden worden ist. Zugleich beantragte sie gemäß § 85 Abs 3a ALG Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 3 ALG. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Juli 1997 mit der Begründung ab, die Klägerin sei am 31. Dezember 1994 beitragspflichtig gewesen. Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 1998 zurück.
Die gegen den Bescheid vom 25. Juli 1997 in der Gestalt dieses Widerspruchsbescheides erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 14. Juni 1999 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin sind das erstinstanzliche Urteil sowie die Bescheide der Beklagten vom 18. März 1997 und vom 25. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1998 aufgehoben worden. In den Entscheidungsgründen führt das Landessozialgericht (LSG) ua aus: Die Befreiung der Klägerin durch Bescheid vom 14. November 1995 habe sich auch auf ihre Beitragspflicht als Ehegattin eines Landwirts erstreckt. Da der Befreiungsbescheid beide Tatbestände der Versicherungspflicht betroffen habe, sei es gleichgültig, wie sich die Tatbestände der Weiterversicherung (§ 84 Abs 2 Satz 1 ALG iVm § 27 GAL) und der Versicherung als Ehegattin eines Landwirts (§ 1 Abs 3 ALG) zueinander verhielten. Auch sei es ohne Belang, daß ein Befreiungsgrund für die Versicherung nach § 1 Abs 3 ALG (Ehegattenversicherung) nicht vorgelegen habe, denn der Befreiungsbescheid vom 14. November 1995 sei von der Beklagten nicht zurückgenommen worden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die – vom LSG zugelassene – Revision. Mit ihr macht die Beklagte geltend: Die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 27 GAL bzw § 84 Abs 2 ALG erfasse nicht die Ehegattenversicherung nach § 1 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 3 ALG.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. April 2000 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 14. Juni 1999 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das LSG-Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Beklagte hat die Klägerin nicht aufgrund des Antrages vom 2./3. April 1997 von der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 3 ALG zu befreien.
Soweit das LSG – über Klage- und Berufungsantrag hinausgehend – auch den Bescheid der Beklagten vom 18. März 1997 aufgehoben hat, verstößt das Urteil gegen § 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Danach darf den Beteiligten nicht mehr oder anderes zugesprochen werden, als sie selbst wünschen (vgl Meyer-Ladewig, SGG, Komm, 6. Aufl, § 123 RdNr 4 mwN). Die Bestimmung gilt insbesondere auch im Berufungsverfahren (Meyer-Ladewig, aaO RdNr 2; BSG SozR § 123 Nr 3). Ein Verstoß gegen sie ist von Amts wegen auch noch im Revisionsverfahren zu berücksichtigen (Meyer-Ladewig, aaO RdNr 6; Kummer in PSW, Anm 2b zu § 123 SGG S II 113 f; ders ebendort Anm 3 auf S II 118 f unter Bezugnahme auf BVerwG in Buchholz 310 § 88 VwGO Nr 3; Redeker/von Oertzen, VwGO, 12. Aufl, § 88 RdNr 6 mwN; Eyermann, VwGO 10. Aufl § 88 RdNrn 12 und 13 mwN).
Die Klägerin hatte die vom LSG ausgesprochene Aufhebung des Bescheides vom 18. März 1997 nicht beantragt. An die anderslautende Feststellung des LSG im Protokoll vom 6. April 2000 ist der Senat nicht nach § 122 SGG iVm § 165 der Zivilprozeßordnung (ZPO) gebunden, weil die Aufnahme der von den Beteiligten nur schriftlich gestellten Prozeßanträge ins Protokoll keine für die mündliche Verhandlung vorgeschriebene Förmlichkeit darstellt. Nur die (auch) in der mündlichen Verhandlung selbst gestellten Anträge sind gemäß § 122 SGG iVm § 160 Abs 3 Nr 2 ZPO in das Protokoll aufzunehmen. Im Protokoll des LSG über die mündliche Verhandlung vom 6. April 2000 – zu der für die Klägerin und Berufungsführerin niemand erschienen war – heißt es: „Aus den Akten ergibt sich der Antrag der Klägerin, das Urteil des SG Trier vom 14. Juni 1999 und die Bescheide der Beklagten vom 18. März 1997 und vom 25. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1998 aufzuheben”. Dies widerspricht indessen teilweise dem Akteninhalt. Ein auf Aufhebung des Bescheides vom 18. März 1997 gerichteter Antrag ist im Gerichtsverfahren nicht gestellt worden. Vor dem SG hatte die Klägerin – durch ihren Prozeßbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt – ausdrücklich nur die Aufhebung des Bescheides vom 25. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1998 und die Verurteilung der Beklagten zur Befreiung von der Beitragspflicht seit 1. Januar 1995 verlangt. Dasselbe gilt für den Berufungsantrag vor dem LSG. Auch durch Auslegung der Schriftsätze der Klägerin ergibt sich nichts anderes. Im Gegenteil setzt der in den Vorinstanzen weiterverfolgte Antrag auf Befreiung nach § 85 Abs 3a ALG das Vorliegen der von der Beklagten mit Bescheid vom 18. März 1997 festgestellten Versicherungspflicht und damit die Richtigkeit dieses Bescheides gerade voraus. Der Auffassung des Senats steht nicht entgegen, daß die Verwaltung bisher nicht über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. März 1997 entschieden hat. Die Klägerin könnte das Interesse an der Aufhebung des Bescheides verloren haben. Dafür spricht: Der Widerspruch ist nicht begründet worden. Möglicherweise wollte die Klägerin nur geltend machen, daß eine doppelte Beitragsbelastung für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Januar 1996, für den sie schon Beiträge aufgrund einer (vermeintlichen) Versicherungspflicht nach § 27 GAL iVm § 84 Abs 2 Satz 1 1. Halbs ALG geleistet hatte, zu unterbleiben habe. Diesem möglichen Anliegen hat aber die Beklagte in der Folgezeit durch Anrechnung der bereits entrichteten Beiträge entsprochen.
Im übrigen hätte das LSG schon aus prozessualen Gründen selbst dann nicht über den Bescheid vom 18. März 1997 entscheiden dürfen, wenn dessen Anfechtung beabsichtigt gewesen wäre, denn insoweit war noch kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden (§ 78 Abs 1 Satz 1 SGG). Der Widerspruchsbescheid vom 27. April 1998 bezog sich ausdrücklich nur auf den Bescheid vom 25. Juli 1997.
Auch soweit das LSG auf die Verpflichtungsklage den Bescheid vom 25. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1998 aufgehoben hat, läßt sich sein Urteil nicht aufrechterhalten. Die Versicherungspflicht ist, ohne daß es eines Bescheides bedurfte – er hätte nur deklaratorische Bedeutung –, nach § 1 Abs 3 ALG zum 1. Januar 1995 kraft Gesetzes eingetreten. Die Klägerin erfüllte als Ehefrau eines Landwirts die Voraussetzungen dieses Versicherungspflichttatbestandes. Dabei kam es nicht darauf an, daß ihr Ehegatte nicht seinerseits in der Alterssicherung der Landwirte beitragspflichtig war, weil er sein landwirtschaftliches Unternehmen nur im Nebenerwerb betrieb (vgl auch § 85 Abs 3a Satz 1 Nr 1 ALG). Den Eintritt der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 3 ALG hinderte auch nicht der Umstand, daß die Klägerin bis zum 1. Januar 1995 als Weiterversicherte nach § 27 GAL iVm § 84 Abs 2 ALG der Beitragspflicht unterlag. Vielmehr verdrängte die Versicherungspflicht nach § 1 Abs 3 ALG diejenige nach § 84 Abs 2 ALG (vgl Entscheidung des Senats vom 19. Oktober 2000 – B 10 LW 20/99 R – SozR 3-5868 § 84 Nr 2 S 8).
Entgegen der Annahme des LSG hat der Bescheid vom 14. November 1995 die Klägerin nicht wieder von der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 3 ALG befreit. Zunächst entfaltete dieser Bescheid – wie sich aus seinem Inhalt ergibt – erst ab 1. Februar 1996 Rechtswirkung. Diese lag aber nicht in der Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 3 ALG. Die Beklagte hat die Klägerin mit dem Bescheid vom 14. November 1995 nur von der Versicherungspflicht nach § 84 Abs 2 ALG Satz 1 1. Halbs iVm § 27 GAL befreit. Dafür sprechen der Verfügungssatz des Bescheides und der zu seiner Auslegung heranzuziehende – auch der Klägerin erkennbare – Kontext (Hinweis auf die Weiterversicherungspflicht und die – nur – dafür einschlägigen Befreiungsvorschriften des ALG). Die Ermittlung des Regelungsgehalts eines Verwaltungsaktes allein durch eine isolierte Auslegung seines Verfügungssatzes, wie sie das LSG vorgenommen hat, ist dem Verwaltungsrecht und damit auch dem Sozialrecht fremd. Das gilt auch für Bescheide, mit denen die Befreiung von der Versicherungspflicht in sozialen Sicherungssystemen ausgesprochen wird. Etwas anderes ergibt sich insoweit auch nicht aus dem vom LSG angeführten Urteil des BSG vom 22. Oktober 1998 (SozR 3-2600 § 56 Nr 12, vgl dazu insbesondere S 57). Bei dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden – die Befreiung von der Angestelltenversicherungspflicht wegen Mitgliedschaft bei einem berufsständischen Versorgungswerk betreffenden – Fall ging es nämlich nicht um die Frage, ob der Verfügungssatz eines Befreiungsbescheides – wie ein Verwaltungsakt regelmäßig – aus der dem Bescheid beigefügten Begründung oder seinem sonstigen Kontext auszulegen ist, sondern darum, ob außer den im Verfügungssatz des Bescheides getroffenen Anordnungen (Befreiung von der Versicherungspflicht ab einem bestimmten Zeitpunkt) auch noch die dem Bescheid beigegebenen Hinweise weitere verbindliche Regelungen (betreffend das Ende des Befreiungstatbestandes) enthielten.
Maßgeblich für die Auslegung eines Verwaltungsaktes ist auch bei Befreiungsbescheiden der Inhalt, wie er bei verständiger Würdigung aller bekannten Umstände dem Empfänger erscheinen muß (BSGE 56, 274, 276 mwN; Schroeder-Printzen ua SGB X § 31 RdNr 21 ff; § 33 RdNr 2 mwN). Sämtliche Umstände sprechen hier dagegen, daß die Klägerin den Bescheid vom 14. November 1995 so auffassen konnte, als sei sie auch von der im November 1995 schon bestehenden Versicherungspflicht als Ehegattin eines Landwirts befreit. Einerseits war zum damaligen Zeitpunkt noch keinem der Beteiligten das Bestehen der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 3 ALG bewußt. Andererseits bezog sich der Antrag der Klägerin nur auf eine Befreiung nach § 84 Abs 2 ALG. Der Bescheid vom 14. November 1995 hat die Klägerin schließlich auch nicht deshalb von der Versicherungspflicht als Ehegattin eines Landwirts befreit, weil die Weiterversicherung bereits seit 1. Januar 1995 durch die vorrangige Versicherung nach § 1 Abs 3 ALG verdrängt war. Dabei kann hier offenbleiben, ob der Befreiungsbescheid, weil er nur einen vermeintlichen Versicherungspflichttatbestand betraf, ins Leere ging oder ob er zumindest die Wirkung entfalten konnte, das potentielle Wiederaufleben der Pflicht zur Weiterversicherung zu verhindern (vgl dazu BSG SozR 5850 § 27 Nr 6 S 11 ff).
Der Grundsatz der Befreiung von jeglicher Versicherungspflicht gilt nur im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung und auch dort nicht uneingeschränkt (vgl Peters in Kasseler Komm Stand 2000 § 6 SGB V RdNr 55 und die gleichzeitig mit diesem Urteil ergangene Entscheidung des Senats – B 10 LW 7/00 R – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Die Beklagte hat den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 3 ALG durch die Bescheide vom 25. Juli 1997 und 27. April 1998 zu Recht abgelehnt. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Befreiung. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen des § 85 Abs 3a ALG waren weder im Zeitpunkt des Erlasses der genannten Bescheide noch später erfüllt. Die Klägerin war am 31. Dezember 1994 beitragspflichtig nach § 27 GAL iVm § 84 Abs 1 Satz 1 1. Halbs ALG. Dies aber stand einer Befreiung nach § 85 Abs 3 ALG oder § 85 Abs 3a ALG – wie der Senat bereits entschieden hat (SozR 3-5868 § 84 Nr 2 S 8 und § 85 Nr 3) – entgegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen