Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialrechtliches Verwaltungsverfahren – Hinzuziehung Beteiligter – ordnungsgemäße Benachrichtigung – Aussetzung des Rechtsstreits zur Behebung von Verfahrensfehlern im Revisionsverfahren – Geschiedenenwitwenrente – Feststellung der Unterhaltsbedürftigkeit des aus beiderseitigen Verschulden geschiedenen Ehegatten
Leitsatz (amtlich)
1. Eine ordnungsgemäße Benachrichtigung nach § 12 Abs 2 SGB 10 erfordert die Belehrung des Hinzuziehungsberechtigten über seine Antragsbefugnis.
2. Eine Aussetzung des Rechtsstreits zur Behebung von Verfahrensfehlern des Verwaltungsverfahren (§ 114 Abs 2 S 2 SGG) kommt im Revisionsverfahren nicht in Betracht.
3. Bei der Unterhaltsbedürftigkeit des aus beiderseitigem Verschulden geschiedenen Ehegatten sind auch realisierbare Ansprüche zu berücksichtigen; insoweit ist auf die materielle Rechtslage im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand abzustellen.
Stand: 27. August 2001
Normenkette
SGB X § 12 Abs. 2 S. 2, § 41 Abs. 2; SGG § 114 Abs. 2 S. 2; EheG § 60; SGB VI § 243
Beteiligte
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte |
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Oktober 1999 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat der Beigeladenen auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt eine sog Geschiedenenwitwenrente.
Die im Jahre 1937 geborene Klägerin war seit dem Jahre 1960 mit dem am 14. April 1985 verstorbenen Versicherten H.-J. M. verheiratet. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen. Mit am 2. Dezember 1971 rechtskräftig gewordenem Urteil wurde die Ehe der Klägerin aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Nach der Ehescheidung zahlte der Versicherte der Klägerin keinen Unterhalt; einen Unterhaltstitel gegen den Versicherten besaß die Klägerin nicht.
Die Klägerin hat nicht wiedergeheiratet. Der Versicherte heiratete im Jahre 1976 die Beigeladene, der die Beklagte mit Bescheid vom 22. August 1985 eine – nicht aufgeteilte – Hinterbliebenenrente nach dem Versicherten bewilligte.
Zum Zeitpunkt der Ehescheidung betrug das monatliche Bruttoeinkommen des Versicherten 1.900,00 DM. Vor seinem Tode, im Jahre 1984, hatte der Versicherte ein monatliches Bruttoeinkommen von etwa 5.200,00 DM (bzw 5.400,00 DM). Die Klägerin erzielte in demselben Zeitraum aus ihrer selbständigen Tätigkeit als Grafikerin einen Jahresgewinn von 25.020,00 DM. Im Januar 1985 wurde die Klägerin Opfer einer Gewalttat; sie befand sich bis März 1985 im Krankenhaus und erhielt während dieser Zeit ein Krankenhaustagegeld von 215,00 DM. In der folgenden Zeit war die Klägerin weitgehend ohne Einkommen.
Das Versorgungsamt Hamburg bewilligte der Klägerin auf ihren Antrag vom Mai 1986 ab 1. Mai 1986 Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG), und zwar eine Grundrente, eine Ausgleichsrente (367,00 DM bzw 375,00 DM), einen Ehegattenzuschlag (91,00 DM bzw 93,00 DM) und Berufsschadensausgleich (1.353,00 DM bzw 1.382,00 DM). Den Antrag der Klägerin auf Geschiedenenwitwenrente vom Februar 1993 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Oktober 1993 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1994 ab.
Das SG hat die Klage nach Beiladung der zweiten Ehefrau des Versicherten mit Urteil vom 10. Februar 1998 abgewiesen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 13. Oktober 1999). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente nach § 243 SGB VI zu. Sie habe im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten keinen Unterhalt von diesem erhalten und auch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor seinem Tod keinen Anspruch auf Unterhalt in sozialrechtlich relevanter Höhe, nämlich in Höhe von 25 vH des maßgeblichen Sozialhilfesatzes, gehabt. Letzter wirtschaftlicher Dauerzustand sei hier die Zeit zwischen der erheblichen Verletzung der Klägerin im Januar 1985 und dem Tod des Versicherten im April 1985. Während dieser Zeit habe jedoch kein Unterhaltsanspruch der Klägerin nach dem insoweit Anwendung findenden § 60 Ehegesetz (EheG) bestanden. Dieser „Billigkeitsunterhalt” sei nicht auf Leistungen des vollen angemessenen Unterhalts gerichtet, sondern auf einen Beitrag zum Unterhalt. Ein derartiger Anspruch sei nur gegeben, wenn sich der bedürftige Ehegatte nicht selbst unterhalten könne. Die Klägerin sei in der Zeit vor dem Tod des Versicherten in der Lage gewesen, sich selbst zu unterhalten, da sie in dem maßgeblichen Zeitraum ein Krankenhaustagegeld von 215,00 DM erhalten habe. Im übrigen habe ihr auch ein Anspruch auf Leistungen nach dem OEG zugestanden. Offenbleiben könne, ob auch die Grundrente insoweit zu berücksichtigen sei. Denn jedenfalls hätten Ausgleichsrente, Familienzuschlag und Berufsschadensausgleich in Höhe von insgesamt 1.811,00 DM weit über dem damaligen Sozialhilfeniveau gelegen. Der Regelsatz für Haushaltsvorstände und Alleinstehende in H. habe damals 400,00 DM betragen.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung von § 60 EheG und trägt vor: Bei der Prüfung der Unterhaltsbedürftigkeit habe das LSG zu Unrecht Ansprüche nach dem OEG zugrunde gelegt, da ihr solche zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten nicht zugestanden hätten. Sie habe diese erst nach dem Tode des Versicherten geltend gemacht. Zwar seien bestimmte, nach dem OEG zu gewährende Leistungen unterhaltsrechtlich relevant. Dies gelte jedoch nur für die im maßgeblichen Zeitraum bereits bewilligten Leistungen, nicht jedoch für solche, die bei rechtzeitiger Antragstellung hätten zuerkannt werden müssen. Das LSG hätte prüfen müssen, ob ihr die unterlassene Antragstellung zuzurechnen gewesen sei. Im Hinblick auf ihre fehlende Kenntnis von ihrer Anspruchsberechtigung sei dies nicht der Fall gewesen. Im übrigen wären Leistungen auch bei einer früheren Antragstellung wegen der üblichen langen Verfahrensdauer erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt bewilligt worden.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Hamburg vom 13. Oktober 1999 sowie des SG Hamburg vom 10. Februar 1998 und den Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. März 1993 dem Grunde nach eine anteilige Hinterbliebenenrente aus der Versicherung von H.-J. M. zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Die Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Im Ergebnis zu Recht hat das LSG das Urteil des SG bestätigt, in dem die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und Abs 4 SGG), mit der die Klägerin eine Hinterbliebenenrente nach dem Versicherten begehrt hat, abgewiesen worden ist. Ein derartiges Recht steht der Klägerin nicht zu.
1. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist vom Revisionsgericht nicht bereits wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben, obwohl die Beklagte verfahrensfehlerhaft die Beigeladene über ihr Recht auf Hinzuziehung (§ 12 Abs 2 SGB X) nicht ordnungsgemäß informiert und damit einen Antrag der Beigeladenen auf Beteiligung am Verwaltungsverfahren – möglicherweise – verhindert hat.
a) Gemäß § 12 Abs 2 SGB X kann die Behörde von Amts wegen oder auf Antrag diejenigen, deren rechtliches Interesse durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, hinzuziehen. Hat der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für einen Dritten, ist dieser auf Antrag als Beteiligter zu dem Verfahren hinzuzuziehen; soweit er der Behörde bekannt ist, hat diese ihn vor der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen. Hier hat die Beklagte zwar die Beigeladene darüber informiert, daß die Klägerin einen Antrag auf Gewährung einer sog Geschiedenenwitwenrente gestellt hat. Allein mit dem Hinweis auf das – bereits eingeleitete – Verfahren hat sie jedoch ihrer „Benachrichtigungspflicht” nicht ordnungsgemäß genügt. Eine ordnungsgemäße Benachrichtigung ist nur dann erfolgt, wenn diese den Hinweis enthält, daß ein Antrag auf Beteiligung an dem Verfahren gestellt werden kann. Nur dann nämlich ist der Dritte in der Lage, seine Rechte wahrzunehmen. Dieser Hinweispflicht ist die Beklagte nicht nachgekommen, obwohl der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung (im weiteren Sinne) für die Beigeladene hätte haben können. Denn ein positiver Ausgang des Verfahrens über die Bewilligung der sog Geschiedenenwitwenrente an die Klägerin hätte sich auf das Recht der Beigeladenen – ihre Hinzuziehung unterstellt –, auf die in vollem Umfang durch den Bescheid vom 22. August 1985 zuerkannte Hinterbliebenenrente ausgewirkt. In diesem Fall würde auch ihr gegenüber mit der Bekanntgabe des für die Klägerin günstigen Verwaltungsaktes entschieden, daß die Klägerin anteilig ein Recht auf die bisher ihr allein zuerkannte Hinterbliebenenrente hat. Die Beklagte wäre infolgedessen verpflichtet, die Hinterbliebenenrente der Beigeladenen anteilig zu kürzen (§ 91 SGB VI).
b) Dennoch kommt wegen dieses Verfahrensfehlers weder eine Aufhebung der fehlerhaft zustande gekommenen Ablehnung des Rechts auf Rente im Bescheid vom 5. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 1994 noch eine Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG noch eine Aussetzung des Rechtsstreits in Betracht.
aa) § 114 Abs 2 Satz 2 SGG, der durch Art 21 des Gesetzes zur Einführung des Euro im Sozial- und Arbeitsrecht sowie zur Änderung anderer Vorschriften vom 21. Dezember 2000 (≪4. Euro-Einführungsgesetz≫, BGBl I S 1983) eingefügt, und am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, findet keine Anwendung. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag das Verfahren zur Heilung ua von Verfahrensfehlern aussetzen, soweit dies iS der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist.
Gericht in diesem Sinne ist jedoch allein das Tatsachengericht und nicht das Revisionsgericht. Dies ergibt sich aus dem Zusammenwirken von § 114 Abs 2 Satz 2 SGG iVm dem ebenfalls durch das 4. Euro-Einführungsgesetz, durch Art 10 Nr 5, geänderten § 41 Abs 2 SGB X (iVm dem hier maßgebenden § 41 Abs 1 Nr 6 aaO). Danach ist eine Verletzung ua von Verfahrensvorschriften, wie derjenigen des § 12 Abs 2 SGB X, unbeachtlich, wenn diese Verfahrenshandlung bis zur letzten Tatsacheninstanz (also nicht im Verlaufe des Revisionsverfahrens) nachgeholt wird. Beide Bestimmungen bilden eine funktionale Einheit. Obwohl § 41 SGB X das Verwaltungsverfahren betrifft und § 114 Abs 2 Satz 2 SGG das Gerichtsverfahren, sind beide Vorschriften inhaltlich aufeinander abgestimmt. Sie sollen einander ergänzen und die Gesamtdauer (sowohl des Verwaltungs- als auch des Gerichtsverfahrens) abkürzen (vgl hierzu BR-Drucks 531/2000, S 158; BT-Drucks 14/4375, S 58). Bereits im Hinblick auf diesen gesetzlich umschriebenen Anwendungsbereich ist – unabhängig von der verfassungsrechtlichen Problematik (vgl hierzu entsprechend Schenke, NJW 1997, 81, 87) – eine Aussetzung des Rechtsstreits im Revisionsverfahren zur Behebung von Fehlern des Verwaltungsverfahrens ausgeschlossen. Im übrigen folgt dies auch aus der mit den geänderten Vorschriften beabsichtigten Verfahrensbeschleunigung: Die revisionsgerichtliche Entscheidung beruht auf den tatsächlichen Feststellungen des Tatsachengerichts. Daher dürfen während der Aussetzung des Rechtsstreits im Revisionsverfahren etwaige aufgrund der nachgeholten Verfahrenshandlung sich ergebende neue Tatsachen jedenfalls vom Revisionsgericht nicht berücksichtigt werden. Es würde keinen Sinn ergeben, wollte man ein Verfahren aussetzen, um Verfahrensfehler zu beheben, die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse tatsächlicher Art aber nicht verwerten dürfen (vgl zur Problematik entsprechend: Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl, § 137 RdNr 27; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl, § 45 RdNr 36 f; Eyermann/Rennert, VwGO, 10. Aufl, § 94 RdNr 12).
bb) Unabhängig von dieser sich aus dem Zusammenwirken von § 114 Abs 2 SGG mit § 41 Abs 2 SGB X ergebenden Auslegung (und einer fehlenden Antragstellung) findet § 114 Abs 2 Satz 2 SGG nF hier auch unter Berücksichtigung der Grundsätze des intertemporalen Verfahrensrechts keine Anwendung, obwohl von einer Änderung des Prozeßrechts grundsätzlich alle im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Verfahren erfaßt werden, sofern Übergangsvorschriften nicht etwas anderes vorschreiben (vgl GrS BSGE 70, 133 f = SozR 3-1300 § 24 Nr 6; BSGE 72, 148, 158 mwN = SozR 3-2500 S 15 Nr 1; vgl hierzu entsprechend: BFHE 154, 241, 243 ff). Denn das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen ist im allgemeinen weniger geschützt als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materiell-rechtlicher Rechtspositionen. Enthält das Verfahrensrecht jedoch nicht nur bloße ordnungsrechtliche technische Prozeßführungsregeln, sondern wirkt es auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage ein, in der sich ein Prozeßbeteiligter befindet, so sind die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes Prüfungsmaßstab (vgl BVerfGE 87, 48, 63 f mwN). In diesem Fall haben Änderungen von Verfahrensvorschriften, die keine ausdrückliche Übergangsregelung enthalten, keine „rückbezügliche Wirkung”, wenn sie eine Partei belasten (vgl Wolfgang Lüke in Festschrift für Gerhard Lüke, S 391, 403; vgl hierzu entsprechend: BFHE 154, 241, 243 ff). Um eine derartige Änderung einer verfahrensrechtlichen Rechtsposition würde es sich handeln, wenn die zusammenwirkenden Regelungen des § 114 Abs 2 Satz 2 SGG und des § 41 Abs 2 SGB X – jeweils in der Neufassung – hier zur Anwendung gelangten. Denn dann würde – abstrakt – rückwirkend in die Rechtsposition desjenigen eingegriffen, der wegen des Verfahrensfehlers nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht mit Abschluß des Verwaltungsverfahrens im Gerichtsverfahren bereits wegen des Verfahrensfehlers einen Anspruch auf Aufhebung dieses Verwaltungsaktes gehabt hätte. Denn die verwaltungsverfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten beurteilt sich im Gerichtsverfahren bei dem hier obligatorischen Vorverfahren nach der Rechtslage zur Zeit der Beendigung des Widerspruchsverfahrens, also nach der Rechtslage, wie sie zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 1994 bestanden hat (vgl hierzu BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 8 S 24 mwN). Zu diesem Zeitpunkt war eine Heilung von Verfahrens- und Formfehlern nach Beendigung des Vorverfahrens ausgeschlossen (§ 41 Abs 2 SGB X aF). Infolgedessen stellte der im Verwaltungsverfahren unterlaufene Fehler – jedenfalls – bis zum 31. Dezember 2000 einen Aufhebungsgrund dar. Diese den betroffenen Verfahrensbeteiligten begünstigende Rechtsposition würde verlorengehen, wenn ihnen dieser Aufhebungsgrund abgeschnitten würde.
cc) Obwohl somit der von der Beklagten vor Beendigung des Vorverfahrens unterlassene – ordnungsgemäße – Hinweis auf die Hinzuziehung verfahrensfehlerhaft unterblieben ist, steht dies hier einer Sachentscheidung nicht entgegen. Zwar ist der Dritte bei Vorliegen eines derartigen Verfahrensfehlers von dem Gericht zu befragen, ob er ein Interesse an einer Teilnahme am Verwaltungsverfahren hat (so die Rechtsprechung des 12. Senats: BSG SozR 2100 § 5 Nr 3 S 4 und SozR 1300 § 12 Nr 1 S 3 f), da ihm – entsprechend dem Antragsprinzip des § 12 Abs 2 SGB X – die Beteiligtenstellung nicht aufgedrängt werden kann. Einer derartigen Anfrage an die Beigeladene bedarf es jedoch dann nicht, wenn für das Revisionsgericht feststeht, daß die Klage abzuweisen ist, die Verwaltungsentscheidung also keine rechtsgestaltende Wirkung (im weiteren Sinn) für die Beigeladene entfalten und sich demnach auch nicht nachteilig auf sie auswirken kann. Der für die verfahrensfehlerhaft unterbliebene Beiladung im Gerichtsverfahren entwickelte Gedanke, wonach Verfahrensfehler dann nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen, wenn sie sich im Hinblick auf den Zweck, den die entsprechende Verfahrensvorschrift verfolgt, auf das angefochtene Urteil nicht auswirken kann (vgl hierzu BSGE 66, 144 ff mwN = SozR 3-5795 § 6 Nr 1; BSG SozR 3-2200 § 1237b Nr 1 S 2 mwN), gilt auch für das gerichtliche Verfahren bei einem Verstoß des Verwaltungsträgers gegen § 12 Abs 2 SGB X. Dann nämlich, wenn die Rechte des nicht Hinzugezogenen aber Beigeladenen wegen des Ausgangs des gerichtlichen Verfahrens schlechthin nicht berührt werden können, besteht kein Rechtsschutzinteresse dafür, einen Verwaltungsakt wegen eines Verfahrensfehlers der Verwaltung aufzuheben, obwohl derjenige, dessen Verwaltungsverfahrensrecht verletzt wurde, aufgrund des Ausgangs des gerichtlichen Verfahrens durch den Verwaltungsakt materiell-rechtlich nicht beschwert sein und seine „Nichtbeteiligung” sich für ihn also nicht negativ auswirken kann. Dies ist hier der Fall.
2. In der Sache zutreffend haben LSG und SG im Ergebnis das Recht der Klägerin auf eine – anteilige – Hinterbliebenenrente und auf eine hieraus zu leistende laufende monatliche Rente verneint.
a) Dabei kann dahinstehen, ob das Recht der Klägerin auf die sog Geschiedenenwitwenrente sich nach dem Text des § 42 Abs 1 AVG oder nach § 243 Abs 2 SGB VI beurteilt. Denn mit dem Inkrafttreten des SGB VI hat sich insoweit keine (inhaltliche) Rechtsänderung ergeben, so daß auch die Übergangsvorschriften der §§ 300 ff SGB VI von vornherein nicht zur Anwendung gelangen (vgl BSG SozR 3-2600 § 63 Nr 1 S 8). Zur sprachlichen Vereinfachung wird jedoch im folgenden jeweils auf das SGB VI, auf § 243 SGB VI, Bezug genommen.
Nach § 243 Abs 2 SGB VI besteht ein Anspruch auf eine (anteilige) sog große Witwenrente ua für geschiedene und nicht wiederverheiratete Ehegatten, die das 45. Lebensjahr vollendet haben, wenn die Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden ist, sofern der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und nach dem 30. April 1942 verstorben ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, wovon die Beteiligten auch übereinstimmend ausgehen. Streit besteht allein darüber, ob die weitere Voraussetzung für ein Recht der Klägerin auf (große) Witwenrente nach § 243 Abs 2 Nr 3 SGB VI gegeben ist, nämlich ob der Versicherte – da er tatsächlich keinen Unterhalt geleistet hat und nach den Feststellungen des LSG insoweit auch kein Unterhaltstitel vorliegt – im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor seinem Tod der Klägerin gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet war.
b) Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß sich die gesetzliche Unterhaltspflicht des Versicherten nach den vor dem 1. Juli 1977 geltenden Vorschriften des EheG richtet; diese haben gemäß Art 12 Nr 3 Abs 2 des Ersten Eherechtsreformgesetzes vom 14. Juni 1976 (BGBl I S 1421) hinsichtlich ihrer unterhaltsrechtlichen Regelungen weiterhin Geltung. Nach dem – hier – bei einer Ehescheidung aus beiderseitigem Verschulden Anwendung findenden § 60 EheG wird einem geschiedenen Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, ein Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse ua des anderen Ehegatten der Billigkeit entspricht. Voraussetzung für einen derartigen Anspruch ist, daß der Unterhaltsberechtigte, also die Klägerin, im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten sich nicht hätte selbst unterhalten können. Hiervon ist nach dem mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des LSG nicht auszugehen, und zwar unabhängig davon, welcher zeitliche Rahmen als „letzter wirtschaftlicher Dauerzustand” in diesem Sinne zugrunde gelegt wird.
c) Maßgebend für die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse sind diejenigen, die vor dem Tode des Versicherten bestanden haben. Denn die Rente soll die Unterhaltspflicht oder die Unterhaltsleistung des Versicherten ersetzen, die durch seinen Tod entfallen ist. Dabei unterstellt das Gesetz, daß dieser Zustand nach dem Tod des Versicherten fortgedauert hätte. Eine so weitgehende rechtliche Bedeutung kann infolgedessen den wirtschaftlichen Verhältnissen der geschiedenen Eheleute vor dem Tod des Versicherten nur zukommen, wenn vorübergehende unterhaltsrechtliche Besonderheiten oder Zufälligkeiten außer Betracht bleiben (vgl BSGE 31, 5, 8 f). Demnach verbietet sich zwar eine starre – schematische, etwa zeitlich auf ein Jahr fixierte – Handhabung (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1265 Nr 82 S 273 f mwN). Die zugrundezulegenden wirtschaftlichen Verhältnisse vor dem Tod des Versicherten müssen jedoch jeweils dauerhaft und stabil gewesen sein.
Zur Bestimmung des wirtschaftlichen Dauerzustandes bieten sich hier verschiedene zeitliche Rahmen an, nämlich die Jahresfrist bis zum Tod des Versicherten (vgl hierzu BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 15 S 100), die Zeit ab Januar 1985, nachdem die Klägerin Opfer einer Gewalttat wurde und keine wesentlichen Einkünfte aus Erwerbstätigkeit mehr erzielte sowie die Zeit nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus im März 1985 bis zum Tode des Versicherten Mitte April 1985. Auch unter Zugrundelegung dieser verschiedenen Zeitspannen, die als wirtschaftlicher Dauerzustand in Betracht kommen könnten, stand der Klägerin gegen den Versicherten kein Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag zu.
d) Nach § 60 EheG hat der Unterhaltsberechtigte nur dann einen Anspruch gegen den Unterhaltsverpflichteten, wenn er sich ua unter Verwertung seiner Arbeitskraft und seines Vermögens nicht selbst unterhalten kann. Nur wenn er unter diesen Voraussetzungen hierzu außerstande ist, kann ihm ein Betrag zu seinem Unterhalt zugebilligt werden. Solange der Berechtigte jedoch imstande ist, aus eigener Kraft durch geeignete Maßnahmen seine Bedürftigkeit abzuwenden, ist er nicht als bedürftig anzusehen (vgl hierzu BGH NJW 1983, 2379 f; BGH in GW EzFamR 1984, § 60 EheG Nr 1; Göppinger/Strohal, Unterhaltsrecht, 6. Aufl, RdNr 512 und Göppinger/Kindermann, aaO, RdNr 1352 Fn 1 und 1353).
e) Die Klägerin hatte unter Zugrundelegung der og Voraussetzungen zu keinem Zeitpunkt vor dem Tod des Versicherten einen iS von § 243 Abs 2 SGB VI relevanten Unterhaltsanspruch in Höhe von (zumindest) 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Sozialhilferegelsatzes (vgl hierzu BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 16 S 108 mwN), hier von insgesamt 400,00 DM. Infolgedessen kann dahinstehen, ob der Versicherte seinerseits unter Berücksichtigung seiner eigenen Bedürfnisse sowie seiner Vermögens- und Erwerbsverhältnisse überhaupt zur Zahlung eines Unterhaltsbeitrages – in welcher Höhe auch immer – unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit verpflichtet gewesen wäre. Denn die Klägerin war jedenfalls vor dem Tode des Versicherten nicht bedürftig iS von § 60 EheG (vgl § 1602 Abs 1 BGB, Göppinger/Strohal, aaO, RdNr 1352 Fn 1). Maßgebend ist für den Bedarf des Berechtigten – auch insoweit – seine Lebensstellung zum Zeitpunkt der Ehescheidung (vgl hierzu entsprechend § 1610 Abs 1 BGB; BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 16 S 108). Im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse zu diesem Zeitpunkt (Alleinverdienst des Versicherten von 1.900,00 DM brutto) darf der Klägerin jedenfalls kein höherer Bedarf als der dem Unterhaltspflichtigen zustehende Selbstbehalt zugebilligt werden (vgl hierzu Staudinger/Kappe/Engler, BGB, 1997, § 1610 RdNr 11). Dieser kann sich an den Regelungen der Sozialhilfe orientieren (vgl Richter in Münchener Komm, BGB, 3. Aufl, § 1581 RdNr 18). Er lag jedenfalls im Jahre 1985 zwischen 990,00 DM und 1.150,00 DM (vgl hierzu Soergel/Lange, BGB, 12. Aufl, § 1361 RdNr 16).
Geht man nunmehr von einem wirtschaftlichen Dauerzustand von einem Jahr bis zum Tode des Versicherten aus und legt den sog Selbstbehalt zugrunde, so ergibt sich kein Unterhaltsanspruch der Klägerin. Denn sie war aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse aus selbständiger Tätigkeit von über 2.000,00 DM monatlich in der Lage, sich selbst zu unterhalten, und zwar auch bis April 1985, da ihr von Januar bis März 1985 ein Anspruch auf Krankenhaustagegeld von 215,00 DM zustand. Geht man von einem Zeitraum von Januar bis April 1985 als wirtschaftlichen Dauerzustand aus und berücksichtigt damit die mit der Straftat an der Klägerin einhergehende Änderung ihrer wirtschaftlichen Situation, so war unter Berücksichtigung des Krankenhaustagegeldes ebenfalls kein Bedarf gegeben. Wertet man die Einkommenssituation der Klägerin von Januar bis März 1985 als nicht dauerhaft, so bestand im Hinblick auf die ihr seit Januar 1985 zustehenden Leistungen nach dem OEG (auch ohne die Grundrente) in Höhe von insgesamt etwa 1.800,00 DM ebenfalls kein Unterhaltsbedarf.
Unerheblich ist, daß die Klägerin derartige Ansprüche nach dem OEG erst im Jahre 1986, also nach dem Tod des Versicherten geltend gemacht hat. Denn sie war verpflichtet, aus eigener Kraft durch geeignete Maßnahmen ihre Bedürftigkeit abzuwenden (vgl hierzu Göppinger/Strohal, aaO, RdNr 512), also auch Leistungen nach dem OEG zu beantragen (vgl hierzu entsprechend Göppinger/Strohal, aaO, RdNr 516). In diesem Zusammenhang kommt es allein auf die objektive Rechtslage, also auf die Realisierbarkeit dieser Ansprüche an. Um etwaiger Manipulation des geschiedenen Ehegatten entgegenzuwirken, sind dauerhafte wirtschaftliche Verhältnisse im oben aufgezeigten Sinne nur nach der (realisierbaren) materiellen Rechtslage zu beurteilen, Zufälligkeiten haben außer Betracht zu bleiben. Infolgedessen sind auch subjektive Gründe bzw Beweggründe des Anspruchsberechtigten oder ein möglicher Rechtsirrtum oder Rechtsunkenntnis von der Anspruchsberechtigung unbeachtlich. Ebenfalls unerheblich ist die Dauer eines Verfahrens auf Bewilligung von Leistungen nach dem OEG und damit auch, ob während der Dauer des Verfahrens ein konkreter Unterhaltsbedarf gegeben ist (anders ggf bei einem zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch; dort schließt eine erst später bewilligte Rente einen Unterhaltsbedarf nicht grundsätzlich aus, jedoch hat dies zur Folge, daß ein Rückerstattungsanspruch des Unterhaltsverpflichteten bei Zuerkennung der Leistung entsteht, vgl hierzu Staudinger/Kappe/Engler, aaO, § 1602 RdNr 22 ff). In jedem Fall bleibt es dem Bedürftigen unbenommen, eine Vorschußzahlung nach § 42 Abs 1 SGB I zu verlangen.
Die Revision ist nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
NZS 2002, 55 |
SozR 3-2600 § 243, Nr. 9 |
NJOZ 2001, 1949 |