Leitsatz (amtlich)
Die Frage, ob eine Abfindung nach den KschG 1951 §§ 7, 8 unter AVAVG § 113 Abs 1 Nr 2 fällt, ist kein Streit über den Beginn der Unterstützung iS des SGG § 147. Eine trotzdem nach SGG § 150 Nr 1 zugelassene Berufung ist unbeachtlich.
Normenkette
AVAVG § 113 Abs. 1 Nr. 2; AVAVG 1927 § 113 Abs. 1 Nr. 2; KSchG §§ 7-8; SGG § 147 Fassung: 1953-09-03, § 150 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Der Kläger war bei der Firma O J, Säge-, Schäl- und Messerfurnierwerke, in S als Messereigehilfe vom 2. Februar 1934 bis zum 10. Juli 1953 beschäftigt. Zu diesem Zeitpunkt wurde ihm wegen "Arbeitsmangels" gekündigt. Auf seine Klage wegen sozial ungerechtfertigter Kündigung stellte das Arbeitsgericht Hamm durch Urteil vom 30. Oktober 1952 fest, daß durch die Kündigung das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgelöst sei. Im Berufungsverfahren wies das Landesarbeitsgericht Hamm durch Urteil vom 28. Januar 1953 die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurück, daß das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Klägers zum 10. Juli 1952 aufgelöst und die Beklagte verurteilt wurde, an den Kläger eine Abfindung von 3000.- DM zu zahlen.
II. Der Kläger hatte sich am 14. Juli 1952 beim Arbeitsamt Soest arbeitslos gemeldet und erhielt vom 21. Juli 1952 an Arbeitslosenunterstützung sowie anschließend Arbeitslosenfürsorgeunterstützung bis zum 31. Januar 1953 im Gesamtbetrage von 659,20 DM.
Mit Rücksicht auf die vom Landesarbeitsgericht Hamm zuerkannte Abfindung stellte das Arbeitsamt durch Verfügung vom 9. Februar 1953 die Unterstützungszahlung rückwirkend vom 21. Juli 1952 ein, forderte von der Firma Jahn die Erstattung der Unterstützungsbeträge in Höhe von 659,20 DM aus der Abfindungssumme und verneinte gemäß § 113 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) das Vorliegen von Arbeitslosigkeit bis einschließlich 11. Mai 1953.
III. Der Einspruch des Klägers wurde durch den Spruchausschuß des Arbeitsamts Soest am 4. Mai 1953 als unbegründet zurückgewiesen. Seine Berufung an die Spruchkammer beim Oberversicherungsamt Dortmund ging gemäß § 215 Abs. 2 des am 1. Januar 1954 in Kraft getretenen Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht Dortmund über. Dieses hob durch Urteil vom 28. Januar 1954 den Bescheid des Arbeitsamtes Soest vom 9. Februar 1953 und die Entscheidung des Spruchausschusses vom 4. Mai 1953 auf und wies den Anspruch der Beklagten auf Rückerstattung der in Höhe von 659,20 DM gewährten Arbeitslosen- und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung zurück.
Weder im Tenor noch in den Gründen des Urteils wurde über die Zulassung eines Rechtsmittels gesprochen. Nur in der Rechtsmittelbelehrung führte das Sozialgericht aus:
"Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach seiner Zustellung Berufung (in zweifacher Ausfertigung) bei dem Landessozialgericht in Essen, Glückauf-Haus, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden."
IV. Das Urteil wurde dem Arbeitsamt Soest, dem Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen und dem Kläger am 16. März 1954 zugestellt. Hiergegen legte die beklagte Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung telegraphisch am 15. April 1954 Berufung beim Landessozialgericht in Essen ein und kündigte die Nachreichung der Begründung durch den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen an.
Dieser beantragte mit Schriftsatz vom 23. April 1954, das Urteil auf Grund des § 138 SGG dahin zu berichtigen, daß die Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG zugelassen werde; denn die Frage, ob die Abfindung von 3000.- DM gemäß § 113 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG berücksichtigt werden dürfe, sei praktisch eine Streitfrage über den Beginn der Unterstützung im Sinne des § 147 SGG, die Streitfrage der "Anrechnungsmöglichkeit" selbst sei von grundsätzlicher Bedeutung. Mit der Urteilsberichtigung werde bezweckt, die Voraussetzungen für eine Sprungrevision zu schaffen.
Mit Schriftsatz vom 30. April 1954 begründete der Präsident des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen die Berufung der Bundesanstalt und beantragte, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 28. Januar 1954 aufzuheben und den Bescheid des Arbeitsamtes Soest vom 9. Februar 1953 sowie die Entscheidung des Spruchausschusses vom 4. Mai 1953 wiederherzustellen, im Falle einer Zurückweisung der Berufung aber die Revision gemäß § 162 SGG zuzulassen, da es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handele.
Der Kläger beantragte mit Schriftsatz vom 8. September 1954, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen, und ergänzte seine Ausführungen durch Schriftsatz vom 10. November 1954.
Im einzelnen wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.
V. Unter dem 3. September 1954 berichtigte der Vorsitzende der Kammer für Arbeitslosenversicherung des Sozialgerichts Dortmund das Urteil vom 28. Januar 1954 bezüglich der Rechtsmittelbelehrung mit folgendem Beschluß:
"Gemäß § 138 Sozialgerichtsgesetz wird das Urteil in der Rechtsmittelbelehrung wie folgt berichtigt bezw. ergänzt:
Hinter den Worten, gegen dieses Urteil kann, ist einzufügen:
"Gemäß § 150 Absatz 1 Ziffer 1 Sozialgerichtsgesetz wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.""
In einem besonderen Schreiben an den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen vom 3. September 1954 erklärte der Vorsitzende:
"Obwohl gemäß § 138 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 66 SGG eine offenbare Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung nicht vorliegt, habe ich mich entschlossen, die Rechtsmittelbelehrung ergänzend zu berichtigen. Dies deshalb, weil das Gericht im Termin am 28. Januar 1954 in der Beratung zu dem Ergebnis kam, im vorliegenden Falle die Berufung aus der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zulassen zu müssen. Ich bestätige Ihnen, daß in der im Termin erteilten Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich die Zulassung der Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles ausgesprochen worden ist."
Mit diesem Schreiben wurde das berichtigte Urteil an den Präsidenten des Landesarbeitsamtes übersandt. Der genaue Zeitpunkt der Absendung dieses Schreibens und des Eingangs beim Landesarbeitsamt ergibt sich nicht aus den Akten.
Mit Schriftsatz vom 20. September 1954 - beim Bundessozialgericht eingegangen am 23. September 1954 - legte der Präsident der Bundesanstalt Sprungrevision gemäß § 161 SGG ein und beantragte,
die Klage gegen die Entscheidung des Arbeitsamtes Soest vom 9. Februar 1953 unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 28. Januar 1954 abzuweisen.
Die schriftliche Einwilligungserklärung des Rechtsmittelgegners vom 30. März 1954 fügte er bei. Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 1954 - beim Bundessozialgericht eingegangen am 1. November 1954 - begründete er die Sprungrevision. Er rügte als wesentlichen Verfahrensmangel gemäß § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGG, daß im Rubrum des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 28. Januar 1954 als Beteiligte nicht die Bundesanstalt, sondern der Spruchausschuß des Arbeitsamtes Soest angegeben sei. Materiell-rechtlich beruhe das Urteil auf einer unrichtigen Auslegung des § 113 AVAVG. Im einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 28. Oktober 1954 und seine Anlagen Bezug genommen.
Der Revisionsbeklagte beantragte
Zurückweisung der Sprungrevision.
Auf seine Schriftsätze vom 17. und 25. Januar 1955 wird verwiesen.
Zur Frage der Rechtzeitigkeit von Revision und Revisionsbegründung führte die Bundesanstalt in ihren Schriftsätzen vom 23. Februar und 23. April 1955, auf die im einzelnen Bezug genommen wird, aus, das Urteil des Sozialgerichts und der Berichtigungsbeschluß hierzu seien zwar dem Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen und dem Arbeitsamt Soest, nicht aber dem Direktor des Arbeitsamtes Dortmund, Oberregierungsrat Bielfeld, als dem Prozeßbevollmächtigten der damaligen Beklagten zugestellt worden. Die Bundesanstalt als Beklagte sei auch nicht über das zuständige Rechtsmittel belehrt worden, da sie im Rubrum des Urteils des Sozialgerichts Dortmund nicht als Beteiligte aufgeführt sei. Außerdem sei die Rechtsmittelbelehrung unvollständig gewesen. Deshalb sei die Revisionsfrist nicht in Lauf gesetzt worden. Es müsse demnach die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG gelten, so daß Revision und Revisionsbegründung rechtzeitig eingereicht seien.
Der Beklagte hat dies in seinem Schriftsatz vom 26. März 1955, auf den verwiesen wird, bestritten.
VI. Die Revision ist unzulässig.
Nach § 161 SGG kann unter Übergehung des Berufungsverfahrens Sprungrevision unmittelbar beim Bundessozialgericht dann eingelegt werden, wenn das Urteil des Sozialgerichts nach § 150 SGG mit der Berufung anfechtbar ist. Dies aber trifft, da § 150 Nr. 3 in Angelegenheiten der Arbeitslosenunterstützung nicht in Betracht kommt, nur zu, wenn in Fällen der §§ 144 bis 149 SGG das Sozialgericht die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache oder wegen Abweichung von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landessozialgerichts im Urteil zugelassen hat oder wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird.
Die Revisionsklägerin ist der Auffassung, daß der vorliegende Fall unter § 147 SGG falle, da er den Beginn der Unterstützung betreffe.
Dieser Ansicht konnte sich der Senat nicht anschließen.
Beginnstreitigkeiten sind solche, bei denen Streit darüber besteht, von welchem Tage an die Unterstützung gewährt werden darf. Hierher gehören z. B. Streitigkeiten über den Ablauf der Wartezeit nach § 110 b AVAVG oder über die Nichtanrechnung von Wartetagen wegen unterlassener Meldung beim Arbeitsamt nach § 110 a Abs. 3 AVAVG, also unbedeutendere Streitigkeiten, bei denen das Sozialgerichtsgesetz davon ausgeht, daß sie regelmäßig vor dem Sozialgericht geklärt werden können, und für die der Instanzenzug nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 150 eröffnet werden soll.
Zu diesen Beginnstreitigkeiten gehören die Fälle nach § 113 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG jedoch nicht. Bei ihnen ist nicht streitig, ob die Unterstützung an diesem oder jenem Tage beginnt. Vielmehr wird hier, wenn ein Arbeitsloser anläßlich des Ausscheidens aus seiner früheren Beschäftigung eine Abfindung oder Entschädigung erhalten hat, die Unterstützung für eine bestimmte Zeit, die sich aus der Teilung der Abfindungssumme durch das bisherige durchschnittliche Tagesarbeitsentgelt ergibt, ausgeschlossen. Demnach erfaßt hier der Streit den gesamten Unterstützungsanspruch. Ein lediglich unter § 147 SGG einzuordnender Streitfall liegt deshalb nicht vor, so daß eine Berufung nach § 150 SGG nicht zugelassen werden durfte und demgemäß eine Sprungrevision nicht zulässig war. Vielmehr wäre im vorliegenden Falle nur die allgemeine Berufung nach § 143 SGG in Frage gekommen, wie sie das Urteil des Sozialgerichts vor seiner Berichtigung vorgesehen hatte.
VII. Der Senat hatte aber noch zu prüfen, ob er etwa an das durch die fehlerhafte Berichtigung zugelassene Rechtsmittel gebunden war. Dies war zu verneinen. Wie Haueisen in der Zeitschrift "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1955, S. 1, ausführt, sind Rechtsprechung und Schrifttum im wesentlichen darüber einig, daß die Zulassung des Rechtsmittels dann nicht bindend ist, wenn sie offensichtlich entgegen dem Gesetz erfolgt ist (vergl. dazu die dort angegebenen Urteile und das Schrifttum). Diese Ausführungen beziehen sich zunächst nur auf den § 162 SGG. Sie sind aber ebenso bei der unberechtigten Zulassung einer Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zutreffend. Deshalb hat sich der Senat dieser Auffassung angeschlossen. Da ein Streitfall nach § 113 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG nicht eine Beginnstreitigkeit nach § 147 SGG darstellt, verstieß eine Zulassung der Berufung nach § 150 SGG gegen das Gesetz. Damit erübrigte sich zugleich eine Untersuchung darüber, ob die Zulassung, die nicht im Tenor oder in den Gründen des Urteils, sondern nur in der Rechtsmittelbelehrung ausgesprochen war, überhaupt äußerlich rechtswirksam erfolgt ist.
VIII. Unter diesen Umständen mußte die Revision als unzulässig verworfen werden, ohne daß es einer Prüfung des weiteren Vorbringens bedurfte.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen