Leitsatz (redaktionell)

1. Wenn ZPO § 377 Abs 3 und 4 auch nur auf solche Auskünfte beschränkt ist, die vom Gericht selbst von der Auskunftsperson eingeholt worden sind, so muß der in ihr enthaltene Grundsatz ebenso und erst recht gelten, wenn es sich um eine auf andere Weise an das Gericht gelangte Erklärung einer Privatperson handelt.

2. Weder das SGG noch die ZPO, deren Vorschriften nach SGG § 202 grundsätzlich entsprechend anzuwenden sind, enthält eine Vorschrift des Inhalts, daß der Beweis von Tatsachen, die eine Person wahrgenommen hat, regelmäßig durch eine gerichtliche Vernehmung dieser Person als Zeuge zu führen ist.

Das SGG läßt für diesen Fall auch andere Beweismittel zu, so zB nach SGG § 106 Abs 3 Nr 3 die Einholung von Auskünften aller Art (siehe dazu auch ZPO § 377 Abs 3 und 4 iVm SGG § 118 Abs 1).

Diese Beweismittel können als solche zur Urteilsfindung nur verwertet werden, wenn sie nach den Umständen des Falles ein geeignetes Mittel zur Erforschung des Sachverhalts sind.

3. Das Gericht hat grundsätzlich dann den Beweis durch Zeugen einem Urkundenbeweis vorzuziehen, wenn sich aus den von den Beteiligten vorgelegten Urkunden, insbesondere den privatschriftlichen Erklärungen eines Dritten, Widersprüche ergeben, deren Aufklärung für die Entscheidung wesentlich ist.

Eine derartige Verpflichtung besteht in einem solchen Falle auch deshalb, weil - entgegen dem Urkundenbeweis - der persönliche Eindruck, den der Zeuge bei seiner Vernehmung macht, die mögliche Anwesenheit der Beteiligten bei der Vernehmung und das ihnen zustehende Fragerecht eine wesentlich bessere Aufklärung des Sachverhalts ermöglichen. Das Gericht genügt seiner Amtsermittlungspflicht nur dann, wenn es jeweils den besseren Beweis erhebt.

 

Normenkette

SGG § 202 Fassung: 1953-09-03, § 118 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 106 Abs. 3 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 377 Abs. 3-4

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Mai 1964 insoweit aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen, als die Klage nicht abgewiesen worden ist.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

Der am 7. März 1901 geborene und am 23. März 1962 verstorbene Kläger - nachfolgend mit W. bezeichnet - wurde am 31. Oktober 1939 als Koch bei einer Infanterie-Einheit vom Arbeitsamt auf Grund der Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 13. Februar 1939 dienstverpflichtet. Mit seiner Einheit kam er wenige Tage nach seiner Dienstverpflichtung in die Tschechoslowakei und war dort vom 1. November 1939 bis zum 15. Januar 1942 bei verschiedenen Einheiten der früheren deutschen Wehrmacht als Koch beschäftigt. Ab Januar 1942 war er bei einer Fliegerhorst-Kommandantur im Bürodienst tätig. Er wurde im Januar 1943 als untauglich ausgemustert und arbeitete vom Oktober 1943 bis Kriegsende als Wirtschaftsleiter in einem Kinderlandverschickungslager in der Tschechoslowakei. Nach Kriegsende verblieb er mit seiner Frau in Königgrätz. Während dieser Zeit stand er unter polizeilicher Überwachung. Nach seinen Angaben war er bis 1948 in einer Forstschule, danach in einem Stahllager tätig. Er wurde am 19. Juni 1951 in die Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen.

Am 6. Februar 1952 beantragte W. die Anerkennung eines Asthma-Leidens als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und gab hierzu an, er habe sich dieses Leiden bei der Zwangsarbeit in der Tschechoslowakei zugezogen. Er trug später weiter vor, dieses Leiden habe schon im Jahre 1940 begonnen. Er habe als Koch bei einer Wehrmachtseinheit in Neuhaus in Böhmen das Essen in verzinnten Waschkesseln kochen müssen, wobei durch die Auflösung des Zinns eine starke Rauchentwicklung entstanden sei. Diese Zustände hätten 3 Monate angedauert. Nachdem er von Neuhaus nach Budweis gekommen sei, habe er seine Tätigkeit bei sehr strenger Kälte im Freien als Koch fortsetzen müssen. In Königgrätz habe er sich als Koch einen Leistenbruch zugezogen.

In dem versorgungsärztlichen Gutachten vom 20. November 1953 lehnte der Sachverständige den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Asthma-Leiden und den von W. als Ursache dafür angeführten äußeren Einflüssen deshalb ab, weil W. einen Tauchkropf habe und dieses anlagebedingte Leiden durch äußere Einwirkungen weder entstanden noch verschlimmert worden sei. Das Versorgungsamt (VersorgA) erkannte mit Bescheid vom 28. Dezember 1953 nur eine "reizlose Narbe nach Leistenbruchoperation rechts" im Sinne der Entstehung als Schädigungsfolge nach dem BVG ohne Rente an und lehnte den ursächlichen Zusammenhang zwischen Asthma-Leiden und schädigenden Einflüssen im Sinne des BVG ab. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 1954).

Im Klageverfahren hat W. zur Unterstützung seiner Behauptungen über die Zustände auf seinem Arbeitsplatz in Neuhaus/Böhmen eine Bescheinigung des während des Krieges in Neuhaus als Metzgermeister tätig gewesenen A V vom 3. Juli 1955 vorgelegt, in der dieser ausführt, er sei als Fleischlieferant in Neuhaus öfters in die Kaserne gekommen und habe mit W. gesprochen. Dieser habe darüber geklagt, daß die Arbeitsverhältnisse in der Küche sehr schlecht gewesen seien. Da kein richtiger Herd zur Verfügung gestanden habe, hätten Kessel benutzt werden müssen, die stark verzinkt gewesen seien, dadurch sei starker Qualm entstanden, der W. zum Husten gebracht habe. W. habe über starken Hustenreiz und schlechtes Atmen geklagt und dies auf die schlechten Küchenverhältnisse in der Kaserne zurückgeführt. Als W. aber nach 3 Monaten nach Budweis versetzt worden sei, habe er noch recht gesund und munter ausgesehen. Im Jahre 1943 habe W. die Familie V. in Neuhaus besucht. Dabei hätte seine Frau festgestellt, daß W. sehr abgemagert gewesen sei. Er selbst habe sich zu jener Zeit beim Militär befunden.

Der vom Sozialgericht (SG) gehörte Lungenfacharzt Dr. E. hat in seinem Gutachten vom 9. November 1955 eine schwere spastische Bronchitis sowie ein Emphysem mit Bronchialerweiterungen und Tauchkropf festgestellt. Er hat sowohl für den Leistenbruch als auch für die Bronchitis einen ursächlichen Zusammenhang mit den von W. angegebenen Einflüssen abgelehnt. Das Einatmen von Zinn- oder Zinkdämpfen habe nach der ärztlichen Erfahrung keine Dauerschädigung zur Folge haben können.

Nachdem eine auf Berichtigung des angefochtenen Bescheides gerichtete Widerklage des Beklagten rechtskräftig abgewiesen worden war (Urteil des SG vom 17. Februar 1956 und des Landessozialgerichts -LSG- von 23. November 1956) hat der Beklagte einen auf § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) gestützten Berichtigungsbescheid vom 10. April 1957 erteilt, mit dem er den angefochtenen Bescheid und die Anerkennung der reizlosen Narbe nach Leistenbruchoperation rechts aufgehoben und den Versorgungsantrag des W. insgesamt abgelehnt hat.

Das SG hat auch diesen Bescheid als Gegenstand des Klageverfahrens behandelt. Es hat von Prof. Dr. J. ein Gutachten eingeholt (Gutachten vom 30. Juli 1957), der einen Zusammenhang zwischen der Bronchitis und den Einwirkungen von Zinn- und Zinkdämpfen verneint hat. Auf Anregung des W. hat das SG noch ein Gutachten von Prof. Dr. H. vom 28. Februar 1950 eingeholt, der ausgeführt hat, daß die Bronchitis während der Zeit von Herbst 1939 bis Herbst 1941, also im zeitlichen Zusammenhang mit den von W. geschilderten Ereignissen, aufgetreten sei. Die ungünstigen äußeren Faktoren (Rauch, Zinkdämpfe, Kälte) seien hinsichtlich der Krankheitsentstehung als Hilfsursachen anzusehen, die zu einer verfrühten Manifestation der im Rahmen des Kropfleidens schicksalhaft zu erwartenden chronischen Bronchitiserkrankung geführt hätten. Diese verfrühte Manifestation gehe zu Lasten der Dienstverpflichtung. Bei einer Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 V.H. sei der Anteil dieser verfrühten Manifestation mit 30 v.H. anzusetzen. Danach hat W. unter Überreichung eines Schriftwechsels mit dem früheren Leiter des Arbeitsmedizinischen Instituts in Karlsruhe, Dr. M., vorgetragen, es habe sich bei den Dämpfen, die beim Kochen in Waschkesseln entstanden seien, nicht um Zink- sondern um Cadmiumdämpfe gehandelt. In dem daraufhin vom SG eingeholten Ergänzungsgutachten von Prof. Dr. H. vom 15. November 1958 hat der Sachverständige ausgeführt, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Asthma- und Emphysemleiden einerseits und der Cadmiuminhalation andererseits zu bejahen sei, wenn es sich in den Jahren 1939 bis 1940 um Cadmiumdämpfe gehandelt habe. Die dadurch bedingte MdE bei einer Gesamt-MdE von 100 v.H. müsse mit 90 v.H. angesetzt werden. Mit Urteil vom 27. Januar 1959 hat das SG den Beklagten verurteilt, für "chron. Erkrankung der Atmungsorgane" vom 1. Februar 1952 an Versorgungsbezüge nach einer MdE von 80 v.H. zu gewähren; es hat im übrigen die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt und vornehmlich zur Begründung ausgeführt, daß W. nicht durch Cadmiumdämpfe geschädigt worden sein könne. W. hat dem LSG ua noch ein weiteres Schreiben des Alois V. vom 27. Dezember 1960 vorgelegt, in dem dieser ausgeführt hat, daß die Kochverhältnisse in Neuhaus sehr schlecht gewesen seien. Die Kochkessel seien mit Kohle von unten geheizt worden. In ihnen habe W. Fleisch gebraten. Er - V. - könne sich noch erinnern, daß es in der Kasernenküche stark nach Rauch gerochen habe. W. habe über den vielen Rauch in der Küche geklagt und öfter gesagt, daß er davon laufend Husten bekomme; er habe über Atembeschwerden geklagt. Es sei ihm - V. - vorgekommen, als ob W. in der Zeit in Neuhaus abgemagert gewesen sei. Das LSG hat die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung, mit Beschluß vom 18. Dezember 1962 beigeladen. Nach dem Tode des W. - als dessen Erben die derzeitigen Kläger das Verfahren aufgenommen haben -, hat das LSG von Prof. Dr. S. das Gutachten vom 4. Februar 1964 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, es spreche die größere Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Asthma-Leiden des W. vor allen Dingen durch seine (Tätigkeit als Wehrmachtskoch in der Zeit von Oktober 1939 bis Januar 1940 hervorgerufen sei. Zumindest müsse eine richtunggebende Verschlimmerung des Leidens anerkannt werden. Der Tauchkropf habe sicherlich nur eine untergeordnete Bedeutung bei der Entwicklung des Leidens gehabt. Die MdE betrage durchschnittlich 80 v.H.. Das LSG hat mit Urteil vom 27. Mai 1964 auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG Konstanz vom 7. Januar 1959 abgeändert und den Beklagten verurteilt, bei W. "chronische asthmatoide Emphysem-Bronchitis" als Schädigungsfolge im Sinne der richtunggebenden Verschlimmerung anzuerkennen und Rente nach einer MdE von 80 v.H. vom 1. Februar 1952 bis 31. März 1962 zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Berufung habe sich im wesentlichen als unbegründet erwiesen. Die vom SG ausgesprochene Anerkennung des Leidens müsse, wenn auch nur im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung, ebenso wie die Gewährung der Rente nach einer MdE von 80 v.H. bestehen bleiben. Der Versorgungsanspruch sei auf Grund der Tätigkeit des W. als Wehrmachtskoch in Neuhaus begründet. Die Angaben des W. über die damaligen tatsächlichen Verhältnisse in der Tschechoslowakei seien glaubhaft. Es bestünden keine ins Gewicht fallende, etwa auf Unlauterkeit oder Unsachlichkeit hindeutende Widersprüche. Kleinere Unstimmigkeiten erklärten sich ohne weiteres aus dem langen Zeitablauf seit den betreffenden Vorgängen. Außerdem sei die Darstellung des W. in seinen wesentlichen Punkten von dem unverdächtigen Zeugen V. schriftlich bestätigt worden. Wer die damaligen Verhältnisse in der Tschechoslowakei kenne wie der Senat, könne die übereinstimmenden Angaben auch nicht als unglaubhaft empfinden. Die von W. und dem Zeugen V. geschilderten Verhältnisse fügten sich zwanglos in das Bild ein, wie es immer wieder in Berichten deutscher Wehrmachtsangehöriger beschrieben worden sei, die zur selben Zeit in der Tschechoslowakei stationiert gewesen seien. Hiernach beständen keine Bedenken festzustellen, daß W. in Heuhaus 3 Monate lang in äußerst primitiven und behelfsmäßig eingerichteten Räumen, die vorher von den Tschechen absichtlich beschädigt und in einen möglichst unbrauchbaren Zustand versetzt worden und für den Betrieb einer Wehrmachtsküche denkbar ungeeignet gewesen seien, den anstrengenden Dienst als Koch versehen habe. Es sei weiterhin festzustellen, daß W. dabei, neben schädlichen allgemeinen Witterungseinflüssen, vor allem den äußerst gesundheitsschädlichen Cadmiumdämpfen ausgesetzt gewesen sei, die beim Gebrauch von vercadmiumierten Kesseln entstanden seien. Diese Schwierigkeiten hätten wegen der besonderen, durch den passiven Widerstand der tschechischen Zivilbevölkerung bestehenden Verhältnisse nicht beseitigt werden können. Daß W. hinsichtlich der Metalllegierung der Kessel im Laufe des Rechtsstreites unterschiedliche Angaben gemacht habe, stehe dieser Feststellung nicht entgegen. Jedenfalls könne nicht gesagt werden, daß W. von Cadmium gesprochen habe, um dadurch eine Täuschung vorzunehmen. Er habe bei seiner Angabe noch nicht wissen können, in welcher Weise er in diesem Punkt ein für sich günstiges Gutachten hätte erzielen können.

Das LSG ist sodann unter Würdigung der Gutachten von Dr. J. und Dr. H. sowie Dr. S. zu dem Ergebnis gelangt, daß die bei W. bestehende chronische Bronchitis durch die kriegseigentümlichen Verhältnisse in Neuhaus mindestens richtunggebend verschlimmert und der Verschlimmerungsanteil mit einer MdE um 80 v.H. zu bewerten ist, so daß das Urteil des SG zu bestätigen war. Unterdessen hat das LSG es offengelassen, ob noch andere schädigende Einwirkungen, wie etwa die Verhältnisse, denen W. nach 1945 bis zu seiner Ausweisung im Jahre 1951 in der Tschechoslowakei ausgesetzt war, auf das Leiden einen Einfluß ausgeübt hatten.

Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Gegen dieses ihm am 6. Juli 1964 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit einem beim Bundessozialgericht (BSG) am 27. Juli 1964 eingegangenen Schriftsatz vom 24. Juli 1964 Revision eingelegt und sie nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis 6. Oktober 1964 mit einem am 22. August 1964 beim BSG eingegangenen Schriftsatz vom 14. August 1964 begründet.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Konstanz vom 27. Januar 1959 - 5 V 1873/54 - in vollem Umfang aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des VersorgA Radolfzell vom 28. Dezember 1953 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamts vom 14. Juli 1954 als unbegründet abzuweisen;

hilfsweise,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 27. Mai 1964 aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte rügt eine Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch das LSG und trägt hierzu vor, das LSG habe trotz der zugegebenen Widerspräche in den Angaben des W. die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BVG bejaht. Er weist auf verschiedene Widersprüche in den Angaben des W. hin, die das LSG zu Unrecht als belanglos angesehen habe. Abgesehen davon, daß das LSG bei der Würdigung der Frage, ob die Angaben des W. glaubwürdig seien, den § 128 SGG verletzt habe, weil es wesentliche Unterlagen aus den Akten nicht berücksichtigt habe, sei es verpflichtet gewesen, den Zeugen V., der erreichbar in der Bundesrepublik wohne, selbst anzuhören; diese Verpflichtung habe um so mehr bestanden, als sich auch aus den Bescheinigungen des V. selbst Widersprüche ergäben. In seiner ersten von W. eingereicht Bescheinigung vom 3. Juli 1955 habe dieser nämlich angegeben, W. habe in Neuhaus kräftig und gesund ausgesehen, während er demgegenüber in der späteren Bescheinigung vom 27. Dezember 1960 ausgeführt habe, W. sei ihm in der Zeit in Neuhaus abgemagert vorgekommen. Mit weiterer ausführlicher Begründung rügt der Beklagte noch eine Verletzung des § 128 SGG und die Verletzung materiellen Rechts durch das LSG. Im übrigen wird auf die Revisionsbegründung verwiesen.

Die Kläger beantragen,

die Revision als unzulässig zu verwerfen und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern die außergerichtlichen Kosten in allen Rechtszügen zu erstatten.

Sie sind der Auffassung, daß die vom Beklagten vorgetragenen wesentlichen Mängel im Verfahren des LSG nicht gegeben sind.

Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.

Da das LSG die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht zugelassen hat, ist die Revision nur statthaft wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gerügt wird (BSG 1, 150) oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Liegt einer der gerügten Verfahrensmangel vor, so ist es für die Statthaftigkeit der Revision unerheblich, ob auch die übrigen gerügten wesentlichen Verfahrensmängel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gegeben sind (BSG in SozR SGG § 162 Nr. 122).

Der Beklagte rügt zutreffend eine Verletzung des § 103 SGG durch das LSG. Das Berufungsgericht hat angenommen, daß W. während seiner Dienstverpflichtung bei seiner Tätigkeit als Koch von November 1939 bis Januar 1940 kriegseigentümlichen Verhältnissen im Sinne des § 3 Abs. 2 BVG ausgesetzt gewesen ist. Es hat dabei die unterschiedlichen Angaben des W. über die Verhältnisse in Neuhaus gewürdigt und ausgeführt (siehe dazu besonders Seite 16 des Urteilsabdrucks), daß die Widersprüche in den Angaben des W. geringfügig seien und seine Angaben in wesentlichen Punkten durch die schriftlichen Bekundungen "des Zeugen V. bestätigt worden seien. Im vor liegenden Fall hätte sich das LSG aber nicht mit diesen schriftlichen Bekundungen begnügen dürfen, sondern wäre verpflichtet gewesen, V. persönlich als Zeugen zu hören. Zwar enthält weder das SGG noch die Zivilprozeßordnung (ZPO), deren Vorschriften gemäß § 202 SGG grundsätzlich entsprechend anzuwenden sind, eine Vorschrift des Inhalts, daß der Beweis von Tatsachen, die eine Person wahrgenommen hat, regelmäßig durch eine gerichtliche Vernehmung dieser Person als Zeuge zu führen ist. Das SGG läßt vielmehr für diesen Fall auch andere Beweismittel zu, so z.B. nach § 106 Abs. 3 Nr. 3 SGG die Einholung von Auskünften aller Art (siehe dazu auch § 377 Abs. 3 und 4 ZPO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 SGG). Diese Beweismittel können aber als solche zur Urteilsfindung nur verwertet werden, wenn sie nach den Umständen des Falles ein geeignetes Mittel zur Erforschung des Sachverhalts sind (siehe dazu auch BSG 4, 60). Das Gericht darf sich mit einer Erklärung oder Auskunft einer Privatperson, die nicht den Vorschriften des § 377 Abs. 3 und 4 ZPO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 SGG entspricht und nicht unter eidesstattlicher Versicherung ihrer Richtigkeit eingereicht worden ist, nicht begnügen, wenn es die Möglichkeit hat, den Urheber dieser Erklärung oder Auskunft als Zeugen vor Gericht zu vernehmen. Wenn diese Vorschrift auch nur auf solche Auskünfte beschränkt ist, die vom Gericht selbst von der Auskunftsperson eingeholt worden sind, so muß der in ihr enthaltene Grundsatz ebenso und erst recht gelten, wenn es sich um eine auf andere Weise an das Gericht gelangte Erklärung einer Privatperson handelt. Zwar ist das Gericht in der Lage und befugt, Feststellungen im Wege des Urkundenbeweises zu treffen, jedoch hat es grundsätzlich dann den Beweis durch Zeugen einem Urkundenbeweis vorzuziehen, wenn sich aus den von den Beteiligten vorgelegten Urkunden, insbesondere den privatschriftlichen Erklärungen eines Dritten, Widersprüche ergeben, deren Aufklärung für die Entscheidung wesentlich ist. Eine derartige Verpflichtung besteht in einem solchen Falle auch deshalb, weil - entgegen dem Urkundenbeweis - der persönliche Eindruck, den der Zeuge bei seiner Vernehmung macht, die mögliche Anwesenheit der Beteiligten bei der Vernehmung und das ihnen zustehende Fragerecht eine wesentlich bessere Aufklärung des Sachverhalts ermöglichen. Da das Gericht seiner Amtsermittlungspflicht nur dann genügt, wenn es jeweils den besseren Beweis erhebt (siehe dazu auch in SozR SGG § 128 Nr. 59 und Beschluß des erkennenden Senats vom 8. November 1965 - 10 RV 498/65 -), wäre auch das LSG im vorliegenden Fall verpflichtet gewesen, den in der Bundesrepublik lebenden Zeugen V. über die in sein Wissen gestellten Tatsachen zu vernehmen. Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob das LSG bei seiner Feststellung über die Arbeitsverhältnisse des W. von November 1939 bis Januar 1940 in der Tschechoslowakei den Inhalt der Bescheinigung des V. überhaupt im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt oder nicht etwa geglaubt hat, es handele sich insoweit um die Würdigung einer "Zeugenaussage"; denn es spricht in diesem Zusammenhang in den Entscheidungsgründen von dem "unverdächtigen Zeugen V. (S. 16 unten des Urteilsabdrucks). V. selbst ist aber als Zeuge nicht vernommen worden. Jedenfalls ergab sich die Verpflichtung des LSG, ihn als Zeugen zu hören, insbesondere daraus, daß - wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat - V. in seinen beiden Bescheinigungen unterschiedliche Angaben über den von ihm - wenn auch laienhaft - beobachteten Gesundheitszustand des W. während dessen Tätigkeit in Neuhaus gemacht hat. Während … in seiner Bescheinigung vom 3. Juli 1955 ausgeführt hat, W. habe in "stark verzinkten" Waschkesseln koch müssen, er habe jedoch bei seinem Weggang aus Neuhaus "recht gesund und munter" ausgesehen, hat V. in seiner späteren Bescheinigung vom 27. Dezember 1960 nur ausgeführt, daß die Waschkessel von unten mit Kohle geheizt wurden und es in der Küche stark nach Rauch gerochen habe, ohne über eine mögliche Metalllegierung der Kessel Auskunft zu geben; des weiteren hat er - im Gegensatz zu seiner früheren Bescheinigung - erklärt, W. habe am Anfang in Neuhaus "sehr stark und gesund" ausgesehen, bei seinem Weggang habe er den Eindruck gemacht, "als wenn er in der Zeit in Neuhaus abgemagert sei". Bei dem häufigen Wechsel der Angaben des W. über den Zustand der von ihm zum Kochen benutzten Waschkessel in Neuhaus und den widersprechenden Angaben des V. der als Zeuge für das LSG erreichbar war, sowie dem Umstand, daß dieser offenbar aus eigener persönlicher Kenntnis der Verhältnisse in Neuhaus in der streitigen Zeit dem LSG zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung stand, hätte es sich gedrängt fühlen müssen, ihn gemäß § 103 SGG zu vernehmen. Die Verletzung des § 103 SGG durch das LSG ist ein wesentlicher Mangel im Verfahren im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG, so daß die Revision statthaft ist. Sie ist auch begründet, da die Möglichkeit besteht, daß das LSG bei einem ordnungsgemäßen Verfahren zu einem für den Beklagten günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben, soweit der Beklagte im Berufungsverfahren unterlegen ist, also soweit die Klage vom LSG nicht abgewiesen worden ist. Da die Beweiserhebung durch das Tatsachengericht vorzunehmen ist und die übrigen Feststellungen für eine Entscheidung des Senats nicht ausreichten, war die Sache an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2944748

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